Zeitgeschichte: Vor 60 Jahren wurde "Stalinstadt" gegründet
Nachgereichte Ergänzungen zu Teil 1

zusammengestellt von Karl Mueller

09/10

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1) Kurt W. Leucht - Diener vieler Herren
Aus dem Ausstellungskatalog: aufbau west | aufbau ost

Jörn Schütrumpf: Kurt W. Leucht, Planer von Stalinstadt, der "ersten sozialistischen Stadt Deutschlands"

Mitte August 1950 inspizierte ein ungleiches Trio die Ruinen am Berliner Lustgarten. Während der eine selbstbewußt Anweisungen gab und unter anderem den Abriß des Stadtschlosses befahl, wagten die beiden Begleiter kaum, sich zu äußern. Aus dem Zentrum des preußischen Militarismus sollte, so die Vorstellung des Wortführers, das Herzstück des neuen Staates werden: mit einer großen Tribüne, einer neuen Staatsoper, einem Denkmal für die europäischen Widerstandskämpfer und einem riesigen Platz für Kundgebungen. Ganz wichtig waren ihm für die geplanten Demonstrationen die Zu- und Abflußstraßen, die nicht nur breit sein, sondern auch einen völlig neuen Blick durch das einst kleinteilige Berliner Zentrum eröffnen sollten. Vor allem deshalb erregte die Zeughaus Ruine, deren Südostecke die Sicht auf die Straße Unter den Linden verstellte, sein Mißbehagen: Dieser Teil des Baus sollte fallen.

Das war einem der beiden Begleiter dann doch zuviel, und er begann zu reden - über seine Moskau-Reise. Dort habe man Häuser, die den Demonstranten-Fluß störten, an den vorderen Seitenfenstern geöffnet und die Räume an der Straßenfront in Arkaden verwandelt. Die Fensterbögen des Zeughauses böten sich für eine solche Lösung doch geradezu an. Der selbstbewußte Befehlsgeber - es war Walter Ulbricht - nickte, die Ruine blieb stehen und wurde aufgebaut, ohne Arkaden. Diese Geschichte, die der dritte Mann in der Runde, Dr. Gerhard Strauss, Jahrzehnte später bekanntmachte,(1) illustriert die Position, die Kurt W. Leucht oft, wenn nicht gar meistens in seinem Leben einnahm: dicht an der Macht, ihr ergeben, trotzdem eigene Vorstellungen verfolgend.

"Politik" hatte schon über der Wiege Kurt Walter Leuchts, des späteren Planers der "ersten sozialistischen Stadt Deutschlands", geschwebt. Sein Vater, der Baumeister Max Otto Hessler, war überzeugter Anarchist und hatte sich auch nach der Geburt seines Sohnes - am 8. Juni 1913 im vogtländischen Ellefeld - dem bürgerlichen Institut der Ehe verweigert. Als sich Hessler nach dem Ersten Weltkrieg auch noch an die Seite von Max Hoelz stellte, kündigte Martha Anna Leucht endgültig die Beziehung auf. Von 1927 bis 1931 wurde Kurt W. Leucht an der Kunstschule in Plauen und danach zwei Jahre an der Baugewerbeschule in Glauchau ausgebildet.

Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei (2) und ging im Jahr darauf für zwölf Monate zur Luftwaffe. Damit traf er eine Entscheidung, die seinen weiteren Weg in den Jahren bis 1945 bestimmen sollte. Denn Ende 1935 stellte ihn in Dresden Georg Sagebiel, der Leiter des Entwurfsbüros beim Luftkreiskommando lll, als Architekt an. Sieben Monate später wechselte Leucht nach Berlin in das Büro von Erich Mendelsohn, das seit dessen Emigration von seinem ehemaligen Bürochef, Ernst Sagebiel, dem älteren Bruder von Georg Sagebiel, geleitet wurde. Auch hier blieb die Luftwaffe Leuchts Auftraggeber: Reichsluftfahrtministerium, Flughafen Tempelhof, Flughafen München-Riem heißen die Stationen, an denen er mit wirkte. Mit der Planung von neuen Städten, so der Vorzeigeprojekte Stadt des KdF-Wagens und Stadt der Hermann-Göring Werke, kam Leucht ebenfalls, wenn auch nur am Rande, in Berührung. Während der Pariser Weltausstellung von 1937 lernte Leucht die Architekten der deutschen Emigration kennen (unter ihnen Ernst May, Walter Gropius, Erich Mendelsohn, Mies van der Rohe).

1938 schickte Sagebiel Leucht für ein Jahr nach Italien. Nach eigener Aussage hinterließ die Urbanität der dortigen Stadtanlagen bei ihm einen großen Eindruck - seine Ablehnung der Stadtlandschaft, die er mit der offiziellen natioalsozialistischen Architekturlehre teilte, speiste sich nicht unwesentlich von hier. Während viele Kollegen nach 1945 eine "Entnazifizierung" ihrer städteplanerischen Auffassungen vornahmen, wie zum Beispiel auch Peter Koller in Wolfsburg, weigerte sich Leucht - unter Berufung auf Italien. Sein 1949, also noch vor der in der DDR betriebenen Bauhaus-Verteufelung geschriebenes Buch über den Wiederaufbau Dresdens belegt das. (3)

Zwar wurde Leucht kurz vor Kriegsbeginn zur Luftwaffe eingezogen, doch dort sofort wieder für die Errichtung von Bauten in der Flugzeugindustrie freigestellt. Nicht zuletzt um ihn vor einem Fronteinsatz zu schützen, empfahl ihm Sagebiel, sich an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg einzuschreiben. Leucht war dort von 1939 bis 1941 externer Student. Im Herbst 1941 wurde er erneut aktiviert und unter anderem zum Flugplatzbau in Weißrußland eingesetzt. Von dort nach Italien versetzt (4), ernannte ihn der Oberbefehlshaber Süd, Kesselring, zum Stabsbauleiter. Nun unterstand dem Major der Luftwaffe Kurt Leucht das gesamte Bauwesen an der Mittelmeerfront.

Im Oktober 1944 wurde er angesichts der vorrückenden Alliierten nach Süd-Tirol verlegt und erhielt dort einen >streng geheimen< Auftrag. Für die Reichsregierung sollte er eine Auffangstellung errichten - die auch heute noch sagenumwobene "AIpenfestung". (5) Nach seiner Aussage scheiterte dieses Unternehmen aber schon im Ansatz, da nicht nur Material fehlte, sondern die Zeit davonlief.

Die letzte Phase des Krieges überstand Leucht durch die Hilfe von General Gustav Langenscheidt, der ihn als Divisionsadjutanten anforderte. Am Morgen des 8. Mai 1945 löste Langenscheidt seinen Troß auf, und Leucht kam in englische Gefangenschaft, aus der er schon nach einer Woche wieder entlassen wurde.

Im Oktober 1945 ging Leucht nach Dresden. Der kommissarische Oberbürgermeister, Walter Weidauer, wußte, daß diese völlig zerstörte Stadt ohne Fachleute keine Zukunft haben würde. Kurt W. Leucht als Fachmann kam ihm deshalb sehr gelegen; dessen politisch-militärische Biographie konnte er jedoch nicht übergehen. In solchen Fäl len vermochte nur der Vorsitzende der sächsischen KPD, Hermann Matern, zu helfen. Der war mit Weidauers Wunsch einverstanden, und Kurt W. Leucht hatte nach der Aufwartung bei Matern ein neues Parteibuch - und Arbeit im Stadtplanungsamt, dessen Leitung er 1948 auch formal übernahm. Ein Jahr später verfaßte er gemeinsam mit dem Gartenarchitekten Johannes Bronder und einem Diplomingenieur das Buch "PIanungsgrundlagen, Planungsergebnisse für den Neuaufbau der Stadt Dresden" (6) - es war die erste Arbeit über die Planung für den Wiederaufbau einer kriegszerstörten deutschen Stadt. In den fünfziger Jahren fand die "Schwarze Fibel", wie das Buch auch genannt wurde, in 0st wie West nicht zuletzt für die Ausbildung von Architektur Studenten Verwendung.

Bis zu diesem Punkt ist Kurt W. Leuchts Weg zwar nicht ganz gewöhnlich, aber für einen deutschen Akademiker in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht untypisch - er kommt in jedem System zurecht. Für seinen weiteren Weg wird der 4. Januar 1950 entscheidend. Zu diesem Tag sind vom Präsidenten der gerade gebildeten DDR, Wilhelm Pieck, die Oberbürgermeister aller DDR-Großstädte sowie die wichtigsten Architekten des Landes nach Berlin zur Beratung eines DDR-Baugesetzes geladen. Walter Weidauer, von Hause aus Zimmermann, fühlt sich inkompetent und läßt sich deshalb durch seinen Planungsamtschef vertreten. Die Huldigungen des Gesetzeswerks scheinen während der Sitzung nicht enden zu wollen. Als Dreizehnter auf der Rednerliste erhält Leucht das Wort. Er huldigt nicht, sondern moniert statt dessen, daß Teile des Bismarckschen Fluchtliniengesetzes Eingang in den Entwurf gefunden hätten, unter anderem eine Regelung, die Gesindewohnungen über Pferdeställen gestattet. Das könne doch wohl nicht der Sinn der DDR-Gründung sein.

Nachdem er geendet hat, setzt hinter den Kulissen geschäftiges Treiben ein, denn niemand kennt den Mann, der da eben so aufrührerisch und zugleich >parteilich< geredet hat. Als erster redet Aufbau-Minister Lotbar Bolz mit ihm, anschließend wird er zu Ulbricht bestellt. Leucht, der lediglich ein wenig gegen >die Großen< hatte anstänkern wollen, soll sofort nach Berlin kommen und die Koordinierung des Wiederaufbaus übernehmen. In Dresden fühlt sich Leucht sicher; dort belangt ihn niemand wegen seiner Vergangenheit doch in Berlin, wird sie ihn da nicht einholen? Leucht entschließt sich zum Offenbarungseid, erzählt Ulbricht seine gesamte Biographie und ist sich sicher, bestenfalls seinen Dresdener Posten behalten zu dürfen. Aber Ulbricht grinst, wendet sich an den dritten Mann in der Runde, dessen Name nicht überliefert ist, und meint nur: "Das sind die Leute, die wir brauchen." (7)

In Bolz Ministerium für Aufbau kann Leucht in der folgenden Zeit seine eigene Abteilung "Städtebau" aufbauen; bei ihm laufen künftig die Koordinierung und die Kontrolle der Arbeiten an allen "Aufbaustädten" der DDR zusammen. Zu seinen ersten Amtshandlungen gehört eine Reise nach Moskau und in andere sowjetische Städte zusammen mit anderen Spitzenfunktionären aus der entstehenden Architektur und Bauverwaltung der DDR, die auf das neue sowjetische Vorbild eingeschworen werden sollen. Drei Tage nach seinem großen Auftritt vor Pieck, Grotewohl und Ulbricht war Leucht durch Bolz am 7. Januar 1950 in eine entsprechende Liste aufgenommen worden. In dieser Gruppe ist er der einzige, der nicht nur konkretere Vorstellungen über den Wiederaufbau besitzt, sondern sie auch - mit seinem Dresden-Buch - nachlesbar ausgearbeitet hat. Folgerichtig wird er in der Sowjetunion zu einem begehrten Gesprächspartner.

Das wichtigste Ergebnis dieser Reise sind die "16 Grundsätze des Städtebaus" (8), die am 27. Juli 1950 vom Ministerrat der DDR als verbindlich für den Wiederaufbau beschlossen werden und auch in das Aufbaugesetz der DDR (September 1950) eingehen. Den ersten Versuch, "Grundprinzipien für die Neuplanung" zu formulieren, hatte Leucht in seinem Dresden-Buch unternommen (9) und in Moskau auch davon berichtet. Die sowjetischen Funktionäre fanden einen solchen Ansatz interessant und beauftragten die deutschen Gäste, die Leuchtschen "Grundprinzipien" zu überarbeiten und übersetzen zu lassen. Aus der anschließenden Diskussion gingen die "16 Grundsätze" hervor. (10)

Leuchts Rückkehr nach Berlin ist mit einem neuerlichen Umzug seiner Familie verbunden sie zieht in ein Haus in Rangsdorf, nahe der zerstörten Stadt. (11)Dem EKO wendet sich Leucht Ende 1950 zu, nachdem er erfahren hat, daß das Ministerium für Schwerindustrie ohne seine Zustimmung dort eine Werkssiedlung baue. (12) Leucht läßt die Arbeiten stoppen und überzeugt Ulbricht, dort nicht eine Siedlung, sondern - nach einem Ausschreibungsverfahren - eine Stadt errichten zu lassen. Ulbricht willigt ein, und Leucht beteiligt sich auf Vorschlag von Bolz, der bei dem Wettbewerb sein Ministerium vertreten sehen will, an dieser Ausschreibung. In der Wettbewerbskommission entscheiden sich vor allem Grotewohl und Ulbricht für Leuchts Entwurf einer Stadt mit geschwungenen Straßen. (13)

1955 Leuchts Entwurf wird in Stalinstadt, wie die Wohnstadt des EKO seit dem 7. Mai 1953 hieß, nur in den Wohnkomplexen II und 111 verwirklicht - sie sind bis heute die mit Abstand gelungensten Teile der Stadt.

Obwohl Leucht im April 1953 durch Intrigen das Stalinstädter Projekt wieder verliert, beginnt seine eigentliche Demontage erst 1955. In diesem Jahr entsendet die sowjetische Vormacht zur Durchsetzung ihrer neuen Wohnungshaupolitik auch in der DDR zwei ihrer Vertrauten nach Ost-Berlin - Gerhard Kosel, der Staatssekretär im Ministerium für Bauwesen wird, und Benny Heumann. Damit beginnt ein jahrelanger Kampf um die Industrialisierung des Wohnungsbaus, in dem sich Leucht immer wieder gegen die massiv reduzierten Wohnungsgrößen wendet. Den Schlußpunkt dieser Auseinandersetzung setzt Kosel am 25. April 1961: "Die Kennziffer kann auch bei der Anwendung der Laststufe 5 Mp Typ Hoyerswerda eingehalten werden, da dieser Wohnungstyp von der Kennziffer 55 qm ausgeht. Kollege Leucht von der Deutschen Bauakademie ist nicht berechtigt, zu empfehlen, bei Planungen von Wohnkomplexen für die Wohnungsgrößen eine Kennziffer von durchschnittlich 60 qm zugrunde zu legen. " (14)

Damit hatte Leucht seinen allerletzten Spielraum verloren und betrieb nun seine Rückkehr nach Dresden, wo er 1966 als Stadtbaurat wieder eingesetzt wurde. 1969 berief ihn sein einstiger Förderer, Walter Ulbricht, auch von diesem Posten ab. Leucht hatte sich geweigert, entlang der Elbe Hochhäuser zu errichten.

Entsprechend der stalinistischen Wirtschaftsdoktrin mußten alle Ostblockstaaten schwerindustrielle Zentren im eigenen Land errichten. Wie beim Eisenhüttenkombinat 0st folgten den neuen Werken neue Städte, so Dimitrowgrad in Bulgarien oder das polnische Nowa Huta um die Leninhütte. >Namensschwester< des deutschen Stalinstadt war das ungarische Sztálinváros, entstanden um ein riesiges metallurgisches Kombinat, das nach Anfängen in der Bauhaus-Tradition im stalinistischen "Zuckerbäckerstil" erbaut wurde.
Inhaltsverzeichnis Katalog

Anmerkungen

1 Laut Kurt W. Leucht während einer Rede auf einer Jubiläumsveranstaltung des Kulturbundes Anfang der achtziger Jahre; Gespräche des Verfassers mit Leucht am 18. Januar und 28. Februar 1996 in Dresden.
2 Vgl. Leuchts Antrag auf Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste vom 4. September 1937, Bundesarchiv, Außenstelle Zehlendorf (ehem. Document Center). Der Verfasser dankt Herrn Niels Gutschow, der ihm in diese und weitere Unterlagen Einblick gewährte.
3 Planungsgrundlagen, Planungsergebnisse für den Neuaufbau der Stadt Dresden, bearbeitet durch Oberbaurat Leucht, Gartenarchitekt Bronder und Dipl. Ing. Hunger, Dresden 1950.
4 Document Center (wie Anm. 2).
5 Gespräch des Verfassers mit Leucht am 18. Januar 1996.
6 Planungsgrundlagen 1950 (wie Anm. 3).
7 Gespräch des Verfassers mit Leucht am 18. Januar 1996.
8 Ministerialblatt der Deutschen Demokratischen Republik, 25 (1950), S. 153f.; vgl. auch Bolz, Lothar: Grundsätze des Städtebaus und ihre Erläuterung, in: Deutsche Bauakademie (Hg.): Für einen fortschrittlichen Städtebau, für eine neue deutsche Architektur, Leipzig 1951, S. 12ff.
9 Planungsgrundlagen 1950 (wie Anm. 3), S. 27.
10 Das ist die Darstellung von Kurt W. Leucht. Simone Hain vertritt hingegen die Meinung, die "16 Grundsätze" seien eine Übersetzung aus dem Russischen; vgl. Bernau, Nikolaus: Das Schaufenster der sozialistischen Gesellschaft, in: Der Tagesspiegel, 2. 2.1996.
11 Vgl. BA, DH2 DBA, B 27, unpag.
12 Vgl. Ebd., DH2 DBA, 07 8 / 2, unpag.
13 Ausführlich dargestellt sind Leuchts Periode in der Wohnstadt des EKO als Planer und Konsultant der Aufbauleitung, als Generalprojektant mit weitestgehenden Vollmachten (ab 1. September 1952) und sein Sturz am April 1953 in: Durth, Werner / Gutschow, Niels: Eisenhüttenstadt. "Schöne Städte für ein schönes Leben", in: Brandenburgische Denkmalpflege 1 (1995), S. 31ff.
14 Kosel an Kunze (Cottbus), 25. April 1961, in: BA, DH2 DBA, A / A 256, unpag.

2) Tamara Bunke / Kinder- und Jugendjahre - Leseauszug aus ihrer Biografie

vollständiger Name: Haydée Tamara Bunke Bider, (* 19. November 1937 in Buenos Aires, Argentinien; † 31. August 1967 in Vado de Puerto Mauricio, Bolivien), genannt Tania la Guerrillera, wurde bekannt als Kämpferin in der Guerilla-Truppe um Che Guevara in Bolivien.

Kindheit in Argentinien
Haydée Tamara Bunke Bider wird am 19. November 1937 in Buenos Aires geboren. Ihre Eltern, beide Lehrer, 1935 aus Deutschland nach Argentinien emigriert (die Mutter ist Jüdin), sind überzeugte, ja geradezu fanatische Kommunisten. Auch in Argentinien setzen sie ihre illegale Arbeit fort, und Tamara und ihr älterer Bruder lernen so beizeiten die kommunistischen Ideale und Begriffe kennen.
1945 kommt Tamara zur Schule. Sie treibt viel Sport, klettert, reitet und schwimmt, sie ist musikalisch, spielt Klavier und Akkordeon, und sie ist ehrgeizig.

Leben in der DDR
1952 entschließen sich die Eltern zur Rückkehr nach Deutschland – ihrer Überzeugung entsprechend in die DDR. Weil nicht sofort eine Unterkunft zur Verfügung steht, nehmen Freunde der Eltern Tamara in Babelsberg auf, ehe sie mit ihrer Familie in Stalinstadt (früherer Name von Eisenhüttenstadt) eine Wohnung bezieht. Diese Freunde erinnern sich später daran, dass sie bereits einen sehr ausgeprägten kommunistisch geprägten Standpunkt vertrat und die Lebensbedingungen in der DDR häufig mit denen in Lateinamerika verglich. Im Umgang mit den Söhnen der Familie verbessern sich Tamaras Deutschkenntnisse zusehends.

Als die Familie umzieht, ist Stalinstadt erst ein Jahr alt, die Lebensverhältnisse sind abenteuerlich, auch die Wohnung ist längst nicht fertig und dient außer Bunkes drei Lehrerinnen als Unterkunft. Tamara kommt in die Erweiterte Oberschule (Gymnasium) in Fürstenberg, lebt im Internat und tritt in die Gesellschaft für Sport und Technik (GST, eine militärähnliche Organisation mit Uniformen usw.), Sektion Schießen, ein, wo sie bald zu den besten Schützen gehört und Wettkämpfe und Meisterschaften gewinnt.

An Tamaras Hilfsbereitschaft, ihr Organisationstalent und ihr Gitarrespiel erinnern sich Mitschüler – ebenso wie an ihr ansteckendes, tiefes, raues Lachen. Sie hat jedoch Heimweh nach Argentinien, und das bleibt ihr Leben lang so. Ihre Sehnsucht äußert sich unter anderem darin, dass sie lateinamerikanische Folkloremusik sammelt (die sie bis in den Tod begleiten wird) und mit Freunden in Lateinamerika korrespondiert, bei denen sie sich häufig nach politischen Entwicklungen und Ereignissen erkundigt. 1954 dolmetscht sie erstmals für eine Delegation brasilianischer Sportler – von da an wird sie zunehmend Ansprechpartnerin für Lateinamerikaner in der DDR.

Haydée Tamara Bunke BiderNach dem Abitur 1957 ist Tamara Bunke Pionierleiterin in Berlin, bevor sie 1958 am Romanistischen Institut der Berliner Humboldt-Universität immatrikuliert wird. Gemäß ihrer kommunistischen Weltanschauung arbeitet sie aktiv in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und wird 1958 Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Mit Studenten gründet sie eine lateinamerikanische Gruppe, informiert dort über die DDR und regt kulturelle Aktivitäten an, für die sie Bücher und Liedtexte besorgt.

Fasziniert ist sie von den Nachrichten, die ab 1957 aus Kuba kommen, die kubanische Revolution begeistert sie, sie fiebert mit, fragt Kubaner aus, mit denen sie zusammentrifft, und freut sich über jeden Sieg. Ihr Wunsch, nach Argentinien zurückzukehren oder in Kuba mitzukämpfen, wird immer stärker, und offenbar sind ihre Pläne 1960 weit gediehen – Cordt Schnibben schreibt:

„Ihre Ausreise aus der DDR genehmigt das Zentralkomitee der SED am 12. Dezember, ihre Überfahrt nach Argentinien mit einem polnischen Überseedampfer ist schon geregelt, als sie Che Guevara trifft.“

Die Biografie wurde von Almut Nitzsche erarbeitet:

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten die Textzusammenstellung von Karl Mueller.