Texte  zur antikapitalistischen Organisations- und Programmdebatte

09-2012

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011/12 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Red. Vorbemerkung: Das Selbstdarstellungsflugblatt der "NaO"-Gruppen erschien bereits im Mai 2012.

Warum wir den Flyer nicht unterzeichnet haben
Stellungnahme der "Gruppe Arbeitermacht" zum Selbstdarstellungsflugblatt der "NaO"-Gruppen / 26.8.2012

Bevor wir unsere Kritik am Flyer ausführen, wollen wir kurz festhalten, worin wir mit dem Text übereinstimmen.

Wir halten eine politische Verständigung und eine aktive Inangriffnahme der Schaffung einer revolutionären Organisation links von der Partei DIE LINKE, der IL u.a. für notwendig.

Die Überwindung der seit Jahrzehnten bestehenden Marginalisierung der „revolutionären Linken“ in Deutschland ist gerade angesichts der historischen Krise des Kapitalismus eine Aufgabe, der sich keine, auch nur im weitesten Sinn anti-kapitalistische Gruppierung ernsthaft verschließen kann. Dann ohne eine revolutionäre Organisation – letztlich ohne eine revolutionäre, kommunistische Partei – ist eine siegreiche, genuin proletarische Revolution nicht möglich – und damit auch jede grundlegende Systemveränderung.

Daher halten wir es auch für eine Pflicht von RevolutionärInnen, sich an einem solchen Prozess zu beteiligen, wenn dieser einen ernsthaften Charakter trägt. Dieser zeigt sich beim NAO-Prozess daran, dass sowohl eine gemeinsame Praxis wie eine politisch-programmatische Diskussion vorangetrieben werden sollen.

Wir stimmen auch dem zu, dass die „fünf Essentials“ dazu nur ein Ausgangspunkt sein können und keine Organisationsgründung tragen können.

Nun aber zu den Gründen, warum wir den Text nicht unterzeichnen.

1. Der Text reflektiert v.a. den Diskussionsprozess jener Gruppen, die vor Abfassung des Textes am Diskussionsprozess als Vollmitglieder beteiligt waren. Was also „geklärt“ wurde, ist v.a. eine Klärung unter diesen Gruppen. So beschreiben ganze Passagen einfach einen Prozess. Für sich genommen wäre das aber noch kein hinreichender Grund, einen solchen Text nicht zu unterzeichnen.

2. Inhaltlich weit größere Probleme haben wir aber mit dem Passus zur Geschichte. Hinter solchen Banalitäten, wie „dass niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat“, werden hier die geschichtlichen Trennungslinien zwischen den „radikalen Linken“ für unseren Geschmack viel zu sehr relativiert.

3. Das hängt eng mit der geradezu inflationären Verwendung des Terminus „subjektive Revolutionäre“ statt. Wir lehnen explizit die Vorstellung ab, dass die Linke nur ein Sammelsurium gleich „wissender“ oder „ahnungsloser“ Gruppierungen darstelle, sondern dass es sich anhand von Praxis, Programm usw. erweisen muss, wer wirklich revolutionär ist, oder wer sich das nur einbildet (also bloß subjektiv revolutionär ist). Unserer Auffassung nach besteht die Crux gerade darin, dass die „subjektiven Revolutionäre“ oftmals zwischen Reform und Revolution schwanken, also ZentristInnen und eben nicht revolutionäre MarxistInnen sind. In diesem Zusammenhang stößt uns dann eher unangenehm auf, dass unterschiedlichste Strömungen von Autonmen, Gleichheitsfeministinnen, Anti-ImperialistInnen, DekonstruktivistInnen u.a. hübsch plural zustanden wird, Teil eines „ausdifferenzierten Spektrums subjektiver RevolutionärInnen zu sein“. Wir halten das für falsch, eine solche Gemeinsamkeit zu unterstellen, die letztlich imaginär ist und unterschlägt, dass bei der notwendigen kontroversen Diskussion über zukünftige revolutionäre Organisierung und Programmatik nicht alle gleichermaßen recht und unrecht haben können, dass diese Debatte sowohl Elemente von Vereinigung und Synthese, aber auch von Bruch und Spaltung unwillkürlich beinhalten wird.

Die Wirklichkeit ist doch so, dass selbst die Gruppen im NAO-Prozess einander keinesfalls für umstandslos revolutionär halten – daher ja auch das fast schon diplomatische „subjektiv“. Selbst die Beteiligten am NAO-Prozess betrachten andere dabei engagierte Gruppen – vom „Rest“ der Linken ganz zu schweigen – als eben nur für subjektiv revolutionär. In Wirklichkeit betrachten sie die anderen als zentristisch, links-radikal, sektiererisch, opportunistisch usw. Unserer Meinung nach ist es nicht nur ehrlicher, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch politisch klüger, weil hier der Charakter der realen Differenzen in den Blick kommt und nicht durch die ideelle Konstruktion einer gewünschten Einheit der „revolutionären Linken“, die es erst herzustellen gilt, verwischt wird.

4. Den Punkt „Warum Organisation?“ halten wir für schwach und haben dazu mehrere Differenzen. Erstens halten wir eine Diskussion um den Begriff des „revolutionären Bündnisses“ für unbedingt notwendig. Dieser Begriff riecht uns sehr nach „Einheitsfront nur der Linken“ oder „Einheitsfront von unten“. Beides lehnen wir ab.
Zweitens teilen wir die gesamte positive Darstellung des Avanti-Programms nicht. Wir finden es nicht „ziemlich gut“ und schon gar nicht halten wir es für revolutionär. Vielmehr glauben wir, dass bei der „post-autonomen“ Ideologie (gerade bei Avanti u.ä. Gruppen) wenig mehr herum kommt als eine Wiederauflage des Frühsozialismus und linken Reformismus. Das schließt für uns eine Diskussion und Beschäftigung mit diesen Programmen und der gesamten Politik dieses Teils des autonomen Spektrums keinesfalls aus, weil diese Ideologien viele v.a. jugendlicher AktivistInnen anziehen. Schon deshalb ist eine grundlegende Kritik an diesen Auffassungen für uns unabdingbar.
Wenn es um die Aufzählung aller möglichen Spektren von Anti-KapitalistInnen geht, so erscheint es uns doch als Fehler, dass ganze Spektren – insbesondere die Anti-Kapitalistische Linke in der Linkspartei – nicht vorkommen. Auch wenn wir einen Entrismus in der Linkspartei derzeit für falsch halten, so ist nicht nachvollziehbar, warum diese als mögliche Adressaten eine breiteren Umgruppierung nicht einmal erwähnt werden.
Auf diese Kräfte trifft für uns dasselbe zu wie für Avanti u.a. Strömungen des autonomen Spektrums. Wir wollen auch sie in eine offene politische Diskussion um die Schaffung einer neuen anti-kapitalistischen Organisation hineinziehen. Das heißt aber auch, dass dabei deren politische Konzepte einer offenen Kritik unterzogen werden müssen – so wie wir allen anderen in einem solchen Prozess Involvierten selbstredend auch jedes Recht auf eine Kritik und polemische Auseinandersetzung mit unseren Positionen zusprechen.

5. Wir hoffen, dass das kommende Diskussionswochenende in Berlin dazu führt, dass größere Teile aller Gruppen einander und die jeweiligen Positionen besser kennenlernen. Wir denken, dass das NAO, um zu einer dynamischeren Kraft zu werden, folgende nächste Schritte einleiten sollte, die einerseits eine programmatische Diskussion voranbringen und zugleich erste Schritte zu einer gemeinsamen Intervention in ausgewählten Arbeitsfeldern erlauben:

a) Festlegung einzelner Grundpositionen in ausgewählten Arbeitsbereichen, um in diese gemeinsam intervenieren zu können
Um das NAO attraktiver für andere zu machen, v.a. aber in Erscheinung treten zu lassen, ist es notwendig, zu einzelnen, aktuellen Schlüsselfragen im Klassenkampf Positionen zu entwickeln, die wir in Bündnissen (oder bei Vorschlägen für Bündnisse/Einheitsfronten) gemeinsam einbringen können. Das trifft insbesondere auf die internationale Solidaritätsarbeit mit den Arbeiterkämpfen und der Jugend in Südeuropa zu.
Wir schlagen außerdem auch vor, dass die verschiedenen Gruppen im NAO ihre Arbeit in der Gewerkschaftslinken und im betrieblichen und gewerkschaftlichen Bereich koordinieren. Das schließt auch die Frage des Aufbaus von Solidaritätskomitees mit Kämpfen ein, in die wir von „außen“ intervenieren oder die Arbeit unter Erwerbslosen.

b) Um die Programmdiskussion voranzubringen, sollen die bestehenden Programme oder grundlegenden programmatischen Texte der verschiedenen Gruppen im NAO-Prozess zur Diskussion gestellt werden. Über die Form, wie ein solcher Prozess am besten zu organisieren ist, sollten wir uns spätestens im Oktober verständigen.
Wir halten die Forcierung eines solchen Diskussionsprozesses für unbedingt notwendig, weil die gegenwärtige Periode einfach erfordert, dass die Grundfragen revolutionärer Strategie auf der Höhe der Zeit nicht nur diskutiert werden, sondern dass klare revolutionäre Antworten auf die zentrale Fragen (Regierung, Staatsfrage, internationaler Charakter der Revolution usw.) ganz praktisch aufgeworfen und auch konkret beantwortet werden müssen.
Ziel sollte es sein, dass wir ein Aktionsprogramm gegen die gegenwärtige Krise erarbeiten.

c) Um sich an diesem Prozess zu beteiligen, sollten wir keine hohen Hürden legen, sondern versuchen, es anderen Gruppierungen möglichst leicht zu machen, in den Prozess einzusteigen.

d) Für das Frühjahr 2013 schlagen wir vor, eine öffentliche Programm- und Strategiekonferenz zu organisieren. Für die Diskussionen und Foren sollten dabei auch andere Strömungen (AKL, IL usw.) gewonnen werden. Wir sollten überlegen, ob eine solche Konferenz nicht auch als internationale oder jedenfalls europäische Konferenz angelegt sein sollte.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text durch die NaO-Mailingliste.