Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Karikaturenstreit, reloaded Teil 1 von 2
Reaktionäres Kalkül auf (mindestens) zwei Seiten

09-2012

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Eine merkwürdige, sozusagen unheilige Allianz: Christliche Fundamentalisten und hauptberufliche Porno-Darsteller/innen gingen vor nunmehr vier Monaten im US-Bundesstaat Kalifornien daran, einen seltsamen Film zu realisieren. Die Ersteren betrogen dabei die Letztgenannten, und ließen sie über den Inhalt des zu erstellen Films bis zuletzt bewusst im Unklaren. Um einen Historienschinken solle es gehen, hatte man den Berufsfickern und –innen erzählt, und um eine obskure ägyptische Heldenfigur in der Wüste; um harmlose olle Kamellen also. Erst im Nachhinein erfuhren die Porno-Schauspieler/innen, um was es in Wirklichkeit die ganze Zeit über ging: Einen Pseudofilm über das angebliche Leben des islamischen Propheten, Mohammed. Hätten die Darsteller/innen gewusst, was auf dem Programm stand, hätten sie sich mutmaßlich nicht darauf eingelassen, und dies weniger aus Glaubensgründen als vielmehr aufgrund von Befürchtungen über mögliche Früh- und Spätfolgen. Nun sehen sie sich getäuscht und belogen, und die Darstellerin Cindy Lee Garcia erstattete vor einem US-Bundesgericht deswegen Strafanzeigen.

Ihr eigenwilliges Vorgehen bei der Herstellung des Films ist nicht das Einzige, was man dessen Hintermännern vorwerfen kann. Wobei der Ausdruck „Film“ schon zu viel des Guten ist, denn in Wirklichkeit existieren aller Wahrscheinlichkeit nach nur jene 14 Minuten des vorgeblichen Filmopus, die seit einigen Wochen unter dem Titel ,The innonce of muslims‘ im Internet zu sehen sind. Seit Anfang September dieses Jahres auch in ägyptischem Arabisch untertitelt – und dies war der Zeitpunkt, zu dem der Stein einer politischen Entwicklung ins Rollen kam, welche von den Urhebern des Machwerks von Anfang an gewollt war. Heftig oder in ihrer Form spektakulär ausfallende Reaktionen in gewissen Kreisen – etwa bei Salafisten – waren dabei von Anfang an perfekt einkalkuliert. Nichts davon kam unerwartet, so wie jemand eine bestimmte Reaktion des wütenden Stiers erwartet, wenn er oder sie jenem nur lange genug mit einem roten Tuch vor den Augen herumfuchtelt.

Der angebliche Film, dessen im Internet zu betrachtender Ausschnitt ein „künstlerisches“ Niveau von einigen Kilometern unter Null erreicht, ist ein einziger Aufschrei des Hasses. Seine Aussage lässt sich, wenn man will, auf einen einzigen Satz bringen: „Mohammed is‘ schwul!“ Möchte man es etwas komplexer darstellen, so lässt sich sagen, dass der Film den islamischen Propheten als Halbirren, Grenzdebilen, Sexbesessenen und wahrscheinlichen Schwulen – seine angebliche Homosexualität wird in dem Film explizit ausdiskutiert, aber scheinbar im Ergebnis offen gelassen – darstellt. Dass diese manche Kreise zum Reagieren und eventuell zur Raserei bringen würde, war das Kalkül der Urheber des – pardon – Drecks.

Hinter dem Film steht ein Netzwerk, das fundamentalistische Christenspinner in den USA zusammenführt. Produzent des Films ist der christliche (koptische), ägyptischstämmige US-Staatsbürger Nakoula Bassiley Nakoula. Eine Schlüsselrolle bei seiner Verbreitung spielte der Ex-Militär, frühere Soldat im Vietnamkrieg, evangelikale Christ und Rechtsextreme Steve Klein. Dass diese Bande – so lange die US-Medien die Identität ihrer Schlüsselfigur noch nicht herausgefunden hatten – so tat, als sei der „Film“ das Werk angeblicher Juden, gehört dabei zum ideologischen Spiel. Bis zu dem Zeitpunkt, wo die US-Presse enthüllte, dass hinter dem Pseudonym des Filmemachers „Sam Bacile“ besagter Nakoula Bassiley Nakoula steckte, wurde jener als angeblicher „Immobilienmakler in Kalifornien mit US-amerikanischer und israelischer Staatsangehörigkeit“ dargestellt; ferner wurden behauptet, „einhundert Juden“ hätten angeblich fünf Millionen Dollar für den Film gespendet (der in Wirklichkeit, betrachtet man seine „Qualität“, keine 5.000 Dollar gekostet haben dürfte). Dieses Spiel mit Reizworten sowie die Assoziationskette „Juden – Immobilienspekulation – israelische Politik – Extremismus und Moslemhass“ sollte wiederum entsprechende Reaktionen mit judenfeindlicher Schlagseite hervorrufen. Gleichzeitig war das Schema aber auch insofern antisemitisch kodiert, als das Wirken vorgeblich jüdischer Spinner als ursächlich für das Wüten von Salafisten und anderen hingestellt werden sollte. Die rechten Christen hätten dann in Ruhe dabei zusehen können, wie Moslems und Juden sich die Köpfe einschlagen…

(Anmerkung: Dies schließt nicht aus, dass jüdische Extremisten – wie die hinlänglich berüchtigte Furie namens Pamela Geller in den USA - oder ultrarechte Israelis ihrerseits zu evangelikalen durchgeknallten Kreuzrittern in Nordamerika Kontakt halten. Allerdings hat die israelische Regierung – obwohl die extreme Rechte des Landes in ihr prominent vertreten ist – das Machwerk aus Kalifornien verurteilt. Am 12. September erklärte ein Sprecher des israelischen Außenministerium, Ygal Palmor, der Pseudofilm strahle eine „unglaubliche Intoleranz“ aus. Auf noch einem anderen Blatt steht die irrsinnige Reaktion von deutschen philosemitischen Spinnern, die – wie jedes Ereignis – auch dieses in ihr ewiggleiches Weltbild pressen mussten, in welchem das immer wiederkehrende Szenario unabänderlich so lautet: Juden sind immer die Opfer, und Moslems/Muslime immer die Täten oder die Bösen. Einer der besonders verkorksten philosemitischen Ideologen wollte etwa in dem Machwerk aus Kalifornien eine von Moslems gemachte antisemitische Fälschung erkennen, die allein Juden schaden solle, vgl. http://lizaswelt.net/2012/09/17/un-schuld-und-suehne/  - Einmal mehr eine groteske Verkennung der Tatsachen.)

Die Reaktionen unter nicht allen, aber doch unter ganz bestimmten Muslimen fiel ihrerseits ähnlich aus, wie man sie erwartet hatte. Die salafistische Strömung war nur allzu froh, einen Vorwand zu besitzen, um in mehreren Ländern (Tunesien, Libyen, Ägypten…) politisch in die Offensive zu kommen. Durch aktivistische Mobilmachung sollte es ihr gelingen – so lautete ihr Vorhaben -, die nunmehr in „Regierungsverantwortung“ steckenden Parteien wie die tunesische En-Nahdha oder die ägyptischen Muslimbrüder als nunmehr angepasste Schlappschwänze vorzuführen. Umgekehrt vermochten es etwa die Muslimbrüder in Ägypten, die Salafisten relativ erfolgreich zu domestizieren, indem sie die Mobilisierung kanalisierten – sie initiierten zum Teil selbst Demonstrationen, schafften es dadurch aber auch, die Salafisten in die Minderheit geraten zu lassen und den Protesten eine „gesetzestreu“ bleibende Form zu verpassen. Dagegen liefen die Salafisten iN Tunesien – wo sie vorübergehend die US-Botschaft stürmten – und erst recht in Libyen, wo der US-Botschafter in Benghazi in der Nacht zum 12. September ermordet wurde, vorübergehend aus dem Ruder. Doch führte dies zu einer prompten Reaktion, weil in der Nacht vom 21. auf den 22. September Teile der örtlichen Bevölkerung in Benghazi aufstanden und radikal-islamistische Milizen aus den Kasernen, die sie bis dahin besetzt hielten, vertrieben.

Zwar wurden sicherlich das Unbehagen oder auch der Zorn über das böswillige Machwerk, das der kalifornische „Film“ darstellt, von Abermillionen Muslimen auf der Welt geteilt. Doch sind die Demonstrationen und erst recht die Gewaltakte, die in den ersten zehn Tagen nach dem weltweiten Bekanntwerden des kalifornischen Films sichtbar wurden, mitnichten ihr Werk. Vielmehr handelt es sich um relativ kleine Gruppen, die klare politische Kalküle verfolgten – je nach Zeitpunkt zwischen 400 und 1.000 Demonstranten in Tunis, oder rund 3.000 Protestierende in Kairo (einer Stadt mit 17 Millionen Einwohner/inne/n!). Quantitativ stark fielen die Proteste unterdessen vor allem in Südasien aus, in Pakistan (siebzehn Tote) und Bangladesh, wo ein fanatisiertes Islam-Verständnis vor dem Hintergrund der historischen Spaltung mit Indien seit 1947 zur Quasi-Staatsdoktrin gehört. Doch selbst dort waren die Demonstranten Tausende, aber eben nicht Millionen.

Die Salafisten sähen es allzu gerne, könnten sie die von ihnen kanalisierten Proteste dazu benutzen, den arabischen Revolten ihren sozialen und anti-diktatorischen Gehalt zu nehmen und sie in eine Mobilmachung gegen eine projektiven „äußeren Feind“ umzulenken. Dieses Kalkül, das auch reaktionären Abendlands-Verteidigern sehr zupass käme, muss auf beiden Seiten der vermeintlichen Spaltungslinie im ,Clash of civilizations‘ durchkreuzt werden.

Nakoula Bassiley Nakoula und seine Bande gehören ihrerseits hinter Schloss & Riegel. Nicht wegen Prophetenbeleidigung – diese geht uns als Nichtgläubige schlichtweg nichts an -, sondern wegen vorsätzlicher Gefährdung des friedlichen Zusammenlebens der Bevölkerungen (unter Einschluss des Wirkens von Salafisten und Co. in ihr Kalkül).

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor.

Siehe dazu auch den 2. Teil: Die französische Wochenzeitung ,Charlie Hebdo‘ druckt neue Mohammed-Karikaturen ab.