Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Karikaturenstreit, reloaded Teil 2 von 2
Die französische Wochenzeitung ,Charlie Hebdo‘ druckt neue Mohammed-Karikaturen ab.

09-2012

trend
onlinezeitung

Nicht arg erstaunlich für eine hauptsächlich antiklerikale Satirezeitung. Und nicht grundsätzlich problematisch. Aber ist es beim dritten Mal hintereinander wirklich noch interessant? Und warum ausgerechnet jetzt – mitten im Streit um einen Film US-amerikanisch/ägyptischer rechter Christen (vgl. Teil 1), den die Zeitung selbst mal als „dumm“, mal als „faschistisch“ charakterisiert? Am kommenden Mittwoch will die ex-linke Wochenzeitung nun nachlegen – mit ihrer vierten Ausgabe zum Thema Islamkritik…

Das hätten sich die Anarchisten in den Anfangstagen ihrer Zeitung wohl in ihren kühnsten Träumen kaum ausgemalt: Man zittert und bebt im Weißen Haus wegen ihnen! Und im Elysée-Palast sind sie quasi Tagesgespräch! (Nur im Kreml, da redet man noch nicht über sie? Schwache Leistung!)

Ganz so doll ist es zwar in Wirklichkeit nicht gekommen. Tatsache ist aber wohl, dass die dereinst von jungen, „wilden“ Linksradikalen gegründete französische Satirezeitung Charlie Hebdo in den letzten Tagen auf die politische Agenda rückte. Dass die Umgebung von US-Präsident Barack Obama ebenso auf die Zeitung reagierte wie Frankreichs Premierminister Jean-Marc Ayrault. Und dass der Name der jeden Mittwoch erscheinenden Wochenzeitung im Zusammenhang damit fällt, dass Schulen vorübergehend geschlossen und Botschaftsgebäude abgeriegelt werden.

Am Freitag, den 21. September 12 - zum Teil auch schon am Vortag - schlossen französische Unterrichtsanstalten, Konsulate und Botschaften in zwanzig Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Die Liste der betroffenen Staaten wurde offiziell geheim gehalten, „um nicht zu stigmatisieren“, wie es offiziell hieß. Konkret handelte es sich um Einrichtungen in Nordafrika, im Nahen Osten, in Afghanistan, Pakistan und Indonesien. Dazu zählten auch französische Institutionen in Tunesien, wo sie bis an diesem Montag (24.09.12) dicht bleiben. 30.000 SMS wurden an dort lebende französische Staatsbürger/innen versandt, um sie darüber zu informieren. Wesentlich dramatischer wirkte der Inhalt die Handy-Nachricht in Kabul, wo die sich in Afghanistan aufhaltenden Franzosen dazu aufgefordert wurden, für die Dauer von 48 Stunden ihre Fortbewegung weitgehend einzuschränken.

Hurra hurra, die Schule brennt? Nun ja: Dass Anarchos umgehen und öffentliche Gebäude in Brand stecken könnten, wurde weniger befürchtet. Zumal die im Zusammenhang mit den Vorsichtsmaßnahmen immer wieder genannte Wochenzeitung Charlie Hebdo seit langen Jahren relativ „brav“ geworden ist. 1969 – wenige Monate nach den Unruhen im Pariser Mai Achtundsechzig - unter dem Namen Harakiri gegründet, war die Zeitung Ende 1970 infolge eines unfrommen Kommentars zum Ableben von Präsident Charles de Gaulle verboten worden. Doch prompt machte sie einfach unter einem neuen Namen, ihrem jetzigen Titel, weiter. Später ging es mit den linksradikalen Bewegungen der Siebziger Jahre allgemein bergab, und die Zeitung stellte für mehrere Jahre ihr Erscheinen ein. Doch ab 1992 wurde sie von Teilen der alten Redaktion erneut herausgegeben. Spätestens seit den späten neunziger Jahren hat sie jedoch ihre frühere Radikalität verloren, und (unter anderem) ihre Unterstützung für die Intervention der NATO im Kosovo-Krieg 1999 sorgte für den Abgang mehrerer linker Redakteure. Der damalige Chefredakteur Philippe Val wurde vor zwei Jahren, aus Dank für eine gewisse politische Loyalität, vom rechten Präsidenten Nicolas Sarkozy zum Chef der Rundfunkstation Radio France Inter ernannt (wo es heftige Proteste aus der, progressiver als Val eingestellten, Redaktion gegen ihn gab). Aus früheren Jahren übrig geblieben bei der Zeitung ist ein Tonfall, der „frech“ sein möchte, und eine demonstrativ antiklerikale Position. Ansonsten dominiert eher Langeweile…

Aufsehen durch Mohammed-Kritik

In jüngerer Zeit legte die Wochenzeitung sich dabei mehrfach mit gläubigen Muslimen an. Und dies wurde in der breiten Öffentlichkeit, wo man Charlie Hebdo sonst über eine Stammleserschaft von einigen Zehntausend Personen hinaus nur wenig wahrnimmt, sogar zu ihrem Markenzeichen. Im Februar 2006, als nach der Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Tageszeitung in mehreren Staaten – darunter Libyen, Syrien und der Iran, wo die Regimes den Protest strategisch kanalisierten – rabiate Demonstrationen vor einigen westlichen Botschaften stattfanden, druckte Charlie Hebdo die Zeichnungen nach. Und sie fügte eigene Zeichnungen hinzu, die sich jedoch in den Augen der Redaktion stärker über die zeitgenössischen Fundamentalisten lustig machten; von der Titelseite heraus ließ man Mohammed verkünden: „Es ist ein schweres Los, von Deppen geliebt zu werden!“ Eine Strafanzeige, die von zwei muslimischen Verbänden gegen die eher rechtspopulistische Boulevardzeitung France Soir (ihr Erscheinen wurde inzwischen eingestellt, und im Sommer 2012 definitiv Bankrott angemeldet) und gegen Charlie Hebdo gleichermaßen erstattet worden war, führte im Februar 2007 zu einem Prozess. Charlie Hebdo wurde daraufhin vom Vorwurf der „rassistisch motivierten Hetze“ freigesprochen. Vgl. dazu ‚CHARLIE HEBDO’ VOM VORWURF DES RASSISMUS FREIGESPROCHEN. (trend 4/2007)

Anfang November 2011 legte die Zeitung nach, mit einer Titelausgabe, die unter der Überschrift „Charia Hebdo“ (Scharia-Wochenzeitung) erschien; vgl. Paris: Brandanschlag auf die Satirezeitung ,Charlie Hebdo’ alias „Scharia Hebdo“ (trend 11/2011)- Laut Angaben der Redaktion bildete dies eine Reaktion darauf, dass die Scharia in Tunesien und Libyen kurz vor der Einführung stehe. Diese Vorstellung gehörte zwar eher ins Reich der Fantasie. Denn in Tunesien hatte zwar die islamistische Partei En-Nahdha bei den Parlamentswahlen am 23. Oktober jenes Jahres als stärkste Partei abgeschnitten, doch die Einführung eines fundamentalistischen Gesetzgebung stand auf keinen Fall bevor (da die dortige Gesellschaft dies nicht zulassen würde; einigen Repräsentanten der Partei würde die Lust dazu ansonsten vielleicht nicht fehlen). Umgekehrt hatte in Libyen bereits das alte Regime unter Mu’ammar Al-Qadhafi - eingedeutscht Gaddafi -, der am 20. Oktober 11 getötet worden war, seine Gesetzgebung vorgeblich auf die Scharia gegründet. Die frisch an die Macht gekommenen Rebellen behielten dies im Grundsatz bei, führten aber insofern keine Änderung ein. In Frankreich wurde als Reaktion auf das angekündigte Erscheinen der Ausgabe noch in der Nacht zuvor Feuer an das Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo gelegt. Die Webseite der Zeitung wurde von Netzpiraten blockiert; inzwischen ist bekannt, dass die Netzpiraten aus der Türkei attackiert hatten.

Aktuell macht Charlie Hebdo also zum dritten Mal mit einem Titel zum Islam und seinem Propheten von sich reden. Bei vielen Linken, die die Satirezeitung sonst mal mehr und mal weniger schätzen, führte dies in den letzten Tagen eher zu abschätzigen Reaktionen – „ächz, schon wieder“ -, und in breiten Kreisen vermutete man ein nacktes Verkaufskalkül hinter der aktuellen Veröffentlichung. Die Redaktion der Zeitung antwortet darauf, dass man lediglich auf aktuelle Themen reagiere und nicht dann dazu veröffentliche, wenn diese gerade nicht im Gespräch seien. Fakt ist jedenfalls, dass Charlie Hebdo ähnlich wie 2006 einer ihrer mit Abstand größten Verkaufserfolge gelangt. Die üblicherweise in die Kioske gelieferten 75.000 Exemplare waren bereits um die Mittagszeit des Erscheinungstages vergriffen; zwei Tage später wurden die Verkaufsstelle ab Freitag früh mit einer nachgedruckten Auflage beliefert. Der Pariser Kioskbetreiber „Bernard-Yves“, der sich am Mittwoch (19.o9.12) auch gegenüber der Nachrichtenagentur AFP äußerte (vgl. http://www.lefigaro.fr/ ), erklärte zwei Tage später gegenüber dem Autor dieser Zeilen: „Viele Leute kaufen jetzt Charlie Hebdo, die diese Zeitung sonst nie lesen. Oder nicht einmal kennen. Seit vorgestern werde ich oft nach Charaba Hebdo gefragt. Oder auch nach Harakiri.“ Letzteren Namen trägt die Zeitung seit über 40 Jahren nicht mehr... In anderen Fällen wurde allerdings seitens von Kioskbesitzern auch signalisiert, dass Kunden eine Reihe von Exemplaren der Zeitung aufgekauft hätten, um auf sie zu spucken oder aber sie zu zerstören; vgl. http://lci.tf1.fr/l

Aus der Linken wird die Wochenzeitung ferner auch dafür kritisiert, dass sie gerade jetzt den Zeitpunkt für das Drucken von Mohammed-Karikaturen für gekommen halte. Voraus ging bekanntlich das Erscheinen eines Filmauszugs im Internet unter dem Titel The innocence of muslims, der seit Anfang September zum Zorn vieler Muslime in verschiedenen Ländern führte. Bei dem Film, von dem mutmaßlich überhaupt nur die bislang im Internet publizierten 14 Minuten existieren, handelt es sich um eine rechte Provokation. Hinter ihm steht ein Netzwerk aus koptischen Extremisten, die für die Abtrennung eines reinen Koptenstaats in Ägypten eintreten – als Filmemacher wurde durch die US-Behörden der ägyptischstämmige Kalifornier Makoula Bassiley Makoula identifiziert – und US-amerikanischen evangelikalen Fanatikern. Letztere streben einen weltweiten Krieg gegen den Islam an. Aus ihren Reihen spielte der Ex-Militär Steven Klein eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung des Films. Die linke Webseite Europe Solidaire warf etwa Charlie Hebdo vor, die Zeitung hätte sich von dieser rechten Kampagne fernhalten sollen, die nur zu einem Anstieg der Spannungen beitragen will. Allerdings hat auch die Redaktion der Wochenzeitung selbst den in Kalifornien hergestellten Film kritisiert. In der Ausgabe, die auch die Mohammed-Karikaturen enthält, wird das Machwerk als „dumm“ (im Original: con, wobei der französische Ausdruck aggressiver ist als der deutsche) bezeichnet. Und Chefredakteur Stéphane Charbonnier (Charb) sprach in französischen Medien auch von einem „faschistischen Film“, etwa in der Gratistageszeitung Direct Matin (Originalton: un film facho).Die rassistische und rechtsextreme Webseite Riposte Laïque tobt deswegen im Übrigen, und tadelt Charlie Hebdo ihrer angeblichen Inkonsequenz wegen, vgl. http://ripostelaique.com/la-palme-de-la-dhimmitude-a-charb-de-charlie-hebdo.html

Ansonsten hielt Charlie Hebdo sich wenig zurück, was provozierendes Auftreten betrifft. Mehrere der Zeichnungen zeigen als „Prophet Mohammed“ dargestellte männliche Figur nackt. In einem der Fälle sieht man einen auf ihrem Hinterteil befestigte Sternzeichnung unter der Überschrift „Mohammed: Ein Stern wurde geboren“, an der gezeichneten Figur sind die Geschlechtsteile zu erkennen. (Eine krassere Zeichnung in der Heftmitte illustriert zudem das Thema „Mohammed, Kinderficker“.) Die Redaktion von Charlie Hebdo erklärte im Gespräch mit französischen Medien wie Le Monde und gegenüber AFP wiederholt, die Christen in Europa hätten sich an vergleichbare Jesus-Karikaturen gewöhnen müssen, und „wir werden so lange weitermachen, bis der Islam sich genauso normalisiert hat wie der Katholizismus“; vgl. http://www.lemonde.fr

Gleichzeitig spricht die Redaktion sich auch für das Recht aus, auf friedfertige Weise gegen den kalifornischen Film oder ihren eigenen Karikaturen-Abdruck zu protestieren; dies könne nur gut für eine demokratische Auseinandersetzung sein. So jedenfalls ihr Anwalt Richard Malka. Er kritisierte etwa am 20. September 12 bei Radio France Inter, dass die französische Regierung präventiv erklärt hatte, sie werde keinerlei Demonstration zu diesem Thema genehmigen.

Am Wochenende zuvor, am 16. September, waren von rund 200 Teilnehmern einer unangemeldeten Demonstration in der Nähe der Pariser US-Botschaft – unter ihnen einige salafistische Extremisten, aber auch viele nirgendwo organisierte „normale Muslime“ – 152 festgenommen worden. Zu ihr war per Facebook aufgerufen worden. Zwei Tage später erklärte Premierminister Jean-Marc Ayrault par ordre du mufti, zu diesem (allzu sensiblen) Thema werde keine Demonstration oder Kundgebung zugelassen. Am darauffolgenden Samstag, den 22. September wurde etwa ein Demonstrationsversuch vor der Pariser Hauptmoschee in der Nähe des Jardin des Plantes polizeilich unterbunden. Der Leiter der Hauptmoschee, ihr sehr staatstragender (v.a. Frankreich Ex-Präsident Jacques Chirac sowie der algerischen Regierung nahe stehender) Rektor Dalil Boubakeur, hatte zuvor zur Ruhe und zur Mäßigung aufgerufen; sein Islamverständnis wurde deswegen auch zum Ziel der Kritik von manchen Gläubigen und/oder politisch-islamischen Milieus. Auch andernorts in Paris wurde keinerlei Demonstrationsversuch geduldet. Zu ausgesprochen kritikwürdigen Szenen kam es dabei am Trocadéro – also am Pariser „Platz der Menschenrechte“ (Parvis des droits de l’homme) und auf den Vorplätzen der rundum liegenden Museen -, wo mehrere „moslemisch aussehende“ Menschen vorübergehend festgenommen und/oder einer Identitätskontrolle unterzogen wurden, obwohl sie eindeutig nichts mit irgendeiner geplanten Demonstration zu tun hatten. Antirassistische Verbände stehen u.a. in Verbindung mit TouristInnen aus Marokko, die allein aufgrund des Tragens eines Kopftuchs als scheinbar verdächtig identifiziert und stundenlang festgehalten wurden, obwohl sie weder die Absicht zu demonstrieren noch überhaupt Kenntnis von solchen Plänen hatten. Und in Marseille kamen am selben Tag 60 CRS (Bereitschaftspolizisten) auf genau – einen Demonstranten; vgl. http://www.lefigaro.fr/ Die prominente Satiresendung des französischen Fernsehsenders Canal Plus unter dem Namen Les Guignols de l’info übte mehrfach ätzende Kritik am Vorgehend der französischen Polizei, aber auch an der Angst- und Panik-Berichterstattung mancher Fernsehanstalten.

Reaktionen von (Berufs)politikern

In Regierungskreisen betrachtet man das Agieren von Charlie Hebdo vor allem unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit. Also des Risikos, der bislang auf die USA gerichtete Protest vor allem in Nordafrika und Westasien – der zum Teil von politischen Bewegungen wie den Salafisten instrumentalisiert und radikalisiert wird – könne sich nunmehr gegen französische Interessen wenden. Außenminister Laurent Fabius, der von den Karikaturen in Charlie Hebdo am Dienstag, den 18. September 12 erfuhr, während er sich in Kairo aufhielt, warnte davor, „Öl ins Feuer zu gießen“. Premierminister Jean-Marc Ayrault sprach von der Freiheit der Meinungsäußerung als einem „fundamentalen Gut“, riet allerdings auch zu einem „vernünftigen Gebrauch“. Und der frühere bürgerliche Premier (1995-97) sowie, zuletzt (bis 2012), Außenminister Alain Juppé sprach von einem „verantwortlungslosen“ Verhalten der Zeitung (vgl. http://www.lefigaro.fr/ ).

Seinerseits erklärte sich der amtierende französische Verteidigungsminister, Jean-Yves Le Drian, besorgt um das Leben der in Afghanistan (im Rahmen der NATO) und im Libanon (mit der UN-Mission FINUL) stationierten französischen Soldaten; vgl. http://actu.orange.fr - Auch in einer Erklärung des Weißen Hauses in Washington war am 18. September d.J. die Rede davon, die Entscheidung der französischen Zeitung sei kein Ausdruck von „Weisheit“; vgl. bspw. http://www.lefigaro.fr

In Frankreich selbst kritisierte u.a. auch der jüdische Zentralverband CRIF die Veröffentlichung der Karikaturen (vgl. http://www.leparisien.fr ), während die jüdische Studierendenvereinigung UEJF eine gegenläufige Position einnahm (vgl. http://www.lefigaro.fr/ ). Seitens von moslemischen Verbänden gibt es mittlerweile zwei Strafanzeigen gegen Charlie Hebdo wegen ihrer umstrittenen Ausgabe (vgl. lci.tf1.fr/france/societe/caricatures-de-mahomet-des-crs-pour-proteger-charlie-hebdo-7530725.html ). Rein rechtlich dürften ihnen nur verschwindend geringe Aussichten einzuräumen sein.

Vielleicht ein wenig überraschend kam, dass auch der frühere Anarcho / Antiautoritäre, spätere Linksliberale, Grünenpolitiker und EU-Fan Daniel Cohn-Bendit die Entscheidung von Charlie Hebdo zum Abdruck ihrer Mohammed-Karikaturen scharf kritisierte. Er erklärte seinen Zorn über diese Entscheidung der ebenfalls überwiegend linksliberalen Zeitung, die er als „dumm“ qualifizierte; vgl. http://actu.orange

Auf der konservativ-reaktionären Rechten hat die Ultrakatholikin und Chef der Kleinpartei Parti Chrétien-Démocrate (PCD), Christine Boutin – frühere Ministerin unter Nicolas Sarkozy -, verkündet, dass sie Strafanzeige gegen Charlie Hebdo erstattete. Ihr Vorwurf lautet auf „Gefährdung dritter Personen“, wodurch sie vor allem auf die Fremdgefährdung gegenüber den Auslandsfranzosen (und französischen Soldaten im Ausland) sowie eventuell auf die Attentatsgefahr abzielte. (Vgl. http://www.lefigaro.fr ) Doch sicherlich ist der Verdacht nicht von der Hand zu weis, dass in ihren Augen Charlie Hebdo ohnehin ein Gräuel darstellt – und die Gelegenheit, ihr einen überzubraten, durchaus gelegen kommt…

Schein-Unterstützung von Rechts

Demagogische Unterstützung aus politischem Interesse heraus erfuhr Charlie Hebdo am Freitag, den 21. September 12 von eher unerwarteter Seite. Die rechtsextreme Politikerin und Parteichefin des Front National, Marine Le Pen, erklärte in Le Monde zwar: „Ich bin keine Anhängerin von Charlie Hebdo.“ Aber sie schwang sich in den darauffolgenden Sätzen zur angeblichen Verteidigerin der Meinungsfreiheit auf, die bedroht sei, „weil wir immer weiter gegenüber den Fundamentalisten nachgeben“. Und sie benutzte die Gelegenheit zu einer ihr eigenen politischen Zuspitzung, um das Verbot von muslimischem Kopftuch und jüdischer Kippa gleichermaßen im öffentlichen Raum zu fordern.

Eine jüngste Umfrage zum Thema ergibt übrigens ein kontrastreiches Bild. Die französische Gesellschaft ist demzufolge in zwei ungefähr gleich große Hälften gespalten, was ihre Einstellung zur Veröffentlichung der Karikaturen durch Charlie Hebdo betrifft (51 % dafür, 47 % dagegen, wobei das Resultat in einem solchen Fall sicherlich von der Formulierung der Frage mit abhängt und insofern stark variieren könnte). Am stärksten fällt die Zustimmung zum Abdruck der Mohammed-Karikaturen demnach in der Wählerschaft des rechtsextremen Front National aus – dort äußern sich demnach 76 % zustimmend -, am stärksten in der Anhängerschaft des Linkspolitikers Jean-Luc Mélenchon (64 %). Die Beweggründe und Motive dafür sind natürlich denkbar unterschiedlich: Links geht es um Antiklerikalismus, auf der extremen Rechten dagegen möchte man es vor allem den Moslems mal tüchtig zeigen. (Vgl. zu den Umfrageergebnissen http://actu.orange.fr/) Dies belegt freilich anschaulich, auf welch vermintem Terrain sich diese Debatte abspielt…

LETZTE MELDUNG: Am kommenden Mittwoch, den 26. September 12 möchte Charlie Hebdo nun erneut nachlegen. Dieses Mal kündigt die Wochenzeitung voran an, mit zwei unterschiedlichen Ausgaben gleichzeitig herauszukommen: einer „verantwortlichen/verantwortungsvollen/verantwortungsbewussten“ und einer „unverantwortlichen/verantwortungslosen“ (responsable und irresponsable). Diese Bezeichnung stellt natürlich eine Anspielung auf die Politiker-Äußerungen, welche die Zeitung u.a. für ihre Verantwortungslosigkeit gegenüber den sich im Ausland aufhaltenden Französinnen & Franzosen kritisierten, dar. Auf die genauere Titel-Auswahl muss man im Augenblick noch warten.

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor.