Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Paris: Brandanschlag auf die Satirezeitung ,Charlie Hebdo’ alias „Scharia Hebdo“
Sinnvolle & unsinnige Diskussionen über die Hintergründe einer bislang unaufgeklärten Brandstiftung

11/11

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In der Nacht vom 1. zum 2. November 11 brannte in Paris die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo zu zwei Dritteln aus. Ursache dafür Molotow-Cocktail in ihre Räume geworfen worden. Es handelte sich also um vorsätzliche Brandstiftung, die darauf abzielte,  eine Publikation zu treffen, welche für ihren (in manchen Augen als „ätzend“ geltenden) Stil bekannt ist. 

 Übertrieben und, in meinen Augen, völlig überzogene Stimmungsmache ist jedoch die Behauptung von Frederik Stjernfelt in der aktuellen Ausgabe der ’Jungle World’: „Das Büro brannte vollkommen aus, und es war reines Glück, dass dabei niemand verletzt wurde“, vgl. http://jungle-world.com Laut polizeilichen Erkenntnissen erfolgte die Brandlegung zwischen 01.10 Uhr und 01.20 Uhr früh, und es war sozusagen höchst unwahrscheinlich, dass auf diese Weise Personen im Büro (an)getroffen würden. 

Am folgenden Morgen erschien eine Aufsehen erregende Ausgabe der für ihren Antiklerikalismus und ihren Spott bekannten Zeitschrift, die unter dem Titel Charia Hebdo - also „Scharia-Wochenzeitung“ -  stand. Als deren „Chefredakteur auf Zeit“ wurde, auf satirische Weise, der Prophet des Islam präsentiert. 

Dass ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen bestehen könnte, ist sicherlich plausibel, jedoch bisher unbewiesen. Redakteure der Wochenzeitung selbst mutmabten gegenüber Le Figaro vom Freitag (den o4. November 11), es könnte sich auch etwa um eine rechtsextreme Provokation handeln, um Reibungen zwischen den Bevölkerungsgruppen anzuheizen. Auch sprach der 44jährige Chefredakteur „Charb“, alias Stéphane Charbonnier, von der Möglichkeit, es handele sich vielleicht um die Tat von „Kapuzenpulliträgern aus einer Banlieue, die noch nie im Leben einen Koran in der Hand hatten“. Also von Leuten, die sich vielleicht ganz gerne in das Gefühl hineinsteigert, ihre Religion sei „beleidigt worden“, um über einen vermeintlichen Grund zu verfügen, wütend zu sein und es jemanden spüren zu lassen. 

Bislang konnten die Urheber des Brandanschlags nicht identifiziert werden. Zeitungsberichte (vgl. ,Libération’ vom o4. November 11) sprechen davon, Anwohner hätten zur fraglichen Zeit zwei „afrikanische Männer“ beobachtet. Bewiesen ist jedoch bislang nichts, und mit solchen „Augenzeugenberichten“ muss man erfahrungsmäbig sehr vorsichtig sei, da sie oft auf ein vermeintlich „fremdes Aussehen“ abstellen.  

Auch ihre Webseite wurde gleichzeitig zum Objekt eines Hackerangriffs. Deren Urheber ist inzwischen bekannt, es handelt sich um eine Gruppe von in der Türkei lebenden jungen Hackern, welche unter dem Namen Akincilar auftritt. Einer von ihnen, der zwanzigjährige Ekber alias „Black Apple“, bekannte sich unter einem Portraitphoto von ihm selbst gegenüber einer französischen Sonntagszeitung dazu. Er erklärte, seine Gruppe habe gegen eine Beleidigung des Propheten Mohammed agieren wollen. Gleichzeitig distanzierten sich Ekber und Akincilar jedoch von dem Brandanschlag: Sie verurteilten solche Methoden; ihrer bedienten sich „Leute, die sich der Religion zu ihren Zwecken bedienen“. 

Schiefe, ja politische dumme Scherze über Entwicklungen in Nordafrika

„Um die Wahlergebnisse in Tunesien und die Erklärung der Scharia zur Quelle der Gesetzgebung in Libyen zu begrüben“, so begründete es ihre Redaktion der Satirezeitung, hatte diese ihre wöchentliche Nummer vom o2. November 11 unter das Motto einer satirischen Darstellung der Scharia gestellt. Aus ihrer Sicht ging es darum, jene Leute zu warnen, die von „moderaten Islamisten“ im Zusammenhang mit den nordafrikanischen Ländern sprächen. Um dem entgegen zu steuern, publizierte die Zeitung in ihrem Innenteil eine Doppelseite über „die weiche Scharia“, so ihr sarkastischer Titel. Erwartungsgemäb geht es auch dort um die Verhüllung von Frauen, Züchtigungsstrafen und ähnliche Dinge. 

Auf der Titelseite der Ausgabe sieht man eine Zeichnung eines angeblichen Mohammed, der die Zeitung mit den Worten ankündigt: „Wenn Ihr Euch nicht totlacht, gibt es (dafür) 100 Peitschenhiebe!“  

Die anlassbezogene Entscheidung zu dem Titel ist zweifellos konstruiert und inhaltlich falsch. Denn der suggerierte Bezug u.a. auf den Wahlausgang in Tunesien ist ebenso in der Sache irrig. Die Wahlsiegerin, die tunesische Partei En-Nahdha („Wiedergeburt, Renaissance“) ist jedenfalls nicht für die Einführung der Scharia gewählt worden - zumal sie ihren Wählerinnen und Wähler eben nicht diese versprochen hat, sondern im Gegenteil die Bewahrung der bestehenden Zivil- und Familiengesetze. Ihr Gründer, Rachid Ghannouchi, proklamierte in einem Interview in Frankreich die allgemeine Glaubensfreiheit und bezog sich dabei - am Beispiel von Glaubensrichtungen im Iraq - auch auf Religionen, die nicht wie Christen- und Judentum als „Buchreligionen“ im Islam offiziell anerkannt sind. (Vgl. http://www.lemonde.fr/  Was die „nur im Iraq existierenden Religion“ betrifft, spielt er mutmablich auf Religionsgruppen wie die, unter den Kurden verankerten, Yezidi an.) 

Die Einführung eines vorgeblichen Gottesstaates, wie etwa im Iran, ist jedenfalls in Tunesien nicht zu erwarten. Nicht etwa, weil die lokalen (moderaten) Islamisten so nett wären, über deren ideologischen Kernansatz soll keine Illusion herrschen - sondern weil die gesellschaftlichen Verhältnisse im Land dem absolut entgegen stehen.  

Insofern liegt auch Frederik Stjenfelt wiederum falsch, wenn er in der aktuellen Ausgabe der ’Jungle World’ seinerseits behauptet: Der unmittelbare Anlass für die ,Charia Hebdo’ war (…) konkret die Debatte um die Einführung der Sharia in Libyen und Tunesien in den vergangenen Wochen.“ (Vgl. http://jungle-world.com/l ) Ähm, wenn dem angeblich wirklich so ist, dann wäre es doch gut, würde der Autor einmal näher belegen, wo in den letzten Wochen angeblich in Tunesien konkret über die Einführung der Scharia diskutiert worden ist. Dem Verfasser dieser Zeilen, welcher die aktuellen Ereignisse in Tunesien intensiv verfolgte - dazu folgt bald Näheres & Ausführliches in einem eigenen Artikel - ist dazu jedenfalls nichts bekannt. An mangelnder Aufmerksamkeit von Seiten des Verfassers d.Z. dürfte es allerdings nicht liegen… (Zu Libyen, wo die Entwicklung durchaus anders und bedenklicher verläuft, vgl. den entsprechenden  Artikel in dieser Ausgabe)  

Doch diese inhaltlich falsche Darstellung seitens von ,Charlie Hebdo’ war es wohl nicht, die die mutmablichen Urheber des Anschlags in Rage brachte. Wahrscheinlicher ist, dass sie sich darüber erzürnten, dass der Prophet des Islam erneut in einer Karikatur abgebildet und dadurch gegen das in einer orthodoxen Auslegung der Religion geltende Bilderverbot verstoben wurde. 

Rückblick auf die letzte Affäre ,Charlie Hebdo versus Muslime’

Dieselbe Zeitung hatte tatsächlich bereits im Jahr 2006 die aus einer dänischen Zeitung, Jllands Posten, übernommenen und berühmt gewordenen Mohammed-Karikaturen in Frankreich abgedruckt. Dies löste einen Prozess aus, der im Februar 2007 stattfand und an dessen Ende Charlie Hebdo schlieblich freigesprochen wurde. Vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0407/t230407.html - Die Karikaturen waren damals u.a. umstritten, weil eine von ihnen Mohammed mit einem Turban in Form einer Bombe mit brennender Zündschnur darstellte. Dadurch, so viele Kritiker, werde eine unzulässige Parallele zwischen der Religion der Muslime als solchen und dem Terrorismus politischer Gruppen gezogen. Nicht dieses Argument diente den Klägern - konservativen muslimischen Vereinigungen - jedoch als Grundlage ihrer Rechtsbeschwerde, sondern der Vorwurf der Blasphemie, also „Gotteslästerung“. Vor diesem Hintergrund konnte die Zeitung nur freigesprochen werden, weil der Straftatbestand der „Gotteslästerung“ in Frankreich unter der Revolution 1791 definitiv abgeschafft worden war.  

Während des Prozesses hatte unter anderem auch der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy durch einen Brief seine Solidarität für Charlie Hebdo erklärt, was den Anspruch der Zeitung, „subversiv“ zu sein, zumindest stark relativierte. Klar war jedoch auch, dass das Grundanliegen der Satirezeitung, als sie damals die Karikaturen abdruckte, in ihrem Verständnis von Antiklerikalismus lag. Anders als die dänische Jllands Posten, die zuvor Karikaturen mit Bezug auf das Christentum wegen „drohender Verletzung religiöser Gefühle“ abgelehnt hatte (vgl. http://john.mullen.pagesperso-orange.fr/2006caricatures.html ), hatte Charlie Hebdo tatsächlich nie solche Rücksichtnahmen gekannt. Auch gegenüber christlichen Glaubenseinstellungen zeigte sie sich stets rückhaltlos satirisch. 

Aber nun stieb die Zeitung offenbar auf Menschen, die an solcherlei subtilen Überlegungen wohl nicht interessiert sind. Sondern bereit sind, ob der „Beleidigung ihrer Religion“ rot zu sehen und rabiat zu werden. Und gründlich humorlos noch dazu. Es sei denn, es handelte sich um eine rechtsextreme oder sonstige Provokation, wie manche Beobachter (inklusive von Teilen der ,Charlie’-Redaktion, vgl. oben!) zunächst vermuteten. 

Ein schales Verständnis von „Subversiv“-Sein - doch keine erkennbar rassistische Absicht…  

In ihrem Anspruch, besonders mutig und „subversiv“ zu sein, kann man die Zeitung durchaus kritisieren, da ihr Ansatz - jedenfalls die Kritik am Islam betreffend - in der berühmten „Mitte der Gesellschaft“ durchaus für sehr konformistische Kräfte anschlussfähig ist. Sicherlich ist es weniger die Absicht der Zeitung, wohl aber die Motivation vieler Empfänger/innen ihrer Message in der Gesellschaft, dass sie gerade deswegen lachen, weil es in ihrer Augen die Hauptsache ist, dass nun mal irgendwie auf Muslimen (und d.h. de facto, überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund) herumgehackt wird. Oder zu werden scheint; denn die Zeitung selbst würde sicherlich betonen, dass sie sich gar nicht über Moslems an & für sich lustig machen wolle, sondern „nur über Fundamentalisten“ (und andere Strenggläubige).  

Zum Stellenwert der, angeblich für sie unantastbaren, Meinungsfreiheit bei ,Charlie Hebdo’ weisen (linke, antirassistische) Kritiker/innen derzeit auch immer wieder auf die so genannte „Siné-Affäre“ hin. In der Zuge war damals, im Frühsommer 2008, ein langjähriger Mitarbeiter der Wochenzeitung - der heute über 80jährige Zeichner  Maurice Sinet alias „Siné“ - durch die damals von Philippe Val geführte Redaktion gefeuert worden. Grund dafür war eine pure Meinungsäuberung: „Siné“ hatte sich in einer Kolumne über den Sohn von Präsident Nicolas Sarkozy, einen Emporkömmling namens Jean Sarkozy, lustig gemacht. Vor dem Hintergrund seiner Hochzeit mit der Millionärserbin Jessica Darty - für den Eheschluss hatte Jean Sarkozy sich, formal oder nicht, zum Judentum bekehrt - hatte „Siné“ sarkastisch formuliert: „Der Kleine wird es weit bringen!“ Val (ein früherer Chansonnier und ehemals mehr oder minder Linker, der längst in den Neokonservativismus abgeglitten war und sich an Sarkozy angenähert hatte, u.a. auch wegen Sarkozys Prozessunterstützung im Jahr 2007) legte ihm dies so aus, als handele es sich um einen antisemitisch motivierten Anspruch: Der Karikaturist wolle nahelegen, die Juden kontrollierten Reichtümer und Macht. In Wirklichkeit hatte „Siné“ es aber wohl ganz anders gemeint und schlicht sagen wollen, Jean Sarkozy sei Opportunismus zu unterstellen, weil er zwecks Erleichterung seiner Ehe (und Einheiraten in eine Multimillionärsfamilie) vordergründig zu einer anderen Religion konvertiert sei. Philippe Val kannte jedoch keine Gnade, es blieb beim Hinauswurf von „Siné“ - welcher heute eine eigene kleine Monatszeitung, die seinen Künstlernamen trägt, herausgibt. Val seinerseits, der durch diese prompte Reaktion auf die vermeintliche Beleidigung des Präsidentensöhnchens wohl zusätzlich bei Nicolas Sarkozy in den Geruch des Wohlverhaltens geriet, wurde durch ihn 2009 zum Direktor einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ernannt. Dort fing Val als Erstes damit an, eine Jagd auf zu kritische oder zu „unverschämte“ Journalisten zu eröffnen…

Vgl. zu Siné & Val bei TREND

Auch wenn Charlie Hebdo nicht insgesamt für die Saueren eines neokonservativen Deppen und Karrieristen wie Philippe Val (welcher zuvor zum Rechtsauben bei der eigenen Zeitung geworden war) verantwortlich ist: Diese Erfahrungen relativieren zumindest die Behauptung, eine verabsolutierte „Meinungsfreiheit“ sei ihr allzeit & immer oberstes Gesetz. 

Doch eine andere Frage ist die nach einem eventuellen Rassismus der Zeitung, die erst einmal zu verneinen ist. Anders als einige Muslime - deren gröbere Verbände alle den Brandanschlag verurteilten, und gleichzeitig das Karikieren des islamischen Propheten kritisierten - und einzelne antirassistische Strömungen behaupten, hat Charlie Hebdo selbst sicherlich keine erkennbar rassistischen Motive. Handelt es sich doch um eine Zeitung, die gegenüber religiösen Gefühlen etwa auch der Katholiken als stärkster Religionsgemeinschaft in Frankreich mindestens ebenso „respektlos“  aus Sicht der Gläubigen auftritt wie bei Muslimen. Dies gehört sogar zum langjährigen Markenzeichen der Wochenzeitung.  

… Aber Applaus von Rassisten 

Nichtsdestotrotz erhielt die Zeitung nunmehr, echte oder auch heuchlerische, Unterstützung von Leuten mit durchaus rassistischen Absichten. Etwa von Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National, die von einem „Anschlag auf den französischen Laizismus“ sprach.

Auch der rechtskonservative Innenminister Claude Guéant - gegen den eine Strafanzeige wegen rassistischer Auslassungen läuft, er hatte „die komorische Community in Marseille“ wörtlich als „Ursache von viel Kriminalität“ bezeichnet - gehört dazu. Er stattete der verwüsteten Reaktion einen symbolischen „Solidaritätsbesuch“ ab. Die satirische Fernsehsendung Guignols de l’info, die für ihre Politikerpuppen bekannt ist, lieb Claude Guéants Puppe in diesem Zusammenhang ausrufen: „Uns Franzosen ist ein Heiliger Krieg erklärt worden. Und wir werden ihn gewinnen!“ Diese Satiredarstellung beruht auf einer Begebenheit im März 2011, als Guéant die französische Intervention in Libyen irrer- und irrigerweise wörtlich als „Kreuzzug“ bezeichnete.  

Ansonsten wurde Guéant auch - in der Sendung wie anderswo - vorgeworfen, von einem „Attentat“ gesprochen zu haben, was die Brandstiftung bei Charlie Hebdo über Gebühr dramatisiere. Denn ein solcher Begriff werde normalerweise für Anschläge mit Toten oder Verletzten benutzt. Auch UMP-Parteivorsitzender Jean-François Copé sprach von einem „Attentat“

Doch Charlie Hebdo wehrte sich gegen die Vereinnahmungsversuche. Am Donnerstag, den o3. November 11 erschien eine vierseitige Karikaturenbeilage des Satireblatts zu der Tageszeitung Libération, welche derzeit die Redaktion von Charlie Hebdo in ihren Räumen beherbergt. Darin wird etwa die plötzliche Gefühlsaufwallung von Claude Guéant für die Meinungsfreiheit sarkastisch hinterfragt. Und darauf hingewiesen, dass es Guéant war, der 2010 mehrfach Journalisten illegal abhören lieb, um „lecke Stellen“ in der Regierung aufzuspüren. Nicht alle Umarmungsversuche sind also willkommen.  

Kritik an ,Charlie Hebdo’ aus antirassistischen Kreisen  

In Teilen der antirassistischen Bewegung, oder an ihren Rändern, gibt es dennoch klare Vorbehalte gegenüber Charlie Hebdo. Daraus resultierte ein am 05. November 11 veröffentlichter Text unter dem Titel „Für die Verteidigung der Meinungsfreiheit, gegen eine Unterstützung für Charlie Hebdo“. Seine insgesamt 20 Unterzeichner verurteilen deutlich die Brandstiftung, sprechen sich aber inhaltlich ganz klar gegen eine Solidarität mit der Zeitung aus. Ihnen zufolge ist Charlie Hebdo keine Plattform für eine unterdrückte Meinungsfreiheit, sondern für „eine weibe Elite, die die Muslime zu Toleranz ermahnt“. Die Unterzeichner fordern, statt Charlie Hebdo sollten die Medien - mindestens eben so stark - den Angehörigen von Ion Salegean das Wort erteilen. Der rumänische Rom war Ende Oktober bei einem nächtlichen Brand im 20. Pariser Bezirk ums Leben gekommen. Dessen Ursache ist nicht genau geklärt, manche Bewohner des niedergebrannten besetzten Gebäudes sprechen jedoch von Individuen mit mutmablich rassistischen Motiven, die Molotow-Cocktails geworfen hätten. (Im juristischen Sinne bewiesen ist es bislang nicht.)

Zu der Petition: Ein Teil ihrer 20 Unterzeichner zählt zum Parti des indigènes de la République (PIR, „Partei der Eingeborenen der Republik“). Diese ursprünglich antirassistische Organisation gleitet seit Jahren in einen mindestens problematischen, ethnisierenden Differenzialismus und Kommunitarismus ab. Aber auch Autoren aus einem Teilbereich der antirassistischen Szene wie Saïd Bouamama unterschrieben. Und der linke Journalist Olivier Cyran, der bis 1999 Redakteur bei Charlie Hebdo war. Er verlieb damals mit einer linken Minderheit - die gegen die Unterstützung der westlichen Intervention gegen Serbien im Kosovo durch den damaligen leitenden Redakteur Philippe Val opponierte - die Zeitung. 

Der Text dieser Petition erschien unter anderem auf der Webseite de PIR, d.h. der oben genannten Klein(st)partei. Und auch auf der - ansonsten sehr interessanten und oft aufschlussreichen - antirassistischen Webseite LMSI, für ,Les mots sont importants’ (ungefähr: „Die Wortwahl hat ihre Bedeutung“, da die Webpage rassistische Diskurselemente und Stereotypen untersucht). 

Reaktionen, Proteste, Ärger mit den Rassisten von ,Riposte Laïque’ 

Bis auf Weiteres wird Charlie Hebdo nun bei der linksliberalen Tageszeitung Libération erscheinen. Das Pariser Rathaus hat ihr Unterstützung beim Finden neuer Räume zugesagt. 

Am Sonntag, den 06. November 2011 fand eine Solidaritätskundgebung für die Wochenzeitung vor dem Pariser Rathaus statt, zu der u.a. auch linke Parteien und einige Gewerkschaften (formal) aufgerufen hatten; vgl. dazu den Aufruf http://www.lepost.fr - Die Masse ihrer Anhänger/innen war freilich ebenso wenig erschienen, wie sie zu der ungefähr zeitgleich stattfindenden - eine Stunde früher begonnenen - antifaschistischen Demonstration gegen Zensurversuche von Rechtskatholiken an einem Theaterstück im Pariser Nordosten kam. (Vgl. zu den Umtrieben der zensurwütigen Rechtskatholiken auch neben stehenden Artikel.) Zu der antifaschistischen Demonstration gegen rechtsextreme Nationalkatholiken ab 14 Uhr kamen circa 200 Leute, bei der Kundgebung im Stadtzentrum - welche sich formal gegen den Angriff auf ,Charlie Hebdo’ und die katholischen Fundamentalisten richtete - erschienen laut Presseinformationen circa 250 Personen. (Der Verfasser dieser Zeilen befand sich zu dem Zeitpunkt auf der erstgenannten Demonstration.) 

Konkret riefen aber auch höchst konformistische Strukturen und Produzenten intellektuellen Dünnpfiffs auf. Wie der „antitotalitäre“ Fernsehphilosoph Bernard-Henri Lévy („BHL“) mittels seiner Hochglanzzeitschrift ,La règle du jeu’. Oder der pseudo-feministische Karrieristinnenhaufen „Ni Putes ni soumises“ (NPNS, „Weder Nutten noch Unterwürfige“, alias das notorische gute Gewissen des Rassismus der Mehrheitsgesellschaft, solange es nur gegen Einwanderer = böse Machos geht). Ein Haufen, welcher jüngst aufgrund eines Streiks des Personals gegen die diktatorische Chefin Sihem Habchi auseinanderzufallen drohte bzw. versprach. Unter den Kundgebungsteilnehmer/inne/n wurde ferner auch der frühere Maoist und neo-reaktionäre Philosoph und Vorkämpfer für „kulturelle Elite“ und „nötige Assimilation“ der Fremdstämmigen, Alain Finkielkraut, gesichtet. 

Ärger gab es hingegen über die Teilnahme eines Vertreters des rassistischen, sich hinter „Islamkritik“ tarnenden Organs ,Riposte Laïque’ (ungefähr: „Gegenschlag des Säkularismus“), das sich immer mehr an Marine Le Pen annähert. Konkret vor Ort aus dessen Reihen war u.a. Pascal Hilout alias der Schweinewurstfetischist - gebürtiger Sohn einer marokkanischen Familie, welcher einen gehörigen psychischen Schaden hat. Und über die Abwesenheit von Schweinefleisch in seiner Jugend bis heute in fortgeschrittenem Alter derart frustriert ist, dass er auf Rassistendemonstrationen stets mit einer Wurst herumwedeln muss, als Zeichen seiner endlich gelungenen Integration. Während die vordergründig angeblich „laizistische“ (also für die Trennung von Religion und Politik eintretende) Publikation respektive ihr Umfeld gleichzeitig z.T. die zensurwütigen Rechtskatholiken gegen ein Theaterstück unterstützt - vgl. nebenstehenden Artikel - und also ihren Säkularismus definitiv ad absurdum führt. Aber für „Islamkritik“, zur Verteidigung des bedrohten Abendlands, ist sie stets zu haben. 

In melodramatischen Tönen wird auf der Webseite von ,Riposte Laïque’ nunmehr berichtet, wie der arme Schweinewurstfetischist Pascal Hilout auf der Kundgebung vor dem Pariser Rathaus böse, ganz böse ausgegrenzt wurde. Man habe sie versucht, sie hinauszudrängen. Allerdings hätten er und ein halbes Dutzend weiterer Anhänger der Internetzeitung für Abendlandskrieger es dennoch geschafft, ihre Anwesenheit bis zum Schluss der Kundgebung zu verteidigen. 

Ansonsten spuckt ,Riposte Laïque’ jedoch seit Tagen Gift & Galle gegen die Zeitung ,Charlie Hebdo’, welcher sie vorwirft, angeblich nichts von der „islamischen Gefahr“ begriffen zu haben - da die Satirezeitung in diesen Tagen stets betont, „nur die Fundamentalisten“ und nicht die Moslems per se zu attackieren. 

Am Mittwoch, den 09. November 11 erschien die neueste Ausgabe von ,Charlie Hebdo’ mit einem provokanten Titelbild. Auf diesem sieht man einen, ausweislich seiner Kopfbedeckung als wohl gläubiger Muslim zu erkennenden Mann - welcher mit einem Redakteur von ,Charlie Hebdo’ einen heftigen Zungenkuss austauscht. Ein satirisches Plädoyer für „die Liebe“, welche stärker sei als der Hass. Einerseits eine symbolische Absage an einen Hassdiskurs - und andererseits doch ein gewisser Stachel für Gläubige, denen (wie in allen monotheistischen Religionen) im Prinzip Homosexualität durch ihre Religionsvorschriften verboten wird. Doch die Abendlandsverteidiger von ,Riposte Laïque’ ihrerseits zeigen sich da sehr humorfrei: In Ihren Augen, so ist es in der Internetpublikation nachzulesen, signalisiert das Titelblatt von ,Charlie Hebdo’ nämlich vor allem „den Willen zum Dhimmitum“, zur „Unterwerfung unter den Islam“ als mit Herrschaftsanspruch ausgestattete Religion.

Editorische Hinweise
Wir erhielten den Text vom  Autor für diese Ausgabe.