Chile - 11.9.1973
Putsch und neoliberale Umgestaltung Chiles unter der faschistischen Diktatur.

Erklärung der Kommunistischen Partei Chile (Proletarische Aktion)

09-2013

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Im folgenden wird eine Erklärung der Kommunistischen Partei Chile zum 11. September 1973 dokumentiert. Sie ist sicherlich für alle fortschrittlichen Kräfte, die dem 40sten Jahrestag des faschistischen Putches durch General Pinochet und die CIA gedenken, interessant. Sie behandelt nicht nur die Frage des Putsches, sondern insbesondere auch die neoliberale Umgestaltung Chiles unter der faschistischen Diktatur.

A. EINLEITUNG

Am 11 September 1973 vollzog sich in Chile ein Militärputsch, der die demokratisch gewählte Regierung -der Unidad Popular (Volks-Einheit)- beseitigte. An diesem Tag wurde La Moneda (Das Regierungshaus) bombardiert, in dem sich auch der -vom Volk demokratisch gewählte- Präsident, Salvador Allende, befand.

Er wollte das Regierungshaus nicht verlassen , sondern entschied sich dafür, es mit einer Waffe in der Hand zu verteidigen, und so als Toter, aber den Arbeitern und Völkern loyaler Präsident in die Geschichte einzugehen.

Dieses Bild ging rund um die Erde und erschütterte Millionen von Menschen weltweit. Bis heute fühlen sich die fortschrittlichen Menschen von diesem Bild bestürzt. Wieso hat die chilenische Diktatur so viel Erschütterung mit sich gebracht?

Es wurden Konzentrationslager aufgestellt, in denen rund 4.000 Menschen ermordet und mehrere hunderttausend gefoltert wurden. Andre hunderttausend mußten aus dem Land fliehen. Es wurden Stadtviertel bombardiert, die sogenannten „roten Pole“. Dabei starben ganze Familien, Männer, Frauen, Jugendliche und Kinder, deren Identität heute verloren ist. Die ganze politische Führung der Arbeiterbewegung wurde gnadenlos unterdrückt. Man sagt von Chile, dass es keine proletarische Familie gibt, die nicht auf irgendeiner Weise von der direkten Repression der Diktatur betroffen worden ist. Aber, die chilenische Diktatur war sicher nicht „der schlimmste“ Fall in Lateinamerika. In Argentinien wurden 30.000 Menschen getötet. In Peru starben weit mehr als 70.000 in einem Bürgerkrieg.

Warum hat dann der chilenische Fall so viel Erschütterung hervorgebracht?

In Chile wurden ein organisiertes, kämpfendes Volk und eine Arbeiterklasse, mit enorm hohem Organisationsgrad, die sich entschieden hatten, auf friedlichen Weg, demokratisch - mit Wahlen - den Sozialismus zu erreichen, niedergemetzelt.

In Chile hat die imperialistische und die nationale Lakai-Bourgeoisie bewiesen, dass sie an der Demokratie festhält, an ihrer Demokratie- und auch das nur solange ihre Interessen nicht berührt werden. Ansonsten beschießt sie den Regierungssitz, den Präsidenten und unbewaffnete Völker und Arbeiter, genauso als ob es bewaffnete Menschen wären.

Dass die bürgerliche Demokratie in Wirklichkeit keine Demokratie ist, dass beweist der chilenische Fall.

B. CHILE ALS LABOR DES NEUEN MODELL

Aber in vielerlei Hinsicht bedeutsamer als die Repression der Diktatur, ist das was durch sie durchgesetzt worden ist: Ein neues Produktionsmodell, dass die Ausbeutung der Arbeiter nicht nur beibehält, sondern aufs extremste vertieft und praktisch die ganze ökonomische und soziale Ordnung ausschließlich in die Hände des Marktes legt. Es wurde nach der Diktatur nicht nur die alte Form der kapitalistischen Produktionsweise durchgesetzt, wie es normalerweise in den Diktaturen üblich war, sonder eine neue Form ausprobiert: Eine noch liberalere (im wirtschaftlichen Sinn) Organisations- und Ausbeutungsstruktur. Man kennt dieses Modell oder diese Struktur, heutzutage als Neoliberalismus.

Warum Chile für dieses Experiment ausgewählt wurde:

Chile ist ein wirtschaftlich unbedeutendes Land. Es besitzt heute nur etwas mehr als 16 Millionen Einwohner in einem Gebiet, das etwas mehr als zwei mal so groß wie Deutschland ist. 1973 waren es knappe 10 Millionen Einwohnern. Und dennoch wurde es von den imperialistischen Staaten als sehr geeignetes Land betrachtet, um in ihm ein wirtschaftliches Experiment durchzuführen. Chile besitzt viele verschieden wichtige Merkmale. Nur sehr wenige Länder der Erden vereinigen all diese Merkmale in einem Staat. Chile ist ein solcher Fall:

Ein sehr stabiler und alter Staat mit einem sehr gut funktionierenden demokratischen System.

Eine relativ große, disziplinierte und gebildete Arbeiterklasse und, im Gegensatz zu anderen Ländern der Erde, wenig Bauern. In anderen Worten: Entwickelter Kapitalismus.

Praktisch alle Klimaarten der Erde findet man in Chile: Wüste, Wälder, Meer, mediterranes Klima, kalte regnerische Zonen bis hin zu polarem Klima.

Eine einheitliche nationale Sprache.

Sehr hohe Mengen an Naturressourcen, die für die heutige kapitalistische Produktionsweise wichtig sind: Kupfer (mehr als 40% des auf dem internationalen Markt gehandelten Kupfer kommt aus Chile), Gold und Silizium, Gas und neuerdings auch Erdöl (das bisher nur sehr unproduktiv gefördert werden kann), große Flächen von Meer. Diese Naturressourcen verdankt es der „Cordillera“, ein Gebirgszug, der ganz Chile durch­kreuzt. Man geht davon aus, dass innerhalb des Gebirgszugs noch Unmengen von Naturressourcen liegen.

Fünf verschiedene Völker: Das chilenische Volk (das einzige rechtlich anerkannte Volk), Mapuche, Aimaras, Quetchuas und Rapanuis. Es gibt mehrere Völker aber nicht so viele und zahlreiche wie in anderen Ländern der Region und der Erde, so dass die Einheitlichkeit des Landes und des Staates nicht ausdrücklich betroffen wird.

Chile wird oftmals als eine kleine Zusammenfassung der Erde beschrieben. Sehr hohe Mengen an Naturressourcen, ein stabiler Staat und seine disziplinierte Arbeiterklasse haben das Interesse der imperialistischen Staaten für Chile geweckt.

DAS ERBE CHILES

Wodurch zeichnet sich dieses neue kapitalistische Modell aus? Viele der dort schon mehr als 40 Jahre lang existierenden Strukturen beginnen nun auch in Deutschland zu erscheinen. Es ist deshalb interessant zu analysieren wie diese Strukturen aussehen.

Die heutige liberale Marktstruktur in Chile ist liberaler als die, die es in den Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise gab. Auch Bildung, Altersrente und Militär (sowie Geheimdienste) gehen in private Händen über.

Einige für Deutschland wichtige Eigenschaften des chilenischen Neoliberalismus sind:

1. Extreme Konzentration des Einkommens.

Chile hat im Verhältnis zu 20 weiteren repräsentativen Ländern die ungleichste Einkommensverteilung, betrachtet man das reichste 1% der Bevölkerung. Diese 1% nehmen 21,1% des nationalen Einkommens ein. Der entsprechende Durchschnitt der 20 untersuchten Länder liegt bei 11,5%. Im Bereich der Einkommensituation der reichsten 0,1% und 0,01% kommt Chile auf beachtlicherweise auf den zweiten Platz nach den USA.(1)

Im Gegegensatz dazu entfällt auf die Werktätigen nur 40% des nationalen Einkommens. Die Arbeiterschaft umfasst fast 8 Millionen Menschen der chilenischen Bevölkerfung.

2012, also im letzten Jahr, so die Forbes Liste, hatte Chile ganze 5 Personen zwischen den Multimulti Millionären! Dieses Jahr stieg dieser Wert auf ganze 14! Diese Zahlen stehen im starken Kontrast zu den 46 Brasilianern der selben Liste dieses Jahres2 - Bedenkt man, daß Brasilien ein BRICS Land ist und zudem mehr als 190 Millionen Einwohnern hat. Brasilien besitzt einen riesigen Markt und genügend auszubeutende Arbeitskraft, um 46 Personen in der Forbes Liste erkären zu können.

Wie kann aber ein Land, daß weder eine wirtschaftliche Macht ist, noch große Mengen an Arbeiter besitzt, soviel Bilionäre haben? Nur mit der extrem radikal ausgeprägten liberalen wirtschaftlichen Struktur, die zu einer extremen Ausbeutung und Konzentration des Reichtums führt, kann diese Zahl erklärt werden.

2. Kein Recht auf Arbeit.

Die Verfassungen sind keine Propagandaelemente einer Gesellschaft, die eine „schöne Beschreibung“ der Intentionen des Staaten darstellen, sondern sind der politische Rahmen jeder Gesellschaft, die den Charakter des Staates definieren. Es wird in ihnen festgehalten in wie fern die eine oder die andere der zwei wichtigsten Klassen der Gesellschaft die Kontrolle des Staates und somit der ganzen Gesellschaft hat. In anderen Worten, spiegeln die Verfassungen die Klassengegensätze wieder.

In Chile wird nicht mehr verfassungsmäßig das Recht auf Arbeit garantiert. Heute ist dieses fundamentale Grundrecht nicht mehr vorhanden. In der vorherigen Verfassung (1924) war dieses Recht verfassungsmäßig zugesichert.

3. Absolute Liberalisierung des Finanzkapitals.

Der Versuch in Chile hat bewiesen, dass die praktisch totale Liberalisierung des Finanzkapital die Wirtschaft nicht unmittelbar außer Kontrolle bringt und zudem extrem hohe Gewinne erlaubt (für Banken sogar teilweise ähnliche Gewinnraten wie in den ersten Jahrzehnten der kapitalistischen Gesellschaft). Somit ist diese Liberalisierung schon weltweit durchgesetzt worden. Die wirtschaftlichen Krisen vertiefen sich, aber die ganze politische und soziale Struktur, ist so orientiert, daß die Krise fast hauptsächlich von der Arbeiterklasse und auch von der kleinen Bourgeoisie (und mittlerweile auch von mittleren Schichten der Bourgeoisie) getragen wird.

Jede Krise führt zu größerer Konzentration. Die chilenische Wirtschaft ist hauptsächlich eine Monopolwirtschaft.

4. Privatisierung von riesigen, sehr produktiven und national strategischen, staatlichen, Unternehmen.

Fast nichts ist heute in den Händen des Staates. Das 1971 für nationale Interessen strategisch nationalisierte Kupfer, damals kontrolliert von COLECO (ein staatliches Unternehmen), ist nun zu mehr al 75% privatisiert und hauptsächlich in Händen von imperialistischen Firmen. Es gibt auch Kräfte, die auf die Privatisierung des letzten Teils drängen.

Ansonsten ist alles Privat. Alle einmal staatlichen Unternehmen wurden privatisiert und funktionieren heute schlechter als in der Zeit, in der sie in den Händen des Staates waren.

5. Totale Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.

Leiharbeit, kurze Arbeitsverträge, Kommissions- und Rotationsarbeit, Teilarbeit, und Multifunktionalität sind heutzutage normale, alltägliche Arbeitsstrukturen. Es sind heutzutage Verträge von weniger als drei Monaten üblich. Wochenende gibt es teilweise auch nicht mehr. Man hat das Recht auf zwei freie Tage, die auf irgendeinen Tag der Woche fallen können. Das Wechseln des Arbeitsplatzes ist eine sehr übliche alltägliche Sache geworden.

Z. B. Ein Arbeiter kämpft, unter dem Zwang der Kommissionierungsarbeit, nicht nur gegen seinen Arbeitskollegen, sondern auch gegen sich. Jede Minute, in der er gezwungenermaßen nicht arbeitet kann, bedeutet für ihn am Ende des Monats weniger Gehalt. Auf diese Weise schafft es der Arbeitgeber, die Stockungen in der Produktion mit weniger Absatz, auf den Arbeiter zu abzuwälzen.

6. Gewerkschaftliche Organisation nur auf sehr kleiner und restriktiver legaler Basis möglich .

Eines der schwierigsten Themen für die Arbeiter in Chile, unter den aktuellen Arbeitsbedingungen, ist die gewerkschaftliche Organisation. Sie steigt nur in einem geringen Maße an, da die gewerkschaftliche Eingliederung (und auch andere Formen der Arbeiterorganisation) wegen der hohen Rotationsrate in den Arbeitsplätzen, sehr gering ist.

Die Gesetzte erschweren jede Form von legaler Arbeiterorganisation. Und die illegale Organisation ist umso schwerer, da eine Arbeiterorganisation sich nicht lange in der Zeit halten kann, weil die Mitglieder bald in einer anderen, neuen, Arbeit rotieren.

7. Kein Recht auf Bildung, Gesundheit und Altersrente. Bildung, Transport, Wohnung. Gesundheit und Altersrente gehen in Händen von Privaten über. Die Finanzierung dieser drei Bereiche muß der Arbeiter ganz übernehmen.

Z. B. Das privates Bildungssystem ist hervorragend für jene, die es bezahlen können, und mehr als mangelhaft für das Proletariat. Nichts davon ist staatlich. Das Bildungssystem für das Proletariat ist heute in Händen der „Municipios“ (Gemeinden), die teilweise als private Strukturen funktionieren. Ihr Bildungsniveau ist überaus schlecht. Bei weitem unter den schlechtesten der Region.

Es gibt schon Sektoren wo die Schüler überhaupt nicht mehr für die Universität vorbereitet werden. In diesem schlechten Schulsystem wird die Mehrheit der Arbeiterklasse gebildet.

8. Ein sehr starker, gefestigter Staat der fast keine sozialen Funktionen ausübt.

Der chilenische Repressioncharakter des Staates ist nicht nur vom Typ eines Polizeistaat, sondern basiert teilweise schon auf militärähnlicher Polizei.

9. Die Reichsten zahlen keine Steuern.

C. KURZE SCHLUSSFOLGERUNG

1989 wurde die Diktatur Chiles durch eine Massenbewegung niedergeworfen. Im selben Jahr, fiel die Berliner Mauer. Das ist kein Zufall. 1989 ist das Jahr, in dem der Kapitalismus endgültig über die erste sozialistische Welle gesiegt hat. Nun wurde es Zeit diese neue Produktionsordnung weltweit, mal schneller, mal langsamer durchzusetzen.

Man kennt dieses neue Modell, wie oben erwähnt, als Neoliberalismus.

An sich ist dieses Modell nichts weiter als die politische und ökonomische Neuordnung der kapitalistischen Produktionsweise, die sich in der Zeit des Imperialismus durchsetzt, nach dem sie (die kapitalistischen Produktionsweise) siegreich aus dem Kampf gegen die erste kommunistische und sozialistische internationale Welle hervorgeht.

Sie weist radikalere, liberalere wirtschaftliche Eigenschaften als die ursprüngliche kapitalistische Produktionsweise auf. Sie vertieft die Arbeiterausbeutung. Sie vertieft die Öffnung neuer Marktplätze. Sie vertieft die Ausbeutung der wirtschaftlich abhängigen Ländern. Sie vertieft die Anhäufung von Reichtum. Sie vertieft die Ausnutzung der kommerziellen Wege. Sie vertieft die Ausbeutung der Naturressourcen. Und sie vertieft die imperialistische Expansion.

All das kann durchgesetzt werden, weil die Arbeiterklasse und die freien Völker der Erde international nicht genügend Fähigkeiten besitzten, sich dieser, ihrer eigenen, extremen Ausbeutung, zu widersetzen.

Wenn in einem kleinen, nicht bedeutsamen Land wie Chile, eine so unerhört und fast unglaublich hohe Konzentration des Reichtums geschehen kann, wie wird die Situation in Ländern wie Deutschland aussehen, wenn die ganze Umgestaltung vollendet sein wird?

Wohlbemerkt wurde dieses System in Chile mit Feuer, Blut und Folter durchgesetzt. Nur auf dieser Weise war es möglich dieses neue Modell in diesem Land einzuführen. In Deutschland schreitet diese Neuumstrukturierung ganz ohne Feuer, ohne Blut und ohne Folter voran, und die Arbeiterklasse schaut bisher zu als ob nichts passieren würde...

Was kann man aus dem chilenischen Fall lernen?

1. Dass ein Weg zum Sozialismus, innerhalb des legalen Rahmens, auf friedlichen und pazifistischen Weg, unmöglich ist. Völker werden niedergemetzelt auch wenn sie friedlich gehen, genauso als ob diese -friedlichen- Menschen, bewaffnete militarisierte Gruppen wären.

2. Dass das neue Ausbeutungsmodell bei weitem noch wilder und aggressiver ist als das Ursprüngliche. Was in Chile heute zu sehen ist, und was dort nur durch extreme Gewalt durchgesetzt werden konnte, ist nur eine Vorgeschmack von dem was sich auf rasender Weise überall durchsetzt, auch in Deutschland.

Kommunistische Partei Chiles (Proletarische Aktion)



1) FAZIO, Hugo: „Intervención Libro 'Grandes Desafíos“.
http://www.cendachile.cl/Home/publicaciones/recientes/intervencin-libro-grandes-desafos-por-hugo-fazio  

FORBES. http://www.forbes.com

Editorische Hinweise

Der Artikel ist eine Spiegelung von Indymedia, wo er am 11.9.2013 erschien.

Bei TREND erschienen zu die Thema z.B.