Editorial
Der Berg kreiste und gebar eine Mickey Mouse

von Karl Mueller

09/2015

trend
onlinezeitung

Nach dem die MVE-Initiator*innen nach wochenlangem Kungeln mit dem Berliner Senat Eckpunkte eines "Kompromiss" zur Entsorgung ihres eigenen Gesetzentwurfes (GE) ausgehandelt hatten, war sich die  LINKE Neukölln nicht zu schade, am rechten Rand ihrer Website zu jubeln: "SPD/CDU-Senat in die Knie gezwungen: Ein Riesenerfolg für alle, die am Mietenvolksentscheid mitgewirkt haben! Und BZ-Kommentator Gunnar Schupelius schrieb empört über Kungelei und Kompromiss am 30.8.2015: "Dass aber die Politiker vor ihnen einknicken, das hätte nicht geschehen dürfen."  

Damit werden Legenden aufrechterhalten bzw. zerbröckelnde schöngeredet. Die Legende nämlich, dass mit der Kampagne für den Mietenvolksentscheid "unsere Stadt nicht länger der Politik und der Immobilienwirtschaft überlassen" bliebe. So stand es gedruckt in dem zehntausendfach in der Stadt verteilten Faltblättchen, womit gut 50.000 Leute zum Unterschreiben animiert wurden.

In einem bisher einmaligen, gleichgeschalteten Medienvorgang strickte die bürgerliche Stadtpresse - allen voran der Tagesspiegel - an einer weiteren Legende mit, nämlich dass die Politik auf diese "mündigen Bürger" mit ihren "vernünftigen Ansichten" zugehen müsse -  mit dem Effekt, dass fürderhin eine Kritik am MVE im linken Spektrum als unsolidarisch und sektierisch etikettiert wurde. In dieser vielfältigen Einfalt durften BZ und Co. zusammen mit einigen Immobilienkapitalisten auch ein wenig antikommunistisch rummäkeln. So wurde der rot-schwarzen Stadtregierung unter tatkräftiger Mitwirkung von Linkspartei und Bündnisgrünen ideologisch der Weg bereitet, einen Kompromiss auszuhandeln, der wohnungspolitisch nahezu all das enthält, was bisher ohnehin seit 2012 Senatspolitik ist - nachzulesen in Karl-Heinz Schuberts Vortragsmaterialen: "Was ist von dem Gesetz zu erwarten, das der Senat mit der MVE-Initiative ausgekungelt hat".

Nach einer Redensart aus der "Ars poetica" des römischen Dichters Horaz (65-8 v. Chr.) können große Versprechen, die nicht eingehalten werden, mit dem Bild des "kreisenden Bergs", der nur eine "Maus" zu gebären vermag, trefflich beschrieben werden. Hätten die linken Aktivist*innen aus den Mietenbündnissen sich einmal die Zeit genommen und ihren Gesetzentwurf genau studiert, dann hätten sie unschwer feststellen können, dass weder damit ihre Kampagnenparolen im allgemeinen eingelöst werden, noch die jeweiligen Paragrafen des GE im einzelnen irgend etwas an der in der Stadt herrschenden Wohnungsnot und Mietpreitreiberei geändert hätten. Kurzum: Mehr als die Geburt einer "Maus", war mit dieser Kampagne nicht zu machen.

Geht mensch allerdings von dem aktuellen Kungel-Kompromiss als das eigentliche Kampagnenergebnis aus, dann ist dieses gleichsam nur noch die Karikatur einer Maus: Mickey Maus; Walt Disneys Kultfigur für gute Stimmung in schlechten Zeiten.

Diese, die Klassenverhältnisse ignorierende Denksperre der Aktivisti*nnen setzte in der 2011 in Berlin entstehenden, außerparlamentarischen wohnungspolitischen Bewegung bereits mit der als Meuterei auf den Knien von Kotti&Co im Berliner Abgeordnetenhaus im November 2012 organisierten mietenpolitischen Konferenz ein. Fortan hielten selbst ernannte wohnungspolitische Experten aus prekären Mittelschichten durch vertrauliche Fachgespräche regelmäßigen Kontakt mit dem politischen Personal des Berliner Senats und kanalisierten sukzessive die Forderungsdebatte in den Mietenbündnissen auf das für den Senat politisch Machbare.

Der Operettendonner der Kotti-Lärmdemos begann zu verstummen. Einzig die Kampagne gegen Zwangsbündnisse verfolgte weiterhin eine regelverletztende Praxis, um gegen brutale privatkapitalistische Verfügungsgewalt über Wohneigentum Front zu machen. Schlußendlich legte sich die Volksbegehrenkampagne, die im Spätsommer 2014 nach erfolglos verlaufenen "Experten"gesprächen mit dem Senat von Jan Kuhnert (Grüne), Max Manthey(Linke) und Co. ausgebaldowert wurde, wie ideologischer Mehltau über die außerparlamentarische Linke.

Angefangen bei der INKW, deren Sprecher Rouzbeh Taheri zur MVE-Kampagne überwechselte, um dort als Pressesprecher zu fungieren, folgten ihm alsbald seine Weggefährten von der NaO-Berlin ins MVE-Kampagnenlager. Die trotzkistischen Freunde von der SAV und der Gruppe Arbeitermacht, besonders in internationalen Fragen mit revolutionärem Vokabular immer vorneweg, wurden flugs zu bescheidenen Unterstützern des MVE.

Das außerparlamentarische Spielbein der Linkspartei, die Interventionistische Linke (IL), mit ihrem Avanti-Flügel Stammgast bei Kotti&Co., engagierte sich dagegen offen für das Mitmach-Bürger im Dialog-Projekt "MVE". Dabei verstieg sich die IL zu der Behauptung, die MVE-Kampagne werde sich zu einer Protestwelle ausweiten, bei der die IL dann mit antikapitalistischen Forderungen als quasi ideologisches Surfbrett oben auf dabei sein könnte.

In dieser Phase der ideologischen Funkstille - Piraten, Grüne und LINKE unterstützten die Kampagne vorbehaltlos, zogen es etliche linke Stadtteilaktivist*innen vor, die aus unterschiedlichen Gründen die MVE-Kampagne ablehnten, sich rauszuhalten oder stumm duldend dabei zu bleiben.

Einzig die DKP wagte sich aus der Deckung. Pünktlich nach der Abgabe der Unterschriftenlisten am 1. Juni 2015 veröffentlichte die DKP-Berlin ein Statement, worin sie darlegte, warum sie diese Kampagne aus Sach- und politischen Gründen nicht unterstützen könne: "Das Platzen der Illusionen, die der VE schürt, kann nur zu weiterer Desolidarisierung und zur Beschädigung legitimer Kampfziele führen. Das liegt im Interesse der Senatsparteien. Darum sagen wir „Nein" zu diesem Gesetzentwurf."

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Das Sommerloch, dem das Ausbleiben wichtiger Beiträge geschuldet ist, Bernard Schmid befindet sich z.B. zur Zeit in Mali, so dass seine Frankreich-Berichte eben ausbleiben müssen, begrenzte allgemein die Zahl der eingesandten Beiträge. Wir danken von hieraus den Autor*innen, die uns trotz Gluthitze Artikel sandten. So bekamen wir von Bernard Schmid zwei brandaktuelle Berichte direkt aus Mali. Ebenfalls lesenswert sein Kommentar zu Jürgen Elsässer.

Andererseits nutzten wir das Sommerloch, um die "Bethanien-Broschüre" wieder der linken Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sieht mensch einmal von dem maoistisch-volkstümelnden Vokabular ab, so ist die "Agitationsbroschüre des Kampfkomitee Bethanien" [West-Berlin 1974] ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument sozialemanzipatorischer Klassenpolitik im Stadtteil nach 1945. Mögen unsere Leser*innen entscheiden, ob es daraus noch etwas für heute zu lernen gibt.

In seinem Referat  "Die Seele als Gefängnis des Körpers" beschäftigte sich Georg Klauda mit Homophobie und Psychoanalyse im Werk von Theodor W. Adorno. Folgt mensch Klauda könnte schlagwortartig Adornos Position als "Freudomarxismus" bezeichnet werden. Um die Debatte über das, was unter den Begriff des "Freudomarxismus" zu subsumieren sei, ein wenig voranzubringen, veröffentlichen wir in dieser Ausgabe einen entsprechenden "Klassiker": Dialektischer Materialismus und Psychoanalyse von Wilhelm Reich.

Abschließend möchten wir nicht versäumen, auf den Artikel "SYRIZA ist tot! Es lebe SYRIZA?" zu verweisen, der uns sozusagen in letzter Minute erreichte, indem der Autor Detlef Georgia Schulze(Tap) dessen Spiegelung empfahl. Übrigens gibt es in dieser Ausgabe die vollständige und nochmals überarbeitete Fassung seiner und seines Koautors Kritik am Entrismus-Konzept der SAV.
 

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