Bericht N° 1 aus Bamako/Mali
Jihadistische Aktivitäten reißen nicht ab

von Bernard Schmid direkt aus Mali

09/2015

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„Parteienpluralismus“ kennen, auf ihre Weise, auch die jihadistischen Bewegungen. Unter den im Sahelzonenstaat Mali aktiven Jihadistenorganisationen jedenfalls herrscht eine gewisse Rivalität, die einige von ihnen zu neuen Taten anzuspornen scheint. 

Knapp zwei Monate nach dem Friedensabkommen vom 20. Juni 15, das damals feierlich in der Hauptstadt Bamako unterzeichnet wurde und die Vereinbarung von Algier vom 15. Mai dieses Jahres bestätigte, kommen weite Teile des Landes nicht zur Ruhe. Man wusste, dass das Abkommen zwar die vor allem auf ethnischer Basis rekrutierten Tuareg-Rebellenverbände einbinden konnte, aber nicht die mal mit ihnen kooperierenden und mal dieselben bekämpfenden jihadistischen Milizen und Organisationen. Das Ausmaß jedoch, in dem Letztere ihre Aktivitäten in den vergangenen Wochen steigerten, war wohl von den meisten Akteuren nicht erwartet worden. Der MNLA („Nationale Bewegung zur Befreiung von Azawad“) als zentrale Organisation der Tuareg-Rebellion, die in den ersten Jahreshälfte 2012 zusammen mit Jihadisten die gesamte Nordhälfte Malis erobert hatte, von ihnen jedoch ein halbes Jahr später bekämpft wurde, kommentierte die jüngsten Attacken im Norden und im Zentrum Malis bislang nicht. 

Ihr jüngster „Höhepunkt“ war wohl die bewaffnete Attacke auf ein Hotel in Sévaré, rund 620 Kilometer nördlich von Bamako, am Freitag vergangener Woche (= am Freitag, den 07. August 15). Ziel war das von libanesischen Kapitelinhabern kontrollierte Hotel „Byblos“, das unter anderem von – überwiegend zivilen – Mitarbeitern der UN-Truppe zur Stabilisierung Malis, MINUSMA, bewohnt wurde. Der Angriff mündete in eine Geiselnahme, die erst nach über 24 Stunden beendet wurde. Er wurde nach dem Eintreffen von Verstärkung in Gestalt einer Eliteeinheit der malischen Gendarmerie, des GIGN – ungefähr mit der gleichnamigen Einheit in Frankreich oder der deutschen GSG9 vergleichbar – sowie von französischen Spezialeinheiten der im gesamten westlichen und zentralen Sahelgebiet stationierten „Opération Barkhane“ niedergeschlagen.

Im Laufe der Geiselnahme und der Kämpfe starben insgesamt 17 Personen. Unter ihnen waren neun Zivilisten, darunter fünf Angestellte der MINUSMA: ein malischer Chauffeur, ein südafrikanischer Feuerwehrmann, ein Nepalese und zwei Ukrainer. Weitere Angehörige des zivilen Personals der UN-Truppe südafrikanischer, russischer sowie ukrainischer Nationalität wurden nach Bamako verbracht. Ferner starben auch vier malische Soldaten und vier der Geiselnehmer.

Es war nicht die einzige jihadistische Operation der vergangenen Woche (Anm: Anfang August d.J.). Am vorvergangenen Montag, den 03. August 15 starben 13 malische Soldaten bei einem Angriff in Gourma-Rharous, im Raum Timbuktu. Und in der Nacht von Freitag auf Samstag, den 08. August 15 erfolgte ein Angriff auf einen Gendarmieposten in Baguinéda. Damit rückten die Operationen bis auf rund fünfzig Kilometer an die Hauptstadt Bamako heran. Am Abend des Mittwoch, den 12. August d.J. gab es eine Schiesserei mutmaßlich zwischen Jihadisten und Polizei im Busbahnhof von Sogoniko, einem südlichen/südöstlichen Stadtteil der Hauptstadt Bamako; vgl. http://malijet.com/ 

Als verantwortlich für die Attacken der letzten Tage, für die es zunächst kein Bekennerschreiben oder –video gab, galt zunächst den meisten Beobachtern die vor allem aus malischen Staatsbürgern bestehende Jihadistenbewegung Ansar ed-Dine (vom Arabischen: „Parteigänger der Religion“). Diese hatten sich in den letzten Wochen durch eine Vielzahl von Angriffen bis im äußersten Süden des Landes – im Juni 15 wurde ein Posten der Sicherheitskräfte in Misseni an der Grenze zum südlichen Nachbarland Côte d’Ivoire attackiert – als wichtigste bewaffnete Opposition gegen die malische Zentralregierung zu profilieren versucht. Im Laufe des Wochenendes (08./09. August) kam auch eine lokale bewaffnete Organisation, der „Front de libération de Macina“ („Befreiungsfront von Macina“) unter Amadou Koufa als mögliche Urheberin von Attacke und Geiselnahme in Sévaré ins Gespräch. Diese kooperiert ohnehin eng mit Ansar ed-Dine und ist in ihre Koordinationsstrukturen eingebunden. Diese angebliche „Befreiungsfront“ bezieht sich in ihrem Namen auf ein untergegangenes Königreich im Raum Mopti – heute Zentral-Mali -, das im späten 19. Jahrhundert dem Vorrücken der französischen Kolonialeroberer widerstand. In einer Art historischen Kostümierung behauptet die jihadistische Organisation, eine Wiederkehr der damaligen Widerstandsbewegung gegen eine fremde Eroberung darzustellen, wobei es sich jedoch um historisch-ideologische Folklore zur Kostümierung einer heutzeitlichen jihadistischen Bewegung handelt. 

Doch am Montag, den 10. August 15 bekannte sich dann eine andere, rivalisierende Gruppe zu dem terroristischen Angriff. Es handelt sich um Al-Mourabitoun (benannt nach der früheren nordafrikanischen Kalifendynastie der Almoraviden). Letztere entstand vor einigen Monaten aus der Fusion der überwiegend aus Algerien stammenden und im Sahararaum aktiven Gruppierung der „Unterzeichner mit dem Blut“ von Mokhtar Belmokhtar mit der „Westafrikanischen Bewegung für die Einheit und den Jihad“ (MUJAO). Diese Vereinigung besteht vorwiegend aus ausländischen Staatsbürgern, die unter anderem in Mali operieren: Algeriern sowie, aus dem MUJAO kommenden, Westafrikanern aus dem Raum vom Senegal bis nach Nigeria. Ebenso besteht Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb (AQMI), die 2012 den Norden Malis mit ihren jihadistischen Rivalen kontrollierte, vor allem aus Algeriern; um die letztgenannte Organisation ist es heute in Mali eher relativ still geworden. – Allerdings besteht trotz des formalen Bekenntnisses durch Al-Mourabitoun der nach wie vor keineswegs ausgeräumte Verdacht, dass in Wirklichkeit die vorgenannte so genannte „Befreiungsfront von Macina“ tatsächlich hinter dem Angriff von Sévaré stecke; vgl. http://malijet.com/ oder http://www.opex360.com 

Im Unterschied zu ihnen ist Ansar ed-Dine weitestgehend aus eigenen Staatsbürgern Malis und beginnt, echten Einfluss auf einige gesellschaftliche Bereiche zu nehmen, auch wenn ihre Ideologie gesamtgesellschaftlich randständig bleibt. Ihr Chef ist Iyad Ag-Ghali, ein reicher Geschäftsmann, Polit-Unternehmer und Warlord, der seine Karriere als Vertrauensmann des ehemaligen Präsidenten ATT (Amadou Toumani Touré) und dessen Botschafter ab 2007 im saudi-arabischen Jidda begonnen hatte und dann zunehmend in Kontakt mit wahhabitischen Kreisen sowie qatarischen Interessen geriet. (2010 wurde er dafür aus Saudi-Arabien ausgewiesen, nachdem er auch mit tendenziell oppositionellen Jihadisten in Berührung gekommen war.)

Erst Ende Juli d.J. hatte Ag-Ghali die Verantwortung für eine Serie jihadistischer Attacken in fast allen Landesteilen übernommen und neue angekündigt. 

Zugleich hatte seine Organisation am Montag, den 03. August 15 eine wichtige indirekte Anerkennung erfahren, als das Regime des Nachbarlands Mauretanien ohne nähere Angaben von Gründen den Ansar ed-Dine-Anführer Sanda Ould Boumama freiließ. Er hatte sich im Mai 2013, während Frankreich die militärische „Opération Serval“ in Nordmali durchführte und einen Großteil der dort ansässigen Jihadisten – vorübergehend – vertrieb oder tötete, den mauretanischen Regierungstruppen ergeben. Er besitzt auch die Staatsbürgerschaft Mauretaniens. Dessen Regierung hatte ihn seitdem zwei Jahre lang in Gefangenschaft behalten, jedoch nie Anklage gegen ihn erhoben.


Sanda Ould Boumama gilt als maßgeblich für die Zerstörung von historischen Mausoleen und anderer Kulturdenkmäler in Timbuktu 2012 und anderen, mit der Scharia gerechtfertigten Taten verantwortlich. Seine Freilassung rief entsprechend in Mali heftige Kritik hervor. Der seit einem Putsch 2008, welcher eine zwei Jahre zuvor eingeleitete Demokratisierung rückgängig machte, als Machthaber amtierende und seit 2009 offiziell als Präsident gewählte Mohamed Ould Abdelaziz unterstützte schon in der Vergangenheit indirekt Jihadisten im In- und Ausland. Die malische Zeitung La Sentinelle, die ihn dafür heftig kritisierte (in ihren Worten steht „auch nach muslimischer Philosophie „zwar Gott, aber nicht die Religion über allem“ – was immerhin klar erkennen lässt, dass Letztere ein historisches Menschenwerk darstellt), erinnert an einen Ausspruch aus seinem Munde von 2014, dem zufolge „der Islam über allem, über Menschenrechte und Demokratie steht“. Der Militärmachthaber Ould ’Abdelaziz ist kein ideologischer Islamist, doch versucht er, eine erstarkende islamistische Oppositionsbewegung – Tawassul – in seine Machtausübung einzubinden. Mauretanien weigerte sich bereits in den vergangenen Monaten, seine Grenze für die Einreise von Jihadisten nach Mali zu schließen. Im Gegenzug erklärte Ansar ed-Dine erst Anfang August, Angriffe auf mauretanischem Staatsgebiet seien nicht vorgesehen. 

Auf solche Weise verfügt die Organisation über mindestens einen faktischen regionalen Verbündeten. Aber auch innenpolitisch kann die Organisation inzwischen relativ breit ausgreifen. Da sie sich als entschlossenste bewaffnete Widersacherin der Regierung einen Namen machen konnte, hat sie in jüngerer Zeit Unterstützer und VVerbündete aus unterschiedlichen Kreisen gewonnen. Dazu gehören junge Offiziere und Militärs, die 2012 an dem linksnationalistischen Putsch gegen Präsident ATT teilnahmen und deswegen aus der Armee entlassen wurden. Aber auch Tahirou Bah – „der Globalisierungsgegner, der zum Jihadisten wurde“, wie eine malische Zeitung ihn im Juni vorstellte – mit seiner „Volksbewegung für die Befreiung Malis“ (Mpplm) arbeitet heute als militärischer Verbündeter von Ansar ed-Dine im Südosten des Landes. Bah, der über eine gute Bildung verfügt – er absolvierte eine Ausbildung zum Lehrer - und auf Fotos im Internet mit einem gefüllten Glas Bier posiert, war bis vor fünf Jahren die Nummer Zwei in der links und sozial ausgerichteten „Bewegung der Stimmlosen“, die etwa landlosen Bauern zu organisieren versucht. Aufgrund eines putschistischen Drangs zu Aktionen auf egal welcher inhaltlichen Grundlage trennte die Bewegung sich jedoch, völlig zu Recht, von ihm. So kann einer enden....


Editorische Hinweise

Den Bericht erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe. Eine gekürzte Fassung erschien in der Wochenzeitung ,Jungle World’ in Berlin; späterhin überarbeitet.