Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Auch nach dem politischen Ableben des Charles Million: Die Dunkelgrauzone zwischen französischen Konservativen und Rechtsextremen besteht fort

10/08

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In (West)deuschland bezeichnete man früher, in den 1970er und 1980er Jahren, jenes am rechten Rand der CDU/CSU (auf ihrem „Stahlhelmflügel“) oder zwischen den Konservativ-Liberalen und offenen Nazikräften wie der NPD angesiedelte Spektrum als „Braunzone“. Jedenfalls sofern dies Kräfte Kontakte zu Rechtsradikalen unterhielten. Analog könnte man jene Kräfte, die – damals oder heute – in Frankreich zwischen den bürgerlichen Rechtsparteien und dem rechtsextremen Front National stehenden Kräfte als „Dunkelgrauzone“ qualifizieren. Jedenfalls sofern die so titulierten Strömungen und Personen eine, potenzielle, Rolle als Einfädler von Bündnissen oder dezidierte „Brückenschläger“ zwischen konservativ-liberalem Bürgerblock und FN spielen (können).

Charles Millon, der sich offen um eine solche Rolle beworben hat, scheidet ja nun – aus den nebenstehend genannten Gründen – dafür wohl definitiv aus. (Vgl. nebenstehenden Artikel, http://www.trend.infopartisan.net/trd1008/t431008.html) Auch scheint derzeit eine solche Allianz aus FN und bürgerlichen Rechtskräften, die in den 80er Jahren noch auf regionaler Ebene -- und insbesondere in den Regionalparlamenten von Marseille und Montpellier -- gängig war, derzeit in Frankreich fast undenkbar. Zu weit haben sich beide, die wirtschaftsliberale bürgerliche Rechte und der FN (als nationalistische und rassistische sowie zum Teil offen antisemitische „Anti-Globalisierungspartei“, die auch auf dem Gebiet der ökonomischen Entwicklungen behauptet, eine Fundamentalopposition darstellen zu wollen), momentan auseinander entwickelt. Abzuwarten wäre, ob dies auch in zugespitzten Krisenzeiten, falls das bestehende Wirtschaftssystem nach autoritären Lösungen suchen sollte, so bliebe. Im Augenblick ist jedenfalls auf Ebene der Parteispitzen – der konservativ-liberalen UMP einerseits, des FN andererseits – an ein Bündnis oder gar eine Koalition zwischen beiden kaum zu denken. Und doch Und doch Und doch...?! 

Und doch!

Und doch findet sich, unterdessen, aus mehr oder minder zufällig gewähltem Anlass ein Spektrum von Persönlichkeiten und prominenten politischen Figuren zusammen, das zusammen eine höchst finstere „Grauzone“ formiert. Lesen wir dazu folgende Kostprobe aus dem, seinerseits zwischen Konservativen und Rechtsextremen angesiedelten (vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd0107/t120107.html ), Wochenmagazin ‚Valeurs actuelles’ vom 11. 09. 2008:

„Im (Pariser) Invalidendom am Vormittag des Donnerstag, 4. September. Auf Einladung der Gattin des Verstorbenen wohnt Jean-Marie Le Pen, mit dem Anlass angemessener schwarzer Krawatte, der Beerdigung von Alain Griotteray bei – des früheren Mitbegründers der UDF (Anm.: liberal-konservatives Parteienbündnis in den Jahren 1975 bis 2002), der in den achtziger Jahren einer der heibesten Befürworter von Bündnissen mit dem FN war. Es ist die Gelegenheit für den fünffachen Präsidentschaftskandidaten (Anm.: Jean-Marie Le Pen), den Weg einiger Persönlichkeiten der ‚traditionellen Rechten’ (<droite classique>, also moderate Rechte diesseits des FN) zu kreuzen. Etwa den von Alain Madelin, mit dem er lange diskutiert, oder Philippe de Villiers, dem er zuruft: ‚Sie sind ja knapp entwischt!’, nachdem am 29. August ein Teil der Decke des Europäischen Parlaments über den Bänken von de Villiers’ (Anm.: national-konservativer und EU-skeptischer) Fraktion eingestürzt  war.

Gérard Longuet ist ebenfalls da, und nachdem er mit Marine Le Pen – zu deren Wahl bei den letzten Kommunalwahlen der verstorbene Griotteray aufgerufen hatte (Anm.: in Wirklichkeit war es bei ihrer Kandidatur zur Parlamentswahl 2007, vgl. dazu http://www.trend.infopartisan.net/trd7807/t097807.html ) - Küsschen auf die Wange ausgetauscht hat, gibt er ihr folgende Nachricht mit auf den Weg: ‚Sag Deinem Vater, dass ich ihn sehr mag!’ Es fehlt nicht viel, so stellen die Augen- und Ohrenzeugen – unter ihnen (Anm.: Justizministerin) Rachida Dati – fest, dass man sich in die Glanzzeiten des Front National zurückversetzt fühlt, damals, als der FN, strategischer Alptraum der bürgerlichen Parteiführungen, hinter den Kulissen von zahlreichen konservativen Führungsfiguren umworben wurde.“  

Madelin, Longuet, de Villiers

Soweit Originalton. Nun noch kurz zur Erklärung: Alain Madelin (62), der da lt. dem oben zitierten Wochenmagazin lange & ausführlich mit Jean-Marie Le Pen parlierte, ist ein wirtschaftsliberaler Politiker. Er war u.a. im Jahr 1995 kurzzeitig Wirtschaftsminister unter Jacques Chirac, mit dem er sich dann jedoch binnen weniger Monate überwarf. Der marktradikale Flügelmann der bürgerlichen Rechten (und ehemals bekennende Thatcherist) nimmt in wirtschafts- und innenpolitischer Hinsicht eine entfernt ähnliche Stellung zu jener von Guido Westerwelle in Deutschland ein. Nur, mit zwei wichtigen Unterschieden: Westerwelle war in seiner Jugend oder Studentenzeit nicht in einer rechtsradikalen Schlägertruppe organisiert, im Gegensatz zu Alain Madelin, der in den späten 60er Jahren der gewalttätigen rechten Studentenorganisation ‚Occident’ angehörte. Und Westerwelle sprach sich auch nicht in jüngerer Zeit für Bündnisse mit parteiförmigen rechtsextremen Kräften aus. Im Gegensatz zu Alain Madelin, der sich im Frühjahr 1998 – verhalten, aber unverkennbar – für die bürgerlichen Protagonisten von Bündnissen mit dem FN in mehreren Regionalparlamenten (wie Charles Millon) stark machte. (Vgl. dazu bspw. http://www.antifaschistische-nachrichten.de/1998/18/013.shtml ; und http://www.antifaschistische-nachrichten.de/1998/22/027.shtml)

Im Kern ist Madelin allerdings kein Blut & Boden-Fanatiker, sondern ein knallharter Repräsentant der Interessen des wirtschaftlich Stärkeren: Selbst hat er mit der Ideologie der Kader des Front National (jedenfalls in seiner heutigen Verfassung, da sein zum Teil völkischer und zum Teil eher post-kolonial grundierter Rassismus stark in Sozialdemagogie verpackt ist) wohl zu Gutteilen nichts am Hut. Und Madelin stimmt auch nicht mit dem kulturkonservativen Element der Rechtsextremen (‚l’Ordre moral’) überein, er sprach sich 1998 sogar kurzzeitig für die Freigabe von Haschischkonsum aus, nach dem Motto ‚Why not?’. Zudem ist Madelin in aubenpolitischer Hinsicht pro-US-amerikanisch orientiert, und zählte Anfang 2003 zu den stärksten französischen Befürwortern des Invasionskriegs im Iraq, den Jean-Marie Le Pen (aus völlig anderen Gründen als die Linke) ablehnte. Es folgt ein dickes ABER: Aber sofern jemand wie Le Pen ein Bündnispartner zur Durchsetzung sozialdarwinistischer „Sozialreformen“ sein kann (und sei es mit besonderer Schlagseite gegen Einwanderer, um sie neben anderen „sozial Schwachen“ herauszuheben und gesondert zu attackieren), „dann auch gut“ aus seiner Sicht. – Der französische Berlusconi-Verschnitt Alain Madelin spielt im Augenblick allerdings keine wichtige politische Rolle mehr, seitdem er mit seiner Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2002, damals trat die bürgerliche Rechte zersplittert an, nur knappe 4 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Auch hat Nicolas Sarkozy, der selbst dem italienischen Premierminister Silvio Berlusconi sehr nahe steht, ihm wohl kaum noch Raum zur eigenständigen politischen Entfaltung überlassen. Madelin ist aktuell hauptberuflich im Bereich der Finanzdienstleistungen sowie des Internet (auf dem Sektor „Zugang zu den neuen Informationstechnologien in Afrika“) tätig. Dennoch ist er nicht im politischen Ruhestand, sondern versucht wirtschaftsliberale Kräfte am Rande der Regierungspartei UMP – inner- wie auberhalb, in Gestalt etwa der ‚Cercles Libéraux’ oder auch der aktuellen Kleinpartei ‚Alternative Libérale’ – zu stärken.

Der ebenfalls 62jährige Gérard Longuet, der frühere bürgerliche Regionalpräsident von Lothringen (Lorraine), ist heute Mitglied des Senats, also des parlamentarischen „Oberhauses“. Er ist zugleich Vizevorsitzender des wirtschaftsliberalen Hardlinerflügels der UMP, der im Club ‚Les Réformateurs’ zusammengeschlossen ist. Er war wie Alain Madelin – mit dem er befreundet ist, oder dessen enger Verbündeter er jedenfalls lange Jahre war - früheres Mitglied der rechtsradikalen Schlägertruppe Occident in den 60er Jahren. Die Gruppierung Occident, deren frühere Aktivisten sich heute (mehrheitlich) in der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten eher denn bei Le Pen wieder finden, unterscheidet sich von der späteren extremen Rechten durch die eher geringe Bedeutung von speziell gegen Einwanderer gerichtetem Rassismus und Blut & Boden-Ideologie. Zu ihrer Zeit spielte die „Einwanderungsfrage“ allerdings auch keine bedeutende Rolle bei der politischen Agitation, auch auf der äuersten Rechten.

Damals standen die Themen(felder) Antikommunismus, „Sieg in den Kolonialkriegen“ Frankreichs und des Westens/Abendlandes und das Trommeln für den Sieg der USA im Vietnamkrieg, sowie die Unterstützung für pro-westliche Militärdiktaturen wie ab 1967 in Griechenland stark im Vordergrund. Auch spielte der Antisemitismus allenfalls damals – anders als später bei gröberen Teilen des FN – allenfalls eine höchst untergeordnete Rolle. Denn Israel wurde damals durch die französische extreme Rechte, seit den Kolonialkriegen Frankreichs gegen Algerien (ab 1954) und Ägypten (Suezexpedition 1956), als aubenpolitischer Verbündeter betrachtet. Und zudem als Land, wohin die europäischen Juden ja auswandern könnten. Selbst Jean-Marie Le Pen pflegte vor diesem Hintergrund noch bis 1987/88 noch ein pro-israelisches Profil, vollzog aber danach eine schroffe Kehrtwendung, weil er aufgrund geschichtsrevisionistischer Auslassungen im französischen Fernsehen (Stichwort „Detail-Affäre“, die Existenz der Gaskammern als „Detailfrage der Geschichte“) von einem geplanten Wahlkampfbesuch in Israel 1988 ausgeladen wurde. Seitdem zögern die Anhänger Le Pens nicht, auch die antisemitische Karte zu ziehen – wobei der Antisemitismus beim FN des Öfteren im Subtext, nicht aber offen im Wahlprogramm auftaucht. Alain Madelin seinerseits hat bis heute ein klar pro-israelisches Profil in der Aubenpolitik, er gehörte als fast einziger französischer Politiker „von Gewicht“ zu den Rednern einer Pro-Israel-Demonstration in Paris am 7. April 2002.

Der national-konservative Graf Philippe de Villiers (59 J.) zählt wiederum zu einem anderen Flügel innerhalb des bürgerlichen Lagers (oder an dessen rechtem Rand), nämlich dem der national-konservativen und wirtschaftsliberalen Rechten. Eher wirtschaftsliberal im Sinne von „nationalliberal“ ausgerichtet, kultiviert er zugleich einen weniger positiven Bezug zur wirtschaftlichen „Globalisierung“ , zum Freihandel und zum freien Spiel der Märkte als Madelin & Co. In den Wahlkampfjahren 2006/07 umwarb Phillippe de Villiers massiv die bisherigen rechtsextremen Wähler und versuchte auch, ihnen frühere Mitglieder und Kader abzuwerben (angeblich 3.000 vollzogen den Übertritt zu seiner rechtskonservativen Kleinpartei „Bewegung für Frankreich“, dem MPF). Doch insgesamt misslang die Operation, und Philippe de Villiers erhielt bei der letzten Präsidentschaftswahl nur gut 2 Prozent der Stimmen. Zur Zeit wird er, auf dem national-konservativen Flügel, in den derzeitigen parlamentarischen, Mehrheitsblock rund um die UMP und unter ihrer Führung re-integriert.

Justizministerin Rachid Dati hingegen unterhält und unterhielt wohl keine Kontakte zur extremen Rechten.

 

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.