Die Umweltkatastrophe am Golf von Mexiko und die ökologische Krise der bürgerlichen Moderne
Das gesellschaftstheoretische Defizit der medialen Berichterstattung.

von Yvonne Ploetz und Stefan Kalmring

10/10

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DAS GESELLSCHAFTSTHEORETISCHE DEFIZIT DER MEDIALEN BERICHTERSTATTUNG

In einer medial geprägten Welt wird schnell mit dem Begriff der Katastrophe hantiert. Die Dramatisierung von Ereignissen erweckt Aufmerksamkeit und steigert die Einschaltquoten und Auflagenzahlen. Die Ölkatastrophe am Golf von Mexiko, die durch das Sinken der Plattform «Deepwater-Horizon» ausgelöste wurde, ist jedoch alles andere als ein künstlich medial aufgebauschtes Spektakel. Die Verwendung des Begriffs der Katastrophe ist sachlich begründet und recht treffend platziert. Die Umweltverschmutzungen und -zerstörungen sind in ihrem Ausmaß und ihren Folgen noch gar nicht abschätzbar, die langfristigen Folgen des Ökodramas nicht abzusehen. Dass es sich um eine der größten Erdölkatastrophe in der Geschichte der Menschheit und um eine der größten Umweltkatastrophe in der Geschichte der USA handelt, steht jedoch fest.

107 Tage hat es gedauert, bis das leckende Bohrloch an seiner Oberfläche versiegelt werden konnte. Der endgültige Verschluss soll in den nächsten Tagen erfolgen. Schlamm und Zement sollen durch Entlastungsbohrungen am unteren Ende des Ölbohrschachts eingeführt werden, um mittels der so genannten «Bottom Kill»-Methode die Quelle ein für alle mal zu verstopfen. Dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sichere und handhabbare Technologien und Konzepte zur Tiefseeförderung fossiler Brennstoffe bisher nicht vorhanden sind. Die betriebsame Ratlosigkeit, die in den letzen Wochen und Monaten die Chefetagen von BP und der US-Administration ergriffen hatte, belegt dies augenfällig. Maßnahmenprogramme, die im Fall eines Unfalls wirksam zur Begrenzung von Umweltschäden umgesetzt werden könnten, fehlen offenbar weitgehend. Dass die Quelle nun zu guter Letzt doch noch durch ein Gemisch aus Zement, Schlamm und Gummi versiegelt werden kann, ist eine gute Nachricht. Darüber hinaus bietet sie zugleich Anlass für einen ersten kritischen Rückblick, der sich insbesondere auf die Behandlung der Thematik in den Medien und im offiziellen Politikbetrieb konzentriert. Denn hier manifestieren sich die Mängel des gegenwärtig vorherrschenden Blicks auf die Umweltproblematik.

Ob Spiegel, Frankfurter Rundschau oder die taz-die Inhalte der Kommentare lassen eine fehlende Tiefe in der Auseinandersetzung erkennen. Die Berichterstattung besitzt eine deutlich positivistische, also eine auf Phänomene und "Fakten» fixierte, Schlagseite. Kaum auszumachen ist eine gesellschaftstheoretische Untermauerung der Argumentationen. Eine korruptionsähnliche Verflechtung dc:r Erdölindustrie mit den Aufsichtsbehörden wird in den Beiträgen für das Drama am Golf verantwortlich gemacht. BP habe in unverantwortlicher Weise an Sicherheitstechnologien gespart und Sicherheitsstandards vernachlässigt, um Kosten zu senken. Eine Mischung aus Pfusch und kriminellen oder halblegalen Handlungen gilt als eigentlicher Grund für das Unglück(1).

Mit geradezu detektivischer Genauigkeit haben die Medien Fehlentscheidungen im Krisenmanagement von BP kenntlich gemacht, Krisenbewältigungsstrategien gegeneinander abgewogen, ökologische Folgeschäden hätten beziffert und sogar Lücken im internationalen Seerecht ausgemacht. Harte Fakten konnten benannt und einzelne Personen und Gruppen aufgrund ihrer so genannten verantwortungslosen Machenschaften ans Licht gebracht. Dies ist sehr verdienstvoll, alleine aber ungenügend. Denn was fehlt, ist ein grundsätzlicher Begriff von der gegenwärtigen ökologischen Krise, die die moderne bürgerliche Gesellschaft insgesamt prägt und die in der "Deep-Water-Horizon"-Katastrophe einen neuen besonderen Ausdruck erhält. 

Ganz ohne gesellschaftstheoretische Unterfütterung, ganz ohne ein theoretisches Verständnis der gesellschaftlichen
Naturverhältnisse bürgerlicher Gesellschaften und des Modus' kapitalistischer Naturzerstörungen geht es nicht. Denn erst diese lassen die ökologische Grundproblematik unserer Zeit kenntlich werden (vgl. Görg 2004; Löwy 2008; Dietz/Wissen2009)

DER ÖKOLOGISCHE RAUBBAU TRANSNATIONALER KONZERNE

Anklagend zeigt man z. B. mit dem Finger auf BP, weiß aber verbluffend wenig über die Rolle transnationaler Konzerne zu sagen-gerade auch beim ökologischen Raubbau. Die Funktion multinationaler Konzerne m der Weltwirtschaft, ihre regionalen und globalen Strategien und ihr massiver Anteil an der Schädigung des ökologischen Gleichgewichts bleiben bei Autorinnen und Autoren unterschiedlichster politischer Couleur merkwürdig unterbelichtet. Dies überrascht auch deshalb, da auf dem Höhepunkt der Krise eine neu erschienene UN-Studie das ökologisch verheerende Agieren von Großkonzernen erneut belegt hatte (vgl. Bishop u.a. 2010). Alarmierend wie die zusammengetragenen Daten der Studie sind, hätten sie als Einladung zu einer grundlegenderen Betrachtung des Erdoldesasters am Golf von Mexiko verstanden werden müssen. Mit erstaunlichen zwei Billionen Euro können laut dieser Studie die jährlich von den 3000 bedeutendsten Unternehmen verursachten Umweltschäden beziffert werden (ebd.). Konkret steh t sie lu r Artensterben, Klimawandel, die Versteppung ganzer Regionen, für stratosphärischen Ozonverlust, für eine Verteuerung der Meere und vieles mehr. Die zwei Billionen Euro stehen für eine rasch voranschreitende Unterhöhlung der Lebensbedingungen auf unserem Planeten und für eine schwindelerregende Abnahme des globalen Umweltraums.
Die Kategorie des Umweltraums wurde in der Nachhaltig-keitsdebatte der 1980er und 1990er Jahre eingeführt, um den globalen Raum zu erfassen, den die Erde den Menschen und anderen Lebewesen zu seiner Nutzung zugesteht (vgl. Bui-tenkamp/Venner/Warms 1992) Wie viele Abfälle und Emissionen vertragt die Natur, aufweiche Mengen an Energie und an nicht erneuerbaren Rohstoffen, Wasser und an landwirtschaftlich nutzbaren Flächen kann die Menschheit als Ganzes zurückgreifen - dies sind die Fragen, die mit dem Begriff beantwortet werden sollen (ebd.).
In die Kategorie spielen somit basale Gerechtigkeitsvorstellungen hinein. Die Menschheit als Ganzes wird als Nutzerin des Umweltraums gedacht. Die damit verbundene Vorstellung gleicher Nutzungsrechte aller wird durch die ökologisch verhängnisvolle Praxis der Großkonzerne nachhaltig verletzt. Die Konzerne monopolisieren Entwicklungsmöglichkeiten, die allen zustehen, und begrenzen damit die Handlungs-, Lebens- und Erfahrungsräume anderer Menschen. Die Zahlen der UN-Studie belegen nicht nur, dass der Trend zur raschen Vernichtung des Umweltraums nach wie vor ungebrochen ist. Etwas anderes wäre angesichts einer auf ein unbeschränktes quantitatives Wachstum geeichten Wirtschaftsweise auch überraschend gewesen. Denn diese kann in ihrem absoluten Drang nach Verwertung nur bedingt auf die Ansprüche von Mensch und Natur Rucksicht nehmen (vgl. Gorz 2009). Vielmehr verletzt die ins Unendliche und auf eine immer größere ökonomische Beschleunigung angelegte Verwertungsspirale der Kapitale schlicht die eigene Zeitlichkeit von Naturkreisläufen (vgl. Karathanassis 2003). Nach Marx erzeugt der kapitalistische Produktivismus eine Art «unheilbaren Riß» (MEW 25: 821) zwischen den menschlichen Gesellschaften und der Natur (vgl. Foster 2000; Löwy 2005; Lowy2008). Die Kapitale drängen fortwährend auf eine Verkürzung des Kapitalkreislaufs und neigen m der Folge dazu, die Regenrationsbedingungen und -Zeiträume der Ökosysteme zu ignorieren -ein Vorgang, der laut Marx am Beispiel der kapitalistischen Agrikultur und der Waldwirtschaft besonders handgreiflich wird. Die «ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit-» (MEW 23: 528) werde durch den kapitalistischen «Werwolf-Heißhunger nach Mehrarbeit» (ebd. 280) untergraben, gesteigerter «Bodenertrag durch Beraubung der Bodenfruchtbarkeit erreicht» (ebd. 281). Waldungen würden unter der Regie des Privateigentums nicht unter der Perspektive bewirtschaftet, dass sie eine zentrale «Lebensbedingung der sich verkettenden Menschengenerationen» (MEW 25:631, Fußnote 27) seien, sondern unter dem Blickwinkel des Geldgewinns. Die grenzenlose Verwertungsbewegung ist mit dem begrenzten Ressourcenbestand auf dem sogenannten «Raumschiff Erde» nicht in Einklang zu bringen (vgl. Bricke2010). Wenn Wirtschaft primär der Wertbildung und Verwertung dient, gleichzeitig aber an eine Transformation von begrenzt vorhandenen Stoff- und Energiemengen gebunden bleibt, ergibtsich schnell ein negativer Ökologischer Fußabdruck. Der Zwang zum Profit sorgt dafür, dass in der langen Frist mehr Ressourcen verbraucht und die Ökosysteme mit mehr Schadstoffen werden belastet werden als das globale Ökosystem auf Dauer verkraften kann (vgl. O'Connor 1988 Löwy 2008).

Insbesondere veranschaulicht die Untersuchung aber auch, dass die Inanspruchnahme des Umweltraums extrem ungleich verteilt ist. Sie unterstreicht, dass Umweltprobleme gesellschaftliche Probleme sind und dass in sie oft die Verteilungsprobleme hineinspielen. Umweltprobleme haben etwas mit den grundlegenden Klassen- und Geschlechterverhältnissen zu tun (vgl. Görg 1999). Denn diese legen fest, wer, in welchem Umfang und in welcher Form Ressourcen verbrauchen darf - und wer nicht (ebd.).

Die ungleiche Beanspruchung des Umweltraums lässt sich nicht nur bezuglich der immer wieder beschworenen Generationengerechtigkeit aufzeigen. Das ökologisch relevante Machtgefälle unserer Gesellschaft ist vor allem bezüglich des Nord-Sud-Gefälles im globalisierten Kapitalismus frappierend (vgl. Brand 1994). Die meisten Umweltexperten sind sich darüber einig, dass ungefähr eine 90-prozentige Verringerung der Energie- und Stoffumsätze in den Industrieländern in den nächsten 50 Jahren erreicht werden musste, wenn nicht nur das ökologische Gleichgewicht bewahrt werden soll, sondern wenn auch das Problem der Nord-Süd-Gerechtigkeit im Ressourcenverbrauch wirksam angegangen werden soll (vgl. Bricke 2010:19). Wie dies unter Beibehaltung der quantitativen Wachstumslogik geschehen soll, die tief in der Genetik bürgerlicher Marktökonomien verankert ist, bleibt offen (vgl. Kalmring/Ploetz2010). Dies gilt ebenso für die Frage, wie dies ohne eine fundamentale Neustrukturierung der Weltwirtschaft geschehen könnte. Strukturen Ökonomischer Abhängigkeit und Dominanz am Weltmarkt müssten erst einmal überwunden werden. Mit Technologie- und Finanztransfers alleine lässt sich die Entwicklungsproblematik so wenig losen, wie das Problem globaler sozialer Gerechtigkeit und die Aufgabe eines ökologischen Umbaus der Ökonomie (vgl. Brand 1994)

UMWELTMANAGEMENT, NEOLIBERALE KRISENDIAGNOSEN UND DIE SOZIAL-ÖKOLOGISCHE ALTERNATIVE

Medien und Öffentlichkeit haben die Ölkrise am Golf von Mexiko gewöhnlich nicht in den Kategorien einer politischen Ökologie diskutiert. Viel wurde über Korruption, über Missmanagement und diverse Versäumnisse und Fehlentscheidungen geschrieben. Über soziale, politische und ökonomische Institutionen und ihren möglicherweise ökologisch problematischen Charakter hat man wenig gelesen. Dieses Schweigen wirft die Frage nach den Begriffen und Denkmodellen auf, die diese Art der Interpretationen der Umweltkatastrophe tragen. Die in den gängigen Erklärungen zu Tage tretende einseitige Individualisierung der Ursachen der Katastrophe signalisiert ein Grundvertrauen in die zentralen Strukturen bürgerlicher Gesellschaften. Sie zeigt ein Denken an, dass mit den grundlegenden Mustern des nach wie vor dominierenden Wirtschaftsliberalismus gut vereinbar ist. Die Katastrophe wurde und wird als Resultat besonderer Umstände gelesen: Technisches Versagen in Kombination von Verhaltensabweichungen in Form von Missmanagement und halb- oder illegalen Praxen. Da regionale und transnationale Interessengegensätze, Ungleichverteilungen von ökologischen Risiken, Machtverhältnissen und den zentralen Bewegungstendenzen der Warenproduktion allenfalls am Rande der Auseinandersetzung eine Rolle gespielt haben, war auch der politische Gehalt der Diskussionen entsprechend begrenzt. Der umweltpolitische Optimismus der 1990er Jahre, der an eine angeblich umfassende Lernfähigkeit bürgerlicher Gesellschaften glaubte (z. B. Beck 2006) und davon ausging, dass ökologische Verwerfungen durch verschiedene Instrumente «gemanagt» werden könnten (dazu kritisch: Görg/Brand 2002), hat in der Debatte um die BP-Krise scheinbar abermals seine Wirksamkeit entfaltet.

Die Vorstellungswelt des sogenannten globalen Umweltmanagements geht davon aus, dass die bürgerlichen Marktinstitutionen grundsätzlich von einer inneren ökologischen Vernunft geprägt sind - ungeachtet aller Naturzerstörungen, mit denen sie geschichtlich bisher in Verbindung gebracht werden können. Das ihr zugehörige Politikverständnis ist latent technokratisch. Der Begriff des Umweltmanagements und der ökologischen Modernisierung - dies ist bis heute das Makro-Pendant zum betriebswirtschaftlichen Umweltmanagement - zeigt dies bereits an(2) Eliten in der Politik, in der Wissenschaft und der Wirtschaft sollen öffentliche Investitionsprogramme, ordnungsrechtliche Ökostandards ersinnen und implementieren und legen im Rahmen des Emissionshandels geeignete Emissionsbudgets fest. Sie handeln dabei im Sinne der Bevölkerungsmehrheit und sogar im Namen künftiger Generationen. Die Beteiligung der breiten Bevölkerung am anvisierten ökologischen Umbau ist nur in Form eines ökologisch bewussteren Konsums vorgesehen. Neue kooperative Formen der Arbeit, die Schaffung frei verfügbarer Zeit oder eine Demokratisierung der Gesellschaft, auch im Bereich der Ökonomie, sind nicht angedacht. «Von oben» werden verschiedene Instrumente in Anschlag gebracht, um so genannte grüne Wachstumsindustrien zu stärken und um den Ressourcenverbrauch, Umweltverschmutzungen und Emissionen zu vermindern. Findige Politikerinnen und Politiker, Wirtschaftslenkerinnen und Wirtschaftslenker mit herausragendem Organisationstalent sollen die Umweltproblematik lösen und setzen dabei insbesondere auf einen ressourcensparenden technologischen Fortschritt.

Die Hoffnung auf sichere und ökologisch rationale Technologien und das Vertrauen auf die Fähigkeit der Eliten in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft, stellvertretend im Sinne von Umwelt und Mensch zu agieren, wenn sie erst einmal eine Einsicht in das Notwendige gewonnen haben, ist in der «Deep-Water Horizon»-Krise klar kenntlich gewesen. Man appellierte an die Erdölriesen, nur dann ökologisch riskante Tiefenbohrungen vorzunehmen, wenn sichere und verlässliche Fördertechnologien zur Verfügung stehen. Man forderte die Wissenschaft auf, entsprechende Technologien zu entwickelt. Staatliche Administrationen sollen im Auftrag der Allgemeinheit darüber wachen, dass die Erdölmulties künftig umweltpolitisch «verantwortlich» handeln, Standards, Richtlinien und Vorschriften einhalten und handhabbare Technologien einsetzen. Selbst wenn man die technokratische Note der Argumentation außen vorlässt, ist das Bild, das entworfen wird, kritikwürdig. Da die institutionelle Eigenlogik des kapitalistischen Marktes unberücksichtigt bleibt, fällt den Vertreterinnen und Vertreter solcher Positionen der massive Abstand zwischen der einzelwirtschaftlichen Rationalität im Kapitalismus und einer gesamtgesellschaftlichen ökologischen Vernunft aus dem Blickfeld. Das Verwertungs- und Profitmotiv der Kapitale an konkurrenzgetrieben Märkten sorgt dafür, dass der Erhalt ökosystemischer Zusammenhänge nur gebrochen oder gar nicht berücksichtigt werden können (vgl. Foster 2000 Löwy 2008). Und auch die Eliten in Wirtschaft und Politik repräsentieren keine zeitlose und übergesellschaftliche Rationalität. Ihr Denken und Handeln ergibt sich aus dem gesellschaftlichen Ort, an den sie gestellt sind. Dies zeigt sich auch bezüglich ihres Umgangs mit den ökologischen Risiken im Fall von Tiefseebohrungen. Vermindert sich in der langen Frist die vorrätige Menge an fossilen Brennstoffen werden die Erdölkonzerne auch schwerer erschließbare Erdölfelder ausbeuten. Tiefenbohrungen werden attraktiv, schlicht weil sie sich bei steigenden Preisen rentieren. Dies gilt auch dann, wenn beherrschbare Fördertechnologien noch nicht zur Verfügung stehen (vgl. Misik2010).

Können die Konzerne die höheren Kosten der Tiefenbohrungen nur unzureichend an ihre Abnehmerinnen und Abnehmer weitergeben, stellt sich ihnen die Aufgabe einer betriebswirtschaftlich rationalen Abwägung: Höhere Kosten durch relativ weitreichende Sicherheitsstandards, die zusätzlich zu den kostspieligen Tiefenbohrungen anfallen würden, werden verglichen mit einem gesteigerten Risiko einer drohenden Umweltkatastrophe. Der Fokus der Risikokalkulation ist dabei von vorneherein umweltpolitisch zu eng angelegt: Er bezieht sich mehr oder weniger allein auf die möglicherweise für den Konzern selbst anfallenden Kosten - einschließlich derjenigen für einen absehbaren Imageschaden und der für die auf gerichtlichem Wege erstrittenen Entschädigungszahlungen. Andere Kosten sind betriebswirtschaftlich nicht unmittelbar interessant. Sie werden als sogenannte Sozialkosten auf die Allgemeinheit abgewälzt, falls sie anfallen.3 Die Öffentlichkeit ist empört, dass BP bereits neue Tief seeboh-rungen im Mittelmehr plant-ungeachtet der Tatsache, dass der Konzern offenkundig keine ökologisch belastbaren Technologien und Methoden zur Förderung des Öls aus großen Meerestiefen zu seiner Verfügung hat4. Dass BP sich weiter auf dem Feld der Tiefseebohrungen engagieren will, ist aber keiner irrationalen Lernblockade des Managements geschuldet. Es ist einzelwirtschaftlich unter den Bedingungen einer kapitalistischen Marktwirtschaftlich durchaus vernünftig. Vom Standpunkt einer gesamtgesellschaftlich orientierten politischen Ökologie, die auf eine bestmögliche und möglichst radikaldemokratisch organisierte Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zielt und dabei die Erhaltung des globalen ökologischen Gleichgewichts im Blick hat, ist das Verhalten nicht akzeptabel. Um beide Blickwinkel künftig systematisch in Einklang zu bringen, wären andere gesellschaftliche Verhältnisse notwendig. Eine erneuerte sozialistische Idee, die den Gedanken der ökonomischen Selbstverwaltung stark macht und bei der Gestaltung des sozialen Stoffwechsels mit der Natur die Jahrhunderte-und nicht nur einige paar Monate oder Jahre-im Fokus hat, weist einen Weg, um die ökonomische Mikro- und Makrovernunft künftig ökologisch zu versöhnen (vgl. Ploetz/Kalmring 2010). Zusammen mit der «unerlässlichen kritischen Theorie der Bedürfnisse» (Gorz 2009:10), die die Lernprozesse, die Erfahrungen, Wünsche und Forderungen der Subalternen ernst nimmt und zum Ausgang politischer Forderungen macht (dazu: Wagner 1974), gelangt man über eine politökonomische Kritik des Kapitalismus zu einer politischen Ökologie, die das Ziel von sozialer und individueller Emanzipation mit einer Lösung der Umweltfrage zusammen denken kann (vgl. Gorz 2009). Was die politische Linke gegenwärtig braucht, um erneut dauerhaft politisch interventionsfähig zu werden, ist ein attraktives und zukunftsfähiges Projekt. Auf Grundlage der politischen Ökologie könnte es gewonnen werden. Es gilt die Frage nach alternativen Lebens-, Arbeits- und Vergesellschaftungsformen wieder ins Blickfeld rücken. Den marktliberal halbierten und autoritär-ökologischen Modellen des Umweltmanagements und der ökologischen Modernisierung des Kapitalismus sollten die gesamtgesellschaftliche Vision einer ökologischen Reproduktionsökonomie entgegensetzt werden, die dem Leitbild einer partizipativen Demokratie und einer selbstverwalteten Wirtschaftsordnung verpflichtet ist (vgl. Ploetz/Kalmring 2010). Die Idee einer ökologischen Produzentendemokratie sollte - den aktuellen Gegebenheiten entsprechend - entwickelt werden.

Anmerkungen

1) Aus der inzwischen umfangreichen feuilletonistischen Literatur seien als Beleg drei exemplarische Beispiele genannt, die sich um eine ausführlichere Analyse bemühen: Klüver/Kotynek/Richter 2010; Hujer/Meyer/Schmitz 2010; Sherife 2010.

2) Vgl. kritisch zum Beispiel der populären Programme eines Green New Deal: Ploetz/ Kalmring 2010.

3) Zur Problematik der Sozialkosten kapitalistischer Marktwirtschaften: Kapp 1958; Kapp 1979. 4 Welt-online vom 24.07.2010

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Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.

Er wurde erstveröffentlicht in Standpunkte 26/2010 der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Yvonne Ploetz ist Bundestagsabgeordnete der Linken. Die Saarländerin hat Politikwissenschaft, Kunstgeschichte und Soziologie studiert und ist für Oskar Lafontaine ins Parlament nachgerückt. Stefan Kalmring ist Wirtschaftsexperte, Lehrbeauftragter und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ploetz.