Burkina Faso nach dem missratenen Putsch

von Bernard Schmid

10/2015

trend
onlinezeitung

Der Rechtsputsch im westafrikanischen Burkina Faso  ist, seit Ende September d.J., definitiv gescheitert. Es wird keine Rückkehr zum alten Regime, jenem des im Oktober 2014 durch die Bevölkerung gestürzten langjährigen Autokraten Blaise Compaoré, geben.

Gegen den Kopf des Putsches, den General Gilbert Diendéré, sowie gegen Compaorés ehemaligen Multiminister Djibril Bassolé läuft ein Strafverfahren wegen „Angriffs auf die Staatssicherheit“ (vgl. http://www.rfi.fr/ ) Die bisherige Elitetruppe der Armee, das „Regiment für präsidiale Sicherheit“ (RSP) – diese Präsidentengarde mit 1.300 Mann bildete das Rückgrat des Putsches – wurde aufgelöst. (Vgl. bspw. http://www.rfi.fr/afrique/ und http://www.afrik.com/ )

Die ursprünglich für den 11. Oktober dieses Jahres vorgesehenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen wurden, offiziell für voraussichtlich November/Dezember 15, realiter wohl eher auf Anfang 2016 verschoben. Die Zeit bis dahin möchte die Übergangsregierung für den Umbau der Armee, nach erfolgter Auflösung ihrer Eliteeinheiten, widmen. Das Land ist damit vorläufig aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden.

Nutzen wir unsererseits diese Zeit augenblicklicher Beruhigung zum Anlass für einen Rückblick auf die Tage des Putschs – und des Kampfs breiter Teile der Bevölkerung, aber auch der (tief gespaltenen) Armee, dagegen. Der zentrale Teil des nachfolgenden Manuskripts wurde in der vorletzten Septemberwoche 2015 verfasst, es wurde jedoch seitdem leicht überarbeitet.

Die Armee rückt an und besetzt die Stadttore – und die Mehrzahl der Leute jubelt darüber. So ähnlich stellte sich am Dienstag, den 22. September 15 die Situation in Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Staats Burkina Faso, seit den Morgenstunden dar. In der Nacht waren militärische Einheiten aus verschiedenen Teilen des Landes angerückt: aus Bobo-Diolasso und Dédougou im Westen, aus Ouhigouya im Norden sowie aus Kaya und Fada N’Gourma im Osten des Staatsgebiets.

Der Jubel erklärt sich allerdings nicht aus Begeisterung für die Armee als solche, sondern viel mehr daraus, dass diese Truppenteile ihre Kasernen verlassen hatten, um dem Putsch einer Elitetruppe innerhalb derselben Armee ein Ende zu setzen, sei es durch Verhandlungen, oder notfalls durch Gewalt. Letztere Option versuchte der seit fünf Tagen an der Staatsspitze stehende Putschpräsident, der General Gilbert Diendéré, noch abzuwenden. Am Dienstag Nachmittag (22. September 15) appellierte er über ein Interview, das in der Pariser Abendzeitung Le Monde erschien, an die Gegenseite - und plädierte für eine „Lösung unter Waffenbrüdern“, die ihm zufolge unter Militärs immer möglich sei. Seine formale Bezeichnung lautete bis dahin „Vorsitzender des Nationalen Rats für Demokratie (CND)“. Es nützte ihm jedoch nichts. 24 bis 48 Stunden später hatten alle Anführer des Putschs vollständig kapituliert.

„Nationaler Rat für Demokratie“: Unter diesem vermeintlich wohlklingenden Namen firmierte die Militärjunta, welche seit dem Donnerstag, 17. September 15 faktisch die Macht übernommen hatte. Ihr Antritt hatte die Periode des „demokratischen Übergangs“ (transition), die durch den Sturz des seit 27 Jahren amtierenden Altpräsidenten Blaise Compaoré – er war am 31. Oktober 2014 durch „die Straße“ verjagt worden – und seine Flucht eröffnet worden war, jäh beendet. Und dies kurze Zeit vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die auf den 11. Oktober dieses Jahres angesetzt worden waren.

Am Abend des Mittwoch, den 16. September 15 waren Angehörige des „Regimes für präsidiale Sicherheit“ (RSP), einer 1.300 Mann starken Sondereinheit, die mit schweren Waffen wie etwa Panzern ausgestattet ist, in die laufende Kabinettssitzung eingedrungen. Im Laufe der Nacht setzten sie die Spitzen der amtierenden Übergangsregierung, Interimspräsident Michel Kafando und Interimspremierminister Isaac Zida, fest und hielten sie mehrere Tage lang gefangen. Kafando kam am Sonntag, den 20. September wieder frei und flüchtete sich in Räumlichkeiten der französischen Botschaft; Übergangspremier Zida wurde am Dienstag früh (22. September) von seinen Bewachern entlassen.

Vordergründig handelte es sich, folgte man den Erklärungen der Putschisten in den allerersten Stunden, nur um eine Meuterei unzufriedener Soldaten. Einer der Hintergründe ihre Aktion war zweifellos, dass die Übergangsregierung bekanntermaßen plante, die Präsidialgarde (das RSP) aufzulösen. Denn diese, von der gesamten Armee des Landes mit Abstand am schwersten bewaffnete Eliteeinheit hatte sich bereits in den Monaten zuvor als Gefahr für die noch nicht hinreichend konsolidierte Demokratie im Lande erwiesen. Anfang Juli 15 hatte sie bereits versucht, Übergangspremier Isaac Zida aus dem Amt zu vertreiben. Er kommt zwar selbst aus ihren Reihen – Zida war in der Vergangenheit die Nummer Zwei in der Hierarchie des RSP gewesen -, hatte sich jedoch seit dem Antritt der Übergangsregierung vor knapp elf Monaten ihm gegenüber verselbständigt und war politisch seine eigenen Wege gegangen. Als „Verräter“ galt er deswegen in den Augen der Mitglieder der militärischen Elitetruppe, was ihnen umso schlimmer erschien.

Aber nicht nur die Rettung des eigenen Status als Angehörige eines mit besonderen Privilegien ausgestatteten Truppenteils bewegte die Putschisten. Den zündenden Funken stellte vielmehr vor allem der Streit um das Wahlgesetz dar, das am 07. April 2015 durch die Wahlkommission der Übergangsregierung verabschiedet worden war und am 13. Juli 15 höchstrichterliche Bestätigung fand. Es schloss Machtträger und Funktionäre des alten Regimes vom Urnengang aus, sofern sie eine Rolle dabei gespielt hatten, Blaise Compaoré „in der Illegalität“ an der Macht zu halten. Im vorigen Jahr hatte Compaoré, dem die bis dahin geltende Verfassung Burkina Fasos eine erneute Kandidatur zu seiner Wiederwahl verbot, versucht, den Verfassungstext zu manipulieren. Eine in ihrer Mehrheit willfährige Nationalversammlung war dazu für Ende Oktober 2.014 zusammengerufen worden, doch die Sitzung wurde durch aufgebrachte Protestdemonstranten und wütende Jugendliche gesprengt.

Wer sich unter dem alten Regime für die erneute Bestätigung Compaorés in dem Amt stark gemacht hatte, das dieser bereits seit 1987 und der Ermordung seines linksrevolutionären Vorgängers Thomas Sankara innehatte, sollte nunmehr nicht zur diesjährigen Wahl antreten könne. Vierzig potenzielle Bewerber wurden so an ihrer Kandidatur gehindert.

Dennoch schafften es drei Politiker aus den Reihen des alten Regimes, durch die Maschen zu schlüpfen. Es handelte sich um Djibril Bassolé, einen Multifunktionär des Ancien régime – er firmierte unter anderem als Außenminister sowie als Minister im „Sicherheits“ressort – und Yacouba Ouédrago, ebenfalls einen früheren Minister. Hinzu kam Marc-Roch Christian Kaboré. Unter dem Compaoré-Regime war er Chef der damaligen Staatspartei CDP („Bewegung für Demokratie und Fortschritt“) gewesen. Heute steht er einer Abspaltung von ihr vor, dem MPP („Bewegung des Volkes für Fortschritt“); in ihm hatten sich Karrieresuchende zusammengeschlossen, die es verstanden hatten, wenige Monate vor Untergang des alten Regimes vom lecken Kahn abzuspringen und sich politisch selbständig zu machen. Ihrer dreier Kandidatur stand dennoch auf der Kippe, nachdem bis zum 06. September d.J. mehrere Rechtsbeschwerden dagegen beim Verfassungsgericht eingereicht worden waren. (Hinter dem Streit um die Zulassung dieser Kader des Ancien Régime zu den Wahlen verbirgt die politische Klasse jedoch einen anderen, nämlich den um eine eventuelle Amnestie der Politkriminellen und Nutznießer des alten Regimes: Wer als Kandidat zum Präsidentenamt zugelassen und/oder ins Parlament gewählt worden wäre, hätte mit seinem politischen Status argumentieren könne, um faktisch strafrechtliche Immunität einzufordern. In den Augen der Bevölkerung, die sich für den Ablauf der Wahl nicht übermäßig interessiert – da sie nur wenig Veränderungen im sozialen Alltagsleben von ihnen erwartet -, ist dies in Wirklichkeit das rote Tuch.)

Der wahre Beweggrund des Putschs war es gewesen, diese Maßnahmen rückgängig zu machen, mit denen einer Rückkehr zum alten Regime tunlichst ein Riegel vorgeschoben werden sollte. Dies wurde auch schnell klar, als sich im Laufe des Donnerstag, den 17. September d.J. die Zusammensetzung der Putschregierung herauskristallisierte. Als diese mit Gilbert Diendéré als ihrem Oberhaupt ein bekanntes Gesicht annahm, wurden die Dinge überdeutlich.

Diendéré war nicht nur Generalstabschef unter Compaoré gewesen, er hatte auch persönlich an dem Kommando teilgenommen, das den emanzipativen Ideen verpflichteten Präsidenten Thomas Sankara – er amtierte seit August 1983 – im Oktober 1987 kaltblütig ermordet. Kurz darauf hatte der neue Präsident Compaoré ihn dann auf den höchsten politisch-militärischen Posten befördert. Auch in der gesamten Region Westafrika spielte Diendéré eine negative Rolle. 2005 ermittelten Mitglieder einer UN-Untersuchungskommission gegen ihn wegen des Handels mit Waffen und Diamanten im Zusammenhang mit dem grauenhaften Bürgerkrieg in Sierra Leone, der zu Anfang des Jahrtausends zu Ende ging. Damals war Burkina Faso auf den internationalen Märten als Exporteur von Diamanten aufgetreten, obwohl im Land selbst keine gefördert werden. Es handelte sich um so genannte Blutdiamanten.

Besonders auch für den Handel und den politischen Einfluss der früheren Kolonial- und im Raum Westafrika noch immer hegemonialen imperialistischen Macht Frankreich bildete Burkina Faso unter dem alten Regime eine Drehscheibe von zentraler Bedeutung. Nicht umsonst war Gilbert Diendéré im Jahr 2008 durch den damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit einer Légion d’honneur, einem begehrten Verdienstorden der Republik, ausgezeichnet worden.

Doch die Mehrzahl der Bevölkerung, aber auch bedeutende Teile der Armee wollten sich dem als Rechtsputsch zu qualifizierenden Staatsstreich nicht beugen. Immer wieder kam es zu Demonstrationen, die Gewerkschaften riefen seit dem Donnerstag (17. September) – dem ersten Putschtag - zum Generalstreik auf, und in Bobo-Diolasso im Westen des Landes kam es zu Massendemonstrationen. Die Armee des Landes ist von tiefen politischen und sozialen Gräben durchzogen. Sankara selbst war aus der Armee hervorgegangen und hatte Anfang der achtziger Jahre eine „Sammlung kommunistischer Offiziere“ (ROC) geleitet. Dies hängt damit zusammen, dass Jahrzehnte lang ein Aufstieg bei der Armee für Söhne armer Familien nahezu den einzigen Zugang zu Bildung und erträglichem Einkommen darstellte.

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft – französisch CEDEAO oder englisch ECOWAS -, die gewöhnlich am Erhalt der „Stabilität“ um quasi jeden Preis und im Sinne der vielerorts herrschenden Oligarchien interessiert ist, entsandte im Laufe des Wochenendes (19./20. September 15) eine „Vermittlerdelegation“ nach Burkina Faso. Angeführt wurde sie von dem seit 2012 regierenden senegalesischen Präsidenten, Macky Sall. Deren „Kompromissvorschlag“ fiel jedoch völlig im Sinne der Putschisten aus, wie breite Teile der Bevölkerung monierten, weshalb die Lage sich auch nicht beruhigte: sofortige Amnestierung der Putschisten, Zulassung der Männer des alten Regimes zu den Wahlen und deren Abhaltung bis zum 22. November. Sogar ein Funktionär der Karrieristenpartei MPP verglich dies mit dem Versprechen, „Bankräuber hinaus zu begleiten und ihnen freies Geleit auf die Kaimaninseln zuzusichern“.

Dazu kam es nun jedoch nicht, da relevante Teile der Bevölkerung, aber auch der Armee es anders beschlossen.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.