Eine
50-jährige Kölnerin erinnert sich: „Wir
waren zu Tränen gerührt. Die unsägliche
Mauer, der eiserne Vorhang – alles war
weg, beseitigt durch die friedlichen
Proteste von Hunderttausenden
DDR-Bürgern! Endlich konnten mich meine
Verwandten besuchen.“ Ein Tag also zum
Feiern, aber auch der Erinnerung daran,
wie die Einverleibung der zuletzt
bürokratisch-kapitalistischen DDR in den
Herrschaftsbereich des deutschen
Imperialismus rücksichtslos auf dem
Rücken dem Arbeiter und breiten Massen
vollzogen wurde.
Dieselbe Kölnerin meint: „Die Menschen
in Ostdeutschland wurden vom westlichen
Kapitalismus gnadenlos ausgeplündert.
Alle sozialen Leistungen meiner
Verwandten fielen weg: Statt
garantierter Arbeitsplätze –
Arbeitslosigkeit. Viele Fabriken wurden
dicht gemacht. Westdeutsche Firmen
rissen sich nur die Sahnehäubchen unter
den Nagel.“ Mit dieser Auffassung steht
sie nicht allein.
Bei
ihren Ansprachen zum offiziellen Festakt
in Potsdam bemühten sich die Hauptredner
Angela Merkel, Frank-Walter Steinmeier
und Dietmar Woidke, der
Ministerpräsident Brandenburgs, die
Leistung der demokratischen
Volksbewegung der DDR im Sinne ihres
Krisenmanagements umzudeuten. Ihre Reden
waren genauso wie viele Medienkommentare
der letzten Tage auch eine Reaktion auf
die Massenkritik an der trotz
Wiedervereinigung aufrechterhaltenen
Spaltung zwischen Ost und West.
Merkel
beschwört "Zusammenhalt"
Bundeskanzlerin Merkel würdigte den
"Mut" der Menschen in der DDR, "die auf
die Straße gegangen sind". Ja, dieser
Mut war bemerkenswert! Aber was macht
Merkel daraus? Angesichts zunehmender
Konflikte in der Welt werde Mut auch
weiterhin gebraucht - vor allem, um "den
Zusammenhalt unserer ganzen Gesellschaft
immer wieder einzufordern und dafür zu
arbeiten“.
Den
Hunderttausenden, die 1989 für den Sturz
des verhassten Stasi-Regimes kämpften,
ging es gerade nicht um den
"Zusammenhalt" mit der abgehobenen
Bürokraten-Clique um Honecker und Co.
Ihr Mut war Ausdruck davon, dass die
nicht mehr in der alten Weise
weiterleben konnten und wollten, dass
aber auch die bürokratischen
Kapitalisten der DDR in einer tiefen
Krise steckten und nicht mehr in der
alten Weise weiterregieren konnten.
Heute
gibt es eine beschleunigte Tendenz zur
gesamtgesellschaftlichen Krise des
imperialistischen Weltsystems. Das ist
eine Situation, in der die
Arbeiterklasse und die breiten Massen
Mut brauchen, Mut zum Kampf für eine
revolutionäre Überwindung des
Kapitalismus!
Mit der
Beschwörung des "Zusammenhalts" mit den
Herrschenden will Merkel dagegen
verhindern, dass sich die Massen in ganz
Deutschland auch am Vorbild der mutigen
Volksbewegung der DDR orientieren und
den Kapitalismus insgesamt ins Visier
nehmen - und nicht nur seine
bürokratischen Auswüchse. Dazu muss der
"Zusammenhalt" in der Arbeiter- und
Volksbewegung gestärkt werden, gegen
jede Spaltung - in Ost- und
Westdeutsche, in Beschäftigte und
Arbeitslose, Deutsche oder Migranten.
"Die"
Ostdeutschen nach rechts gerückt?
Allerdings ereignete sich 1989 keine
"Revolution", wie zuletzt Linda
Teuteberg von der FDP behauptete.1
Die demokratische Volksbewegung der DDR
erkämpfte wichtige Freiheiten und die
Wiedervereinigung - diese vollzog sich
aber auf kapitalistischer Grundlage.
In
verschiedenen Medienberichten wurde
dagegen systematisch Skepsis in die
Volksmassen in Ostdeutschland geschürt,
die angeblich großteils nach rechts
gerückt wären. Sicher, die AfD hat in
größeren Teilen Ostdeutschlands höhere
Stimmenanteile als im
Bundesdurchschnitt; das gilt aber auch
für verschiedene westdeutsche Städte.
Unterschlagen wird gerne, dass 73
Prozent der Menschen in Ostdeutschland
erklären, sie sähen im sogenannten
"Rechtsextremismus" eine große Gefahr.
In der gesellschaftlichen Polarisierung
ist in Ost- wie in Westdeutschland der
fortschrittliche Stimmungsumschwung die
hauptsächliche Seite.
Was
ist mit der großen "Freiheit"?
Viel
beschworen wurde in den Festreden
bürgerlicher Politiker heute wieder die
angebliche "Freiheit" im heutigen
Deutschland. Das ist aber eine der
Lebenslügen der Wiedervereinigung!
Sicherlich gibt es in Deutschland
verschiedene wichtige erkämpfte
demokratische Rechte und Freiheiten. Sie
werden aber systematisch eingeschränkt,
bis hin zu zeitweisen
Demonstrationsverboten unter dem Vorwand
des Corona-Gesundheitsschutzes.
Und die
wirkliche "große Freiheit" heute - das
ist die Freiheit für das allein
herrschende internationale
Finanzkapital, Menschen auszubeuten, zu
entlassen, die Umwelt zu zerstören und
so weiter. Die bürgerliche Demokratie
suggeriert, dass alle Staatsgewalt vom
Volke aus geht - und sichert mit einem
ganzen System des Betrugs und der
Manipulation die Herrschaft einer
kleinen Minderheit über die Mehrheit.
Sahen 2017 noch 53 Prozent der
Ostdeutschen diese "Demokratie" als
beste aller Staatsformen an, so ist es
heute noch ein Drittel.
Lehren
für die Zukunft
Unter
anderem Bundestagspräsident Wolfgang
Schäuble wiederholte zuletzt die
Behauptung, die gesamte Geschichte der
DDR sei die eines sozialistischen
„Unrechtsstaats“.2 Damit wird
die DDR mit der faschistischen
Gewaltherrschaft des Hitler-Regimes
gleichgesetzt, um jede differenzierte
Diskussion zu unterdrücken. Völlig
ausgeblendet wird, dass in den
Anfangsjahren der DDR großer
Enthusiasmus beim Aufbau einer
antifaschistisch-demokratischen Ordnung
herrschte. Die Stasi-Diktatur unter
Honecker hatte auch nichts mit
Sozialismus zu tun. Sozialismus bedeutet
ja gerade breiteste Demokratie für die
Volksmassen, bei Unterdrückung all
jener, die Kriege und die alte
Ausbeuterordnung wieder einführen
wollen.
Die
MLPD feiert den heutigen Tag im Geiste
der Arbeitereinheit, des Kampfs gegen
den Antikommunismus und für eine
sozialistische Alternative. Die MLPD hat
mit einem System der Selbstkontrolle und
unabhängigen Kontrollkommissionen Lehren
gezogen, wie der Sozialismus zukünftig
gesichert und weiterentwickelt werden
kann.