Bemerkung zu Karl Heinz Roth:
„Die globale Krise“


von Harry Waibel

11/09

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Dieses Buch bestätigt die besondere Rolle Roths als Vor­denker eines revolutionären Sozialismus, die er spätestens seit der Veröffentlichung von „Wiederkehr der Proletarität“ im Jahr 1994 innehat. Dieser erste Band untersucht die globale Krise des Kapitalismus und die durch sie ausgelösten Pro­letarisierungsprozesse. In drei großen Teilen, die wiederum in Kapitel unterteilt sind, analysiert er Entwicklung, Verlauf und Begrenzung der bisherigen Gegenmaßnahmen der globalen Krise seit ihrem Erscheinen in den Jahren 2006/2007.

Im Teil 1 beschreibt Roth in vier Kapiteln Ursachen, Verlauf und Gegenmaßnahmen der ak­tuellen weltweiten Krise und hier zeichnete sich im Sommer 2008 ab, dass die Finanzmarktkrise einen historischen Epochen­bruch bewirken könnte. Die auf den Hypothekenmärkten entstan­dene Finanz­krise erfasste in den vergangenen zwei Jahren die gesamte Weltwirtschaft und weitete sich aus zur kapitalisti­schen Systemkrise. Riesige Kapitalvermögen und Einkommen wurden und werden ver­nichtet und Millionen von Lohnabhängigen verlieren schon jetzt ihre Arbeitsplätze und die Zahl der Erwerbslosen und verarmten Frauen und Männern steigt. Die politischen Eliten schmeißen lange gepflegte Gewissheiten über Bord, Doktrinen werden zer­trümmert und gigantische staatliche Stüt­zungsprogramme wurden installiert.

Im Teil 2 untersucht er in neun Kapiteln die Charakteristik des vergegangenen Zyklus, der von 1966/67 bis 2006/07 andauerte. Bemerkenswert finde ich hier, dass er die ökologischen Zer­störun­gen, die durch Havarien in chemischen und atomaren Produktionsanlagen geschehen sind (z. B. Bophal, Harrisburg oder Tschernobyl) thematisiert.

Im Teil 3 führt Roth eine Analyse der historischen Krisen des Kapitalismus fort, deren Beginn er auf die Jahre von 1857 bis 1859 legt, sowie die Darstellung der Ursachen und des Verlaufs der Weltwirtschaftskrise von 1873 bis 1879 mit der Langen Depression die sich bis 1896 er­streckt. Der Untersuchung der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 und die darauffolgende Große Depres­sion, sie dauerte bis 1940, widmet er sich zum Abschluss dieses Bandes.

Im angekündigten Band 2, er soll Anfang nächsten Jahres erscheinen, wird dort der Teil 3 „Ge­gen­perspektiven“ von besonderer Bedeutung sein, weil es dort darum gehen wird, aus wissen­schaftli­chen und politischen Erkenntnissen dieser militanten Studie die politischen und theo­retischen Kon­sequenzen zu ziehen.

Doch bereits nach intensiver Beschäftigung mit den Inhalten der erneuten, der dritten Wort­meldung von Roth, lässt sich sagen, dass wir damit über eine Begründung verfügen, für die Entfaltung eines neuen revolutionären Standpunkts in Berlin, in Deutschland und anderswo. Gerade weil es bei Roth wohltuend nicht zu illusorischen oder enthusiastischen Deformationen kommt, lässt sich mit ihm für die proletarischen Linksradikalen und Revolutionäre sagen, dass beides möglich erscheint: „Regression und Zersplitterung oder Zusammenschluss in der Revolte“ und „Es geht also um nichts weniger als die Umrisse einer alternativen Krisenüber­windung, die in einen globalen Transformati­onsprozess einmünden könnte“.[1]

Die solide und faktenreiche Beweisführung des empirischen Materials der Rothschen Studie, erfuhr im wissenschaftlich erprobten Erkenntnisprozess in der Schlussphase „eine weitere Diskussions­ebene, die den wissenschaftlichen Diskurs aufbrach und den Bezug zu den realen politischen Handlungsbedingungen herstellte“. Diese Einsicht ermöglicht nun eine dialekti­sche Bewegung zwi­schen den gewonnenen wissenschaftlich erarbeiteten Ergebnissen aus der Analyse der Geschichte der Krisen des Kapitalismus, von seinen Anfängen bis in die Gegen­wart. Roth hatte im November 2008 als Gast des DGB-Ortskartells Schorndorf in der dortigen Manufaktur, seine vorläufigen Er­gebnisse vorgestellt und danach diskutierte er mit dem Netzwerk der wildcat-Initiative und bei ei­nem Wochenendseminar der Interventionistischen Linken ein Ar­beitspapier mit ersten Ergebnissen. Ende des Jahres, im Dezember 2008 veröffentlichte der wildcat Newsletter die von Roth überarbei­teten Hypothesen. Nach seiner Abwägung der negativen Hypotheken und der positiven Erbschaften der vergan­genen Emanzipationsbewegungen der Arbeiterinnen und Arbeiter und der mit ihnen ver­bün­deten revolutionären Schichten der Intelligenz kommt er zu einem neuen Kompass für die glo­bale Durchsetzung von sozialer Selbstbestimmung, schließlich zu einem erneuerten revolutionären Projekt. Neben der Implementierung der ökologischen Dimension in diese Programmatik, geht es ihm darum „unsere veraltete Theorie zu entrümpeln, unsere ganzen Konzepte mit der Realität zu konfrontieren und Weiterzuentwickeln. Ein doppelter Prozess, einmal genau sehen, wo wir konkret an unseren jeweiligen Orten agieren und Lern­prozesse von unten mit in Gang bringen können.“[2]

Wir sollten öffentliche Diskussionen organisieren, bei denen die Ergebnisse dieser For­schungsarbeit diskutiert werden, mit dem Ziel erstens Verständigung darüber zu erzielen, sie als Grundlage der Einschätzung der gegenwärtigen globalen Krise des Kapitalismus anzu­nehmen und die zweitens dahin führen sollen, dass sich Frauen und Männer in örtlichen Gruppen auf dieser inhaltlichen Grundlage egalitär organisieren. Eine re­volutionäre Organisierung der Klasse der LohnarbeiterIn­nen ist dringend erwünscht und notwen­dig und wenn sie den sozialistischen Aufgaben gerecht wer­den soll, dann muss sie basis-demo­kratisch, also horizontal aufgebaut sein und nimmt somit vor­weg, was in der befreiten Gesellschaft die Regel sein soll. Mit Roth stimme ich ausdrücklich darin über­ein, dass die basis-demokratische Or­ganisationsform zum Ausdruck bringt, dass wir aus den Fehlern der internationalen Arbeiterbewegung die richtigen Lehren gezogen ha­ben. Nach meinen For­schungsergebnissen über den brutalen Autoritarismus (inklusive Rassismus und Anti-Semi­tis­mus) der traditionellen und orthodoxen Arbeiterbewegung, z. B. in der DDR, kann ich dieser radi­kalen Wen­dung von einer vertikalen zu einer horizontalen Organisierung nur zustimmen. Kein Ko­mitee, kein Vorstand und kein Führer sind für den Kampf gegen den Kapitalismus nötig.

In der Analyse der globalen Wirtschafts-Krise nehmen Roths „Umrisse eine Übergangspro­gramms“ zu recht einen breiten Raum ein und die wichtigsten Prioritäten sind erstens eine Ver­hinderung von Kriegen, militärischer als auch wirtschaftlicher Ausrichtung und zweitens der Distanzierung von gewaltfixierten Revolutionserwartungen. Es ist völlig klar, dass ein solcher Kampf gegen diese ka­pitalistische Krise nicht ohne proletarische Ge­waltan­wendung zu haben sein wird. Jedoch ist auf eine militärische Ausrichtung des Klassenkampfs auf jeden Fall zu verzichten, denn es geht darum, revolutionäre Auffassungen zu entwi­ckeln, die von der Durch­setzungskraft proletarischer Massen ausgehen. Erste Schritte wären also eine all­gemeine und von unten nach oben fortschreitende Ent­staatlichung, basis-demo­kratische Struktu­ren in den Betrie­ben und in den Kommunalparla­menten und –verwaltungen, Prozesse der Entbürokratisie­rung sowie radikale Verminderung der Arbeitszeit. Dazu gehören schwer­punktmäßige Umvertei­lungen des Steueraufkommens von der Bundes- bzw. Landes­ebene in kommu­nale Räte, die schließlich zu einer basisdemo­kratischen Selbstver­waltung werden sol­len. Lokale bzw. regionale, multi-nationale Initiativgruppen sollen gegründet und ein gemein­sames Kommu­nikations- und Öf­fentlichkeitsnetz installiert werden, deren ge­meinsa­mes Ziel der Kampf für die Abschaffung der Lohnarbeit ist.[3]

Diese Analysen und Vorschläge von Roth sind eine mehr als ausreichende Grundlage für kollektive Lernpro­zesse, um kollektiv den proletarischen Kampf für eine gerechte Gesellschaft aufzunehmen, und um in einem Transformationsprozess den Widerstand der Ausgebeuteten und Unter­drückten auf einen proletarischen, sozialrevolutionären Aufstand zu orientieren.[4] Dabei halte ich es für notwen­dig, dass in diesem Kampf Rassismus oder Anti-Semitismus ausgeschlossen sind.[5]

Anmerkungen

[1] Karl Heinz Roth: Die globale Krise. Band 1 des Projekts „Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven, Hamburg, 2009, S. 12.

[2] Interview mit Karl Heinz Roth, in: wildcat 85, Herbst 2009, S. 6-9.

[3] Vgl. Karl Heinz Roth: Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven. Zusammenfassung der ersten Ergebnisse – Stand 21.12.08, in: www.wildcat.de/aktuell/a068_khroth_krise.htm, S. 5.

[4] Vgl. wildcat 85, Herbst 2009, S. 6-9.

[5] Vgl. Harry Waibel: Nur wer das Ziel kennt findet den Weg! Für Befreiung und Emanzipation, in: http://www.trend.infopartisan.net/trd0409/t440409.html

Veranstaltungshinweis:
Die Gruppe FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft veranstaltet in Berlin, am Dienstag, 3. November 2009, 19.30 h, im Mehringhof, Blauer Salon, eine Diskussion zu den Thesen von Roth, an der interessierte Frauen und Männer teilnehmen sollten.

Karl Heinz Roth
Die globale Krise.

Band 1 des Projekts „Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven

VSA-Verlag
Hamburg, 2009