Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Rechtskatholische Fundamentalisten mobilisieren in Paris
Versuchte Sprengungen von Theateraufführungen, Demonstrationen und Flugblattaktionen

11/11

trend
onlinezeitung

Die katholisch-fundamentalistische Szene in Frankreich ist von den Socken, oder besser: auf den Socken. Seit Tagen mobilisiert sie auf den Straben gegen ein Theaterstück, das in ihren Augen angeblich „Blasphemie“ (also Gotteslästerung; in Frankreich seit 1791 nicht länger strafbar) verkörpert. Und in den kommenden Tagen dürfte ihre Mobilisierung noch weitergehen. Deren bisherigen Höhepunkt stellte eine Demonstration von wahrscheinlich rund 2.000 Anhängern gegen „Christianophobie“ (also „Christenfeindlichkeit“) – ein Konzept, das jenem der Islamophobie zur Bezeichnung eines spezifischen anti-muslimischen Rassismus nachempfunden sein soll – am vergangenen Samstag, den 29. Oktober in Paris dar. 

Vom 20. bis 30. Oktober dieses Jahres wurde im Pariser Théâtre de la Ville ein Theaterstück des Italieners Romeo Castelucci unter dem Namen Sul Concetto di volto nel figlio di Dio („Über das Konzept des Gesichts des Gottessohnes“) aufgeführt. Vom 2. bis 6. November wird es nunmehr noch anderswo in Paris, im Kulturzentrum Cent Quatre im 19. Pariser Bezirk – in der rue d’Aubervilliers, einer rundum von Ärmeren und Migranten bewohnten Gegend – aufgeführt.  

Das Stück zeigt einen alten Vater, der Windeln trägt und seine Exkremente nicht mehr halten kann – es riecht während der Aufführung zeitweilig nach, pardon, Scheibe  -, und seinen Sohn. Beide versuchen, mit dem Älterwerden und dem körperlichen Verfall fertig zu werden und ihnen ins Auge zu sehen. Zwischen beiden entspannt sich ein einfühlsamer Dialog, welcher sich vor einer Nachbildung eines groben Christusgesichts des italienischen Malers Antonnello von Messina, der im 15. Jahrhundert wirkte, unter dem Titel „Der Retter der Welt“ abspielt. Der Autor des Theaterstücks selbst betrachtete dies eher als „eine Art Gebet“ denn eine so genannte Gotteslästerung. Anders sehen es seit Tagen die katholisch-fundamentalistischen Demonstranten, die laut eigenen Worten in aller Regel das Stück selbst nie gesehen haben. Ihnen genügte die Nachricht vom, pardon nochmals, Scheibegeruch in Anbetracht des Christusbildes, um gegen eine „Beleidigung und Besudelung unserer Religion“ zu wettern und zu geifern.  

Bislang war das Stück bereits in einer Reihe von Ländern (in Deutschland, Belgien, Niederlande, Norwegen, Grobbritannien, in Spanien, Italien, der Schweiz, in Griechenland, im erzkatholischen Polen und in Russland) ohne jegliche Zwischenfälle aufgeführt worden. Im Juli dieses Jahres war es in Frankreich auf dem Theaterfestival von Avignon gezeigt, jedoch infolge punktueller Kritiken an einzelnen Aspekten vor seiner Aufführung in Paris nochmals abgeändert worden. 

Zunächst hatte die rechtsextrem-katholische Gruppierung AGRIF gerichtlich gegen das Stück vorzugehen und ein juristisches Verbot zu erwirken versucht. Ihre Klage wurde jedoch am 18. Oktober 2011 durch ein Pariser Gericht abgewiesen. Ihr Name steht für „Allgemeine Allianz gegen den Rassismus und für den Respekt der französischen und christlichen Identität“; der erste Teil ihres Namens steht dabei ausschlieblich für ihren Kampf gegen einen angeblichen „antifranzösischen, antiweiben und antichristlichen Rassismus“. Einer ihrer wichtigsten Anführer ist der frühere Europaparlaments-Abgeordnete (ab 1984) Bernard Antony, ehemals Kopf des katholisch-fundamentalistischen Parteiflügels beim Front National/FN, welcher der Partei jedoch 2006 durch Nichtzahlung seines Mitgliedsbeitrags aus Protest gegen „ideologische Aufweichung“ den Rücken kehrte.  

Erstmals wurde die Aufführung am 20. Oktober d.J., dem Uraufführungstag in Paris, gestört. Bereits am Eingang machten rechtskatholische Aktivisten mit Stinkbomben und dem Einsatz von Tränengas auf sich aufmerksam. Gegen 21.30 Uhr drangen neun von ihnen aus den Reihen des Publikums auf die Bühne vor, besetzten diese, rollten ein Transparent mit der Aufschrift „Christianophobie: Es reicht!“ aus und stimmten eine Messe in Latein an. Nachdem sie trotz Aufforderung nicht freiwillig von der Bühne gegangen waren, um bis zum Ende des Stücks zu bleiben und im Anschluss zu diskutieren, rief die Theaterleitung die Polizei herbei, die zwanzig Minuten später eintraf. Nach deren Eingreifen konnte das Stück mit 45 Minuten Verspätung weitergehend. 

Am folgenden Abend ging es bereits beim Eintritt des Publikums los: Dieses wurde durch die Aktivisten nicht nur ausgepfiffen, sondern von einer Empore oberhalb des Eingangsbereichs aus mit Schmieröl und Eiern beworfen. Ferner wurden Flugblätter verteilt oder herabgeworfen. Das Stück konnte mit einstündiger Verspätung gespielt werden. Am darauffolgenden Tag (22. Oktober) kam es wiederum zu dreibig Minuten Verspätung infolge einer erneuten Bühnenbesetzung durch zwölf Aktivisten. Und an den späteren Tagen eskalierten die Dinge noch: Am Dienstag, den 25. Februar demonstrierten rund 200 bis 250 rechtskatholische Fanatiker – in zwei Gruppen, von denen eine einen Rosenkranz herunterbetete und lateinische Gebete sowie Lieder rezitierte – in unmittelbarer Nähe des Theaters. Aufgrund von Behinderungen des Zugangs griff die Polizei und nahm 140 von ihnen vorübergehend fest, um sie einer Personalienfeststellung zuzuführen. Am 26. Oktober erfuhr das Stück eine zwanzigminütige Unterbrechung, Stinkbomben wurden eingesetzt.  

Zu den Störaktionen aufgerufen worden war durch die rechtskatholische Gruppierung Institut Civitas, die rund 1.000 Mitglieder haben soll und der im Jahr 1970 vom fundamentalistischen Rechtsabweichler-Bischof und Kritiker der „innerkirchlichen marxistischen Subversion“ Marcel Lefebvre gegründeten Piusbruderschaft Fraternité Sacerdotale Saint Pie-X (abgekürzt FSSPX) nahe steht. Dieselbe Vereinigung stand bereits hinter Attacken gegen eine Fotoausstellung in Avignon im April dieses Jahres, vgl. dazu ausführlich "Fundis greifen an" - Regelmäßig mit dabei waren die rechtsextremen Priester Xavier Beauvais (Vorstandsmitglied beim Institut Civitas und Bindeglied zum RF als Aktivisten-Vorhut) und Paul Aulagnier sowie der durch seinen langjährigen Kampf als militanter Abtreibungsgegner bekannt gewordene Xavier Dor. 

Als „schlagender Arm“ dient der rechtskatholischen Brüdersippe dabei die seit Ende 2005 bestehende rechtsextreme Aktivistentruppe Renouveau français (RF). Diese Gruppierung, die aus jüngeren Leuten aus den wohlhabenderen westlichen Vororten von Paris besteht und einige Hundert aktive Anhänger zählen dürfte, bezieht sich positiv auf die Regime von Philippe Pétain (in Vichy), Franco in Spanien und Salazar in Portugal.  

Auftrieb erhielt dieses Aktivistenmilieu als eigenständig agierendes Spektrum dadurch, dass der seinen Ideen relativ nahe stehende Kandidat um den Vorsitz – Bruno Gollnisch – beim innenparteilichen Wettbewerb des Front National (FN) im Winter 2010/11 gegen die jetzige Vorsitzende Marine Le Pen unterlag. So mutmabt die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde, durch ihre derzeitige aktivistischen Umtriebe versuchten die Anhänger dieses Spektrums auch „ihre Revanche (nach dem Unterliegen innerhalb des FN) zu markieren“. 

Am Samstag, den 29. Oktober kamen – je nach Angaben – zwischen 1.500 (laut Polizei) und „über 5.000“ (laut Veranstalter) Anhänger zu einer Demonstration im Pariser Zentrum zusammen, die mit einem öffentlichen Gebet im strömenden Regen unterhalb der Statue von Jeanne d’Arc am Pyramidenplatz endete. 200 von ihnen zogen im Anschluss zum Protest vor das Stadttheater, wo eine neuerliche Aufführung stattfand. Am letzten Aufführungstag dort, dem 30. Oktober, waren es erneut 200 Protestierer. Und vor dem neuen Veranstaltungsort, dem Kulturzentrum Cent Quatre, ist für diesen Mittwoch (02. November) bereits eine weitere Mobilisierung angekündigt.  

Seitens der katholischen Amtskirche verurteilten der Sprecher der Bischofskonferenz, Bernard Podvin, und ihr Vorsitzender – Kardinal André Vingt-Trois – die „gewalttätigen“ Aktionen. Hingegen stimmte ihnen der Bischof im bretonischen Vannes, Monseigneur Centène, in einem die Aktivisten ermutigenden Brief an das Institut Civitas ausdrücklich zu. 

Eine vielleicht etwas unerwartetere Unterstützung erfuhren die Rechtskatholiken seitens einer kleinen radikalislamistischen bzw. aus karikaturreifen Operetten-Djihadisten bestehenden Aktivistengruppe, Forzane Alizza (ungefähr: „Reiter der Würde“). Ein paar von ihnen gesellten sich zu den rechtskatholischen Demonstranten hinzu, wie die rechtsextreme Webseite NDF.fr mehrfach vermerkte – mit dem Argument, mit Jesus sei „ein Prophet des Islam beleidigt“ worden. Und man sei „sehr durch die Liebe zu ihrer Religion, die diese Katholiken bewiesen, berührt worden“.

Editorische Hinweise
Wir erhielten den Text vom  Autor für diese Ausgabe.