Das Wohnungsgesetz des Alliierten Kontrollrats vom 8. März 1946

11/2020

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Das im März 1946 erlassene alliierte Wohnungsgesetz, das für alle Besatzungszonen gleichmaßen galt, war die sachlich notwendige  Fortschreibung der Berliner Magistratsverordnung über die Bewirtschaftung der Wohn- und gewerblichen Räume vom 18. Juni 1945. Denn der deutschlandweiten Wohnungnungsnot war nur mit einer Zwangsbewirtschaft beizukommen.

Das Kontrollratsgesetz Nr. 18 ersetzte  die Verordnung zur Wohnraumlenkung von 1943. Andere wohnraumlenkende Gesetze aus der Zeit des Nationalsozialismus blieben jedoch bestehen. So z.B. der im Jahr 1936 verordnete Mietpreisstopp sowie das Mieterschutzgesetz von 1942, das Kündigungen durch Vermieter verbot.

In der BRD wurden die Regelungen des Kontrollratsgesetzes Nr. 18 ins Bundesrecht übernommen. Im Gegenzug hob die Alliierte Hohe Kommission das Gesetz am 14. Mai 1953 auf. In der DDR wurde das Gesetz durch Beschluss des Ministerrats der UdSSR  am 20. September 1955 außer Kraft gesetzt

Karl-Heinz Schubert

Gesetz Nr. 18
Wohnungsgesetz

Zwecks Erhaltung, Vermehrung, Sichtung, Zuteilung und Ausnutzung des vorhandenen Wohnraums hat der Kontrollrat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel I

1. Die zum Vollzug dieses Gesetzes erforderlichen Maßnahmen obliegen den deutschen örtlichen Behörden (Gemeinden, Gemeindeverbänden und Kreisen). Den zuständigen übergeordneten Dienststellen obliegt es, die Aufsicht über die örtlichen Behörden zu führen.

2. Falls nicht aus dem Zusammenhang etwas anderes hervorgeht, bedeutet in diesem Gesetz der Ausdruck „deutsche Wohnungsbehörden", soweit es sich um Fragen des Vollzugs dieses Gesetzes handelt, die deutschen örtlichen Behörden und ihre Wohnungsämter, Dienststellen und Ausschüsse und, soweit es sich um Fragen der Aufsicht handelt, die übergeordneten deutschen Behörden und ihre Wohnungsausschüsse und Dienststellen.

3. Alle deutschen Wohnungsbehörden können für ihren Amtsbereich Anordnungen zum Zwecke des Vollzugs dieses Gesetzes erlassen.

4. Die deutschen Wohnungsbehörden erfüllen die ihnen durch dieses Gesetz auferlegten Obliegenheiten unter der Aufsicht und gemäß den Anweisungen und Anordnungen der Militärregierung.

Artikel II

1. Zu dem oben erwähnten Zweck werden folgende Maßnahmen getroffen:
a) Die deutschen örtlichen Behörden müssen:
I. Wohnungsämter oder ähnliche Dienststellen, soweit sie bereits bestehen, beibehalten oder andernfalls neue schaffen;
II. Wohnungsausschüsse einsetzen, denen es obliegt, die Wohnungsämter beim Vollzug dieses Gesetzes zu beraten,
b) Die übergeordneten deutschen Behörden sind er­mächtigt und, fa!Is sie von der Militärregieru ng dazu angewiesen werden, verpflichtet, beratende Ausschüsse einzusetzen. die ihnen bei der- Ausführung ihrer Aufgaben zur Seite stehen.
2. Bei der Bildung der in Absatz 1 vorgesehenen Ausschüsse sind folgende Grundsätze zu beachten:
a) Kein Beamter einer deutschen Wohnungs­behörde darf Mitglied eines derartigen Aus­schusses sein.
b) Jedem Ausschuß müssen angehören:
I  Eine Person mit Erfahrung im Bauwesen oder in der Bewirtschaftung von Wohn­raum;
II. ein Vertreter der Allgemeinheit, der wo­möglich mit den örtlichen Verhältnissen vertraut ist;
III. mindestens ein weibliches Mitglied.
c) Bei der Ernennung der Mitglieder ist solchen Personen der Vorzug zu geben, die dem nationalsozialistischen Regime Widerstand geleistet haben oder durch seine Maßnahmen benachteiligt worden sind.

Artikel III

Die zuständigen deutschen Wohnungsbehörden haben in ihrem Amtsbereich eine Bestandaufnahme des vorhandenen Wohnraums vorzunehmen und alle für den Vollzug dieses Gesetzes erforderlichen Unterlagen zu beschaffen, die ständig auf dem laufenden zu halten sind.

Artikel IV

Die zuständigen deutschen Wohnungsbehörden haben alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um in ihrem Amtsbereich allen Personen, gemäß den von der Militärregierung festgesetzten oder noch festzusetzenden Normen. Wohnraum zu beschaffen.               .

Artikel V

1. Ein Wohnraum gilt als frei, wenn er tatsächlich leer steht oder wenn ihn ein Nichtberechtigter inne hat.

2. Jeder Hauseigentümer, Inhaber einer Wohnung oder sonstige Verfügungsberechtigte ist verpflichtet, das Freiwerden derselben unverzüglich der zuständigen deutschen Wohnungsbehörde zu melden, unter gleichzeitiger Angabe der Zahl der Wohnräume und ihres Flächeninhaltes.

Artikel VI

Zwecks Vermehrung des vorhandenen Wohnraums in ihrem Amtsbereich können die deutschen Behörden:
a) Zweckentfremdete Wohnräume ihrem ursprünglichen Zweck wieder zuführen.
b) Einen Wohnungstausch anordnen, wenn dies eine bessere Verteilung des Wohnraums bedeutet.
c) Vorhandenen Wohnraum um- oder ausbauen, wenn dadurch eine wirksamere Ausnutzung desselben erzielt wird.
d) An Häusern dringende Reparaturen und in Gemeinden, in denen der Wohnraumdurchschnitt pro Person unter vier Quadratmeter liegt, auch umfassendere Arbeiten vornehmen.

Artikel VII

1. Die zuständigen deutschen Behörden können jeden zum Vollzug dieses Gesetzes erforderlichen Wohnraum erfassen.

2. Die Erfassung erfolgt durch Zustellung einer schriftlichen Mitteilung an den Hauseigentümer und den jeweiligen Inhaber des Wohnraums. Falls dies praktisch nicht durchführbar ist, kann die Erfassung durch Anschlag der schriftlichen Mitteilung an einer deutlich sichtbaren Stelle des zu erfassenden Wohnraums erfolgen.

3. Der Betroffene kann innerhalb einer Frist von drei Tagen nach Zustellung oder Anschlag der Mitteilung Beschwerde bei der Wohnungsbehörde einlegen, welche die Erfassung angeordnet hat. Falls diese Behörde der Beschwerde nicht abhilft, muß sie dieselbe der Aufsichtsbehörde zur Entscheidung vorlegen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.

Artikel VIII

1. Bei der Zuteilung freien Wohnraums haben eich die deutschen Wohnungsbehörden nach fol­genden Grundsätzen zu richten:
a) In erster Linie sind in jedem Falle bevorzugt zu berücksichtigen solche Personen, die dem nationalsozialistischen Regime Widerstand' ge­leistet haben oder durch seine Maßnahmen be­nachteiligt worden sind.
b) Unter gleichberechtigten Personen sind zu bevorzugen:
    I. Kinderreiche Familien;
    II. bejahrte Personen;
    III. Invaliden und Körperbehinderte.
Die obige Vorzugsbehandlung ist jedoch den örtlichen Verhältnissen und etwaigen Anwei­sungen der Militärregierung unterworfen.
c) Auf entsprechende Anweisung der Militärregierung ist an Orten, in denen Mangel an Facharbeitern besteht, derartigen Arbeitskräften gleichfalls Vorrang zu gewähren.
d) Niemand darf auf Grund seiner gesellschaftlichen oder finanziellen Stellung bevorzugt behandelt werden.
e) Ausländer, die sich freiwillig in Deutschland  aufhalten, sind wie deutsche Staatsangehörige zu behandeln.
2. Die Zuteilung wird in folgender Weise vorgenommen:
a) Die deutschen Wohnungsbehörden haben für jeden Wohnraum, sobald er durch Erfassung oder anderweitig frei wird, eine nach den obigen Grundsätzen ausgewählte Person als Mieter zu benennen und von dem Eigentümer zu verlangen, mit dieser ein Rechtsverhältnis abzuschließen, das ihm die Benutzung des betreffenden Wohnraums sichert (Zuweisung),
b) Falls der Eigentümer nicht einwilligt oder nicht erreichbar ist, kann die Wohnungsbehörde eine Verfügung erlassen, welche die Wirkung eines Mietvertrages hat.
c) Ein Mietvertrag gemäß Absatz 2 a) oder eine Verfügung mit der Wirkung eines solchen, gemäß Absatz 2 b), ist für die von der zuständigen Wohnungsbehörde festgesetzte Dauer gültig. Mietvertrag oder Verfügung müssen den zu zahlenden Mietzins sowie alle von der Wohnungsbehörde als zweckmäßig erkannten Bedingungen und Bestimmungen enthalten. Hierbei hat die Wohnungsbehörde Mietverträge, wie sie für Wohnungen der betreffenden Art ortsüblich sind, zu berücksichtigen.
d) Innerhalb von 15 Tagen nach der Erfassung muß der Mietvertrag abgeschlossen und' die Wohnung bezogen werden.
e) Ein vor der. Erfassung begründetes Rechtsver­hältnis, insbesondere ein Mietvertrag über die Benutzung des erfaßten Wohnraums, erlischt spätestens mit dem Inkrafttreten eines nach den Vorschriften dieses Artikels abgeschlossenen neuen Rechtsverhältnisses. Ein nach der Erfassung vorgenommenes Rechtsgeschäft über die Überlassung des erfaßten Wohnraums, das den Vorschriften dieses Artikels nicht entspricht, ist nichtig.

Artikel IX

1. Alle Personen müssen mit dem Antrag auf Zuteilung von Wohnraum der zuständigen Wohnungsbehörde ihre Lebensmittelkarten und, falls sie der Arbeitsregistrierungspflicht unterliegen, eine entsprechende Bescheinigung des Arbeitsamtes mit Angabe ihres Berufes oder ihrer Beschäftigung vorlegen.

2. Wer Anspruch auf Bevorzugung erhebt, weil er dem nationalsozialistischen Regime Widerstand geleistet oder unter ihm Benachteiligung erlitten hat, muß:
a) Entweder eine Bescheinigung seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager oder
b) als Beweis seines Anspruchs eine schriftliche Bestätigung des örtlichen Gewerkschaftsausschusses oder, in Ermangelung eines solchen oder, falls der Antragsteller nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist, der zuständigen Stelle einer von der Militärregierung zu bestimmenden Organisation beibringen.

3. Wer eine bevorzugte Behandlung auf Grund von Gebrechlichkeit oder Körperbehinderung beansprucht, hat hierüber eine ärztliche Bescheinigung beizubringen.

4. Alle deutschen Wohnungsbehörden haben ein zweckentsprechendes Verzeichnis aller Personen zu führen, die einen Antrag auf Wohnungszuteilung gestellt haben.

Artikel X.

Die deutschen Wohnungsbehörden haben der Militärregierung und den deutschen übergeordneten Verwaltungsbehörden Berichte einzureichen. Termine und Form der Berichterstattung unterliegen den Vorschriften der Militärregierung bzw. der übergeordneten deutschen Verwaltungsbehörden. Diese Berichte haben die Art und Weise der Durchführung der Bestimmungen dieses Gesetzes anzugeben und insbesondere aufzuzeigen, in welchem Ausmaße und auf welche Weise die in Artikel VIII niedergelegten Zuteilungsgrundsätze Anwendung finden.

Artikel XI

Die Militärregierung kann bestimmte Gemeinden oder gewisse Bezirke zu „Brennpunkten des Wohnungsbedarfs" erklären. Liegt eine derartige Erklärung bezüglich einer Gemeinde oder eines Bezirkes vor, so können die zuständigen deutschen Wohnungsbehörden alle erforderlichen Maßnahmen treffen, um den Zuzug von Personen dorthin zu verhindern und die Abwanderung von Einwohnern, die für die Aufrechterhaltung des Wirtschaftslebens der Gemeinde oder des Bezirkes nicht erforderlich sind, zu erleichtern.

Artikel XII

Im Sinne dieses Gesetzes und aller Ausführungsbestimmungen und Anweisungen hierzu sind, falls sich nicht aus dem Zusammenhang etwas anderes ergibt, die folgenden Wörter und Ausdrücke folgendermaßen zu verstehen:
a) Der Ausdruck „Wohnraum" umfaßt jeden Raum der gegen Witterungseinflüsse geschützt ist über hinreichende Beleuchtung, Luft- und geregelte Wasserzufuhr verfügt und für welcher sanitäre Einrichtungen im notwendigen Ausmaß zugänglich sind. Er umfaßt nicht Badezimmer, Flure und Treppenhäuser, Küchen mit einem Flächenraum unter zehn Quadratmetern und die ersten zehn Quadratmeter größerer Küchen.
b) Das Wort „Wohnung" bedeutet ein ganzes Wohngebäude oder jeden Teil eines solchen, welcher jetzt einen selbständigen Miet- oder Untermietbesitz darstellt oder früher einen solchen dargestellt hat oder welcher jetzt als selbständige Einheit von dem Eigentümer bewohnt wird oder von ihm früher bewohnt wurde.
c) Für die Berechnung der Fläche eines Wohnraums ist unter dem Wort „Person" eine natürliche Person nicht unter 14 Jahren zu verstehen. Ein Kind im Alter von 1 bis 14 Jahren hat nur auf die Hälfte der einer „Person" zustehenden Wohnfläche Anspruch. Ein Kind unter einem Jahr ist daher bei der Berechnung nicht in Betracht zu ziehen.

Artikel XIII

Jede Verletzung oder Nichtbefolgung dieses Gesetzes oder einer von der Militärregierung getroffenen Anweisung oder Anordnung oder einer zu diesem Zwecke von einer deutschen Wohnungsbehörde erlassenen Vorschrift wird strafrechtlich verfolgt und im Falle einer Verurteilung durch ein deutsches oder ein Gericht der Militärregierung mit Gefängnis bis zu einem Jahr und einer Geldstrafe his zu 10000 RM oder einer dieser Strafen bestraft.

Artikel XIV

Die Bestimmungen dieses Gesetzes treten an Stelle der Verordnung zur Wohnraumlenkung vom 27. Februar 1943 (RGBl I. 127), die hiermit aufgehoben wird. Alle anderen deutschen gesetzlichen Wohnungsregelungen, die in Widerspruch zu diesem Gesetze stehen, werden aufgehoben oder im Sinne dieses Gesetzes geändert.

Artikel XV

Dieses Gesetz tritt mit  am Tage seiner Veröffentlichung in Kraft.

    Ausgefertigt in Berlin, den 8. März 1946.

Armeegeneral Sokolowsky
Generalleutnant Clay
Armeekorpsgeneral Koeltz
Generalleutnant Robertson

 

QUELLE:
Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 5, S. 117ff

OCR-Scan-Quelle:
Berlin, Quellen und Dokumente 1945-1951, 1. Halbband, hrg. im Auftrage des Senats von Berlin, Berlin 1964, S.676ff