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Warum beobachtet Sie der Verfassungsschutz?
junge Welt sprach mit Klaus Feske

(Klaus Feske ist Sprecher des Solidaritätskomitees für die Opfer der politischen Verfolgung in Deutschland)

 

F: Sie haben beim Berliner Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) den Antrag gestellt, Auskunft und Akteneinsicht über Ihre Person zu erhalten. Was haben Sie erreicht?

Man hat mir eine Auskunft geschickt im Umfang von sechs Seiten. Darin wird erklärt, es könne mir keine Erlaubnis auf Akteneinsicht erteilt werden, weil man mir keinen Einblick in Arbeitsmethoden geben wolle, aus denen ich etwaige Schlußfolgerungen ziehen könne. Einer weitergehenden Auskunft, so heißt es, stehe ein öffentliches Interesse an der Geheimhaltung der Tätigkeit des LfV Berlin entgegen. Nach Erkenntnisstand des LfV Berlin gehöre ich von ihm beobachteten Gruppierungen an. An anderer Stelle sagt man mir dann: »Eine detaillierte Offenlegung weiterer Kenntnisse würde Ihnen und möglicherweise auch anderen Mitgliedern der genannten Organisation Rückschlüsse auf die Art und Weise, den Umfang der Datenerhebung durch das LfV Berlin und die Art der Gewinnung der Information ermöglichen.«

F: Welchen Organisationen gehören Sie an?

In dieser Auskunft wird behauptet, ich hätte eine Parteien- Doppelmitgliedschaft. Ich sei Mitglied der Kommunistischen Plattform der PDS und Mitglied der DKP. Ich bin nicht Mitglied der DKP.

F: Worauf stützt sich der Verfassungsschutz?

Der Verfassungsschutz führt zum einen Daten auf, seit wann ich in der Partei sein soll, wann ich welche Schule besucht habe, wann ich für die SEW kandidiert habe und welche Funktion ich innehatte. Das Ganze ist eigentlich eine unglaubliche Liederlichkeit: Sie datieren beispielsweise etwas ab 1951, was in Wirklichkeit 1950  war. Weiterhin wurde mir mitgeteilt, daß - was ja niemand weiß - ich in der Berliner Morgenpost zitiert wurde, der UZ ein Interview gegeben, ich der Berliner Linken etwas gesagt habe. Auch daß ich mit der jungen Welt zum Fall Gerda Klabuhns sprach. Bemerkenswert in der Auskunft ist auch, daß ich an einer Beratung der Berliner DKP teilgenommen hätte. Wie kommen sie dazu? Und eine andere, äußerst amüsante Geschichte ist: Sie haben mich gesehen bei der Liebknecht- Luxemburg-Demonstration 1996.

F: Und das ist eine verfassungsfeindliche Aktivität?

Wenn ich der Auskunft glaube, ja.

F: Was werden Sie tun?

Ich habe Widerspruch eingelegt, wie das vorgeschrieben ist. Ich erwarte jetzt die Auskunft zum Widerspruch. Notfalls werde ich vor das Verwaltungsgericht und durch alle Instanzen gehen, um mir mein Recht zu erstreiten, Akteneinsicht zu bekommen.

F: Es ist wesentlich leichter, Akteneinsicht beispielsweise bei der Gauck-Behörde zu bekommen.

Ich sehe im Verhalten des Verfassungsschutzes mir gegenüber eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes der Bürger. Alle Bürger haben das Recht, bei der Gauck-Behörde Einsicht und Auskunft und Akteneinsicht zu beantragen. Mir verwehrt man die Einsicht in die Unterlagen, die ein Geheimdienst über mich gesammelt hat. Diese Behörde Verfassungsschutz ist überflüssig. Doch hier wird mit ungleichen Maßstäben gemessen. Mein Bruder, der Bürger der Hauptstadt der DDR war, bekommt Auskunft über das, was der Geheimdienst seines Landes über ihn sammelte. Ich bekomme keine Auskunft. Ich möchte, daß das, was bei der Gauck-Behörde möglich ist, auch bei anderen Behörden wie dem Verfassungsschutz, dem Staatsschutz, dem MAD, dem Bundesnachrichtendienst möglich wird. Deshalb habe ich mich auch an den Bundesnachrichtendienst und den MAD gewandt. Dazu mußte ich extra ans Kanzleramt schreiben. Aus Pullach wurde geantwortet, man habe nichts. Der MAD hat nicht geantwortet.  Ich möchte Akteneinsicht erhalten. Und nach Möglichkeit sollten viele ebenfalls überlegen, Einsicht zu beantragen. Wir schreiben das Jahr 1998. Es ist an der Zeit, daß wir alle gemeinsam fordern: Karten auf den Tisch! Die Geheimdienste sollen Auskunft und Akteneinsicht geben, und sagen, was sie heute mit Hilfe von V-Leuten, neuer Technik an Daten über oppositionelle Bürger gesammelt haben. Alles, was geheim ist, was Geheimdienste über meine Person und über andere gesammelt haben, muß auf den Tisch kommen. Ich würde sagen, der Verfassungsschutz kann ruhig auch die drei westlichen Alliierten bitten, alles auf den Tisch zu packen. Ich bin überzeugt, daß auch die kräftig gesammelt haben.

F: In Mecklenburg-Vorpommern regieren SPD und PDS. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist nicht abgeschafft worden. Allerdings könnte man die Hoffnung haben, daß sich die Handhabe bei Auskunftsbegehren ändert.

Ich wünschte mir, daß die Genossen der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, wenn sie von Fällen wie dem meinen hören, daraus die Schlußfolgerung ziehen und sagen: Bitte sehr, was der Verfassungsschutz hat, der ja acht Jahre schon gearbeitet hat, das muß auf den Tisch. Das wäre wünschenswert. Ich weiß, die Schlapphüte der verschiedenen Dienste werden sich nicht für ihr gesetzwidriges Tun »entschuldigen«. Aber die Bürger müssen wissen, was die Dienste, entgegen dem Grundgesetz mit unseren Steuergeldern tun.

Interview: Holger Becker
aus: junge Welt, v. 07. 11. 1998

"Wer von der Stasi reden will,
darf zum Verfassungsschutz nicht schweigen!"

ein Kommentar von Gerhard Lange, der das jw-Interview in CL/Europa.de verbreitete

Die berechtigte Empörung über die Machenschaften der Stasi darf nicht dazu führen, daß wir die Praktiken des Verfassungsschutzes und anderer westlicher Geheimdienste vergessen.

Auch in den alten Bundesländern wurden Telefone abgehört, Briefe geöffnet und informelle Mitarbeiter des VS in Anti-AKW- und Friedensgruppen eingeschleust.

So öffneten BND-Geheimdienstler jährlich etwa 1,6 Mill. Briefe, und der US-Geheimdienst NSA hört in enger Zusammenarbeit mit dem BND Telefongespräche von Bundesbürgern ab.

Der Radikalenerlaß ist ein weiteres Beispiel von geheimdienstlicher Repression gegen Bürger dieses Landes, deren Lebensperspektiven teilweise vernichtet wurden. Weitreichende Denunziationen waren die Voraussetzung für die Durchführung dieses Erlasses.

Weiterhin besteht Aufklärungsbedarf über die Weitergabe von Erkenntnissen des VS über Bundesbürger an ausländische Geheimdienste, wie z.B. dem Mossad oder dem CIA.

Da in den alten Bundesländern eine Verfilzung von Politik, Justiz und Medien mit in- und ausländischen Geheimdiensten nicht auszuschließen ist, sollten unsere Forderungen lauten:

  • 1. Überprüfung aller Bundestagsabgeordneten, Richter, Staatsanwälte, Mitarbeiter in öffentlich-rechtlichen Medien und anderer gesellschaftlich relevanter Berufsgruppen auf Geheimdienst-Kontakte.
  • 2. Das Recht eines jeden Bundesbürgers auf Einsichtnahme in persönliche Akten bei BND, MAD und VS.
  • 3. Abschaffung des Verfassungsschutzes.
  • 4. Verbot zur Weitergabe von Erkenntnissen über Bundesbürger an ausländische Geheimdienste.
  • 5. Auflösung aller CIA und anderer ausländischer Geheimdienststützpunkte in der BRD.

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