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aus Newsgroup: cl.gruppen.krisis

TO GIVE AND TO TAKE
Thesen zur Metakritik des Tauschs

von Franz Schandl

 

1. Gemeinhin erscheint der Tausch als eine eherne Konstante des Daseins.
Er wird nicht gesellschaftlich eingeordnet, sondern leitet sich von einer
dunklen "menschlichen Neigung" ab, die als gegeben angenommen wird.

2. Tausch ist zu verstehen als kultureller Zwang der bisherigen
Menschheitsgeschichte, er setzt sowohl ein Mehrprodukt voraus,
gleichzeitig aber auch dessen Begrenzung. Den Tausch hat es historisch
schon sehr zeitig gegeben, aber erst in der buergerlichen Gesellschaft
konnte er sich als herrschende Form stofflicher Kommunikation durchsetzen.

3. Ein einfaches Hin und Her ohne verbindliche Form ist noch kein Tausch.
Die wechselseitige Hingabe von Guetern wird erst dann zu einem solchen,
wenn diese als aequivalente Arbeitsprodukte auftreten. Tausch meint
naemlich nicht den beliebigen Wechsel der Produkte, sondern
ausschliesslich den durch den Wert bestimmten. Dort, wo Geben und Nehmen
als aufeinandergezwungene fetischierte Form des Stoffwechsels auftritt,
sprechen wir vom Tausch. Tausch resp. Geschaeft bedeutet also, dass
jemanden fuer etwas, das er weggibt, etwas gegeben wird, das er nicht hat.

4. Tausch meint, dass sich das eine im anderen auszudruecken hat. Im
Tausch erfolgt also ein Gleichsetzung von Verschiedenem. Die Abstraktion
von Arbeit realisiert sich im Tausch. Tauschen heisst, dass menschliche
Kommunikation ihre Produkte und Leistungen nur als ein sich wechselseitig
Bedingendes in Geben und Nehmen im Besonderen erfuellen kann. Das
konkrete Nehmen bedingt ein konkretes Geben.

5. Der Tausch (W-W) ist die Grundform der Warenzirkulation. Durch
Hinzutreten des Geldes wird dieser differenziert in ein Kaufen (G-W) und
in ein Verkaufen (W-G), wobei es kein Kaufen ohne Verkaufen gibt und
umgekehrt. Das Bekommen ist an ein Vorher-schon-Haben gebunden.

6. Im Kapitalismus hat alles permutabel zu werden. Austauschbar zu sein,
ist die erste Erwerbsregel. Der kapitalistische Kreislauf ist ein
staendiges Permutieren des Waren- und Geldflusses. Freilich staut es sich
heute schon. In der Ware sucht der Gegenstand jedenfalls nicht den
Konsumenten, sondern den Kaeufer. Das Beduerfnis des Verbrauchers ist ihm
nur relevant, wenn dieser sich auch praktisch in die Rolle des Kaeufers
versetzen kann, d.h. wenn er zahlungsfaehig ist.

7. Damit die Menschen zu ihren Lebensmitteln kommen, muessen diese
produziert, distribuiert und konsumiert werden. Man koennte das eherne
Notwendigkeiten des menschlichen Daseins nennen. Jene muessen aber nicht
getauscht werden. Der Tausch ist vielmehr gesellschaftlich aufgeherrscht,
ein Zusatz, der spaeter aber Ferment bestimmter Epochen werden sollte.
Heute erscheint er wie die vorher genannten Kriterien als natuerlich.

8. Die Menschen tauschen sich nicht freiwillig, sondern zwangsweise aus.
Der andere auf den Markt, das ist immer ein potentieller Widersacher, ein
"Tauschgegner" (Max Weber) Die Existenz zwingt sie Geldbesitzer zu
werden, um gesellschaftlich bestehen zu koennen. Ihr Denken muss danach
ausgerichtet sein, Geld zu machen. Denn dieses ist erster Mentor in der
Gesellschaft, es verteilt Chancen wie kein anderes Ding. Wer es hat, hat.
Wer es nicht hat, hat nichts.

9. Die Marktteilnehmer werden dazu angehalten, genaue Marktbeobachter zu
sein. Es geht also ueberhaupt nicht um den profanen Akt einer Aneignung
bestimmter Gueter, sondern um das Abwaegen, Bewerten, Einschaetzen,
Vergleichen von Waren. Quasi instinktiv werden staendig Bezuege
hergestellt. Das Benoetigen kann sich nur realisieren ueber das Bezahlen.

10. Die Haltbarkeit der Produkte (oder bestimmter Details) muss
tendeziell abnehmen, will die Verwertung sich nicht ad absurdum fuehren.
Haltbarkeit ist eine Gegnerin der Wertrealisierung. Sie gestaltet sich
nicht anhand technischer Kriterien, sondern entlang der
Verwertungsschiene. Was meint: die Produkte sind keineswegs auf der Hoehe
der Zeit, sondern bloss auf der Hoehe ihrer Verwertbarkeit. Die heutigen
Erzeugnisse werden zusehends auf ihr Ablaufdatum hin produziert.

11. Das buergerliche Individuum steht unter dem Zwang, sich in Wert zu
setzen, (sich) zu verkaufen, um kaufen zu koennen. Das bedingt unzaehlige
und aufdringliche Spielarten der charakterlichen Maskierung, sei es Bluff
oder Fassade, Mode oder Werbung. Anbieten, Anpreisen, Anmachen sind
buergerliche Formen der Selbstverstellung. Es geht um Taeuschung im Sinne
des Tauschs.

12. Werbung bedeutet stets so etwas wie eine zugelassene Unwahrheit. Sie
kann von ihrer inneren Struktur her gar nicht serioes sein, sie gefaellt
sich in der masslosen Propaganda ihrer Ware. Werbung reduziert einen
Gegenstand oder ein Verhaeltnis auf ihre marktschreierischer Sequenz. Sie
kennt nur ein undifferenziertes und aufdringliches Pro. Werbung ist das
Gegenteil von Kritik. Sie ist Taeuschung vor dem Tausch.

13. Dass gegeben und genommen werden muss, ist selbstverstaendlich, es
ist eine platte und profane Bestimmung menschlichen Lebens. Was ansteht,
das ist der Schritt von der negativen Vergesellschaftung, der abstrakten
allgemeinen Arbeit, hin zu einer positiven Vergesellschaftung durch
konkrete allgemeine Taetigkeiten, die danach fragen, was gewuenscht wird
und dementsprechend handelt. Das Beduerfnis gestaltete sich demnach
jenseits einer heute allgegenwaertigen In-Wert-Setzung, sie ist eine
einfach bestimmte Anforderung, nicht eine doppelt kodifizierte
Angelegenheit. Der Wert haette selbstredend als Prinzip ausgedient.


Oktober 1998

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