Das Scheitern des leninistischen Parteimodells
Buchbesprechung: Die Geschichte der K-Gruppen

von
F.

12/11

trend
onlinezeitung

JedeR weiß wohl eine Anekdote über die K-Gruppen zu erzählen, jene politisch hoch aktiven Kleinparteien, die sich als „Avantgarde des deutschen Proletariats“ ansahen. Ihre Reduktion auf solche Selbstcharakterisierungen verstellt indes den Blick auf einen Organisationsansatz jenseits des Reformismus, der in den siebziger Jahren Zehntausende zu organisieren vermochte. Das Buch „Zur Geschichte der K-Gruppen“ von Anton Stengl hilft, deren Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und ermöglicht eine Diskussion über ihre Schwächen und Stärken.

Gegründet hatten sie sich infolge der „68er“ Studenten- und Jugendbewegung. Die radikale Infragestellung des Kapitalismus und seines Staates, aber auch der erstarrten, repressiven Regime des Ostblocks waren für sie prägend. Der vietnamesische Befreiungskampf und ein allerdings verklärtes China mit seiner als antiautoritär vorgestellten Kulturrevolution waren wichtige Impulse. Warum sollte das, was dort zu gelingen schien, nicht auch in der BRD möglich sein? In Anlehnung an historische und weltweite Vorbilder kam man schnell auf den Gedanken, selbst eine Partei als angebliche Vorhut des Proletariats zu gründen. KPD/ML und KPD/Aufbauorganisation (AO) bilden den Schwerpunkt des Buchs. Demgegenüber ist der Raum für KBW oder KB knapper bemessen und, soweit ich es beurteilen kann, auch weniger kompetent gefüllt. Über die Genannten hinaus, gab es noch weitere Organisationen; heute hat allein die MLPD noch eine gewisse, wenn auch sehr relative Bedeutung.

Stengl ist nicht bereit, die heutige, äußerst negative Bewertung dieser Parteien zu übernehmen. Er kritisiert solidarisch, aber dort, wo es geboten ist, auch entschieden, v.a. bei den ab Mitte der 70er Jahre herausposaunten Theorien der beiden KPDn, der weltweite Hauptfeind seien USA und UdSSR, wobei letztere gar als der gefährlichere Gegner angesehen wurde. Hier war es nur ein schmaler Grat hin zu einer Politik, die sich zur vermeintlichen Verteidigung gegen die UdSSR auf die Seite des deutschen Imperialismus stellte. „Vaterlandsverteidiger“, spottete deshalb der KB.

Stengl kritisiert an den K-Gruppen das „Wunschdenken“, das Gesellschaftsanalysen und Politik dominierte – „Stellungnahmen aus China und Albanien“ seien weitgehend kritiklos übernommen worden. Es mangelte an Debattenkultur und Kompromissbereitschaft, „aus Besserwisserei und Großspurigkeit“ kam es immer wieder zu Abspaltungen und neuen Parteien. Die anderen K-Gruppen wurden als zu bekämpfende Konkurrenz gesehen, Diskussionen miteinander kaum geführt. Die einen fühlten sich einer Auseinandersetzung nicht gewachsen, also „wird auf eine Diskussion verzichtet.“ Die anderen machten sich in ihrer Arroganz über die Konkurrenz lustig und „vernichteten (damit) nicht nur jede Möglichkeit des Dialogs, sondern annullierten auch durchaus gerechtfertigte Kritik“. Dementsprechend gab es kaum Versuche der Kooperation: Mal gemeinsame 1. Mai-Demos der KPDn, mal eine gemeinsame Großdemonstration der KPDn und des KBW gegen die Verbotsbestrebungen gegen ihre Parteien. „Der üble Kern dieses Problems lag in der strikten Weigerung der verschiedenen Vereine, mit anderen Organisationen kommunistischen Anspruchs ernsthaft zusammenzuarbeiten, ehrlich zu diskutieren und wirklich auf eine politische Einheit und Vereinigung hinzuarbeiten.“

Ende der 70er Jahre hatten die K-Gruppen ihren Zenit überschritten. Ihr Versuch, die Frage der revolutionären Organisierung zu beantworten, ist Episode geblieben. Die neuen sozialen Bewegungen konnten Zehntausende Menschen mobiliseren, einige K-Gruppen mischten dort mit und verloren sich allmählich darin, andere wußten damit nicht viel anzufangen, weil dort der Klassenkampf kein Thema war. Einige erhofften sich von der entstehenden Grünen Partei mehr gesellschaftlichen Einfluss. Während sich die KPD/AO bereits 1980 auflöste, stiegen andere bei den Grünen ein (der KB, der KBW nach Abspaltung des BWK), zunächst ohne ihre Eigenständigkeit aufzugeben. Andere wiederum suchten unter Preisgabe ihres Führungsanspruchs Verständigung und Zusammenarbeit mit den einstige Konkurrenten, aber auch mit anderen Flügeln der revolutionären Linken. BWK und KPD/ML arbeiteten u.a. ein paar Jahre lang auch mit kleineren anarchistischen und linkskommunistischen Gruppen zusammen, wozu als Debattenorgan eine regelmäßig erscheinende Gemeinsame Beilage zu ihren Zeitungen erschien. Letztendlich sind die Lokalberichte Hamburg ein Überbleibsel dieser Kooperation. Ein anderes Ergebnis war der Zusammenschluss der KPD/ML mit der trotzkistischen Gruppe Internationaler Marxisten zur Vereinigten Sozialistischen Partei. Aber der alte Schwung war dahin. Einerseits konnten die jetzt gemeinsamen Bestrebungen um den Aufbau einer pluralistischen revolutionären Organisation keine Dynamik mehr entfalten, andererseits war auch hier der Wunsch, sich in größere, dafür aber reformistische Projekte einzubringen, groß. Der Teil der K-Gruppen, den die Grünen bis dato nicht aufgesogen hatten, ging in der PDS auf.

Mit Blick auf die Zukunft möchte Stengl nicht auf das „Konzept der leninistischen Partei und ihrer politischen Grundsätze selber“ verzichten – er versäumt an dieser Stelle, die naheliegenden Konsequenzen aus seiner Darstellung zu ziehen. Es ist hier nicht der Ort, zu diskutieren, ob die leninistische Partei mit ihren Hierarchien und Unterordnungen zwangsläufig in das autoritäre sowjetische Regime führte. Es mag sein, dass die rigide geführte KPdSU für die Durchführung einer Revolution im Russland des Jahres 1917 effektiv war – zu einer freien Gesellschaft hat sie nicht geführt. Jeder Organisationsversuch, der auf eine Unterordnung von Minderheiten unter Mehrheiten oder Zentralkomitees setzt, ist bei der heute erreichten Vielfalt an Ideen, Analysen und Strömungen in der revolutionären Linken ein Hindernis der (Selbst-) Organisierung und zum Scheitern verurteilt. Wer jede Ausbeutung und Unterdrückung abschaffen will, kann dies nicht mit Parteien erreichen, die nicht willens sind, die Vielfalt revolutionärer Vorstellungen zu vereinen und als Vorteil zu schätzen, ohne dass dabei die notwendige Kampfkraft eingebüßt würde. Keine einzelne Strömung allein auf sich gestellt wird jemals eine Massenbewegung werden, geschweige denn, die Herrschaft des Kapitalismus und seines Staates in Frage stellen. Dies beweist die Geschichte der K-Gruppen, ihres Gegeneinanders, ihrer Spaltungen und ihres Untergangs.
 

Anton Stengl
Zur Geschichte der K-Gruppen.
Marxisten-Leninisten in der BRD der Siebziger Jahre


Zambon Verlag
212 Seiten, 10 Euro.


Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text als aktuelle Buchvorstellung vom Rezensenten.

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