Widerstand unter Hartz IV

Perspektiven der Erwerbslosenbewegung...
Interview mit Anne Seeck geführt von Andreas Nowak und Robert Ulmer (beide Netzwerk Selbsthilfe)

12/11

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Anne ist seit 1997 in der Erwerbslosenbewegung in Berlin aktiv. Sie organisiert Vorträge zu Armut, Erwerbsarbeit und aktuellen sozialwissenschaftlichen Fragen. Sie ist Mitinitiatorin eines Erwerbslosenfrühstücks und im Verein Teilhabe aktiv.

I:  Du hattest Anfang des Jahres zwei Artikel veröffentlicht, die heftige Reaktionen hervorriefen. Du hattest gesagt, dass die Erwerbslosenbewegung verhältnismäßig schwach sei …

A: Ja, genau – relativ schwach. Das denke ich immer noch. Aber das hat vielleicht auch zu den Reaktionen geführt – neben den zugegebenermaßen polemischen Absätzen. Ich denke, auch ein Jahr später hat sich das mit der Schwäche nicht verändert. Die Mobilisierung ist gering, es gibt nur einige wenige Aktive und viele von ihnen schauen eher auf die große Politik, Gesetze und Urteile und so.

I:  Der Streit ist ja nun doch öffentlich ausgetragen worden. So wurde Deine Polemik in der Gegendarstellung "Trennlinien überwinden!" [ http://www.elo-forum.net ] kritisiert.

A: Zunächst einmal entschuldige ich mich für die Polemik in meinen zwei Texten. Ich habe meinen ersten Text aus Frust über eine Veranstaltung [Vernetzungswochenende von Erwerbslosen am 3. und 4. Dezember 2010 in Berlin: http://www.trend.infopartisan.net/trd1210/t391210.html] geschrieben. Am Anfang lasse ich mich über die Schwäche der Berliner „Erwerbslosenszene“ aus, und am Ende kommentiere ich das nochmal. Diese Polemik wurde in dem Leserbrief "Die Mühen der Ebene der Erwerbslosenbewegung – die Gegenseite schläft nicht" kritisiert. Das war Okay, wenn auch nicht schön.

Dann habe ich nochmal in „Aufstand der Armen? Fehlanzeige!“ meinen Frust rausgelassen. Aber nicht nur. Da ist vor allem ein  Abschnitt polemisch: Politische Arbeit von Akademikerlinken statt Unruhe der Armen. Dieser Abschnitt wäre nicht nötig gewesen, da er auch persönlich gemeint war, aber ich war sehr enttäuscht. Letztendlich bringt der gar nichts zu Sache. Auch meine Seitenhiebe gegen die Juristerei wären nicht nötig gewesen. Wie "1997 lernte ich die bundesweite „Bag Shi“ kennen. Dort wurde dermaßen mit Paragraphen um sich geworfen, dass ich bald wieder floh, ich wollte nicht getroffen werden..." Zudem wollte ich der ALSO [Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e.V. http://also-zentrum.de] keinen fehlenden Internationalismus vorwerfen. Das ist falsch, die machen das schon.

Und das wurde natürlich kritisiert – in der Gegendarstellung "Trennlinien überwinden!". Die Gegendarstellungen stehen seit Januar bzw. April 2011 im Netz, trotzdem hört die Ausgrenzung meiner Person nicht auf. Das finde ich Scheiße.

I:  Hat sich Deine Frustration von damals gelegt oder – wie schätzt Du das heute ein?

A: Frustriert bin ich immer noch. Heute aus anderen Anlässen. Zum Beispiel, weil das mit den Anfeindungen nicht aufhört. Aber ich denke, man muss über andere Dinge reden, inhaltlich. Inhaltlich würde ich mir eine Basispolitik wünschen, die die Alltagssorgen von Erwerbslosen aufgreift. Darüber müsste man reden und zugleich neue Impulse reinbringen, durch Seminare, Diskussionen. Dann könnte man vielleicht gemeinsam  die Probleme anpacken und zum Teil lösen.

I:  Wird das nicht schon bei den Beratungsstellen gemacht, die es ja von verschiedenen Trägern gibt?

A: Beratung ist wichtig, aber die Fokussierung auf Beratung der bundesweiten Erwerbslosenbewegung hat zur Verrechtlichung geführt und die Individualisierung befördert. Viele Erwerbslose wollen bessere Gesetzesexperten sein, und viele Erwerbslose, die Rat suchen, suchen die besseren Rechtsexperten. Aber das ist ein individueller rechtlicher Weg, eine kollektive Organisierung ist so kaum entstanden. Und wird es meiner Ansicht nach auch nicht. Das ist eine individuelle Hilfe, aber noch keine Basispolitik in meinem Sinne.

I:  Wie müsste eine Erwerbslosenbewegung so eine „Basispolitik“ bewerkstelligen? Wie kann das so eine locker verbundene Erwerbslosenbewegung überhaupt?

A: Na, das war ja schon das Ziel von dem Seminar "Zwischen Bittbrief und Barrikade"  Ende Oktober. Da hätte ich mir gewünscht, darüber zu reden. Die inhaltliche Diskussion, die mir ein Anliegen ist, über Perspektiven und was können wir leisten, kam meiner Ansicht nach aber nicht richtig in Gang. Es wurden Befindlichkeiten ausgetauscht. Ich hätte ich mir da etwas anderes gewünscht.

I:  Unsrer Einschätzung nach, ist es ganz wichtig über diese „Befindlichkeiten“ zu sprechen. Wir sehen da eh ein großes Frustrationspotential bei Erwerbslosen. Man ist ausgeschlossen, weil man arm ist, man muss aufs Amt und sich vor irgendwelchen Leuten rechtfertigen. Das strengt an und verletzt die Würde. Das schlägt sich doch auch auf die politische Arbeit nieder?

A: Natürlich gibt es Erwerbslose, die frustriert sind . Aber Erwerbslose sind nicht nur Opfer, sondern auch individuell widerständig. Wie können wir eine kollektive Organisierung erreichen? Man sollte doch zumindest im Kreis der AktivistInnen über Perspektiven und wie weiter reden können. Und der Workshop war halt für das „wie weiter“ gedacht.

I:  Was denkst Du, was ist nötig für das „wie weiter“?

A: Das erstmal über das eigene Handeln nachgedacht wird. Ich glaube, so eine Phase der Schwäche kann man nicht bewältigen mit einem „immer weiter so“, im gleichen Trott. Sondern da muss auch mal über die Ressourcen nachgedacht werden, wen wir ansprechen wollen – und, um das mal positiv zu wenden, was wir erreicht haben. Also über unsere Erfolge sollten wir sprechen. Und schauen woran das lag.

Ich finde nämlich, ich muss mich nicht von meiner Kritik an dem Politikstil in der Erwerbslosenbewegung distanzieren. Da gibt’s Dinge, die mir nicht gefallen, Dinge, die ich finde, die man diskutieren sollte. Ich lehne Briefe an Politiker ab, wie sie das Regelsatzbündnis schrieb   [ http://www.regelsatzerhoehung-jetzt.org/  ]. Ich lehne auch Forderungen an den Staat (80 Euro mehr für Lebensmittel, 500 Euro Regelsatz, 1500 Euro bedingungsloses Grundeinkommen) ab, wenn von unten kein entsprechender Druck da ist, um sie verwirklichen zu können.

I:  Wie sieht es denn mit dem Druck von unten aus? Kann die bundesdeutsche Erwerbslosenbewegung denn Leute mobilisieren?

A: Eine bundesweite Erwerbslosendemo mit 3000 Beteiligten ist für mich weiterhin kein "voller Erfolg". Bei den Montagsdemos sah das anders aus, da waren mehr Leute auf der Straße. Da sollten die entsprechenden Gesetze aber auch gerade erst eingeführt werden. Und medial war das sicher erfolgreich, weil es so überraschend kam. Doch letztlich haben sich da schon Spaltungen zwischen den Erwerbslosen gezeigt, die nicht thematisiert wurden. ArbeitslosenhilfebezieherInnen, die lange gearbeitet hatten, grenzten sich von den "faulen" SozialhilfebezieherInnen ab. Da müsste a) darüber geredet werden und b) sollte man das solidarisch lösen. Das ist so eine Meßlatte, die ich anlege.

 Aber da gibt es natürlich auch so eine komische Solidarität, die vereinnahmend wirkt wie die Instrumentalisierung z.B. durch die MLPD, so habe ich das gesehen, oder die Parlamentarisierung z.B. durch WASG, Linkspartei – und das von Erwerbslosen aus. Also von unserer Seite. Wir müssen unsere Unabhängigkeit und Eigenständigkeit bewahren, wie Harald Rein das sagt.

Und damit verbinde ich auch eine grundsätzliche Kritik an der inneren Struktur der bundesweiten Erwerbslosenbewegung, die man reflektieren muss, es gibt Hierarchien in der Erwerbslosenbewegung. Wer hat Zugang zu wem, zu PolitikerInnen oder zur Presse, wer kann Geld besorgen usw. Wer spricht für wen?

I:  Was wären für dich Alternativen? Wie denkst Du könnte eine Erwerbslosenbewegung erfolgreich sein?

A: Wir müssen unberechenbar sein, daher sind auch radikale Aktionsformen notwendig, die herrschende Normen verletzen. Harald Rein sagt: Es braucht ein Maß an Radikalität, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Aktionen sollten kreativ sein und Spaß machen. Wir brauchen eine Vernetzung weltweiter sozialer Kämpfe, hier fehlt zumindest in Berlin wirklich der Internationalismus. Wir brauchen eine Vision von einer anderen Gesellschaft, wir müssen beginnen, über Transformation nachzudenken. Wir müssen die Systemfrage stellen. Und nicht nur für die Mobilisierung ist es wichtig, Gegenstrukturen von unten zu schaffen. Bei der Systemfrage und den Gegenstrukturen geht es darum im Hier und Jetzt bereits anders zu leben, anders leben zu können. Davon muss man erst einmal eine Vorstellung gewinnen.

Und mir sind die alltäglichen Kämpfe wichtig, wie Begleitungen, „Zahltag“, Militante Untersuchungen, Jobcenterversammlungen, die es möglich machen solidarisch und reflektiert die eigenen Sachen anzugehen. Da hilft auch sowas wie Aufklärung, wie bei  Veranstaltungen und Seminare zu den Themen. Die ist notwendig, damit wir auch was neues lernen, was uns hilft. .

I:  Was hoffst Du für die Zukunft?

A: Für mich persönlich? Ich hoffe, dass endlich nicht nur die polemischen Abschnitte meiner Texte diskutiert werden, sondern meine inhaltliche Kritik und die Alternativen. Für die Erwerbslosenszene, da weiss ich nicht, – dass man wieder miteinander redet und dass man einen neuen Anfang findet vielleicht. Sich auf die Suche macht aus dem ganzen Labyrinth.

Editorische Hinweise

Wir erhielten das Interview von Anne Seeck.