Stalinismus & Antikommunismus, Ideologie & Wissenschaft
1968 erschienen zwei Bände Werner Hofmanns

von Richard Albrecht

12/2018

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"GESTORBEN: WERNER HOFMANN, 47. Der Marburger Soziologe und Nationalökonom war Mitbegründer, Motor und hessischer Spitzenkandidat der linken Sammlungs-Partei ADF, die bei den Bundestagswahlen scheiterte. Mit einer für bundesdeutsche Professoren ungewöhnlichen politischen Aktivität wollte er die "Kathederlyrik" bloßer Theorien überwinden und seine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft praktisch einlösen. Den etablierten Kommunismus hielt der gebürtige Thüringer für eine "nicht unausweichliche" Entartung des Sozialismus; anarchistischen Studenten, die im letzten Winter 14 Tage lang sein Institut besetzt und ramponiert hatten, verübelte er ihren "blinden Aktionszwang". Gleichwohl kündigte er kurz vor seinem Tod an, sein Haus in Wehrda sei von sofort an "Jeden Samstag ab 19.30 Uhr für jeden Gesprächswilligen" geöffnet.


Zum erstenmal an einer westdeutschen Universität veranstaltete Hofmann, der sein Studium als Bauhilfsarbeiter verdient hatte und seine Kritik der Gesellschaft und der Nationalökonomie inzwischen in zahlreichen Büchern vorgetragen hat ("Stalinismus und Antikommunismus", 1967; "Universität, Ideologie, Gesellschaft", 1968), im vergangenen Sommer ein Seminar über Mitbestimmung, an dem neben Studenten auch Arbeiter teilnahmen. Er gründete den "Bund Demokratischer Wissenschafter" und bekämpfte die Notstandsgesetze, weil er "die Verfassungsordnung vor ihrer gänzlichen Zerstörung retten" wollte. Am 9. November starb er bei der Gartenarbeit an einem Kreislaufkollaps."

Soweit das Hamburger Montagsmagazin DER SPIEGEL (47/1969). Werner Hofmann (1922-1969) wurde dort bereits in einem kritischen Bericht über das KP-kompatible Wahlprojekt Aktion Demokratischer Fortschritt (AFD) zitiert (51/1968): Die "Wahl zwischen CDU/CSU, SPD, FDP, NPD" gleicht der "Wahl zwischen Typhus, Cholera, Pocken und Selbstmord.“

Zu Hofmann als Person erinnere ich ein kurzes Telefonat und eine längere öffentliche Diskussion: Im März 1968 lud ich ihn im Auftrag des AStA vergeblich zu einem Vortrag nach Mannheim gegen die (im Mai verabschiedeten) Notstandgesetze ein. Im Sommer 1969 gab es im großen Hörsaal der Uni Heidelberg eine Veranstaltung mit ihm als Kandidaten zur Bundestagswahl am 28. 9. 1969 (da durfte ich, 24jährig, erstmals wählen): Erinnerlich ein vom Habitus stockkonservativer älterer deutscher Professor. Der in der Debatte gegen uns antiautoritäre SDS-Studies, die gegen den bürgerlichen Parlamentarismus polemisierten, so beredt wie lebhaft wurde. Nachdem der erste antiparlamentarische Pulverdampf sich verzogen, der SDS sich auf Bundesebene aufgelöst hatte und als verfassungsfeindliche Organisation mit seinen wenigen noch aktiven Gruppen, vor allem in Heidelberg, im Juni 1970 in Baden-Württemberg verboten wurde, blieb Zeit zum Lesen. Und fürs Examen.

Hofmanns Bücher der edition suhrkamp wurden damals von theorieinteressierten Politlinken gelesen: Stalinismus und Ankikommunismus. Zur Soziologie des Ost-West-Konflikts in 2., überarbeiteter Auflage (Ffm. 1968, es 222, 171 p.) und Universität, Ideologie, Gesellschaft. Beiträge zur Wissenschaftssoziologie in zwei textidentischen Auflagen (Ffm. 1968, es 261, 143 p.). Beide gehen über spezielle wirtschaftswissenschaftliche und -soziologische Arbeitsfelder des Autors hinaus.

Beim Stalinismus unterschied Hofmann zwischen den historischen Umständen der frühen Sowjetgesellschaft mit nachholender Industriealisierung als der "ursprünglichen Akkumulation" von Kapital vergleichbarem nachhaltig terroristischen gesellschaftlichen Prozeß und der allgemeinen Denkform, die jede nötige wissenschaftliche Kontrolle durch Gesinnungskontrolle ersetzt und nicht nach der Sache, sondern nach den Absichten der Person fragt.

Wissenschaft bestimmt Hofmann als "methodische (d.h. systematische und kritische) Weise der Erkenntnissuche". Sie sei "ihrem allgemeinen Inhalt nach gerichtet: 1. auf das Erscheinungsbild der Wirklichkeit (als sammelnde, beschreibende, klassifizierende Tätigkeit, als Morphologie, Typologe usw.); 2. als theoretische Arbeit auf Zusammenhang, Bedeutung, Sinngehalt der Erscheinungen, auf wesentliche Grundsachverhalte, auf Gesetze der Wirklichkeit. Die Erschließung des Erfahrungsbildes der Welt arbeitet der theoretischen Deutung vor; sie begründet deren empirische Natur und die Überprüfbarkeit ihrer Ergebnisse. Die Theorie aber stiftet erst die Ordnung des Erfahrungsbildes; sie erst gibt der empirischen Analyse ihren Sinn und nimmt die Erscheinungssicht vor der bloßen Form der Dinge in Hut. In diesem dialektischen Widerspiel von Erfassung und Deutung der Wirklichkeit ist konstitutiv für Wissenschaft die Theorie. Nicht immer verlangt das Verständnis von Wirklichkeit nach Theorie; doch erst mit der Theorie hebt Wissenschaft an."

Editorischer Hinweis

Zugeschickt vom Autor am 4. Dezember 2018. Erstdruck im Linzer Fachmagazin soziologie heute, Heft 59 (2018), p. 47. - Bei TREND finden sich folgende Texte von Werner Hofmann: