Editorial
Storyteller


von Karl-Heinz Schubert

12/2019

trend
onlinezeitung

Die moderne bürgerliche Geschichtswissenschaft lebt von der Narrativität als der zentralen Methode bei ihrer Wissensproduktion. Streng genommen handelt es sich  nicht um Wissensproduktion sondern um Meinungsproduktion oder kurz: um Ideologie. Auch in der empirisch arbeitenden Soziologie ist diese Methode zu Hause. Von daher war es ein wenig befremdlich, dass ich unlängst auf einer Podiumsdiskussion bei der "NEA" zum Thema " Die DDR – Historisch-Kritische Aneignung und Diskussion eines sozialistischen Versuchs" von dem daran teilnehmenden Referenten der DKP nichts anderes als "Storytelling" zu hören bekam, während sich der Vertreter der Gruppe Arbeiter/Innenmacht ebenso wie ich bemühte, mit einer auf den dialektischen und historischen Materialismus gestützten Methode die Entwicklung der DDR von ihren Anfängen bis zu ihrer Implosion zu beleuchten.

Die wirklich interessanten Widersprüche zwischen den GAM- Genossen und mir  (die DDR "deformierter Arbeiterstaat" oder "bürokratischer Staatskapitalismus") konnten leider nicht vertieft werden, da der DKP-Genosse mit seinen DDR-Wurzeln es einfach nicht lassen konnte, zwischendurch sein hohes Lied auf die friedliebende DDR mit ihrer Vollbeschäftigung, den preiswerten Mieten und der Frauenbefreiung zu singen. Und schließlich durfte auch nicht sein Hinweis fehlen, dass die staatskapitalische, neoimperialistische VR China ein für heute wegweisender sozialistischer Staat sei. Quellenhinweise , wie z.B. auf Charles Bettelheim, wurden von ihm hingegen als "antikommunistisch" diffamiert. Positive Resonanz erhielt er sichtlich nur von seinen anwesenden DKP-Freund*ínnen.

Gut 40 Zuhörer*innen bekamen von daher ein Schauspiel geboten, mit dem sich erklären lässt, warum eine Linke, die mit ihrer Geschichte so umgeht wie der DKP-Genosse, bisher keinen Blumentopf bei den lohnabhängigen Massen gewinnen konnte und auch nicht gewinnen wird.

Kommen wie in diesem Jahr historisch gewichtige Jahrestage zusammen, dann schlägt die Stunde jener Zeitzeugen, deren Narrative im jeweiligen Spektrum besonders hoch im Kurs stehen. Storysteller Nr. 1 in Sachen DDR-Geschichte war folglich Egon Krenz, der letzte SED- und Staatschef der DDR und heutige VR China-Fan, der zu diesem Zwecke am 12.10.19 im "Bochumer DDR-Kabinett" auftrat. Was quasi als Low-cost-Narrativ auf der "NEA"-Veranstaltung durch den DKPisten verabreicht wurde, wurde in Krenzens Vortrag in allen Facetten ausgewalzt, um den Mythos sozialistische DDR abzufeiern. Wir spiegeln zur Abschreckung den Vortrag ungeschminkt, so wie er bei der KPD-Online veröffentlicht wurde.

Dass Geschichte nicht nur anders vermittelt werden kann, sondern muss, soll der Bericht über das westberliner Druckhaus Norden in dieser Ausgabe aufzeigen. Hier wird deutlich, dass im Untergang der DDR die führende SED/PDS-Clique keinerlei Interesse hatte, jenen parteieigenen Betrieb der Belegschaft zu übertragen. Dies ist quasi das Menetekel zum Ausverkauf der "volkeigenen" Wirtschaft der DDR durch die von der Modrow-Regierung auf den Weg gebrachte Treuhand.

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Pünktlich - wie geplant - erscheint die Nr. 12/2019 zum 1. Dezember. Nach intensivem Umbau steht nun wieder die technische Basis, um TREND und Infopartisan wieder im bekannten Rhythmus erscheinen zu lassen.

Da es im November wegen der Havarie kein Update gab, haben sich bei unserem Frankreich-Korrespondenten Bernard Schmid eine Menge Artikel angesammelt, die mit dieser Ausgabe unseren Leser*innen endlich zur Verfügung stehen.

Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe!

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