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Pressemitteilung 25. November 1998
Anfechtung der Bundestagswahl
Kinderrechtsgruppe fordert die
Abschaffung der Altersgrenze beim Wahlrecht

12/1998
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KinderRAechTsZAenker


Knapp zwei Monate nach der Bundestagswahl hat die Kinder-
rechtsgruppe K.R.Ae.T.Z.Ae. fristgerecht Einspruch gegen
die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag eingelegt. Nun muss
sich der Wahlpruefungsausschuss des Bundestages mit der ju-
ristischen Argumentation auseinandersetzen. In dieser
heisst es, dass die in Art. 38(2) des Grundgesetzes (GG)
festgelegte Altersgrenze von 18 Jahren verfassungswidrig
ist. Sie verstosse gegen Art. 20 GG, wonach "alle Staatsge-
walt vom Volke ausgeht", zu dem Kinder und Jugendliche un-
zweifelhaft gehoeren.

Die Berliner Kinderrechtsgruppe K.R.Ae.T.Z.Ae. unternimmt
einen neuen Anlauf zur Durchsetzung des Wahlrechts ohne Al-
tersgrenze. Drei Mitglieder der Jugendgruppe im Alter von
13, 17 und 18 Jahren haben mit Hilfe ihres Muenchner
Rechtsanwaltes Peter Merk ein Wahlpruefungsverfahren einge-
leitet, um eine Aenderung des "derzeit undemokratisch ge-
stalteten" Wahlrechts zu erreichen.

In einer Demokratie muesse gelten, dass alle Menschen, die
von Entscheidungen betroffen sind, sich am Zustandekommen
dieser Entscheidungen beteiligen koennen. Das geschehe
hierzulande ueblicherweise durch Waehlen. Da etwa 20% der
Bevoelkerung aufgrund ihres Alters von der Bundestagswahl
ausgeschlossen waren, sei die Zusammensetzung des Parla-
ments undemokratisch zustandegekommen. Die Wahlanfechtung
sei deshalb gerechtfertigt.

Die Altersgrenze beim Wahlrecht (Art. 38(2) GG) sei eine
"verfassungwidrige Beschraenkung des Kreises der aktiv
Wahlberechtigten", heisst es in der Begruendung. Die Al-
tersgrenze widerspreche dem Grundsatz der Allgemeinheit der
Wahl, die als "integraler Bestandteil" des Demokratieprin-
zips (Art. 20) gilt. Das aktive Wahlrecht, das aus Artikel
20 folgt, sei zudem als politisches Grundrecht anerkannt.
Die Vorenthaltung dieses Grundrechts auf politische Mitbe-
stimmung verweigere den jungen Menschen die Subjektstellung
und stelle damit einen Verstoss gegen die Menschenwuerde
(Art. 1(1) GG) dar. Daraus ergebe sich ein innerer Wider-
spruch der Verfassung. Artikel 1 und 20 sind als einzige
mit der Unantastbarkeitsklausel des Art. 79(3) versehen und
werden deshalb auch Staatsfundamentalnormen genannt. Sie
seien im Fall verfassungsinterner Widersprueche hoeher ein-
zustufen als andere Grundgesetzartikel. Hingegen ist Art.
38(2) keinesfalls unantastbar, sondern kann jederzeit durch
2/3-Mehrheit von Bundestag und Bundesrat geaendert werden.

Nun wird sich zunaechst der Wahlpruefungsausschuss des Bun-
destages mit dem Anliegen der Kinderrechtler auseinander-
setzen muessen. Ueber den Vorschlag des Ausschusses werden
dann die Abgeordneten abstimmen. Falls ihr Antrag vom Bun-
destag abgelehnt wird, wollen die Jugendlichen von
K.R.Ae.T.Z.Ae. dagegen beim Bundesverfassungsgericht kla-
gen.

K.R.Ae.T.Z.Ae. betont, dass die Anfechtung der Wahl ganz
unabhaengig vom konkreten Ausgang der Wahl sei. Eigentlich
gehe es nicht um Neuwahlen, sondern vor allem darum, dass
sich die Bundestagsabgeordneten, die Richter und letztlich
dadurch die Oeffentlichkeit mit kinderrechtlichen Forderun-
gen auseinandersetzen. In der Vergangenheit gab es schon
mehrfach Wahlpruefungsverfahren, die nicht zur Neuwahl des
Bundestages fuehrten, jedoch prinzipielle Weichenstellungen
fuer die Zukunft ausgeloest haben.

Mit ihrer Forderung "Kein Mensch darf auf Grund seines Al-
ters an der Wahl gehindert werden." wollen die Kinder-
RAechTsZAenker einerseits die konkrete politische Mitbe-
stimmung durchsetzen und andererseits auf die auch in ande-
ren Lebensbereichen anzutreffene "mangelhafte Rechtsstel-
lung der Menschen unter 18 Jahren und ihre Rolle in der Ge-
sellschaft" aufmerksam machen.

Nach Ansicht der Kinderrechtsgruppe wuerden zur Zeit die -
sowohl gegenwarts- als auch zukuftsbezogenen - Interessen
von jungen Menschen nur unzureichend in der Politik
beruecksichtigt. Dies werde sich erst dann aendern, wenn
Kinder und Jugendliche das Wahlrecht haben und somit Waeh-
lerpotential waeren. "Wir gehen davon aus, dass dann alle
Parteien kinderrechtliche Forderungen in ihre Programme
aufnehmen werden.", so die KinderRAechTsZAenker.

Nach Meinung von K.R.Ae.T.Z.Ae. koennen mit der Einfuehrung
des Wahlrechts ohne Altersgrenze wesentliche Verbesserungen
der Lage von Kindern und Jugendlichen in der Schule, in der
Familie und in anderen Bereichen der Gesellschaft erreicht
werden. Deshalb wird die Forderung der KinderRAechTsZAenker
inzwischen von vielen Persoenlichkeiten aus Wissenschaft,
Kultur und Politik unterstuetzt.

Bereits 1995 hatten zwei 13- und 16-jaehrige Mitglieder der
Gruppe eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht,
die jedoch aus formalen Gruenden abgelehnt worden war, weil
die Klage nach Meinung des Gerichtes bereits Anfang der
50er Jahren haette eingereicht werden muessen, als die
Klaeger noch gar nicht geboren waren. Der 17-jaehrige Ro-
bert Rostoski, der auch am Wahlpruefungsverfahren teil-
nimmt, hatte in einem anderen Verfahren im Vorfeld der Bun-
destagswahl die Eintragung ins Waehlerverzeichnis bean-
tragt. Die entsprechende Klage vor dem Berliner Verwal-
tungsgericht war als unzulaessig abgewiesen worden, da das
Gericht nicht in die Durchfuehrung der konkreten Wahl ein-
greifen duerfe. Allerdings hatte der Richter in seiner Ur-
teilsbegruendung ausdruecklich auf die Moeglichkeit eines
Wahlpruefungsverfahrens hingewiesen.

Zahlreiche weitere Argumente und Informationen stehen auf folgenden Internetseiten: http://privat.schlund.de/kraetzae/wahl.htm
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