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Demokratiemaschine Internet

Die Renaissance des Aktivbürgers im Cyberspace

Quelle:
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12/1998
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"Richtige Informationen sind für uns unerläßliche Produktionsmittel und schlagkräftige Waffen im Klassenkampf!"
(Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten, 1973)

Von den Kalifornischen Ideologen zu den bundesdeutschen Liberaldemokraten: Das Netz dient weiter als Projektionsfläche für Demokratietheorien jeglicher Provienz. Während Altautonome sich in hilflose Kritik flüchten und behaupten, Computerfreaks unterlägen allesamt dem Trugschluß, sie würden die Verhältnisse auf den Kopf stellen (l.u.p.u.s. 1998: 122), so stehen die liberalen Verfechter der elektronischen Kommunikation fest auf dem Boden der demokratischen Grundordnung und wollen den besseren Staat machen. Alle eint, daß ihnen die technischen Möglichkeiten computerunterstützter Kommunikation Anlaß geben, über Fragen des politischen Handelns und der Demokratietheorie neu zu verhandeln beziehungsweise altbekanntes neu zu formulieren. Diese Diskussionen über Medien, seien es die neuen, computerunterstützten oder die altbekannten Massenmedien zeichnet indes seit jeher eine eigentümliche Verknüpfung: die zwischen eben diesen technischen Möglichkeiten, die Medien zur Verbreitung von Information und Meinung bieten, und den vermeintlichen Auswirkungen, welche diese Möglichkeiten auf die Verfasstheit der Gesellschaft haben.

Eine dieser Möglichkeiten ist dabei zu einem Paradigma erhoben worden: die Interaktivität. Von den Auseinandersetzungen mit den klassischen Massenmedien bis hin zu den Konzepten elektronischer Demokratie steht die Möglichkeit, senden und empfangen zu können als Chiffre für wahrhaft demokratische Verhältnisse. Medien- und Kommunikationstheorien verweisen, folgt man dieser Verknüpfung, demnach direkt auf demokratietheoretische Fragestellungen. Anders gesagt: Jede Medientheorie ist auch auf ihre demokratietheoretischen Grundlagen zu untersuchen. Über dieses Verhältnis von Medien, Kommunikation und Demokratie spricht dieser Text. Er will in Frage stellen, daß Medientechniken wie etwa Interaktivität 'an sich' und zwangläufig in einer spezifischen Art und Weise gesellschaftliche Verhältnisse beeinflussen.

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Martin Hagens Überblick über die bundesrepublikanische Diskussion über die Demokratisierungspotentiale Neuer Medien folgend, besteht die Gemeinsamkeit aller Konzepte von elektronischer Demokratie in dem Wunsch nach "Revitalisierung öffentlicher politischer Diskussionen" (Hagen 1997: 88). Neue Medien, so die generelle Einschätzung, seien wegen der Bereitstellung von interaktiven, raum- und zeitübergreifenden Kommunikationsmöglichkeiten potentiell in der Lage, demokratische Prozesse zu unterstützen. Anhand zweier Exponenten dieser Diskussion lassen sich zentrale Argumentationen aufzeigen.

Rainer Rilling, Gründer der Initiative "Informationsgesellschaft - Medien - Demokratie", dem Neue Medien-Forum des Marburger Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, konfrontiert diese potentiellen Möglichkeiten der Computernetze zunächst mit empirischen Beobachtungen über die faktische Nutzung und kommt dabei zu dem Schluß, daß das Netz nicht zuletzt wegen der begrenzten Reichweite des Projektes einer computervermittelten Demokratisierung unpolitisch sei. Er spricht von drei hegemonial vorherrschenden Arten der Nutzung: Propaganda und Werbung im althergebrachten Sinn, Bestrebungen der Rationalisierung politischer Prozesse und mit einem wesentlich geringeren Stellenwert die gesellschaftliche Organisation von Politik im Netz. Als Akteure benennt er "Frohsinnsprovider" (Rilling 1996: 6), welche eine "Kommerzialisierung der Politik" (ebd.) betreiben, "politische Unternehmer" (ebd.), die ihre Macht aus dem 'real life' in das Netz übertragen und zuguterletzt den "Aktivbürger" (ebd.), dem ein Nischendasein eingeräumt werde. In der Entwicklung der Computernetze sieht Rilling kommunikative Elemente wie Newsgroups und Mailinglisten gegenüber dem World Wide Web mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Aufgrund einer "extrem differenzierten und hochprofessionalisierten technischen Kultur" (ebd.: 8f) werde es selbst zu einem undemokratischen Medium , da einer potentiell demokratischen Rezeption eine rehierarchisierte Produktionsweise gegenüberstehe.

Claus Leggewie, Gießener Politikprofessor mit Lehrverpflichtung in New York und Vorzeigewissenschaftler der "Burda Akademie zum dritten Jahrtausend", einem industrienahen Münchner Think Tank orientiert sich in seiner Beschäftigung mit den 'Netizens' und ihrem Medium an der Demokratieverträglichkeit des Mediums selbst und konstatiert zunächst zwei widersprüchliche Entwicklungen: Dem am politischen Betrieb desinteressierten Durchschnittsbürger stehe ein wachsendes Potential alltagsdemokratischer Mitbestimmung gegenüber. Dieses Auseinanderklaffen sei unter anderem dadurch verursacht, daß sich die Alltagskommunikation mehr und mehr von lebensweltlicher Erfahrung und Interaktion entfernt habe. Als Orientierung definiert er einen Idealtypus des demokratischen Prozesses: "Eine Höchstzahl von Bürgern informiert sich über alle relevanten öffentlichen Angelegenheiten, wägt sie in rational strukturierter Meinungs- und Willensbildung ab, wählt unter einer ausreichenden Zahl von Alternativen politische Eliten aus, die in repräsentativen Organen (Parlamenten) entscheiden und dabei durch direkte Abstimmungen unterstützt werden. Zu diesem Prozeß gehört die Chance zur Revision einmal getroffener Entscheidungen und auch die periodische Meta-Reflexion über Funktionstüchtigkeit und Legitimationsbasis des politischen Körpers." (Leggewie 1996: 5) Dieser Idealtypus sei durch die Aufhebung der Identität von Herrschaftsobjekten und -subjekten und dem Zerfall eines gemeinsamen kulturellen Fundaments bedroht. Die demokratietheoretischen Forderungen, die sich für Leggewie aus dem konstatierten Zustand der Demokratie und den technischen Möglichkeiten der Neuen Medien ergeben, beziehen sich vor allem auf den Umgang mit Informationen: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Schutz vor Pressekonzentration, informationelle Selbstbestimmung. Datenschutz, ungehinderter Zugang zu staatlichen Informationsquellen und eine gesicherte informationelle Grundversorgung seien die Garanten für potentielle positive Auswirkungen des Internets auf die Demokratie. Nur wenn die informationelle Grundversorgung gesichert sei, eine bürgernahe Verwaltung bestehe und Medienkompetenz vermittelt werde, könne das liberalisierende Potential des Internets überhaupt ausgeschöpft werden. Kurzum, für Leggewie steht das Internet für die Ablösung des Fernsehens als Medium der "Zuschauerdemokratie" (Leggewie 1996: 2) zugunsten einer 'Beteiligungsdemokratie', in der die alten demokratischen Formen der Kommunikation, Diskussion und Publikation wiederbelebt würden.

Der Status Quo: Demokratie am Ende?

Auffallend an den Beiträgen ist zunächst der durchweg positive Bezug auf Öffentlichkeit als zentrale Institution von Demokratisierungsprozessen. Öffentlichkeit wird gemäß ihrer normativen Grundlagen als Institution der bürgerlichen Gesellschaft angesehen, die sich ihrem Anspruch nach niemals abschließt und dem Staat als Ort der Entscheidungsfindung vorgelagert ist. Dieser Blickwinkel ist geprägt durch eine Logik der Demokratisierung, innerhalb derer Kommunikation wiederum das Schlüsselwort ist. Zivilgesellschaft, ein Begriff, dessen empirische Evidenz nicht erst mit den rassistischen Übergriffen im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung schwand, erlebt in der Netzdebatte eine Art Renaissance. Die rund um 1989 in breiten Kreisen vollzogene Abkehr von Kapitalismuskritik steht in ihrem Kern für einen Rückzug auf liberaldemokratische idealtypische Modelle, die mit den realen Entwicklungen im höchst widersprüchlichen Zusammenhang von Kapitalismus und Demokratie nicht mehr abgeglichen werden. Wenn etwa Leggewie von einem konstatierten Mißverhältnis zwischen politikverdrossenen Bürgern und den durch die "Beteiligungsrevolution" (Leggewie 1996: 1) um 1968 entstandenen Mitsprachemöglichkeiten spricht, so reduziert er den Topos "68" auf einen Zivilisierungsakt der 50er Jahre-BRD. Dabei steht gerade die um 1968 erstarkende Neue Linke für die Thematisierung der ideologischen Funktion dieses liberaldemokratischen Anspruches der potentiellen Beteiligung aller und der Realität von Demokratie als ein Herrschaftsmechanismus der bürgerlichen Gesellschaft.

Unter den liberaldemokratischen Voraussetzungen der Debatte, dem Ausgehen von freien und gleichen Bürgern, die rational aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen über gesellschaftliche Fragestellungen entscheiden, erscheint der Schluß verständlich, daß eine Repräsentationskrise dieses Modell in Frage stellen würde. Rainer Rilling beschreibt das Modell der Repräsentation als zentrale Errungenschaft moderner Demokratie: "Die zentrale politische Innovation des 19. und 20. Jahrhunderts war die Massenorganisation der Arbeiterbewegung - Partei und Gewerkschaft - als Nomenklatur oder Repräsentanz der neuen Klasse [...]. Diese politische Repräsentanz basierte auf Gruppenidentität, auf deren Erfahrungshintergrund individuelle Entscheidungen getroffen wurden und Wahl, Mandat, Delegation Bedeutung hatten. Diese alte Kohärenz zerbricht. Das Resultat ist die Krise der politischen Repräsentanz, als deren Element Politikverdrossenheit, Gleichgültigkeit und Delegitimation einzelner politischer Mehrheitsentscheidungen oder dieses Verfahrens selbst gelten können - Stichwort 'Demokratieversagen'." (Rilling 1996: 15) Repräsentation wird somit nicht in ihrer doppelten Funktion als Grundlage von Demokratie im Sinne der Emanzipation der Individuen und als Herrschaftsinstrument im Sinne der Bildung von Zwangskollektivitäten wie Klasse, Geschlecht und Ethnie gesehen. Identitätslogik und die damit verbundenen Ausschlüsse werden stattdessen im Sinne einer klassischen Demokratietheorie als veränderbare Praxen einer Öffentlichkeit angesehen, die ihrem Ideal nach alle Ausgeschlossenen früher oder später in ihre zivilgesellschaftlichen Konfliktregelungsmechanismen mit einbezieht. Dem entgegen steht eine Kritik an Repräsentation, die genau diese Art der Öffentlichkeitsbildung durch Stellvertreter, die für eine bestimmte Gruppe sprechen sollen, als herrschaftlichen Akt kritisiert. Diese Kritik beschreibt Repräsentation nicht als ein einfaches Verhältnis, sondern als ein Regime: Repräsentation ist nicht ein neutrales Vermittlungsstück, daß dem Pluralismus der Gesellschaft zum Ausdruck verhilft, sondern übt vielmehr die Funktion eines Filters aus, der über Einschluß und Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen entscheidet. Das was aus ersterer Perspektive als eine im Demokratie-stabilisierenden Sinn zu behebende Krise der Demokratie erscheint, ist in der hier präferierten Sichtweise eine Krise, die es erlaubt, das System der Repräsentation vielleicht nicht zu überwinden, aber dennoch radikal zu kritisieren. (Vgl. Bojadzijev 1997; Hall 1994)


Helfer in demokratietheoretischer Not: Neue Medien als Instrument kritischer Gegenöffentlichkeit?

Werden in der Diskussion zwar zahlreiche Kritikpunkte an der Cyberspace-Euphorie benannt, so erscheint das Netz dennoch als eine mögliche Welt, in der genau das wieder aufgebaut werden könnte, was in der 'real life'-Demokratie gescheitert ist: eine liberaldemokratische frühbürgerliche Öffentlichkeit. Im Netz, das alle Möglichkeiten der vielfältigen, differenzierten und bequemen Meinungsäußerung bietet, soll eine neue alte Form der Versammlungsöffentlichkeit entstehen. Die 'Virtual City' erwächst aus einer Verbindung von postmoderner Technikeuphorie und moderner Faszination des Urbanen und erinnert schon allein in ihrem Rückgriff auf Metaphern des Städtischen eher an klassisch-bürgerliche Demokratien, als daß das Idealbild der Versammlungsöffentlichkeit, das einer von Medien gesteuerten Öffentlichkeit entgegengestellt wird, neue Wege aufweisen würde. (Vgl. Roller/Schönberger 1998)

Diesem Verständnis von Demokratie gilt es, einen anderen Blick auf die zentralen Institutionen der Demokratie entgegenzustellen: Öffentlichkeit ist keine der Macht äußerliche Sphäre sondern ein durch Hierarchisierungen gekennzeichneter und umkämpfter Raum. Das emanzipatorische Potential des Begriffes Öffentlichkeit ist wesentlich geringer, als insbesondere in der Diskussion um elektronische Demokratie angenommen. Öffentlichkeit ist nicht etwa das Gegenteil, sondern fester Bestandteil von Macht in mehrfacher Weise. Die Struktur des öffentlichen Raumes besteht in einem kämpferischen Verhältnis miteinander in Konflikt um die Grenzziehungen des Öffentlichen stehenden differenzierten Öffentlichkeiten. Es kann demnach auch keine allgemeinverbindliche Demokratie- und Öffentlichkeitstheorie geben, sondern lediglich widerstreitende Definitionsversuche, eine "Sorge um Demokratie" (Demirovic 1994: 46), die sich in genau diesem Rahmen bewegt. (Vgl. Demirovic 1994 und 1997)

Zivilgesellschaft als die klassische Sphäre der Öffentlichkeit ist zum einen privat, da nicht direkt dem Staat unterstellt aber auf der anderen Seite, als dem Staat vorgelagerte Sphäre der politischen Meinungsbildung öffentlich. Staat als Gewaltverhältnis und Zivilgesellschaft als Sphäre der Demokratie erscheinen somit nicht mehr als abstrakte Gegensätze, sondern als sich wechselseitig bedingende Einheit. Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit als die Orte der Demokratie sind beides: Garant bestehender Herrschaftsverhältnisse und Möglichkeit der Emanzipation. Herrschaft in der Demokratie wird nicht in erster Linie durch Repression, sondern durch Hegemonie innerhalb der zivilgesellschaftlichen Sphäre ausgeübt: "Hegemonie wird nicht allein in der Öffentlichkeit und um die Grenzen der Öffentlichkeit praktiziert, sondern Öffentlichkeit ihrerseits praktiziert Hegemonie, eine Form von kultureller Herrschaft, insofern mit einem enormen Form-, Regel-, Anstands- und Hierarchiebewußtsein die freie diskursive Praxis von den sozialen Akteuren getrennt, reduziert, kontrolliert, diszipliniert und normalisiert wird." (Demirovic 1997: 182) Genau diese Dimension läßt die Debatte um elektronische Demokratie vermissen. Statt dessen soll ein vermeintlicher Rückgriff auf Argumente des Konzeptes Gegenöffentlichkeit den kritischen Impetus der 'Cyberlogen' untermauern. Der Grundgedanke, daß die vom Volke kommenden und zu ihm zurückkehrenden Nachrichten, wie es der Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten zu seiner Gründung 1973 formulierte, wesentlich für emanzipative Veränderungen sei, hat sich von den alternativen Medien der 70er Jahre in das Computerzeitalter hinübergerettet. Der informierende und informierte Aktivbürger mit seinen rationalen politischen Entscheidungen und alltäglichen Handlungen hat als zentrale Subjektposition den Sprung aus den Szenepublikationen in die Onlinemagazine geschafft. Der Rückgriff auf das Konzept Gegenöffentlichkeit zeichnet sich durch zweierlei aus: Einmal, daß nahezu ungebrochen an eine Diskussion angeknüpft wird, die vor nun schon 30 Jahren ihren Ausgang nahm und innerhalb derer inzwischen zahlreiche Erfahrungen angehäuft wurden, die nicht umsonst zum Ende zahlreicher Projekte der Gegenöffentlichkeit in den letzten Jahren beitrugen. Darüber hinaus nimmt der alleinige Bezug auf Information als Grundlage emanzipativen Handelns dem Konzept Gegenöffentlichkeit den darüber hinausgehenden gesellschaftskritischen Impetus.

Um dies zu verdeutlichen, sei auf den Kontext verwiesen, innerhalb dessen sich das Konzept Gegenöffentlichkeit entwickelte. Das Konzept Gegenöffentlichkeit speist sich aus dem gesellschaftstheoretischen Kontext des westlichen Marxismus und der Neuen Linken, der in bezug auf bürgerliche Herrschaft davon ausging, daß die Herrschaft der Bourgeoisie irrational geworden sei. Es ginge der bürgerlichen Klasse nicht mehr um die Verwirklichung der Ziele der bürgerlichen Revolution, sondern um ihre eigene Machterhaltung, so das zentrale Argument. Diese sei nicht mehr vernünftig begründbar und so bedient sich die herrschende Klasse des Mittels der Manipulation, welches helfe, die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse zu verdecken. In ihrer Kritik an den Massenmedien entwickelte die Neue Linke eine soziale Praxis, die sich in Teilen auf frühbürgerliche Ideale einer rational diskutierenden Öffentlichkeit bezog, aber auch dezidiert gegen das Repräsentationsprinzip und für die Selbstorganisation und Selbstartikulation der Individuen eintrat.

Die soziale Praxis der Gegenöffentlichkeit hat allerdings deutlich gezeigt, daß es nicht möglich ist, ungebrochen an frühbürgerliche Konzepte einer liberalen Versammlungsöffentlichkeit anzuknüpfen. Diese Vorstellung einer 'authentischen' Meinungsbildung und -äußerung von Aktivbürgerinnen und -bürgern ignoriert die Rolle von Medien und gesellschaftlicher Kommunikation, die komplexe Art und Weise, wie Öffentlichkeit und öffentliche Meinung mit den verschiedenen Instanzen ihrer Erzeugung verwoben sind.

Konsensfabrik Kommunikation

Kommunikation dient indes nicht nur zur Meinungsbildung der Einzelnen, sondern auch zur Bildung eines gesellschaftlichen Konsenses. In den Theorien der Neuen Medien werden diese als Elemente einer neuen Individualkommunikation angesehen, welche die Massenkommunikation der klassischen Zuschauermedien ablösen würde. Während die einen davon ausgehen, daß nur diese Massenmedien mit ihrem universellen Charakter überhaupt Öffentlichkeit herstellen können, sehen die Neue Medien-Protagonisten wie etwa Claus Leggewie in der Individualkommunikation eine neu entstehende Beteiligungsmöglichkeit für den engagierten Staatsbürger. Dieser innerhalb der angeführten Diskussion relevanten Unterscheidung ist entgegenzuhalten, daß es eine gemeinsame strukturelle Grundlage von Massen- und Individualkommunikation gibt: Diese kann gegen das Paradigma der Interaktivität, das einen aktiven Part in der Kommunikation nur den Sendenden einräumt, mit Stuart Hall als ein per se zweiseitiger Akt beschrieben werden: "In der Tat, genauso wie die Kodierung von Realität eine soziale Praxis ist (oder eine Reihe von Praxen), so auch der 'Empfang der Botschaft'. Das Publikum oder der Empfänger muß auch einen Interpretationsrahmen entwickeln, damit die 'Botschaft ankommt' und die 'Bedeutung begriffen wird'." (Hall 1989: 135) Das heißt also, daß Kommunikation als soziale Praxis nicht allein dadurch bestimmt werden kann, welche Botschaften gesendet werden, sondern in großem Maße von eben diesem Interpretationsrahmen abhängig ist, der eine spezifische Art und Weise der Aufnahme durch die Rezipienten ermöglicht. Hall führt für diesen Sachverhalt den Begriff des Konsenses ein und er stellt zur Diskussion, daß "Objektivität [...] ein anderer (höflicherer oder zweckmäßigerer) Name für Konsens [ist]. Die Berichterstattung kann 'objektiv' sein, vorausgesetzt der Konsens hält. Zerbricht er, ist die Objektivität in Schwierigkeiten. Es folgt weiterhin, daß Rundfunk und Fernsehen zur Wahrung der 'Objektivität' ständig dazu genötigt sind, eine konsensuelle Position einzunehmen, Konsens zu finden (sogar wenn er nicht existiert) und, wenn erst einmal Streit losgebrochen ist, Konsens zu produzieren." (ebd.: 137f) Die Medien sind somit nicht etwa Spiegel des gesellschaftlichen Konsenses, sondern "konstruieren, formen und beeinflussen" (ebd.: 139) diesen. Das trifft nicht nur auf Massenmedien zu, die den ideologischen Kitt des Fordismus produziert haben, sondern auch auf die Neuen Medien, als deren zentrales Element 'Kommunikation und Information mit immer weniger Zwischenstationen' gelten kann. Das in der Netzdebatte in Abgrenzung zu den klassischen Massenmedien hervorgehobene Moment des Individualismus und des Libertären geht darüber hinweg, daß die Individuen schon allein in der Art, wie sie nach Hall die soziale Praxis dekodieren - nämlich vermeintlich individuell vor den Fernsehgeräten oder eben auch Computerbildschirmen - gesellschaftliche Konflikte vorstrukturieren und hegemoniale Diskurse damit bestätigen.

Mit diesem Ansatz läßt sich also beschreiben, daß Kommunikation als Fabrikation von Konsens selbst schon in gesellschaftliche Herrschaft eingebunden ist. Sie stellt eine zentralen Bestandteil bürgerlicher Gesellschaft dar, innerhalb derer eben nicht mehr zentral über Repression, sondern über die Diskursivierung des vermeintlich Verbotenen Herrschaft ausgeübt wird. Diese Art und Weise, mittels derer Konsens produziert wird, ist eine Form von Normalismus, die gesellschaftliche Diskurse prägt und Diskussionen über politische Themen dadurch vorbestimmt, daß beispielsweise vorsortiert wird, was überhaupt als politische Äußerung gelten darf und was den vorgegebenen Rahmen verläßt.

Von diesem Verständnis von Kommunikation läßt sich der Bogen schlagen zu dem liberaldemokratischen Verständnis von Öffentlichkeit wie es Rainer Rilling und Claus Leggewie exemplarisch für die liberaldemokratische Debatte vertreten: Kritik an beiden fußt auf den wesentlichen Begriffen der Hegemonie und des Konsenses, die beide zentrale Aspekte von Herrschaft innerhalb demokratischer Gesellschaften adäquat beschreiben. Wird Herrschaft als hegemoniale Position innerhalb eines ideologischen Kampfes um den gesellschaftlichen Konsens beschrieben, bekommt das Paradigma der Interaktivität einen neuen Stellenwert. Die Zuschauerdemokratie des Fernsehzeitalters und die in vielen Theorien skizzierte elektronische Demokratie eines kommenden Computerzeitalters unterscheiden sich unter diesem Blickwinkel nicht mehr wesentlich: Beide Kommunikationformen verwickeln sowohl den Sender, als auch den Empfänger in ein komplexes System des Kodierens und Dekodierens nach den Kritierien des gesellschaftlichen Konsenses. Dieser wird nicht nur durch die Sender bestimmt, sondern auch zu einem großen Maße durch die Empfänger. Interaktiv ist demnach die Herstellung des Konsenses und das unabhängig von der Form der Kommunikation.

Gottfried Oy

Literatur

Bojadzijev, Manuela (1997). "Kritik der Politik". Magisterarbeit, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M.
Demirovic, Alex (1994). "Öffentlichkeit und die alltägliche Sorge um die Demokratie". Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 1, 46-59
- (1997). "Hegemonie und Zivilgesellschaft: Metakritische Überlegungen zum Begriff der Öffentlichkeit". Ders. Demokratie und Herrschaft: Aspekte kritischer Gesellschaftstheorie. Münster: Westfälisches Dampfboot, 165-182
Hagen, Martin (1997). Elektronische Demokratie: Computernetzwerke und politische Theorie in den USA. Hamburg: LIT
Hall, Stuart (1989). "Die strukturierte Vermittlung von Ereignissen". Ders. Ausgewählte Schriften: Ideologie, Kultur, Medien, Neue Rechte, Rassismus. Hamburg / Berlin: Argument, 126-149
- (1994). Rassismus und kulturelle Identität. Hamburg: Argument
Kleinsteuber, Hans J. / Martin Hagen (1998), "Was bedeutet 'elektronische Demokratie'? Zur Diskussion und Praxis in den USA und Deutschland". Zeitschrift für Parlamentsfragen 1, 128-142
Leggewie, Claus (1996). "Netizens oder: der gut informierte Bürger heute: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Chancen demokratischer Beteiligung im Internet - anhand US-amerikanischer und kanadischer Erfahrungen. Internationale Konferenz des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie am 9. September 1996.
l.u.p.u.s. (1998). "cross the border? Autonomer Antifaschismus in den 90er Jahren und virtuelle Kritik". Die Beute. Neue Folge 2: 113-128
Rilling, Rainer (1996), "Auf dem Weg zur Cyberdemokratie?" Vortrag auf dem Kongreß "Demokratie an der Schnittstelle. Neue Medien und politische Perspektiven" der Hessischen Gesellschaft für Demokratie und Ökologie e.V. (HGDÖ) am 7.12.1996 in Frankfurt/M.
Roller, Franziska / Klaus Schönberger (1998). "Vom aufrechten Gang zum Cybers(chl)urfen? Kurze Kritik des großen digitalen Abgesangs auf die Stadt". Stadtrat [Hg.]. Unkämpfte Räume: Städte & Linke. Hamburg/Berlin/Göttingen: VLA/Schwarze Risse/Rote Straße, 169-178

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