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UNTERM PFLASTER
LIEGT DER STRAND!

Programmatische Erklaerung der isis-Projektgruppe

12/1998
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"'Die Welt veraendern', hat Marx gesagt; 'das Leben aendern', hat Rimbaud gesagt: Diese beiden Losungen sind fuer uns eine einzige." (Andre Breton)

1. Der libertaere Sozialismus (den wir genausogut auch antiautoritaeren, freiheitlichen oder surrealistischen Sozialismus nennen koennen), als sozialer "Organismus" verstanden, ist fuer uns keineswegs bloss ein ZUSTAND, der irgendwann einmal "auf" den Kapitalismus "FOLGT", sondern ein PROZESS, der in seiner Bewegung die Aufloesung des Kapitalismus ueberhaupt erst HERVORBRINGT. 

2. Der libertaere Sozialismus, wohlgemerkt immer noch als ein bestimmter sozialer "Organismus" verstanden, stellt nicht RESULTAT einer Revolution dar, sondern ist SELBST die Revolution. Diese Revolution ist also eine SOZIALE, KEINE POLITISCHE Revolution.

 3. Die libertaere Revolution besteht darin, das Leben dem Zugriff des Kapitals und jeglicher Herrschaft zu entziehen und in die eigenen Haende zu nehmen. Die Welt veraendert sich, wenn und indem wir unser Leben veraendern.

4. Der libertaere Sozialismus kann nur in die Welt kommen, indem wir ihn leben. Er entsteht, en miniature, an vielen Orten in der buergerlichen Gesellschaft, in den Nischen und Rissen, die ihr notwendig eigen sind. (Diese Entstehungsorte existieren am Anfang in der Mehrzahl lediglich als vereinzelte, punktuelle Orte eines mehr oder minder bewussten, haeufig noch diffusen, aber bereits in libertaere Richtung zielenden Andersseins, welches noch nicht um seine systemtranszendierenden Momente weiss.) 

5. Orte mit libertaer-sozialistischem Potential bestehen z.Zt. vor allem in der alternativ-oekonomischen Scene, teilweise aber auch auf kulturellem und subkulturellem Terrain wie auch in verschiedenen Bereichen der sozialen Kommunikation. Wir, die isis-Projektgruppe, moechten dazu beitragen, dass sich die libertaeren Orte ihres systemtranszendierenden Potentials bewusst werden, sich vermehren und sich miteinander vernetzen, um so zu einer machtvollen Bewegung anzuwachsen, die den Kapitalismus mitsamt seinem Ueberbau ueberwindet, indem sie DA ist und sich VERGROESSERT und der buergerlichen Gesellschaft immer mehr Terrain entzieht.

6. Die libertaere Bewegung, von der wir hier sprechen, heisst, um das noch einmal hervorzuheben, nicht nur deshalb so, weil sie die Errichtung einer libertaeren Gesellschaftsordnung zum Endziel hat; ihren libertaeren Charakter bezieht diese Bewegung vielmehr schon aus dem Umstand, dass sie die PRAKTISCHE ANTIZIPATION einer solchen Gesellschaftsordnung ist.  Die Waffen der libertaeren Sozialisten sind daher weder dem Arsenal der Politik noch dem Arsenal der Gewalt entnommen; die praktische Waffe der libertaeren Kritik besteht vielmehr darin, den libertaeren Sozialismus zu LEBEN. 

7. Auch wenn der libertaere Sozialismus eine apolitische, ja sogar ANTIpolitische Bewegung darstellt (weil er weder die politische Macht erringen noch eine Strategie der Einflussnahme auf sie fahren will, sondern direkt auf ihre sukzessive Aufhebung, Ueberfluessigmachung zielt), so bedeutet das doch keineswegs, dass er jeglichem Flirt mit der Politik abhold sein muesste. Entscheidend ist einfach, ob ein solcher Flirt in einer bestimmten Situation der libertaeren Bewegung von Nutzen sein kann. 

8. Der libertaere Sozialismus ist weder Anwalt der Arbeiterklasse noch Fuersprecher eines, wie auch immer bestimmten "Volkes". Im Gegenteil: Die Befreiung der Arbeiterklasse resp. des "Volkes" vom Kapitalismus impliziert, konsequent genommen, nicht nur den Untergang der Kapitalisten- und der Grundeigentuemerklasse, sondern ebenso den Untergang der Arbeiterklasse SELBST, kurz: das Ende ALLER Klassen - und damit auch das Ende der Realabstraktion "Volk". 

9. Der libertaere Sozialismus ist keine Klassenbewegung, sondern eine Bewegung von Menschen, die ihr Leben in freier Selbstbestimmung und genussvoll leben (und damit auch nicht bis zu einem ominoesen Tag X in weiter Ferne warten) wollen. Dennoch ist der Klassenkampf fuer diese Bewegung von entscheidender Bedeutung, denn es waere eine illusorische Vorstellung, die kapitalistische Oekonomie dadurch ueberwinden zu koennen, dass man ihr ausschliesslich aus den vorhandenen und eroberten oekonomischen Freiraeumen heraus den Boden entzoege; vielmehr muss der Kapitalismus auch aus seinen eigenen Innenraeumen heraus transformiert werden.  

10. Sofern Klassenkaempfe in die libertaere Bewegung integriert sind, werden sie auch durch deren Logik strukturiert, erhalten also einen neuen Zweck und ein neues Bewegungsprinzip: "Man muss die Arbeiter nicht so sehr dazu auffordern, die Arbeit niederzulegen, als vielmehr dazu, sie auf ihre eigene Rechnung fortzusetzen." (Errico Malatesta) 

11. Die libertaere Bewegung, von der wir hier bislang gesprochen haben, ist nicht notwendig mit der empirischen Bewegung der libertaeren Sozialisten identisch. Das heutige libertaere Spektrum in der BRD beispielsweise haengt zu grossen Teilen noch immer der alten Ziel-Weg-Dichotomie an, die fuer die deutsche Linke eigentlich schon immer recht typisch gewesen ist und nur allzuhaeufig im Bernsteinschen Revisionismus "Das Ziel ist nichts, die Bewegung ist alles" endet. Gegen die Ziel-Weg-Dichotomie insistieren wir auf dem Standpunkt, dass die libertaere Bewegung sich von der Maxime "Der Weg ist das Ziel" leiten lassen muss.  

12. Ein anderer Hauptmangel, den die derzeitige libertaere Scene in Deutschland mit der uebrigen BRD-Linken teilt, besteht darin, dass sie mehrheitlich Herrschaft immer nur als personelle oder institutionelle zu fassen vermag und damit den besonderen Witz an der buergerlichen Klassenherrschaft - naemlich dass diese eine Herrschaft ohne Subjekt, die Herrschaft der Selbstbewegung einer Realabstraktion (des Wertes naemlich) darstellt - voellig verpasst. 

13. Es reicht nicht aus, die kapitalistische Formbestimmtheit der Marktwirtschaft aufzuloesen; die MARKTWIRTSCHAFT SELBST muss ueberwunden werden. Denn solange der stoffliche Reichtum die Form von Waren annimmt, kann sein oekonomischer Zweck nicht in der Befriedigung von Beduerfnissen bestehen; die Warenform verweist vielmehr auf gesellschaftliche Verhaeltnisse, in denen die Gebrauchswerte der Gueter - und damit die menschlichen Beduerfnisse selbst - nur zaehlen, sofern und soweit sie als Mittel der Realisierung der Wertseite der Ware taugen, also als Mittel der Unterwerfung des Lebens unter die Selbstbewegung einer Realabstraktion fungieren.

14. Marktwirtschaft heisst: Die gesellschaftlichen Individuen fuehren ein Dasein als blosse Anhaengsel ihrer eigenen Verhaeltnisse. Dass das in einer nicht-kapitalistischen Marktwirtschaft weniger krasse Auswirkungen haette als in einer kapitalistischen, aendert nichts an dieser Wahrheit. Allerdings leugnen wir nicht, dass es in der ersten Phase der Abkopplung libertaerer Orte und Raeume vom kapitalistischen Markt sinnvoll, ja notwendig sein kann, dass verschiedene alternative bzw. sozialistische Betriebe und Unternehmungen fuer eine Uebergangszeit untereinander weiterhin marktwirtschaftliche Beziehungen pflegen. Das stellt fuer uns aber keinen Grund dafuer da, dem widersinnigen Konstrukt einer "libertaeren Marktwirtschaft" das Wort zu reden. Marktwirtschaft kann niemals wirklich libertaer sein! 

15. Mit dem projekt isis wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass die unverbundenen Fragmente und voneinander isolierten Momente der heutigen libertaeren Bewegung sich zu einem organischen Ganzen verbinden - dass also "zusammenwaechst, was zusammengehoert" (Commandante Brandte) - und die Bewegung endlich zu dem wird, was sie ihrem Begriff nach ist: die lustvolle Veraenderung der Welt.  

16. Hierfuer erstreben wir den Aufbau eines grossen, umfassenden Arbeits-, Forschungs- und Diskussionszusammenhangs antiautoritaerer Sozialisten zu allen die libertaere Revolution und ihre verschiedenen Aspekte betreffenden Fragen, d.h. den Aufbau eines libertaeren Instituts in Gestalt eines dezentral organisierten Netzwerkes. Dieses Institut soll Teil der Bewegung selbst sein, naemlich Medium ihrer Theoriebildung und Selbstreflexion.  

17. Ausser fuer dieses Institutsprojekt steht der Name 'projekt isis' auch fuer unsere sonstigen - theoretischen wie praktischen - libertaeren Aktivitaeten. Von diesen Aktivitaeten wollen wir hier nur erwaehnen, dass sie sich allesamt den Ausfuehrungen unserer vorliegenden programmatischen Erklaerung verpflichtet wissen, die ihr inhaerenten Ansprueche also einzuloesen und so dazu beizutragen versuchen, der surrealistischen Revolution zum Sieg ueber den opportunistischen "Realismus" zu verhelfen.

Diese Erklärung stammt aus "Der Netzwerker" v. 4.12.1998, einer eMail-Zeitung fuer alternative Oekonomie und libertaeren Sozialismus, herausgegeben und zu beziehen vom  projekt isis aus Marburg, eMail: isis.com@t-online

DER NETZWERKER ist kostenlos.

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