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Russland
"Kommunisten" kapitulieren vor dem Antisemitismus

von RENFREY CLARKE (Moskau)

12/1998
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Die Szene haette in Deutschland in den 30er Jahren spielen koennen. Waehrend
eines Zeitraums von etwa einem Monat behauptete ein bekannter
Parlamentsabgeordneter, dass die Juden verantwortlich seien fuer die
Wirtschaftsprobleme des Landes; vor Reportern bruestete er sich damit, dass
er "alle Juden ins Jenseits schicken" wolle, er rief: "Ins Grab mit allen
Juden!", und drueckte seinen Wunsch aus, bei seinem Tod "mindestens ein
Dutzend Juden mitzunehmen".

Das Land jedoch ist Russland im Oktober und fruehen November 1998, und der
Betreffende ist der fruehere General Albert Makaschow, ein Mitglied der
Parlamentsfraktion der Kommunistischen Partei der Russischen Foederation
(KPRF).

Wenn es noch irgendeinen schwachen Rest von Marxismus in der Fuehrung der
KPRF gegeben haette, waere Makaschow umgehend aus der Partei ausgeschlossen
worden. Die KPRF-Abgeordneten haetten ausserdem fuer die Aufhebung seiner
parlamentarischen Immunitaet gestimmt, so dass er nach dem noch aus der
sowjetischen Aera stammenden Gesetz, das die "Entfachung ethnischer
Spannungen" verbietet, unter Anklage haette gestellt werden koennen.

Es geschah jedoch etwas ganz anderes. Makaschow erhielt seitens der Partei
intern einen milden Tadel. "Wir haben die unzulaessige Form seiner
Bemerkungen zur Kenntnis genommen und seine Masslosigkeit verurteilt",
aeusserte sich der KPRF-Vorsitzende Gennadi Sjuganow spaeter.

Im Parlament stellten die Gegner der KPRF am 4.November im Parlament einen
Antrag, der Makaschows Çusserungen, die "Besorgnis in weiten Teilen der
Gesellschaft" hervorriefen, als "krass und am Rande des Vulgaeren"
verurteilte. Der Antrag kam nicht durch, da nahezu alle Abgeordneten der KPRF
dagegen stimmten oder sich enthielten.

Bis zu diesem Punkt haetten die KPRF-Fuehrer noch einen gewissen Spielraum
gehabt, Makaschows Stellungnahmen als Ausrutscher eines isolierten
Parteiekzentrikers abzutun. Doch durch die Weigerung, seine Aeusserungen
oeffentlich zu verurteilen, uebernahm die KPRF die Verantwortung dafuer.

Die Rechten nahmen dieses politische Geschenk an. Der Oel- und Medienmagnat
Boris Beresowski erklaerte: "Die Kommunisten sollten als die Traeger einer
Idee, die zum Auseinanderbrechen Russlands fuehren koennte, verboten werden."
Der fruehere Ministerpraesident Jegor Gaidar beschuldigte die KPRF, sich in
Nazis zu verwandeln, und meinte: "Wenn Russland ein demokratisches Land
bleiben will, sollte es die Kommunistische Partei verbieten."

Was Beresowski und Gaidar vorschlagen -- die Unterdrueckung der politischen
Partei mit der bei weitem groessten Anzahl von Sitzen im Parlament -- wuerde
das Ende jeder ernsthaften Demokratie in Russland bedeuten. Doch mit ihrer
Idee eines Verbots stehen Beresowski und Gaidar nun nicht als Vertreter des
Totalitarismus da, sondern als zornige Beschuetzer der Rechte von
Minderheiten.
Wenn sich die KP-Fuehrer so leicht ausmanoevrieren lassen, so sind sie
schlichtweg nicht besonders klug. Aber ihr Debakel war nicht bloss das
Resultat einer taktischen Dummheit.

Die KPRF-Fuehrer haben auch deswegen Makaschow nicht diszipliniert, weil sie,
zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, mit ihm uebereinstimmen. Auch
Sjuganow stoert sich an der Praesenz von Juden, wenngleich er dabei bisher
zurueckhaltender war als der Ex-General. "Es gibt heute kein Publikum",
erklaerte Sjuganow im Oktober in der Fernsehsendung Akuli Politpera, "das
nicht Fragen zum Thema Juden stellt. Dies sollte uns alle beunruhigen. Es ist
kein Geheimnis, dass die von Jelzin vertretene Personalpolitik das Prinzip
der nationalen Repraesentation unseres Landes im Bereich der Exekutive, der
Wirtschaft, der Finanzen und der Medien verletzt ... Heute fuehlt sich das
russische Volk bedraengt."

Von Sjuganow sind auch Stellungnahmen belegt, laut denen er davon spricht,
dass "zu viele ethnische Nichtrussen" die Fernsehnachrichten praesentieren,
in der Regierung sitzen und andere wichtige Posten besetzt halten. Der Staat
solle Regelungen treffen, um zu sichern, dass die ethnischen Russen (etwa 80
Prozent der Bevoelkerung) nicht von den Juden (etwa 0,5 Prozent) und anderen
Angehoerigen ethnischer Minderheiten verdraengt werden.

Solche Auffassungen stehen im voelligen Gegensatz zum proletarischen
Internationalismus, fuer den Marx eingetreten ist. Aber auch sonst wuerde
Marx Probleme haben, irgendeine seiner Ideen in der Praxis der heutigen
russischen "kommunistischen" Fuehrer wiederzufinden.

Waehrend die neue kapitalistische Elite des Landes das Konzept des
Klassenkampfs mit Elan und Ruecksichtslosigkeit verfolgt -- so weit, dass
Millionen Arbeiter keinen Lohn ausgezahlt bekommen --, haben Sjuganow und Co.
die Idee vom Klassenkampf stillschweigend ad acta gelegt. Sie streben eine
bequeme Anpassung an den Kapitalismus an -- eine Anpassung, zu der nun auch
Ministerposten in einer Regierung gehoeren, die der privaten
Geschaeftemacherei alles andere als feindlich gegenueber steht.

Ein solches Projekt erfordert eine gewisse politische Basis. Die findet man
nicht unter politisch aktiven Arbeitern, von denen nur wenige etwas anderes
als Hass fuer die neue Elite empfinden, mit der sich die KP-Fuehrer
arrangieren moechten. Statt dessen haben Sjuganow und Co. versucht die Partei
auf nationalistische Gefuehle zu gruenden, indem sie behaupten, dass die KPRF
"russischer" und besorgter um den Status der Russen im Verhaeltnis zu anderen
ethnischen Gruppen sei als ihre Gegner.

Ist erst einmal so ein Kurs eingeschlagen, ist es nur konsequent, wenn sie
verrueckte Chauvinisten wie Makaschow foerdern, die einen breiten Anhang
unter den russischen Nationalisten haben. Wenn Makaschow dazu aufruft, durch
Massaker an Juden die Wuerde der Russen zu verteidigen, faellt es den
Parteifuehrern aeusserst schwer, entschieden gegen ihn vorzugehen: Sjuganow
selbst sieht in der Praesenz von Juden in Russland einen Grund zur
"Besorgnis".

Die juedischen Mitglieder der neuen Elite sind verstaendlicherweise
abgestossen von dem zunehmend offeneren Rassismus der Fuehrer der groessten
Partei des Landes. Aber die weitaus meisten russischen Kapitalisten sind
keine Juden, und sie haben keinen besonderen Grund, sich ueber die Aussicht,
dass juedische Konkurrenten gewaltsam von der Buehne entfernt werden, zu
beklagen. Wenn die "kommunistischen" Fuehrer die Arbeitenden ermutigt, ihre
Energien im Kampf untereinander -- Russen gegen Juden, Russen gegen Tataren,
Russen gegen Tschetschenen -- zu verschwenden, so ist das etwas, womit die
Kapitalisten leicht leben koennen.

Die Entscheidung der KPRF-Fuehrer, Makaschow zu verteidigen, ist somit nicht
nur eine unheilvolle Entwicklung fuer die Angehoerigen ethnischer
Minderheiten in Russland, sondern fuer die Werktaetigen des Landes im
allgemeinen. Seit Jahren haben politisch bewusste Arbeiter in Russland
verstanden, dass Sjuganow und seine Kumpane ein historische Ruine
repraesentieren, ueber die man hinwegschreiten oder die man einfach beiseite
raeumen muss. Es ist kaum zu vermeiden, nun eine weitergehende
Schlussfolgerung zu ziehen: dass die KPRF-Fuehrer Feinde geworden sind, die
bekaempft werden muessen.

Aus: "Green Left Weekly" (Sydney), Nr.342, 25.11.1998.

Dieser Artikel erscheint in SoZ Nr.25 vom 11.12.1998. Die "SoZ --
Sozialistische Zeitung" erscheint 14-taegig und wird herausgegeben von der
Vereinigung fuer Sozialistische Politik (VSP).
Kontakt: SoZ, Dasselstr.75--77, D-50674 Koeln.
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