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WAS SIGMUND FREUD, DER PAPST UND EIN AMERIKANISCHER NIKOLAUS GEMEINSAM HABEN

Joseph Nicolausi's Leiden an der Homosexualitaet

von Adelheid

12/1998
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Wusstet Ihr schon, dass Homosexualitaet heilbar ist? Das jedenfalls behauptet Joseph Nicolausi, Psychotherapeut aus den USA.

Seine Spezialitaet ist es, Leute mit homosexuellen Neigungen so zu therapieren, dass sie sich in die heile Welt der heterosexuellen Beziehung einfuegen koennen, deren Happy End und Kroenung ja bekanntlich die Ehe mitsamt dem ihr entspriessenden Nachwuchs ist, Vorbei sind die Zeiten, in denen Homosexuellen nichts anderes uebrigblieb, als mit ihren pathologischen Neigungen zu leben oder dem Tip des Herrn Freud zu folgen, der meinte, Homosexuelle taeten am besten daran, ihre fehlgeleiteten Triebe zu sublimieren. Seine Vorschlaege dazu, wie diese Sublimierung von statten gehen koennte, waren ja durchaus konstruktiv. Der maennliche Homosexuelle - so meinte er - koennte sich zum Beispiel als Herrenschneider betaetigen und bei dieser Taetigkeit seine Triebe auf eine der Gesellschaft nuetzliche Weise befriedigen. Konkrete Aussagen dazu, wie die weibliche Homosexuelle dieses Problem loesen koennte, machte er leider nicht. Nun vielleicht sollte sie sich analog als Damenschneiderin betaetigen - oder, was auch eine schoene Moeglichkeit der Triebbefriedigung auf sinnvolle Art und Weise waere, als Damenfriseurin.

Wenn es nach Joseph Nicolausi geht, soll damit ja nun Schluss sein. Er verheisst mit seiner Heterotherapie Heilung von der Homosexualitaet - nicht bedenkend, dass der Welt dadurch vielleicht ein paar wirklich begnadete Herrenschneider oder Damenfriseurinnen verloren gehen. Nun ja, nichts ist vollkommen!

Nun wollen wir aber endlich mal hoeren, was dieser Wunderpsychologe zu sagen hat. In einem Statement, das von der ARD im Rahmen des Boulevard-Magazines "Brisant", ausgestrahlt wurde, sagte er:

"Ich bin ueberzeugt, Homosexualitaet ist von Grund auf unvereinbar.Die Koerper passen nicht zusammen, die Psychen passen nicht zusammen, es ist gegen die Gesellschaft, gegen die Kultur, gegen die Zivilisation - einfach gegen die Natur. Und gegen alle grossen Religionen. Deswegen sind Homosexuelle nicht gluecklich."

Nun, mit seiner Geisteshaltung, die den Tuempel bildet, aus dem solche Ausduenstungen emporsteigen, befindet sich Nicolausi ja in guter Gesellschaft. Denn auch Herr Freud ging ja davon aus, dass Homosexualitaet erstens eine Stoerung des Triebhaushaltes mit Krankheitswert ist und zweitens von der Gesellschaft nicht geduldet wird, so dass sich ein direktes Ausleben der Triebe verbietet, sofern man sich nicht unerfreuliche Reaktionen anderer einhandeln will.

Sollen wir die Geisteshaltung, die sich hinter dem, was Nicolausi da so von sich gegeben hat, mal genauer unter die Lupe nehmen? Vielleicht sollte man solche Tuempelbrueder einfach mit einem "Rest in Peace" bedenken und seiner Wege gehen. Wenn da nicht die - wohl nicht wenigen - Heterosexuellen waeren, die befriedigt denken:

"Genau, recht hat er, der Mann! Genau das hab ich ja auch schon immer gesagt!" oder vielleicht auch einige Homosexuelle, die sich - ob der manchesmal vielleicht massiv erlebten Repressionen von seiten der Gesellschaft - insgeheim fragen, ob nicht vielleicht doch was dran ist, an dem, was dieser Psychologe sagt. Schliesslich beruft sich dieser Fachmann ja auf ALLE hoeheren Instanzen, die es gibt: Gesellschaft, Kultur, Zivilisation, Natur und Religion. Wir wollen doch mal gucken, was von seinem Gerede noch uebrigbleibt, wenn wir es mal ordnen:

1. Er behauptet: "Bei der Homosexualitaet passen die Koerper nicht zusammen."

  • ICH behaupte: Sie passen doch zusammen, solange man nicht davon ausgeht, dass Sexualitaet nur ein einziges Ziel hat - die Produktion von Nachkommenschaft naemlich. Und was sagen die andern dazu? Die naemlich, die Nicolausi als hoehere Instanzen anruft? In unserer heutigen Gesellschaft, Kultur und Zivilisation wird es nur wenige Leute geben, die nur mit ihren Liebsten ins Bett gehen, um Kinder zu zeugen. (Interessant waere es ja zu erfahren, wie Nicolausi es damit haelt.) Bei der Religion sieht es schon wieder etwas anders aus: Zumindest, wenn es nach dem grossen Papa - der reich an geistlichen und arm an leiblichen Kindern ist - geht. Bleibt noch die Natur: Selbst die pruedesten Biologen kommen nicht umhin, festzustellen, dass selbst im Tierreich die Sexualitaet keineswegs nur der Fortpflanzung dient, sondern eine ganze Reihe anderer Funktionen im Zusammenleben erfuellt. Ausserdem hatte ich erst neulich selbst Gelegenheit, praktizierte Homosexualitaet bei zwei Rammlern (das sind maennliche Hasen) zu beobachten.

2. Nicolausi behauptet: "Bei der Homosexualitaet passen die Psychen nicht zusammen."

  • Ich aber sage Euch: Die typisch weibliche und die typisch maennliche Psyche passen erst recht nicht zusammen!&127; Bzw. sie passen schon zusammen, wenn als einzig seligmachende Gesellschaftsform das Patriarchat gilt. Die Komplementaritaet der Geschlechter ist die vornehmste Stuetze des Patriarchats!

3. Nicolausi behauptet: "Homosexuelle sind ungluecklich."

  • Ich gebe zu: Es gibt sicherlich genuegend homosexuelle Leute, die ungluecklich sind. Vielleicht auch deswegen, weil sie homosexuell sind und deshalb fuerchten muessen, an allen Ecken und Enden Schwierigkeiten gemacht zu bekommen. Und genauso, wie Heterosexuelle, koennen auch Homosexuelle Schwierigkeiten mit ihrer Sexualitaet und ihren Partnerschaften haben. Das menschliche Leben und der menschliche Geist bieten eben u.U. eine Vielzahl von mehr oder weniger guten Gruenden dafuer, ungluecklich zu sein.

ABER: Ich moechte mich F. de Waal anschliessen, der so passend sagte: "Ich glaube, wir sollten nie eine Theorie jenseits beobachtbarer Fakten aufstellen." Und zu den beobachtbaren Fakten gehoert nun auch unzweifelhaft, dass es nicht nur unglueckliche Homosexuelle gibt, sondern auch eine Vielzahl homosexuell lebender Leute, die - allen Widrigkeiten, die ihnen die Gesellschaft bietet, zum Trotz - ein gueckliches Leben leben und ihre Sexualitaet geniessen.

All diese Betrachtungen fuehren fuer mich zu dem Schluss, dass Joseph Nicolausi nicht in erster Linie die Homosexuellen heilen will - die sind ja auch nicht krank, sondern leiden allenfalls an Teilen der Gesellschaft. Er scheint vielmehr angetreten zu sein, die Gesellschaft von den Homosexuellen zu heilen. Seine Mission ist die eines Moralisten, der es nicht verkraften kann, dass manche Leute so gar nicht seinen Vorstellungen von einem geregelten Gang des Lebens entsprechen.

Ich schliesse meine Ueberlegungen mit einem Zitat von Rosa von Praunheim: "Nicht der oder die Homosexuelle ist pervers, sondern die Gesellschaft, in der er oder sie lebt."

Dieser Text stammt aus  N E T Z W E R K E R - E X P R E S S - Ausgabe 12/98 Supplement zur eMail-Zeitung "Der Netzwerker" , einer eMail-Zeitung fuer alternative Oekonomie und libertaeren Sozialismus, herausgegeben und zu beziehen vom  projekt isis aus Marburg, eMail: isis.com@t-online

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