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Aus: ND vom 24.12.98 S. 8

Finanzierbarkeits-Terror

Von Robert Kurz

12/1998
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Kaum wird ein wenig Kritik laut am linken Staatsrealismus des »Eintritts in Regierungen«, kaum wird schüchtern die Notwendigkeit außerparlamentarischer sozialer Emanzipationsbewegungen erörtert - schon brüllt eine unverbesserliche linke Staatsintelligenz gegen den »Realitätsverlust des pseudolinken Radikalismus« los, der mit seinem »Haßsyndrom gegen die Sozialdemokratie« angeblich wieder einmal »rechter Politik zuarbeitet« (Dr. Jürgen Schuster auf der ND-Forumseite vom 28.11.98). Ist das Haberfeld-Treiben gegen koalitionskritische »Volksfeinde« schon freigegeben? Aber die Mehrheit hat nicht immer recht, und die Partei schon gar nicht.

In Wahrheit taugen die innerlinken Etikettierungen nach dem Muster der 30er Jahre (»Ultralinke« versus »Reformisten«) heute gar nichts, weil ihr politisch-ökonomisches Bezugssystem nicht mehr existiert. Wer die Geschichte verschläft, den bestraft die veränderte Realität. Wir haben es heute mit einer Krise von qualitativ anderer Art zu tun, in der das Fundament der modernen warenproduzierenden Arbeitsgesellschaft selbst zur Disposition steht. Und es zeigen sich zwar als Krisenreaktion eindeutig faschistische Elemente im deutschen Gemütsmenschenbewußtsein, aber die Tagesaufgabe besteht offensichtlich nicht darin, gemeinsam mit der SPD die drohende Machtübernahme einer faschistischen Massenpartei zu verhindern. Vielmehr geht es aktuell um den Charakter der rot-grünen Krisenverwaltung. Wenn stalinistische Sünden der Vergangenheit jetzt ausgerechnet dafür instrumentalisiert werden sollen, die scheinrealistischen Mitmachersünden von heute legitim zu machen, dann ist das keine konkrete Analyse der konkreten Situation, sondern Mißbrauch der Geschichte. Die Probleme von heute können nicht mit einer besseren, weniger SPD-kritischen Taktik für die Schlachten von gestern bewältigt werden. Die elende Alternative, entweder die restriktive rotgrüne Krisenverwaltung mitzutragen oder »gemeinsame Front mit den reaktionärsten Kräften des Konservatismus« zu machen (Professor Heinz Hümmler im ND vom 8.12.98), ist eine Chimäre vergangenheitsfixierten Bewußtseins. In Wirklichkeit unterscheiden sich sämtliche »Volksparteien« egal welcher Couleur heute nur noch in winzigen Nuancen.

Das liegt schlicht daran, daß die Politik überhaupt von Krise und Globalisierung des Kapitals ausgehebelt worden ist. Kohl und Haider sind ebenso wie Blair und Schröder eher Helden eines rituellen Medienspektakels. Deshalb war die prompt von Schröder übernommene Hauptparole von Blair, er werde es nicht anders, sondern besser machen. Im traditionell linken Verständnis haben wir es nicht einmal mehr mit Reformismus zu tun, und so gehen in diesem Sinne Angriff wie Verteidigung ins Leere.

Das sind keine bloßen Behauptungen, sie sind voll geständig, die Blair, Schröder, Lafontaine, Fischer, d'Alema, Jospin und Co. Mit der Generalformel des »Finanzierungsvorbehalts« stellten sie sich selber den Persilschein und die Generalamnestie für jede denkbare soziale Grausamkeit aus. Im Klartext heißt das, daß die Produktivkräfte bedingungslos den systemgesetzlichen Imperativen der Verwertung unterworfen werden und gerade in der Krise sogar die Staatsalmosen nur als Abfallprodukte gelingender Kapitalakkumulation denkbar sind. Zu den Heldentaten von New Labour gehört Wiedereinführung von Studiengebühren und Kürzung der Sozialhilfe für alleinerziehende Mütter nach dem Beispiel der (auch als »relativ fortschrittlich« gehandelten) Clinton-Administration.

Die Tiefe der Krise enthüllt den bürgerlichen Arbeitsfetischismus, den die Staatssozialisten schon immer mit den Hardcore-Liberalen geteilt haben. Je weniger Lohnarbeit das System noch hervorbringen kann, desto gnadenloser wird sein Gesetz vollstreckt: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen. New Labour läßt jugendlichen Arbeitslosen die Wahl zwischen »wohltätiger« Zwangsarbeit oder Streichung von Arbeitslosengeld ebenso wie Sozialhilfe und überbietet damit die Thatcher-Zumutungen. »Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen« sollen auch hierzulande die Arbeitslosen nicht nur beschäftigungstherapeutisch im bürokratischen Leerlauf auf Trab holten, statt ihnen anstandslos ihr Geld auszuzahlen; sie dienen gleichzeitig zunehmend als Vehikel dafür, das »historische und moralische Element« (Marx) im Wert der Arbeitskraft zu eliminieren und die Lebensansprüche einer dienstleistenden Paria-Klasse wieder auf das Existenzminimum abzulenken. Nur so kann Lafontaine sein vermeintlich hehres Ziel einer Verminderung der Arbeitslosenzahl um eine Million anvisieren.

Eine derartige Zumutungspolitik ist nur möglich, wo sie auf eine massenhafte Verinnerlichung kapitalistischer Systemzwänge trifft, also auf die Selbstaufgabe jenes vielzitierten Arbeitslosen, der sich erbot, »Scheiße in Flaschen abzufüllen, wenn ich nur dafür bezahlt werde«. Solche Verzweiflungsausbrüche zeigen, daß »Arbeit« als irrationaler Selbstzweck der kapitalistischen Tätigkeitsform heute nur noch eines ist.- nämlich unappetitlich. »Arbeit« um jeden Preis? Nein danke. Da lobe ich mir die ironische Kraft der französischen Arbeitslosenbewegung, die mit den Parolen »Wir wollen eine Scheißarbeit, die mit Brosamen bezahlt wird« und »Opfern wir unser Leben der Ökonomie!« durch Paris zog. Ironie ist die Sache der deutschen Staatslinken nicht. Aber muß sie deshalb vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem drohenden Finanzierbarkeitsterror demonstrieren? Es geht weder um abstrakten Antiparlamentarismus noch um eine Preisgabe pragmatischer Alltagspräsenz. Ebensowenig ist es aber eine »linksradikale Phrase«, die Debatte über eine neue historische Alternative jenseits von Lohnarbeit und betriebswirtschaftlicher Systemlogik zu fordern. Wer nicht rechtzeitig Schmerzgrenzen definiert, den bestraft die Zukunft.

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