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Aushungern und obdachlos Aussetzen von Flüchtlingen in Berlin

12/1998
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Berlin, den 15.12.98 

 Betr. Aushungern und obdachlos Aussetzen von Fluechtlingen in Berlin

 Anbei im Wortlaut

 1. Presseerklaerung des Berliner Fluechtlingsrates vom 15.12.98

2. Presseerklaerung der Berliner Liga der Wohlfahrtsverbaende vom 15.12.98

3. Presseerklaerung der Berliner Liga der Wohlfahrtsverbaende vom 7.12.98 (Auszug)

4. Presseerklaerung der Berliner Sozialsenatorin Huebner vom 10.10.98

mfg

Georg Classen

 


 

FLUeCHTLINGSRAT BERLIN
Fennstr 31
12439 Berlin
Tel 6317873, FAX 6361198

Pressemitteilung

Fluechtlingsrat weist Kritik der Senatorin Huebner scharf zurueck und fordert eine umgehende Aenderung der verfassungsrechtlich bedenklichen Berliner Praxis des Aushungerns, des Obdachlos-Aussetzens und der Versagung medizinischer Versorgung von Kriegsfluechtlingen

 

Berlin, 15.12.1998:

Nachdem der Fluechtlingsrat Berlin zusammen mit anderen Fluechtlingsorganisationen die menschenunwuerdige Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) in Berlin am Tag der Menschenrechte gegenueber Frau Senatorin Huebner kritisiert hatte wurde noch am gleichen Tag eine Presseerklaerung von der Senatsverwaltung fuer Gesundheit und Soziales zu dem Thema veroeffentlicht, die dem Fluechtlingsrat erst seit kurzem vorliegt.

In dieser Presseerklaerung der Senatsverwaltung v. 10.12.1998 werden dem Fluechtlingsrat und den anderen an der Aktion beteiligten Organisationen Populismus und Polemik vorgeworfen. Darueber hinaus wiederholt die Presseerklaerung von der Senatorin bereits waehrend des Besuches der Fluechtlingsorganisationen geaeusserte "aus fachlicher Sicht unverstaendliche" Fehlinformationen.

Insbesondere die Behauptung, jugoslawische Fluechtlinge aus dem Kosovo, die vor den blutigen Auseinandersetzungen in der Provinz fliehen, seien von Leistungsstreichungen in Berlin ueberhaupt nicht betroffen, "ist uns vollkommen unverstaendlich und unhaltbar," sagte der Fluechtlingsrat.

"Berliner Fluechtlingsberatungsstellen haben hunderte von Faellen dokumentiert, ueber die auch bereits in der ueberregionalen Presse berichtet wurde. Die rigide Berliner Praxis steht bislang bundesweit einzig da."

Waehrend aufgrund der Verschaerfung des AsylbLG in allen anderen Bundeslaendern lediglich Kuerzungen, im Einzelfall auch gaenzliche Streichungen des Taschengeldes zulaessig sind, wird bereits in Frau Huebners Rundschreiben vom 20.8.98 an die Bezirksaemter empfohlen, bei neu einreisenden Fluechtlingen nach 3 Tagen, bei laenger hier lebenden Fluechtlingen nach maximal 6 Wochen alle Leistungen (einschl. Verpflegung und Unterkunft!) vollstaendig zu streichen.

Lediglich medizinische Versorgung soll weiter gewaehrt werden, in der Praxis der Berliner Sozialaemter wird aber auch diese regelmaessig spaetestens dann verweigert, wenn auch die uebrigen Leistungen gestrichen sind.

Derzeitige Praxis ist: Kriegsfluechtlinge erhalten anstelle der bereits um 25% gekuerzten, bislang aber noch in bar gezahlten Sozialhilfe bei vielen Sozialaemtern neuerdings nur noch Unterkunft mit Vollverpflegung oder Lebensmittelgutscheine.

Ihnen werden zugleich aber auch das neben diesen Sachleistungen gesetzlich vorgesehene Taschengeld von 80.- DM sowie die Leistungen fuer Kleidung und Koerperpflegeartikel ersatzlos gestrichen. Sie erhalten auch keine U-Bahn-Karten, und sind durch die vollstaendige Streichung jeglichen Bargeldes z.B. gezwungen, auf dem Weg zum Sozialamt, zur Auslaenderbehoerde, zu Beratungsstellen oder zum Arzt "schwarz" zu fahren. Wer seinem Kind noch ein Schulheft, einen Apfel oder ein Paar Socken kaufen will, wer Geld zum telefonieren oder fuer eine Briefmarke braucht, muss sich illegal Geld beschaffen oder die benoetigten Dinge klauen.

Viele Sozialaemter verweigern aber auch die Versorgung mit Gutscheinen bzw. Lebensmitteln und gewaehren lediglich noch Unterkunft ohne Verpflegung. Weitere Sozialaemter streichen die Hilfen sogar vollstaendig, d.h. die Fluechtlinge werden obdachlos ausgesetzt und erhalten auch keine medizinische Versorgung mehr. 

An keiner Stelle in Frau Huebners Rundschreiben an die Sozialaemter ist tatsaechlich wirksam sichergestellt, dass Kriegsfluechtlinge aus dem Kosovo in Berlin nicht unter die Leistungsstreichungen fallen koennen. 

Den betroffenen Fluechtlingen wird in der Praxis keineswegs "Missbrauch", wie etwa ein doppelter Leistungsbezug, vorgeworfen, sondern ihnen wird unterstellt, lediglich nach Deutschland gekommen zu sein, um hier von Sozialhilfe zu leben. Dies wird von vielen Sozialaemtern voellig pauschal ohne Angabe von Gruenden angenommen.  

Es handelt sich dabei keineswegs, wie von Frau Huebner behauptet, um "absolute" Ausnahmefaelle. Betroffen von den Sozialhilfestreichungen sind derzeit vor allem Kriegsfluechtlinge aus dem Kosovo, Deserteure der serbischen Armee, die sich dem Krieg im Kosovo entziehen wollten, Angehoerige von Minderheiten in Jugoslawien (Roma, Muslime) und palaestinensische Fluechtlinge aus dem Libanon.

Das Berliner Verwaltungsgericht hat inzwischen in einigen Faellen die Praxis der Sozialhilfestreichungen einschliesslich der Streichung des Taschengeldes, der Verweigerung von Unterkunft und Ernaehrung sowie auch der medizinischen Versorgung bestaetigt. Fuer den Vorwurf, nach Deutschland gekommen zu sein, um hier Sozialhilfe zu erhalten, kaeme es auf die Situation im Herkunftsland - etwa im Kosovo - gar nicht an. Es wuerde ausreichen, so einige Kammern des Berliner Verwaltungsgerichtes -, dass die Kriegsfluechtlinge auf dem Landweg eingereist seien, denn sie haetten auch unterwegs in irgendeinem Drittland bleiben koennen. Ihre "Weiterreise nach Deutschland" sei deswegen nur wegen des Sozialhilfebezugs erfolgt. Dies rechtfertige auch eine vollstaendige Streichung aller Leistungen "bis auf "Butterbrot und Fahrkarte" ins Herkunftsland.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbaende hatte bereits Streichungen des Taschengeldes als verfassungswidrig bewertet:

"Das Gesetz verstoesst auch gegen Art. 1 Abs. 1 GG, wenn es dazu fuehrt, dass Menschen voellig ohne Bargeld in Sammellagern untergebracht und nur mit Ernaehrung, Bekleidung und allernoetigster medizinischer Betreuung versorgt werden. In diesem Fall ist ein Zustand erreicht, bei dem der Mensch zum reinen Objekt staatlichen Handelns wird, weil er legal ueberhaupt keine freien Entscheidungen mehr treffen kann." (Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (Hrsg.), Rechtsgutachten zur geplanten 2. AsylbLG-Novelle, gekuerzt in: Frankfurter Rundschau v. 29.4.98, vollstaendig im Internet unter http://www.paritaet.org im Verzeichnis "das aktuelle Dokument").

Vom Berliner Verwaltungsgericht wird derzeit faktisch nicht ausreichend geprueft, ob die Fluechtlinge unterwegs im Drittland tatsaechlich vor einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sicher waren und auch erneut sein wuerden sowie ob ihre Rueckkehr dorthin oder in ihr Herkunftsland ueberhaupt moeglich und zumutbar ist (vgl. VG Berlin 6 A 534.98 v. 20.11.98, noch nicht rechtskraeftig).

Der Berliner Fluechtlingsrat appelliert deshalb an den Berliner Senat, an die Sozialaemter und an die Bundesregierung: 

  • Sofortiger Stop des Entzuges von Bargeld, des Aushungerns, des obdachlos Aussetzens und der Verweigerung medizinischer Versorgung fuer Fluechtlinge.
  • Asylsuchende und Kriegsfluechtlinge muessen Arbeitserlaubnisse erhalten, wer keine Arbeit finden kann, muss Sozialhilfe bekommen.
  • Die katastrophalen Verschaerfungen des Asylbewerberleistungsgesetzes von 1997 und 1998 sowie das Sachleistungsprinzip muessen zurueckgenommen werden.
  • Fuer Kriegsfluechtlinge aus dem Kosovo und fuer serbische Deserteure muss eine bundesweite Abschiebungsstoppregelung getroffen werden.

 V.i.s.d.P. M. Maier-Borst - Fluechtlingsrat Berlin


 

(Abschrift - Presseerklaerung der Liga der Wohlfahrtsverbaende Berlin vom 15.12.98)

LIGA DER SPITZENVERBAeNDE DER FREIEN WOHLFAHRTSPFLEGE IN BERLIN

Presseerklaerung

Kritik an der Berliner Praxis der Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes

Die Liga Berlin kritisiert in schaerfster Form die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin, die derzeit zu Obdachlosigkeit und Unterversorgung bei Fluechtlingsfamilien fuehrt.

Obwohl es sich beim AsylbLG um ein Bundesgesetz handelt, sucht die Berliner Praxis im Bundesgebiet ihresgleichen. Betroffen sind Familien mit Kleinkindern, z.B. aus dem Kosovo.

Die Liga der Spitzenverbaende der Freien Wohlfahrtspflege hat sich fruehzeitig und vorab gegen die geplanten Veraenderungen des AsylbLG eingesetzt. Sie setzt sich nach wie vor ein fuer die notleidenden

Menschen in unserer Stadt, aber die Beratungsstellen und Wohnheime der Wohlfahrtsverbaende geraten an die Grenzen ihrer Moeglichkeiten.

Die Schaffung von Obdachlosigkeit und Unterversorgung fuehrt zu einem Anstieg der Armut. Dies hat durch die Konzentration auf die Gruppe der Auslaender eine Verschaerfung der sozialen Spannungen zur Folge, die vom Senat nicht gewollt sein kann.

Wir halten die in Berlin enstandene Situation fuer unverantwortlich und fordern den Senat dringend auf, seine Verantwortung fuer den sozialen Frieden wahrzunehmen und entsprechende Rundschreiben an die bezirklichen Sozialaemter umgehend zu korrigieren.

Berlin, im Dezember 1998


 

(Abschrift - Auszug aus der Pressemitteilung der Liga der Wohlfahrtsverbaende Berlin vom 7.12.98)

50. Jahrestag der allgemeinen Erklaerung der Menschenrechte - Mahnwache auf dem Wittenbergplatz

"... Die Liga weist am Tag der Menschenrechte wiederholt darauf hin, dass die restriktive Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes in Berlin die Wuerde vieler Menschen verletzt, die vor Gewalt, Krieg und politischer Verfolgung Schutz suchen. Sie kritisiert, dass die Wuerde dieser Menschen, die nicht zurueckkehren koennen, durch die Verweigerung von Unterkunft und Verpflegung missachtet wird. Sie appelliert erneut an einige Sozialaemter in der Stadt, ihre menschenunwuerdige Praxis zu korrigieren."

 (Nachfragen zu beiden Pressemitteilungen bei: Maria Machleb, Tel. 25389-288 - Landesverband AWO Berlin fuer die LIGA der Wohlfahrtsverbaende)


 

Senatsverwaltung fuer Gesundheit und Soziales Berlin
Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit - Oranienstr 106, 10969 Berlin
Telefon: (030) 9028 (Intern: 928) 27 43
Telefax: (030) 9028 (Intern: 928) 20 53
E-Mail-Adresse:
Pressestelle@sensoz.verwalt-berlin.de

 Datum: 10.12.1998

 Pressemitteilung

 Sozialsenatorin Huebner verteidigt Sozialaemter gegen Polemik der Berliner Fluechtlingsinitiativen 

Anlaesslich des Tages der Menschenrechte haben Vertreter der Berliner Fluechtlingsinitiativen gegenueber der Senatorin fuer Gesundheit und Soziales, Beate Huebner, behauptet, Berliner Sozialaemter begingen Menschenrechtsverletzungen, indem sie Fluechtlingsfamilien ihnen zustehende Sozialleistungen verweigerten. 

Hierzu erklaert Frau Senatorin Huebner: 

"Die Unterstellung der Fluechtlingsinitiativen ist unhaltbar. Der Vorwurf, bei Anwendung des novellierten Asylbewerberleistungsgesetzes wuerden Sozialaemter Fluechtlingsfamilien durch Leistungsverweigerung aushungern, obdachlos machen und ohne aerztliche Hilfe lassen, dokumentiert entweder erschreckende Unkenntnis der tatsaechlichen Situation oder missbraucht Fluechtlinge fuer politischen Populismus.  

Die Neuformulierung des Asylbewerberleistungsgesetzes dient ausschliesslich der Abwehr missbraeuchlicher Inanspruchnahme von Leistungen.

 Wenn Leistungen missbraeuchlich in Anspruch genommen werden, eroeffnet das novellierte Gesetz die Einschraenkung derLeistungen bis auf das unabdingbar Notwendige. Die Sozialaemter in der Stadt pruefen bei jedem Missbrauchsverdacht sehr genau jeden Einzelfall. Die gaenzliche Einstellung von Leistungen nach einer solchen Pruefung ist der absolute Ausnahmefall. Medizinische Versorgung wird, selbst, wenn es zur Leistungseinschraenkung oder zu o.g. Ausnahmefall kommt, grundsaetzlich bei akuter Erkrankung oder zur Abwendung von Schmerzzustaenden gewaehrleistet. 

Meine Rechtsauffassung zur Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes, die handlungsleitend fuer die Praxis der bezirklichen Sozialaemter ist, ist von den Berliner Verwaltungsgerichten mehrfach bestaetigt worden. 

Ich weise also noch einmal die Vorwuerfe der Fluechtlingsinitiativen, in Berliner Sozialaemtern werde Fluechtlingen gegenueber unrechtmaessig verfahren, in aller Schaerfe zurueck." 


 

 

Mehr zur Berliner Praxis und dem Balkan-Krieg auf der Homepage von Wolfgang Plarre: http://www.dillingen.baynet.de/~wplarre  

Weiterleitung erfolgt ohne Gewaehr, die Artikel wurden nicht gegenrecherchiert.

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