Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Vor dem zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahl
Wie werden sich die Wähler/innen von Fillon & Mélenchon verhalten?

5-6/2017

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Marine Le Pen wird vorgeworfen, abzukupfern. Bei ihrer letzten Großveranstaltung vor der Stichwahl beschwor sie, zu Anfang dieser Woche (am Nachmittag des Montag, 1. Mai) in der Pariser Vorstadt Villepinte, in langatmigen Passagen die „Identität“ Frankreichs. Dabei ging es in aller Ausführlichkeit um die Landschaften Frankreichs, seine Küsten vom Ärmelkanal über den Atlantik bis zum Mittelmeer, seine Mittelgebirge, seine Bergketten. Seine Geschichte, seine Kathedralen.

Doch dann stellte sich heraus, dass diese Stellen im Redetext geklaut wurden: Sie waren fast wortwörtlich aus einer Ansprache des konservativen Kandidaten François Fillon von Mitte April in Puy-en-Velay abgekupfert. Geschrieben wurde die Rede in Wirklichkeit von dem reaktionären Schriftsteller Paul-Marie Coûteaux, einem Gradwanderer zwischen Konservativen und Rechtsextremen, doch Fillon hielt sie in seinem Namen. Coûteaux war nach den Kommunalwahlen 2014 aus dem FN gedrängt worden, weil er etwas zu laut über Konzentrationslager für Roma fantasiert hatte.

Viele Zeitungen schrieben daraufhin vom „Plagiat“. Marine Le Pen antwortet darauf allerdings, ihre Übernahme der Redepassagen Fillons sei vielmehr volle Absicht gewesen: Hätte sie nicht die Medien auf diese Fährte gelockt, dann hätten dieselben auch nicht von diesem Teil ihrer Rede gesprochen. So aber sei diese „Hunderte von Malen ausgestrahlt und kommentiert worden“. Sie wisse schließlich, wie der Medienbetrieb funktioniere, und dass es einen „Buzz“ brauche.

Ob es ihr schadet oder nutzt, muss vorläufig dahingestellt bleiben. Gesichert ist: Es handelte sich um einen Wink, der an die konservativen Wähler/innen gerichtet ist, um diese dazu zu bewegen, vor der Stichwahl zum Front National. 28 bis 33 Prozent derer, die im ersten Wahlgang für François Fillon votierten, sollen vorhaben, in der zweiten Runde Marine Le Pen zu wählen, rund die Hälfte hingegen den Liberalen Emmanuel Macron.

Unter den konservativen Spitzenpolitiker/inne/n rufen mittlerweile die meisten dazu auf, Macron in der Stichwahl zu unterstützen. Nicht jedoch Lauent Wauquiez, der Regionalpräsident in Lyon und frühere Unterstützer des Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, der eher zu einer Enthaltung tendiert. Auch die durch rassistische Sprüche – über die notwendige „Verteidigung der weißen Rasse“ – aufgefallene Ex-Staatssekretärin Sarkozys für Familienpolitik, Nadine Morano, sperrt sich gegen einen Wahlaufruf für Macron. Zunächst blieb offen, ob sie gleich zu Marine Le Pen tendieren würde. Am Donnerstag erklärte sie allerdings nach der TV-Debatte der beiden SpitzenkandidatInnen, die objektiv für Emmanuel Macron erheblich besser verlief als für die FN-Kandidatin, sie erteile dem Ex-Wirtschaftsminister „neun Punkte“ und Marine Le Pen „einen Punkt“. Unmittelbar zur Wahl der FN-Präsidentschaftsbewerberin aufgerufen hat dagegen Sarkozys frühere Ministerin für Wohnungspolitik, die rechtskatholische Fanatikerin Christine Boutin. Das ist jene Dame, die 1999 gegen die Einführung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare wetterte und dabei die Bibel im Parlament schwenkte.

Aber nicht nur im konservativen Lager wird Marine Le Pen abgreifen können, auch wenn ihre Chancen, wirklich Präsidentin zu werden, infolge der Fernsehdebatte vom Mittwoch, den 03. Mai höchst gering aussehen.

Zwischen 9 und 20 Prozent, je nach Umfrage, der rund sieben Millionen Wähler/innen des Linkskandidaten Jean-Luc Mélenchon im ersten Wahlgang ziehen eine Wahl Marine Le Pens in Betracht. Über die Hälfte werden dagegen Macron gegen die rechtsextreme Kandidatin unterstützen, während Mélenchons Wahlplattform La France insoumise – infolge einer Urabstimmung der 450.000 eingetragenen Unterstützer/innen im Internet – zu zwei Drittel entschied, entweder nicht oder ungültig zu wählen.

Ihrerseits versuchte Marine Le Pen in mehreren Redetexten und Medienauftritten, den Wähler/inne/n Mélenchons Honig um den Mund zu schmieren. Wie er spricht sie nach dem ersten Wahlgang sie nunmehr von der „Oligarchie“, die „dem Volk“ gegen über stehe - früher sprach Mélenchon eher noch von sozialen Klassen, Marine Le Pen hingegen stets von „der Kaste“ gegen „das Volk“. Unter Anspielung auf den Namen von Mélenchons Wahlplattform bezeichnete Le Pen sich wörtlich als insoumise, also als „nicht Unterworfene“ oder Unbeugsame. Und am vorigen Sonntag, den 30. April 17 übernahm Le Pen bei einem Besuch im südfranzösischen Gardanne, wo eine Aluminiumfabrik immense Umweltprobleme aufwirft, Mélenchons langjährige Forderung nach „ökologischer Wirtschaftsplanung“ (planification écologique).

Ihre Demagogie lässt sie sowohl auf der Linken als auch auf der konservativen Rechten jeweils Diskurselemente abgreifen. Zur Präsidentschaft wird es am Sonntag, den 07. Mai 17 wohl sicherlich nicht reichen. Aber Marine Le Pen denkt auch an ihren Parteiaufbau für die Oppositionszeit danach.

Editorischer Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe. Eine gekürzte Fassung dieses Artikels erschien am Freitag, den 05.05 17 in der Tageszeitung ,Neues Deutschland’ (ND). Er wurde am 04. Mai d.J. verfasst. Die damals sich abzeichnenden Prognosen wurden in dieser Textfassung beibehalten, auch wenn die Situation sich späterhin verändert hat.