Quo vadis Interim?

Die Interim Disko 
Drei Artikel aus der Ausgabe vom 15.6.2000

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Siehe auch das trend-Editorial Wo der Pfeffer wächst
und die Textsammlung zur Vergewaltigungsdebatte

S.9
LEST, DISKUTIERT UND SCHREIBT INTERIM

Seit Monaten drehen sich die Gespräche in unserer Gruppe weniger um. eine inhaltliche Auseinandersetzung zu bestimmten Themen oder Beiträgen, die uns zugeschickt werden, als vielmehr um Sinn und Unsinn des Projekts. Ausgangspunkt unserer Überlegungen bleibt für uns die Frage, inwieweit das Konzept Interim ein brauchbares Mittel zur Organisierung und Verbreiterung von linksradikalem. Widerstand sein kann. Im Vorwort der 500. Ausgabe wurde versucht eine Bestandsaufnahme des Projekts vorzunehmen, die Zweifel an der Fortführung der Zeitung in bisheriger Art und Weise zum Ausdruck brachten. An dieser Zustandsbeschreibung hat sich bis heute nichts verändert. Das Projekt kränkelt. Niveau und Intensität der Debatten haben insgesamt in den letzten Jahren abgenommen. Es gibt in dieser Stadt immer weniger Gruppen, die sich zumindest über dieses Medium, etwas zu sagen haben. Das Konzept, ein Diskussionsforum zu bieten, macht aber nur dann Sinn, wenn politische Bewegungen dieses auch nutzen. Zu kurz gekommen sind im Vorwort der 500. die Gründe, warum wir bisher an dem bestehenden Konzept festgehalten haben und uns nicht grundsätzlich davon lösen wollen. Die Interim existiert seit 12 Jahren und ist Teil einer aktuell zwar schwachen aber noch vorhandenen Widerstandskultur.

Diese Struktur einfach aufzugeben würde uns schwer fallen und nicht unserem politischen Selbstverständnis entsprechen. Wir sehen in ihr nach wie vor ein Medium., in dem ein möglichst breiter aktiver Kreis von Gruppen die Möglichkeit hat, ihre Texte zu veröffentlichen. Ein Raum zur Verbreiterung von Informationen und Diskussionen, die in keiner anderen Zeitung Platz finden und auch denen zugänglich gemacht werden, die nicht direkt am Infopool der sogenannten Szene teilhaben. Kritik an der Veröffentlichungspraxis hat sich die Interim in den letzten Jahren häufig zugezogen. Das hohe Mass an thematischer Vielfalt und die unterschiedlichen geäusserten Positionen haben es den Macherinnen häufig nicht leicht gemacht eine Auswahl der Texte zu treffen. Der Arbeitsaufwand für die Herstellung der Zeitung bleibt Im Bereich des Machbaren und ist allgemein erlern .bar. Entsprechend fallen die einzelnen Ausgaben abhängig von Lust und Können unterschiedlich aus. Grundsätzliche Kritik an der Interim und ihrem Konzept wird in der Regel nicht öffentlich geäussert. Wer liest das Heft noch und inwieweit besitzt dieses Medium noch einen Gebrauchswert oder gar Lesevergnügen? Auf der Vollversammlung nach den Durchsuchungen 1997 in Sachen Interim kam die Distanz zu dem Projekt zur Sprache. Doch mehr Rücklauf und Verbesserungsvorschläge kamen selten. Wird das Blatt nur noch als langweilige schlecht layoutete Flugblattsammlung angesehen?                            

Ist der Rückgang der Auflage auf die sich im Blatt endlos wiederholenden gleichen Debatten zurückzuführen? ... Es fällt uns schwer zu beurteilen welche Resonanz die Interim noch besitzt und inwieweit das Konzept noch seine Berechtigung hat. Feststeht. dass die Beteiligung an dem Projekt nachgelassen hat und diese Lücke gefüllt werden muss. wenn es noch Sinn machen soll, fortzufahren. Vorschläge, Ideen, Kritik und Lob sind deshalb sehr erwünscht.  

Einige Interims


S.15
Ein Teils des Kollektivs 'Interim' fragt und merkt an:

Wir sind einige aus diesem Projekt, die sich ein paar Gedanken über die positiven und negativen Seilen der Zeitung gemacht haben Da wir mal wieder unter akutem Zeitmangel leiden, stellt dieser Text leider keine komplette und ausgereifte Diskussion, aber wenigstens einen Auszug dieser dar. Wir denken, daß die Zeitung ein Diskussionsforum bietet sowohl Gruppen- als auch Themen übergreifend, Sie dient dazu Diskussionen anzuregen u.a. auch durch umstrittene Veröffentlichungen. Wobei wir nicht sagen wollen. daß besonders schlechte Texte, die vielleicht eine Diskussion anregen, deswegen als besonders toll anzusehen sind oder die Diskussion um ein bestimmtes Thema weiterbringen, oder jede Diskussion überhaupt sinnvoll ist. Einen Vorteil sehen wir darin, daß es unterschiedliche Redaktionen gibt und dadurch unterschiedliche Meinungen zum Ausdruck kommen: ausserdem ist die Zeitung dadurch aus sich heraus kritisierbar Es gibt keine festgelegte politische Meinung und Richtung. Auch gut ist, daß die Texte von verschiedenen Leuten geschrieben werden und eben nicht von einer oder einigen Redaktionen, daß es so gut wie keine Zensur gibt (???), daß auch Dinge abgedruckt werden, die nicht der Meinung der Redaktion entsprechen (Insbesondere was das Thema Zensur angeht waren wir uns uneinig und unschlüssig. Einige fanden das Blatt zu dogmatisch , andere eher zu lasch oder die Auswahl der Texte entsprach nicht ihren Vorstellungen. Natürlich auch abhängig davon, welche Gruppe gerade Redax macht). Weiterhin ist die Zeitung wichtig für bundesweile Terminankündigungen mit inhaltlichen Statements (im Gegenteil z.B zum Stressi) und zur Dokumentation bundesweiter Aktionen Zudem ist es eines der wenigen Medien um nicht legale Aktionen zu dokumentieren, zu werten und dazu aufzurufen sowie Bekennerinnenschreiben abzudrucken.

Die Redaktionen scheinen teilweise die Texte nicht zu lesen, vieles wiederholt sich. Zwar sollten Texte (auch „schlechte" - meint ein Teil von uns) prinzipiell abgedruckt werden, aber nicht unkommentiert. Dabei kann es auch sinnvoll sein Texte miteinander in Kontext zu setzen, innerhalb einer oder mehrerer Ausgaben.

Wir finden es nicht mehr konstruktiv wenn Diskussionen soweit sind, daß Argumente nur noch „hin- und hergeschossen" werden. Deswegen Diskussionen evtl. redaktionell abbrechen, allerdings nur mit Kommentaren, Begründung und bei ständiger Wiederholung der Argumente einen Verweis auf alte Texte, Reader oder sonstige Literatur die das Thema aufgreifen. Also, Kommentare ausformulieren, ausführen, sich richtig mit Texten auseinadersetzen, Stellung beziehen, nicht nur in einem kurzem Vorwort. Nicht zensieren kommentieren'!

Uns stellt sich die Frage: Warum müssen manche Diskussionen immer wieder geführt werden? Ist es vielleicht gut, daß jedeR mal mitdiskutiert? Oder sollten Diskussionen nicht mal vorangetrieben werden? Führen Wiederholungen nicht zu großer Leserinnenfluktuation? Ist das Blatt ein Neueinsteigerinnenblatt oder nur noch eine Altautomatenvereinszeitung? Wir finden, daß manche Debatten und Texte zu oberflächlich sind und wie schon gesagt wenig neues bringen. Manchmal wäre es angebracht zu bestimmten Themen noch „tiefer" zu gehen, theoretischer zu werden und nicht bei den konkreten Situationen zu bleiben, (allerdings verständlich und nicht pseudolinksintellektuell). Vielleicht können Debatten ergänzt und angefacht werden indem konkrete Gruppen und Redaktionen anderer Zeitungen, die zu den entsprechenden Themen arbeiten angesprochen werden sich einzubringen. Und wie auch schon geschehen. Artikel aus anderen Zeitungen übernommen werden. Oder Schwerpunktnummern zu gestalten, in dene verschiedene Gruppen zu nur einem Thema diskutieren und arbeiten.

Gut wäre der Versuch mit „neuen" Themen oder anderen Herangehensweisen über den manchmal doch sehr dogmatischen Tellerrand der "undogmatischen Linken" zu gucken . Gibt es denn nicht viele festgefahrene Ansichten. Dogmen, Tabus, die es vielleicht doch zu brechen gilt?! (z B die Art und Weise Vergewaltigungsdiskussionen zu führen)


S.10-14
Deutschland will Europameister werden

Der kürzeste Witz der Welt? "Die Linke steckt in der Krise." Und es gibt tatsächlich einige Leute bei der Interim, die haben es jetzt sogar schon gemerkt. Sie hätten es vorher wissen können, wenn sie mal das eigene Blättchen gelesen hauen. Und wer ist Schuld daran? Die Stasi etwa? Mehr oder weniger schon.

Zu Beginn ein Blick zurück

Hätte die Stasi mit Gewalt die DDR erhalten, der deutschen Linken wäre eine überlebensnotwendige Vision erhalten geblieben: Die Illusion, daß Deutschland total nett sein könnte - wenn es nicht von den (BÖSEN) US-Amerikanern unterjocht würde. Bis auf wenige Ausnahmen hat natürlich niemand vor 1990 den Weg in die DDR gewagt'(1)und direkt darauf bezogen haben sich auch die wenigsten. Dennoch gab allein die Existenz des GUTEN, von der nationalsozialistischen Vergangenheit gänzlich reingewaschenen Deutschlands Hoffnung, Anlehnung und auch Geborgenheit

Offen vertreten konnte frau/man das als Linker In der Bundesrepublik freilich nicht Und so ganz davon überzeugt daß im Osten alles besser Ist waren die meisten selbst nicht Sich offen auf den Ostblock zu beziehen wäre auch eher kontraproduktiv gewesen: Denn die deutsche Linke hat immer nach der Mehrheit der Bevölkerung gegiert und mit der ach-so-sozialistischen DDR war diese nun mal nicht zu locken.(2)

Und schon stehen wir vor einem grundsätzlichen Problem: Wer die Mehrheit für sich begeistern will, muß ihr teilweise nach dem Mund reden. Die KPD hat das In der Weimarer Republik als abschreckendes Beispiel vorgemacht: Längst bevor die Arbeiterpartei(3) eines schnauzbärtigen Österreichers an Bedeutung gewann, schimpften die deutschen Arbeiterführerinnen gegen das Diktat von Versailles, die Alliierten, den Völkerbund - das Ausland schlechthin. Später lieferten sie sich mit den Sozialisten des nationalen Lagers eine wahre schlacht darum, wer denn die deutschen Interessen wohl besser verträte.(4)

Ganz im Sinne deutscher Tradition: Schon bei der Revolution 1848 halten sich die vermeintlichen Revolutionärinnen nicht vorrangig für die Durchsetzung der längst fälligen bürgerlichen Gesellschaft stark gemacht sondern es statt dessen vorgezogen, den Begriff des deutschen Volkstums zu etablieren und damit die entscheidende Vorarbeit für den spezifisch deutschen - rassisch geprägten - Imperialismus und den kurz nach der Reichsgründung aufflammenden Antisemitismus geleistet.

Langsam zurück zum Anfang

Wo wir schon bei den Sternstunden der revolutionären Erhebungen mit konterrevolutionärer Ausrichtung in Deutschland sind, darf 1968 nicht fehlen: Die Geburtsstunde der Neuen Linken war nicht ohne Grund zugleich Ausgangspunkt der Neuen Rechten.(5) Es gab viele gemeinsame Anknüpfungspunkte, etwa den stark verbreiteten Antiamerikanismus, einen verkürzten Kapitalismus-Begriff (BÖSE ist wer Geld hat) ein mißratenes Sozialismus-Verständnis (Wenn alle Arbeit haben, ist alles GUT) und der Glaube an das GUTE im Durchschnittsdeutschen, wenn nur die Verhältnisse erst anders sind. Nur schlagwortartige Abgrenzungen haben ein Zusammengehen verhindert inhaltlich konnten und können die wenigsten Linken wohl ihre Distanz nach rechts begründen. Aber dafür wurden umso mehr Schlagwörter herbeigezogen: rassistisch, faschistisch. militaristisch, biologistisch. sexistisch, die in der Regel inhaltlich mit nicht mehr als mit "Synonym für BÖSE" definiert waren.

Und weil die radikale deutsche Linke erstens keine Inhalte, zweitens ihren Ursprung im normalen deutschen Wahnsinn, und drittens die Hoffnung auf Mehrheiten in Deutschland hat, mußte sie nach 1990 zwangsläufig scheitern. Das offensiver werdende deutsche Großmachtdenken war unübersehbar, und die deutsche Linke stand mittendrin. Hilf- und Perspektivlos. Mit Wonne stürzten sich erfahrene Kampagnen-Politikerinnen der linksradikalen Szene in Einzelkämpfe gegen das, was frau/man als eigentlichen Schuldigen ausfindig gemacht hatte: den Staat.

Die de-facto Abschaffung des Asylrechts im Grundgesetz war willkommener Anlaß, die Pogrome und den alltäglichen Rassismus herunterzuspielen: Geschickt eingefädelt von der Regierung, hieß es auf konspirativen Treffen und weniger konspirativen Flugblättern. Medien, Regierung und Nazis waren die Schuldigen, um die/den Durchschnittsdeutschen, die/der seit 1990 so laut wie seit 1945 nicht mehr auftritt, mehr oder weniger in Schutz zu nehmen. Denn die ganz normalen Deutschen - antisemitisch und rassistisch wie sie sind - dagegen sind nach wie vor die Zielgruppe der radikalen Linken.

Stop und Stillstand

So aber geht es nicht weiter. Das hat wohl mittlerweile der überwiegende Teil der linksradikalen Szene in der Bundesrepublik begriffen. Und schon herrscht völliger Stillstand und Orientierungslosigkeit. Frau/man macht nichts mehr, liest nichts mehr, diskutiert nichts mehr. Weil die Linke derzeit nicht mehr weiß. womit sie punkten soll oder womit sie überhaupt noch punkten könnte, tritt sie lieber den Rückzog an.(6)

In drei Bereichen ist die radikale Linke im wesentlichen heute noch aktiv und allesamt erscheinen sie uns eher zweifelhaft:

1. Antirassismus: Weil der Staat BÖSE und - welch Überraschung! - ausländerfeindlich ist, sehen sich Linke in diesem Land zunehmend genötigt den GUTEN Gegenpart zu spielen. Eine Arbeit, die eher hilflos wirkt. Frau/man appelliert an die liberale aufgeklärte Öffentlichkeit, die es in Deutschland nicht gibt, sie solle sich doch empören ob den Grausamkeiten, die ausländischen Menschen in diesem Lande angetan werden. Aber nicht ein abstraktes Gebilde wie ein Staatsapparat steckt dahinter. Es gibt vielmehr die mehrheitliche Auffassung, daß Ausländer/innen ruhig so behandelt werden können, weil sie ja irgendwie gar nicht hierher gehören.

Interessanterweise ist die antirassistische Arbeit meist auch Arbeit von außen. Die Immigrantinnen sind keine politische Formation(7), mit denen zusammengearbeitet wird. Die politische Aktivität ist für sie nicht mit Ihnen ausgerichtet. Frau/man will Ihnen helfen, heißt es. Die in Deutschland lebenden Ausländer gelten der Linken eben nur als Objekte, nicht aber als Subjekte, die über berechtigten sozialen und wirtschaftlichen auch politische Zielsetzungen haben können.

Dabei kennen alle ImmigrantInnen, die nach Deutschland kommen - unabhängig davon, ob sie um die Staatsbürgerschaft, politisches Asyl oder einfach das Recht hierzubleiben - die feindliche Stimmung auf der Straße und In der Bevölkerung. Und damit ergäbe sich über die Hilfeleistung GUTER Deutscher hinaus der Ansatzpunkt zur politischen Arbeit.

2. Antifaschismus: Funktioniert fast genauso wie Antirassismus. Weil Nazis BÖSE und - welch erneute Überraschung - ausländerfeindllch sind, will die Linke ihnen etwas entgegensetzen. Zum Teil mit der Berechtigten Absicht den etwas entgegenzusetzen, zum Teil richtet frau/man sich auch nur appellativ an die deutsche Öffentlichkeit. Problem allerdings: An den organisierten Faschistinnen liegt es nicht. Wenn ganz normalen Deutschen sich daran stören würden, gäbe es in der ehemaligen DDR heute keine "Befreiten Zonen"(8), denn ordnungsstaatllche Möglichkeiten dem entgegenzuarbeiten, gäbe es genug. Aber die Alt- und Nachwuchsnazis sind meisten Deutschen eben lieher als Asylantinnen oder andere Ausländerinnen. Denn die Rechten sprechen wenigstens deutsch und gehören derselben [bei der Bevölkerung so geliebten, von uns so gehaßten „Kultur" an. Deswegen nützt es auch herzlich wenig, sich immerzu mit Gegenmobilisierungen aufzuhalten oder nach jedem rassistischen Mord oder jeder völkischen Vertreibungsaktion aus den „befreiten Zonen" symbolisch seinen Protest mit den üblichen Formen kundzutun: Demo. FIugies. Presseerklärungen - und schon ist das eigene Gewissen beruhigt. Wer sich schon selbst großspurig als radikal bezeichnet sollte das Übel auch wirklich bei der Wurzel packen und den deutschen Größenwahn bekämpfen. Und nicht einige seiner Auswirkungen und Symptome.

3. Militanz, um der Militanz willen: Weil sich heutzutage immer alle beklagen, daß ja gar nichts mehr läuft gibt es einige, die „wenigstens praktisch noch was machen". Frau/man könnte meinen, sie seien durchgedrehte Fußgänger, denn sie richten sich überwiegend gegen Verkehrsmittel: die Deutsche Bahn oder irgendwelche Autos. Überwiegend natürlich teure Autos, sogenannte Nobelkarossen. Warum nur? fragen wir uns da - und suchen in den entsprechenden Erklärungen nach einer Antwort. Vergebens, denn jene. die es schaffen ein ganzes Interim-Heft mit einer Diskussion zu füllen, sind nicht In der Lage, politisch zu argumentieren. Ein Auto, das so-und-so-viel-Tausend Mark kostet kann frau/man ja schon mal anzünden.

Das ist in unseren Augen nicht mehr als sinnloser Terrorismus ohne jegliches Ziel oder Perspektive.(9) Ähnlich würden wir auch Anschläge gegen die Deutsche Bahn beurteilen, ohne daß wir für diese Institution nun besondere Sympathie empfänden.

Interessant bei allen drei Hauptaktivitäten Ist vor allem die große inhaltliche Leere. Die Zielsetzung geht selten über eine Ablehnung des BÖSEN (Staat Nazis oder Nobelkarossenfahrer) hinaus. Es geht um symbolischen Protest die Wahrnehmung der eigenen Position in den Medien (und sei sie noch so verkürzt) und um die Befriedigung des eigenen GUTEN Gewissens.

Gerade das, was als allgemein als autonome Szene bezeichnet wird, zeichnet sich im Bewußtsein ihrer eigenen Sinnkrise vor allem durch den Aufbau einer „schönen, heilen Szenewelt" aus. Mag die Welt da draußen so unangenehm sein wie sie ist mag Außenminister Fischer in seiner Berliner Europa-Rede das Konzept der selbstbewußten deutschen Großmacht zum Regierungsprogramm erklären. Hauptsache scheint zu sein. daß die Szene selber den Aktivistinnen ein Gefühl von Geborgenheit und Heimat bietet. Es geht darum sich selbst zu beweisen: Wir sind GUT und daß es gar nicht mehr nötig ist, den deutschen Wahn zu bekämpfen, wenn frau/man sich im Wohnzusammenhang oder der Szenekneipe um die Ecke nur alle erdenkliche Mühe gibt total nett und politisch korrekt zu sein.

Gegen alle, die dieses autonome Reinheitsgebot stören zieht frau/man auf selbst eröffneten Nebenkriegsschauplätzen zu Felde: Anfang der Neunziger war es vor allem die angeblich so dogmatische RIM, gegen die die nicht weniger dogmatischen Autonomen mit den Banner des Undogmatischen einen wahren Krieg entfachten, zum 50. Jahrestag des alliierten Sieges vom 8.Mai 1945 wurde die Schlacht gegen die sogenannten Antideutschen eröffnet, weil diese den Glauben an das GUTE im Deutschen einfach so kaputt machen und damit die radikale Linke ihrer Illusionen berauben wollte.(10) Und mittlerweile geht es gegen die Antifaschistische Aktion Berlin - im Zeichen des Antisexismus(11). So einfach kann linksradikale Politik manchmal eben sein: frau/man braucht keine politische Perspektive. keine Inhalte, keine Zielsetzung mehr. Hauptsache, es geht gegen jeweils neu entdeckten BÖSEWICHT, der schon mal aus den Reihen der Linken selbst kommen kann.

Wo steht nochmal der Hauptfeind?

Nach so viel Gemecker. erwarten alle nun natürlich einen großen durchdachten Aktionsplan von uns (am liebsten wohl für eine typisch autonome Kampagne, wie P?). Eines sagen wir gleich: Haben wir nicht. Ätsch! Ist auch gar nicht unsere Aufgabe. Denn uns geht in erster Linie um die Auseinandersetzung darüber, wo die radikale Linke steht und vor allem wo sie hin will. Nur für die Auseinandersetzung darüber macht die Interim in unseren Augen übrigens noch Sinn.(12) Vorausgesetzt es finden sich Gruppen und Einzelpersonen, die an einer solchen Diskussion interessiert sind und etwas beizutragen haben. Der Blick nach vom muß sich unser Meinung nach auf Deutschland, seinen Größenwahn und seine Rolle in der Welt richten. Außenminister Fischer hat es vor kurzem öffentlich deklariert Deutschland strebt zunächst die Vorherrschaft in der Europäischen Union an und will dann gegen die USA ins Felde ziehen, um die Vorherrschaft auf dieser Welt. Was das Bedeuten würde, ist hoffentlich klar: Der deutsche Imperialismus fiel in der Vergangenheit wesentlicher blutiger über Europa her als der irgendeines anderen Landes. Die Shoa ist historisch einmalig, einen völkischen und rassischen Vernichtungskrieg von diesem Ausmaß hat es vorher noch nie gegeben.

Tun wir also was Sinnvolles und stellen die Weltrevolution mal kurz einen Augenblick zurück. weil sie so bald nicht zu erwarten ist. Focussieren wir in der Zwischenzeit lieber auf Deutschland. Ideengeschichtlich gesehen lebt dieses Land noch immer im Feudalismus: die industrielle Revolution erfolgte ohne die Durchsetzung von Bürgerrechten. Auf eine Veränderung von Innen heraus brauchen wir also wohl kaum zu hoffen, die wird sich nicht einfach so einstellen. Deswegen sehen in der momentanen Situation nur eine Möglichkeit:

Wir müssen nicht um die deutsche Bevölkerung kämpfen, sondern gegen sie. Nicht für ein GUTES Deutschland, sondern gegen Deutschland als solches.

Zum einen muß es daher eine Zusammenarbeit mit Nicht-Deutschen geben. Jenen, die tagtäglich das wahnwitzige Deutschtum auf der Straße spüren, brauchen wir nicht zu erklären, wie gefährlich dieses ist. Aber wir können mit ihnen zusammen dagegen vorgehen und wir können versuchen, ausländische Communities zu stärken.(13) Zumindest in West-Deutschlands Großstädten dürfte das Ansatzpunkt sein, dem deutschen Rassenwahn entgegenzutreten. Optimal ergänzen würde sich das mit einer Hilflosigkeit der offiziellen Stellen, weil Ihre Akten und Datenbanken nicht mehr vollständig sind. Ein breites Unterschlupfsystem ihnen die Möglichkeit nimmt „kriminelle Ausländer zu verfolgen und vielleicht sogar sogenannte Schlepper dafür sorgen, daß jede/r nach Deutschland findet die/der mochte.(14)

Zum zweiten dürfen wir die deutsche Außenwirkung nicht vergessen: Deutschland versucht sich immer wieder als ganz gewöhnliche Nation zu präsentieren, um dann im Bündnis als "Gleicher unter Gleichen" die Vorherrschaft anzustreben.(15) Angesichts dessen darf es nicht Zielsetzung von Linken werden, sich als das GUTE In Deutschland zu verstehen und als solches nach außen zu treten. Im Gegenteil: Verstärkt muß die deutsche Zielsetzung herausgearbeitet und nach außen getragen werden.

Gerade aus historischen Gründen gibt es in Ost- wie Westeuropa zahlreiche Leute und Gruppierungen, die einem erneuten offensiven Auftreten Deutschlands nicht gerade mit Sympathie entgegentreten. Weltwelt sollte Deutschland als das wahrgenommen werden, was es ist: als Gefahr. Als völkisch determinierte Gemeinschaft, die ohne Skrupel über Millionen von Leichen geht und sich anschließend selbst zum Opfer stilisiert Als geistig zurückgebliebene Nation, aus deren Gesellschaft heraus ohne Zutun von außen keine Bändigung des nationalistischen und rassistischen Wahns zu erwarfen ist.

Klar, es geht uns um Einfluß und Kontakte: Sowohl zu linksradikalen Kräften, aber auch zu ausländischen Journalisten. Lobbyisten oder was auch Immer.(16) Und wenn daraufhin - was momentan wegen des GUTEN deutschen Leumunds unrealistisch Ist- irgendwann Blauhelmsoldaten der UNO die "national befreiten Zonen" besetzen, bringt uns das zwar der Weltrevolution nicht näher, aber wünschenswert ist es doch (17)!

Wie schon erwähnt präsentieren wir hier kein Programm oder Patentrezept. Das können und wollen wir nicht. Uns geht es um eine Debatte, die ausgehend von der aktuellen Situation eine mittelfristige politische Zielrichtung skizzieren soll. In Ansätzen und nur stark verkürzt haben wir hier einige unserer Überlegungen zu Papier gebracht und hoffen nun auf Kritik. Diskussion und Jede Menge andere Ideen.

In diesem Sinne

"Germany is Our Problem"

Anmerkungen (Im Original als Fußnoten)

(1) Inge Viett ist ja bekanntlich so eine. Und wer mal das zweifelhafte Vergnügen hatte, ihre Schreibereien zu lesen, kommt zu dem Ergebnis, daß die guet Frau entweder schon vorher nichts mehr gepeilt hat oder ihr Verstand dann spätestens in der DDR kapituliert hat. Wer einem deutsch-bürokratisch-autoritären Gebilde wie der DDR so unkritisch gegenübersteht, bei der/dem ist vermutlich alles zu spät.

(2) Nur die ein oder andere kommunistische Gruppe hat sich offen auf die DDR bezogen - zum Beispiel die DKP. Was die Bevölkerung darüber denkt, war ihnen sympathischerweise egal. Dafür hingen sie umso dogmatischer am Fetisch Arbeit - streng nach dem Vorbild ihres Geldgebers, der DDR.

(3) Im Gegensatz zu vielen anderen Linken, bezeichnen wir die NSDAP durchaus als Arbeiterpartei. Es mag zwar sein, daß die Arbeiter in der Wählerschaft der Nazis leicht unterrepräsentiert waren - ohne die überwiegend aus der Arbeiterklasse stammenden Schläger der SA wäre Hitler jedoch damals nicht an sein Ziel gekommen.

(4) Die von einigen Leuten, die sich in KPD-Tradition verstehen, immer wieder zitierte Parole „Der Hauptfeind steht im eigenen Land", war lediglich die Überschrift eines von Liebknecht verfaßten Flugblatts von 1915. In der Weimarer Republik bildete sich unter der politischen Führung von Radek hingegen eine starke nationale Fraktion heraus, die unter anderem 1923 zusammen mit den Deutschnationalen und Nationalsozialisten gegen Frankreich in den Ruhrkampf zog („Schlageter-Linie"). 1930 warf die Partei dann in ihrer „Programmerklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des Volkes" gar Hitler vor, er wolle „die deutschen Gebiete Südtirols bedingungslos den ausländischen Eroberem ausliefern".

(5) Manche entschieden sich damais gleich für die rechte Seite, andere wechselten später. Mit Horst Mahler (früher RAF. heute NPD-Svmpathisant) und Klaus-Rainer Röhl (früher Konkret-Herausgeber, heute schreibt er für die Junge Freiheit) wollen wir nur zwei Beispiele nennen, weil es nicht um Einzelpersonen geht. sondern um den politischen Gesamtzusammenhang.

(6) Es liegt uns natürlich fern, an dieser Stelle einer/einem Feigheit oder Rückzug vorzuwerten. Im Gegenteil: Wir finden es absolut richtig, nicht mehr so weitermachen wie zuvor. Es ergibt sich allerdings stark der Eindruck, daß den Aktivist/innen die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum Lernen aus eigenen Fehlem fehlt, wenn über Erfolglosigkeit des bisherigen Weges meist der Rückzug ins Privatleben folgt. Das aber hat unserer Auffassung nach vor allem zwei Gründe: Es fehlt erstens an einer inhaltlichen Orientierung und vor allem eine politische Zielrichtung, die absurde und wahnwitzige Kampagnenpolitik verhindert zweitens, daß die Aktivistinnen nach den zehnten oder elften gescheiterten Kampagne alles bisherige in Zweifel ziehen. Gegen „nichts machen" spricht also erstmal gar nichts, aber nichts lesen und nichts diskutieren ist schon ziemlich ärmlich.

(7) Sicher ziehen sich viele der Antira-AktivistInnen darauf zurück, daß es solche Gruppen ja gar nicht gebe. Das aber stimmt nicht. Mit ihrer selbstgefälligen Art hat es die autonome Linke vielmehr geschafft, diese Gruppen zu verschrecken. Dogmatismus, Fanatismus, Männerdominanz - alles, was den Autonomen selbst vorgeworfen werden könnte - wird genutzt, um sich abzugrenzen. Nur auf politische Begründungen wird vorsichtshalber verzichtet. Dabei wäre es sicher möglich, sich auf einen gegen Deutschland und den ganz normalen deutschen Wahn gerichteten Konsens zu einigen - wenn das Interesse bestünde.

(8) Nur eine kleine Ergänzung, damit wir nicht mißverstanden werden: Neofaschismus ist natürlich kein auf die Ex-DDR beschränktes Phänomen. Dort ist er aber besonders stark verbreitet - und das sicher auch mit der Orientierung der DDR-Politik am preußischen Sozialismus zu tun. .Das Deutschtum mit allen seinen widerlichen Eigenschaften ist in der DDR sehr viel stärker konserviert worden als in der BRD. Dort haben nämlich die Westmächte zumindest ein wenig Einfluß genommen - freilich leider viel zu wenig. Die eigentlich geplante re-education fiel ja wegen des Kalten Krieges aus.

(9) Die plötzliche Perspektive ergibt sich auch nicht dadurch, daß frau/man erwägt, ob Schüsse aufführende Nazis sinnvoll wären. Das zeugt eher von absoluter Hilf- und Argumentationslosigkeit, die allein durch die Aufrechterhaltung einer militanten Praxis ausgeblendet werden soll. In diesen Gruppen wird nicht mehr politisch. sondern offenbar nur noch militärisch gedacht.

(10) Das meistgehörteste Argument gegen die Antideutschen war höchst amüsant: Mit der Geißelung des deutschen Rassen- und Größenwahns entziehe frau/man sich selbst die Grundlage für praktische Politik. Was ist denn nun wichtiger, fragen wir uns da: Der Kampf gegen das Deutschtum oder die sogenannte Praxis?

(11) Ein interessantes Phänomen, das wir bei der aktuellen Kampagne gegen die Antifaschistische Aktion Berlin beobachten: Noch nie hat die Berliner Antifa so viele erklärte (und vermeintlich aktive) und geradezu vorbildliche Antisexisten gezählt wie derzeit. Sonst galt sie immer als „Mackerhaufen''. Dabei wollen wir hier gar nicht als Verteidiger der Antifaschistischen Aktion auftreten, aber dieses verlogene „unsere Szene muß sauber bleiben" - Gehabe, ist wirklich schon absurd. Und frau/man muß schon ziemlich dümmlich sein um aus der AAB-Parole „Sie können Deutschland jetzt abschalten'' ein „AAB abschalten" zu machen.

(12) Natürlich gibt es einen schier unendlichen linken Blätterwald in Deutschland. Aber übergreifende Diskussionen finden dort nicht statt. Meist weil die erforderliche Periodizität nicht gewährleistet ist. Das einzige vergleichbare Produkt, was uns einfällt ist Jungle World. Dort scheint die Redaktion sich allerdings auf eine sehr öde Einheitslinie geeinigt zu haben, die mit politischer Zielsetzung nicht mehr viel gemein hat. Indiz dafür ist unserer Meinung nach auch, daß die Jungle World im Dezember letzten Jahres ausgerechnet eine ziemlich dümmliche Fraktion der linken Szene zu Wort kommen ließ: die internationalistische Gruppe, die meinte, sie müßte ausgerechnet von deutschem Boden aus gegen Israel zum Angriff blasen.

(13) In Frankreich oder den USA beispielsweise haben Polizistinnen jedes Mal ein enormes Problem, wenn sie übermäßig hart gegen sogenannte Minderheiten vorgehen. Nicht wegen der aufgeklärten bürgerlichen Öffentlichkeit - der viel beschworenen Zivilgesellschaft - sondern wegen dem Einfluß der Communities, die längst so selbstbewußt sind, daß sie sich nichts alles gefallen lassen (müssen) In Deutschland dagegen ist momentan eher umgekehrt: Polizistinnen, die mal eben einen Ausländer versehentlich umbringen, können sich der Sympathie der Bevölkerung geradezu sicher sein.

(14) Positiv wollen wir an dieser Stelle die Rote Flora hervorheben, die offen ausländische Dealer protegiert - sehr zum mißfallen der angeblich so fortschrittlichen deutschen Bevölkerung des Schanzenviertels und der aufgeregten Medienwelt. Unserer Auffassung nach gehen die damit durchaus den richtigen Weg, auch wenn ihnen vielleicht viele ihre politisch nicht gerade korrekten Zweckbündnis-Partner - die Drogenhändler nämlich - vorwerten.

(15) Interessanterweise wurde das sogar in der letzten Ausgabe angedacht. Deutschland präsentiere sich weltoffen auf der Expo, hieß es dort ganz richtig. Nur die Folgerungen waren mal wieder ideenlos: Demonstrationen, die keinen politischen Impact haben. Aktionstage, zu denen keine/r kommt, viel heiße Luft und nichts dahinter - und am Ende der Kampagne bleibt ein Häutchen frustrierter Figuren ohne politische Perspektive zurück. Warum also nicht die Expo für sich nutzen: Wo soviele ausländische Besucher erwartet werden, ließe sich doch beispielsweise bestens eine unkommentierte Liste von deutschen Pogromen der letzten Zeit verteilen.

(16) Wir wissen: Eine solche wahllose Angabe potentieller Bündnispartner wird uns sicher zum Vorwurf gemacht werden. Na und! Besser im Ausland relativ wahllos Partner gegen Deutschland suchen, als mit der deutschen Bevölkerung selbst das Übel zur Zielgruppe erklären.

(17) Natürlich läßt sich unser politisches Verständnis nicht auf die Bekämpfung Deutschlands reduzieren. Aber wir bezeichnen dies zumindest als mittelfristiges Ziel, das in unseren Augen taktisch sinnvoll und praktisch realisierbar scheint.