Historische Projektionen der ‘Antideutschen’, alttestamentarische Bilder der Antisemiten, wirkungsmächtige Geschichtsbilder:
DER NAHE OSTEN ALS PROJEKTIONSFLÄCHE 

von
Bernhard Schmid

7/8-06

trend
onlinezeitung

Geht es nach dem Fahrplan, auf den die Regierungen sich in der Nacht vom Samstag zum Sonntag geeinigt haben, so sollen -- theoretisch -- ab Anfang der Woche im Libanon die Waffen schweigen. Vorläufig? Die nähere Entwicklung auf dem Konfliktschauplatz ist noch offen. Fest steht dagegen bereits, dass die Debatte darüber in Europa, vor allem aber in den deutschsprachigen Ländern in hohem Mabe von der Suche nach einer Projektionsfläche für eigene Bedürfnisse und Interpretationswünsche geprägt wird.  

Geht es um die Sache selbst? Um das, was Viele unbedingt in bzw. hinter der Sache sehen wollen? Oder aber um das, was Andere darin ihrerseits erblicken und darüber sagen – ohne dass sich die streitenden Parteien dann allzu lang mit der Wirklichkeit aufhielten? Manchmal dienen Konflikte und politische Vorgänge, die anderwo stattfinden, zu Hause vor allem als Projektionsfläche. Auf ihr werden eigene Streitigkeiten, eigene Unsicherheiten oder eigene (ideologische oder psychologische) Bedürfnisse sichtbar gemacht. Mit der Realität drauben in der Welt hat das dann nur noch bedingt zu tun, auch wenn es diese Realität auberhalb der Köpfe der Diskutierenden natürlich gibt. Auch darf nicht jeglicher Bezug zum tatsächlichen Geschehen fehlen. Sonst würde die Projektion ja auf Dauer nicht funktionieren, sondern sich als blob selbstbezogenes Reden herausstellen und blamieren. Aber die Streitenden nehmen in der Regel von dieser Wirklichkeit nur noch das wahr, was durch die Filter ihrer Wahrnehmung hindurch passt.

In besonderem Mabe gilt das anscheinend für Kriege und politische Entwicklungen im Nahen Osten. Oftmals nimmt der Beobachter die dortige Wirklichkeit durch ein Raster wahr, das die Interpretation und oft auch schon die blobe Wahrnehmung der Tatsachen vorab bestimmt. Hängt doch diese Tatsachenwahrnehmung in hohem Mabe bereits von dem Standpunkt ab, den der Betrachter sich wählt. Dabei können in Wirklichkeit durchaus mehrere Aspekte gleichzeitig einen Teil der Realität abbilden, ohne dass sich «die Wahrheit» bereits darin erschöpfen würde. Antisemitische oder rassistische Thesen sollen an dieser Stelle ausdrücklich von jeglichem Wahrheitsanspruch ausgenommen werden. Aber ansonsten öffnen bilden die unterschiedlichen Wahrnehmungsraster durchaus – jedes für sich – ein Blick auf ein Teilsegment der Wahrheit. Ärgerlich ist hingegen, dass jede Teilwahrheit ihre jeweilige Anhängerschaft um sich zu scharen scheint, die den jeweils anderen ihre (als ausschlieblich betrachtete) Erkenntnis um die Ohren hauen möchte. 

Standpunkte und Wahrnehmungsfilter 

Nehmen wir den Standpunkt des Antisemiten: Für ihn sind die Einwohner und Entscheidungsträger Israels in erster Linie Juden, denen er von vornherein alles Üble und Niederträchtige zutraut. Also können sie auch nur von vornherein an allen negativen Entwicklungen die Schuld tragen. Und wenn eine tatsächlich oder vermeintlich kritikwürdige politische Entscheidung in Israel diese Einschätzung zu bestätigen scheint, so kommt das Ressentiment ungeniert zum Vorschein, das bis dahin ohnehin immer latent vorhanden war. Besonders beliebt beim Antisemiten sind in diesem Fall (geht es etwa um Kritik an einem Militäreinsatz) Vokabeln wie «alttestamentarische Rachsucht» oder auch scheinbar harmlose Floskeln wie «Auge um Auge, Zahn um Zahn», die jedenfalls klar machen sollen, dass es sich bei den umstrittenen politischen Entscheidungen nur um eine Manifestation jüdischer «Wesenseigenschaften» an und für sich handele. Mögen diese nun in Charakteristika der jüdischen Religion oder gar in vermeintlichen «Rassemerkmalen» gesucht werden, fest steht für alle Anhänger solcher Pseudoerklärungen, dass es unwandelbare jüdische «Wesenszüge» gebe, die sich über 5.000 Jahre hinweg geradlinig von den ersten Kapiteln der Bibel bis in die heutige Periode bis heute verfolgen lassen. Wo also das Wörtchen «alttestamentarisch» im Zusammenhang mit der israelischen Politik fällt, ist grundsätzlich höchste Vorsicht angebracht. Wo es dem Sprecher nicht um eine «Rassen»logik bestellt ist, dürfte es ihm zumindest darum gehen, die konfessionnelle Überlegenheit des Christentums über die jüdische Religion zu zeigen, das Neue Testament für das Aufkommen der Idee göttlicher Vergebung stehe. (Diese konfessionelle Logik, und nicht ein Antisemitismus als «Rassen»ideologie, motivierte wohl den Christdemokraten und Ex-Minister Norbert Blüm, als er im Jahr 2002 kritikwürdige Äuberungen abgab – in denen er Israel u.a. eine «alttestamentarische» Logik attestierte.)  

Nehmen wir den Standpunkt des typischen europäischen oder nordamerikanischen Konservativen: Für ihn sind die Einwohner und Entscheidungsträger Israels in erster Linie «Weibe» (da mehrheitlich aus Europa stammend) und die Bewohner eines relativ wohlhabenden «zivilisierten Landes» inmitten einer «Dritten Welt», die er als mehr oder minder barbarische Umgebung wahrnimmt. Rund herum wohnen Leute, die zumindest grundsätzlich im Verdacht stehen, das christliche Abendland, die bestehende Weltwirtschaftsordnung oder die «westliche» Demokratie abzulehnen. Daher müssen sich die Menschen auf der belagerten Wohlstandsinsel notgedrungen ständig gegen ihre von purer Böswilligkeit erfüllten Nachbarn schützen, so wie auch Europa oder Nordamerika sich am besten vor ihren verbarrikadieren würde. Auf ein paar Verluste bei den «Unzivilisierten» kommt es dabei nicht an. Da der Staat Israel in seinen Augen zudem für militärische Stärke und ihren erfolgreichen Einsatz gegenüber einer Umgebung aus verachtungswürdigen Feinden steht, bietet er hinreichend Identifikationsmöglichkeiten. 

Nehmen wir den Standpunkt des deutschen oder europäischen Philosemiten, der zeigen möchte, dass er von den Lehren der Geschichte geläutert worden ist: Ihm wiederum erscheinen die Einwohner Israels vor allem als Juden, die grundsätzlich seiner Sympathie bedürfen und die er bevorzugt als Opfer einer jahrhundertelangen Geschichte von Verfolgung, Diskriminierungen und Pogromen wahrnimmt. Die Nachbarn Israels stehen auch in seiner Auffassung leicht im Verdacht, ihm grundsätzlich und aus eigener Böswilligkeit heraus feinselig gegenüber zu stehen. Dabei ist aber in seinen Augen nicht – wie in jenen des Konservativen – entscheidend, dass es sich bei diesen Nachbarn um niedere Barbaren handele, sondern dass sie jenem Volk gegenüber stehen, das so häufig in seiner Geschichte Opfer geworden ist. Im Unterschied zum Konservativen ist es nicht die Antipathie für die benachbarte «Dritte Welt», sondern die grundsätzliche Sympathie für die Juden als solche und ihren Staat -- der auch dessen Entscheidungsträger und ihre jeweilige Politik einschliebt: right or wrong, their country --, die seine Anschauung prägt. 

Nehmen wir schlieblich den Standpunkt des Antikolonialisten, in jüngerer Zeit auch Antiimperialist genannt: In seinen Augen wiederum sind die Einwohner Israels nicht in erster Linie Juden, sondern vor allem «Weibe». Auch er betrachtet Israel und sein geographisches Umfeld, indem er verbrecherische Aspekte der europäischen Geschichte im Hinterkopf behält. Dabei handelt es sich allerdings nicht in erster Linie um die Judenverfolgung und die Shoah, sondern um die mehrere Jahrhunderte währende Kolonialgeschichte in Afrika, Asien und Lateinamerika. In seinen Augen wiederholt die Art und Weise der israelischen Staatsgründung, aber auch die aktuelle Politik Israels gegenüber den Palästinensern in den noch immer besetzten Gebieten und gegenüber den arabischen Nachbarländern – etwa dem Libanon – in vielen Punkten das, was zum Beispiel die französische Kolonialpolitik in Algerien ausgezeichnet hat. Sein Standpunkt ist am leichtesten anschlussfähig an die in arabischen Ländern wohl verbreiteste Sichtweise.  

Historische Deutungsmuster bei den Konfliktparteien selbst

 Auch die Konfliktparteien selbst operieren im Übrigen mit ihren jeweiligen historisch-politishen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsmustern.  

Der Standpunkt, den grobe Teile des Publikums in den arabischen Ländern einnehmen oder jedenfalls bis zur Blütephase islamistischer Bewegungen eingenommen haben, sieht ungefähr so aus: Ihm erscheinen die Bewohner Israels in erster Linie als Europäer, die sich im Zeitalter des Kolonialismus, in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf einem Stück vorderasiatischen Landstrichs niedergelassen und einen Grobteil der ursprünglichen Bewohner von dort vertrieben haben. Die historische Rolle der Shoah dabei wird tendenziell als eher geringfügig betrachtet, zumal die Besiedlung des historischen Palästina durch aus Europa kommende Juden (in der Absicht, dort einen eigenen Staat zu gründen, welche durch die Balfour Declaration von 1917 unterstrichen wird) bereits im frühen 20. Jahrhundert begonnen habe, also noch vor der Machtübernahme Adolf Hitlers. Oder aber man erkennt ihr eine stärkere Bedeutung zu, vertritt aber die Ansicht, dass die Araber im Nahen Osten nicht an der Vernichtung der europäischen Juden schuldig seien, Europa aber die Folgen des Holocaust auf ihrem Rücken bewältigt habe, statt einen Nationalstaat für die Juden innerhalb Europas zu schaffen.

Die Rolle des Staates Israel wird vor allem vor dem Hintergrund der gemeinsamen Erfahrungen der Region mit den europâischen Kolonialmächten betrachtet, und Israel gilt überwiegend als ein «weiber» Staat in einer mehr oder minder unterjochten, auf alle Fälle benachteiligten Umgebung. Vergleiche werden bevorzugt zur europäischen Siedlungskolonie im damaligen «französischen Algerien» von vor 1962 sowie zum Staat der Weiben in Südafrika während der Apartheid-Ära gezogen. Soweit die gängige Optik in vielen arabischen Städten und Staaten. 

Ursprünglich ging es den Vertretern dieses Standpunkts nicht oder kaum um die jüdische Religion oder eine vermeintliche jüdische «Rasse». Zum ersten Punkt hätten sie geantwortet, dass man selbst –- mehrheitlich moslemischen Glaubens -- kein besonderes Problem mit der jüdischen Religion als «Buchreligion» habe, und im Übrigen habe man vor der Blütephase des europäischen Kolonialismus Jahrhunderte lang mit Juden in den Kernländern des Islam zusammen gelebt. Tatsächlich enthält die moslemische Lehre keinen Anreiz zu besonders intensiver Missgunst gegen die Juden aus religiösen Gründen  -- im Gegensatz zum Vorwurf an die «Gottesmörder », der in früheren  Jahrhunderten im Christentum weit verbreitet war, aber nach dem Holocaust durch die christlichen Kirchen weitgehend aus ihrer Vorstellungswelt gestrichen worden ist. Und tatsächlich flohen die Juden aus dem Spanien von 1492, das vom Katholizismus zurück erobert worden war und durch die Inquisition heimgesucht wurde, zusammen mit den Moslems nach Nordafrika oder in das damalige Osmanische Reich und lebten dort Jahrhunderte lang mit ihnen zusammen. Es existierten dort einige Diskriminierungen gegen Juden und andere Nichtmoslems, die aber harmlos waren im Vergleich zu den Exzessen der Inquisition und die keiner spezifischen Verfolgung, sondern dem Überlegenheitsdünkel der dominierenden Religion entsprangen. Zum zweiteren Punkt hätte man zur Antwort bekommen (und erhält sie auch heute noch), man selbst gehöre ja als Araber zur «semitischen Rasse» und könne daher nicht Antisemit sein. Dies ist zwar insofern falsch, als der in Europa entstandene und historisch geprägte sich explizit ausschlieblich auf die Juden bezieht und vom antiarabischen Rassismus deutlich unterschieden werden muss. Aber subjektiv ist der Einwand oftmals subjektiv ehrlich gemeint, in dem Sinne, als dass man die Juden tatsächlich keiner anderen «Rasse» zurechnet als sich selbst; der Begriff «Semiten» bezeichnet freilich keine solche, sondern eine Sprachengruppe.

In jüngerer Zeit, vor allem seit dem Aufstieg von radikal islamistischen Parteien in den letzten 20 Jahren, jedoch hat auch eine Fülle von (im engeren Sinne) antisemitischen Verschwörungstheorien in die Darstellung der Rolle Israels seitens vieler arabischer Bewegungen oder Publikationsorgane Eingang gefunden. Oftmals wurden diese Theorien -- oder Bruchstücke davon -- aus Europa importiert, wo sie in früheren Jahrzehnten gängig waren und später infolge der Shoah mehr oder weniger tabu geworden sind, jedenfalls nicht mehr allzu offen ausgesprochen werden können. Die relativ rationalen Vorstellungen früherer säkular-nationalistischer oder linksnationalistischer arabischer Bewegungen werden dabei durch obskurantische Diabolisierungstendenzen verdrängt, die man mit Hilfe solcher Verschwörungstheorien unterfüttert. Um die militärische Stärke des – von seiner räumlichen Ausdehnung her relativ kleinen – Staates Israel und seine Unterstützung durch einen Grobteil des Westens zu erklären, wird auf die Vorstellung des «internationalen Zionismus» als eine Art Weltverschwörung (die auch die westlichen Länder im Griff habe) zurückgegriffen. Das Grundsatzprogramm der 1987 gegründeten palästinensischen Hamas, das im darauffolgenden Jahr angenommen wurde, wird beispielsweise stark durch solche Vorstellungen geprägt:  Demnach haben die Juden in Europa etwa « die Französische und die Kommunistische Revolution » angezettelt (Artikel 22 : The powers which support the enemy). Auch und besonders im Iran sind ähnliche Thesen zum Teil des politischen Denkens, in diesem Falle staatsoffiziell, geworden.  

Auf israelischer Seite spielte und spielen die Traumata, die aus der Verfolgungsgeschichte des jüdischen Volkes und dem Holocaust erwachsen, eine zentrale Rolle für die politische Selbstsicht. Ihre Bindungskraft als Fundament der israelischen Gesellschaft hat zwar insofern abgenommen, als die Erinnerung daran einerseits für die jüngeren Generationen nicht mehr so unmittelbar präsent ist – und andererseits viele Neueinwanderer nach Israel in den letzten Jahrzehnten nicht aus Europa und unter dem Eindruck der Judenvernichtung dorthin kamen. Eine starke Minderheit der Einwanderer nach Israel kam etwa seit den sechziger Jahren aus arabischen Ländern, nachdem die dortigen jüdischen Bevölkerungsgruppen in einigen dieser Staaten (vor allem im Zuge des israelisch-arabischen Krieges von 1967) als «potenziell auf der Seite des Feindes stehend» schikaniert und unter Druck gesetzt wurden. So verlieb eine Mehrheit der dort lebenden Juden nach 1967 infolge von Schikanen oder Vertreibung Tunsien, wo aber auch heute noch einige Tausend Juden leben. Viele Neueinwanderer der letzten Jahre nach Israel kamen freilich direkt aus den USA (was für viele der besonders fanatischen Siedler gilt), oder aber flohen nach 1990 vor dem Durcheinander und der ökonomischen Misere in der untergehenden Sowjetunion. Nicht alle dieser verschiedenen Neuzuwanderer sind also selbst von der Erfahrung der europäischen Judenvernichtung geprägt, wie es für viele der unmittelbar nach 1945 Eingewanderten, aber auch für (zumindest ältere) Juden aus der ehemaligen UdSSR gilt. Trotzdem sind die Erfahrungen von Verfolgungen, Pogromen und Diskriminierungen – auch über den Holocaust hinaus - zentral für die Geschichte des jüdischen Volkes, und flossen daher auch in das Selbstverständnis Israels ein. Etwa auch in der Form, dass wir «in jeder erdenklichen Auseinandersetzung die Stärkeren sein müssen, um nie wieder Opfer zu werden». 

Nahezu idealtypisch brachte der ehemalige israelische Justizminister von der liberal-sakülaren Partei Shinui, Tommy Lapid, die israelische Sicht auf die eigene Position auf den Punkt, als er am 23. Juli 2006 an der Diskussionssendung von Sabine Christiansen im ARD teilnahm: «Wenn Menschen uns sagen, dass sie uns vernichten wollen, wir glauben ihnen. Als Hitler geschrieben hat in 'Mein Kampf', dass er uns vernichten will, haben wir es nicht geglaubt. Ich habe heute Ihr Holocaust-Monument hier in Berlin besichtigt. Wenn Sie verstehen möchten, was in Israel vorgeht, müssen Sie verstehen, dass wir keine Risiken eingehen können. Es gab sechs Millionen Tote in Auschwitz, jetzt leben sechs Millionen Menschen in Israel. Und der Präsident des Iran hat versprochen und die Hisbollah ebenfalls versprochen, uns zu vernichten. Und wenn man uns vernichtet, dann werden Sie ein Problem haben, noch einen solch großen Platz zu finden mitten in Berlin.»

Auch in der innenpolitischen Auseinandersetzung in Israel werden die aus dieser Geschichte rührenden Traumata angerufen, und mitunter als Waffe im ideologischen Kampf eingesetzt. Dies gilt vor allem für die Rechtsnationalen und Nationalreligiösen, aber es trifft nicht auf sie allein zu.

Schon im Dezember 1948 verglichen jüdische Kritiker der rechtsnationalistischen Strömung im neu gegründeten Staat Israel die dort entstandene Herut Partei (Freiheits Partei), den Vorläufer des späteren Likud Blocks, in einem Leserbrief an die ’New York Times’ (http://www.libertypost.org) «in Organisation, Methoden, politischer Philosophie und sozialem Tonfall» explizit mit Nationalsozialisten und Faschisten. Zu den Unterzeichnern zählten Hannah Arendt und Albert Einstein. Sie nahmen Bezug auf ein von paramilitärischen Einheiten der Herut-Partei (Irgun) in dem arabischen Dorf Deir Yassin im April desselben Jahres verübtes Massaker (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Deir_Yassin ), bei dem gut 100 Menschen getötet wurden und das den Auftakt zur Vertreibung der altansässigen Bevölkerung noch vor Beginn des israelischen Unabhängigkeitskrieges bildete. Die Kritik daran ist berechtigt -- aber eine Parallele zu den Methoden der Nationalsozialisten und damit auch zur Planung und Durchführung des Holocaust zu ziehen, war und ist falsch. Denn es ging dabei um die Eroberung von Land als Hauptzweck. Dagegen war bei der Shoah die angestrebte Auslöschung einer ganzen Bevölkerungsgruppe nicht einem Hauptzweck als (verbrecherisches) «Mittel» untergeordnet, sondern die Vernichtung selbst stellte den Zweck an sich dar. Auch wurden mehrere Hunderttausende arabische Einwohner im Zuge der Aufteilung des historischen Palästina vertrieben, aber nicht angestrebt, ihre gesamte Bevölkerungsgruppe physisch auszulöschen.

Einsatz von Erinnerung als politische Waffe 

Ein extremes, aber folgenschweres Beispiel des Appells an historische Traumata für aktuelle politische Zwecke lieferte die Mobilisierung der israelischen Rechten und extremen Rechten in den Jahren 1994 und 1995 gegen den damaligen Premierminister Yitzhak Rabin. Den Hintergrund dafür bildete, dass Rabin im September 1993 dem – unter Israelis wie unter Palästinensern umstrittenen, und viele essenziele Streitfragen ausklammernden – Grundsatzabkommen von Oslo zugestimmt hatte. Häufig wurde Rabin dort nicht nur als «Verräter» beschimpft, sondern massenhaft auf Plakaten in SS-Uniform dargestellt, was für nichts Anderes stand als für die Aussage, dass er (durch das Abkommen mit den Palästinensern) die Vernichtung des jüdischen Volkes zu Ende führe. Die Stimmung wurde damals derart aufgeheizt, dass Rabin im November 1995 durch einen jüdischen Rechtsextremisten, Ygal Amir, ermordet wurde. Einige  Monate später wurde der rechte Gegner des Oslo-Abkommens Benjamin Netanyahu, der sich von diesem Plakatmotiv distanziert, aber an allen entsprechenden Demonstrationen teilgenommen und keine von ihnen wegen entsprechender Sprechchöre vorzeitig abgebrochen hatte, zum Ministerpräsidenten gewählt. (Die Bombenanschläge der Hamas zu jener Zeit hatten dabei ebenfalls mitgewirkt.) Die Abbildung aktueller Geschehnisse auf die Folie der historischen Erinnerung kann jedenfalls auch als politische Waffe dienen.

Netanyahu selbst, inzwischen auf eine Rechtsaubenposition in der israelischen Politik gewandert und Oppositionsführer an der Spitze des Likud-Blocks, hat sich übrigens in den allerletzten Tagen ebenfalls wieder durch die Anrufung historischer Parallelen hervorgetan. In einem BBC-World-Interview vom 7. August verglich er (http://www.berlinkontor.de/article9124.html)  den Libanon mit Nazideutschland, Israel mit Grobbritannien während des Zweiten Weltkrieges und die Bombardierungen von heute mit denen von damals. Der einzige Unterschied sei, behauptete Netanyahu, dass «die Bomber 1941-43 von Propellern getrieben waren, und heute von Düsen getrieben sind», und dass damals noch keine «Propaganda-TV-Kameras» die Weltöffentlichkeit mit Bildern versorgt hätten.

Besondere Aufmerksamkeit in Europa

Diskussionen über Kriege und politische Vorgänge im Nahen Osten stoben in Europa auf ein hohes Mab an Aufmerksamkeit. Überschnittlich hohe Aufmerksamkeit -- so monieren jedenfalls einige Kritiker (http://www.diepresse.at) -- wenn man im Vergleich etwa an jene denke, die den Toten in der sudanesischen Kriegsprovinz Darfur oder im indisch-pakistanischen Konflikt um Kaschmir zuteil werde.  Die Gründe dafür sind in einem Bündel aus Motiven zu suchen.  

In Deutschland oder Österreich beinhaltet der Blick auf den Konflikt im Nahen Osten wohl immer auch einen Blick in den Spiegel der eigenen Nationalgeschichte -- da ein Teil der frühen Bewohner Israels deshalb in diesen Staat gegangen ist, weil vom damaligen Grobdeutschland aus der Versuch gestartet wurde, die europäischen Juden zu vernichten. Anderswo auf dem Kontinent, etwa in den südeuropäischen Ländern wie Italien und Griecheland, ist die Aufmerksamkeit aber kaum weniger intensiv. Neben der relativ unmittelbaren Nachbarschaft im Mittelmeerraum spielt hier auch eine wichtige Rolle, dass das historische Palästina, das heutige Israel und auch Teile des Libanon als das «heilige Land» betrachtet werden. Dieses glaubt man aus den Bibelerzählungen der eigenen Kindheit doch intim zu kennen, so dass man sich bewusst oder unbewusst den dortigen Ereignissen in besonderer Weise verbunden glaubt, gemessen jedenfalls an Vorgängen anderswo in Asien oder in Afrika.  

Nicht zuletzt spielen auch weitere objektive Faktoren, wie die besonders intensive Verwicklung internationaler Grobmächte und besonders der USA – als Hauptstütze der israelischen Politik – sowie die hohe Bedeutung der Nahostregion für die Rohstoffversorgung Europas, eine Rolle für die Beobachter. Und auch die Präsenz sowohl der seit Jahrhunderten bestehenden jüdischen Gemeinden, als auch einer (im Vergleich zu anderen internationalen Grobregionen) relativ beträchtlichen Anzahl von Einwanderern aus arabischen oder moslemisch geprägten Ländern in Europa trägt sicherlich mit zu der Aufmerksamkeit bei. 

Deutschland und Österreich: extreme Polarisierung 

Am polarisiertesten, verglichen mit wohl allen anderen auberhalb der Konfliktregion selbst gelegenen Ländern, verläuft die Debatte über den Nahostkonflikt und den Libanonkrieg vermutlich in den deutschsprachigen Ländern. Dies hat natürlich unmittelbar mit der gemeinsamen Geschichte Deutschlands und Österreichs, insbesondere auch während ihres Zusammenschlusses im so genannten «Grobdeutschen Reich» und unter dem Nationalsozialismus, zu tun. Unweigerlich dient diese historische Realität vielen Streitenden und Diskutierenden als Projektionsfläche, vor welcher die aktuellen Vorgänge diskutiert werden. So suchen sich manche Deutschen (oder Österreicher) historische Entlastung, in ihrem Wunsch nach einer «endlich wieder normalisierten Nation» ohne die Identifikation störende Erinnerung, indem sie sich nunmehr lauthals darauf berufen, dass «die Juden und Israelis ja auch Verbrechen begehen... und wir uns deshalb nicht immer  unsere Geschichte vorhalten lassen müssen». Andere versuchen sich dagegen gerade dadurch ein reines Gewissen und einen ungestörten Bezug zur Nation  zu verschaffen, dass sie sich demonstrativ auf die Seite Israels stellen und dadurch glauben, ja nunmehr «zu den Guten zu gehören». Von dem zu reden, was wirklich im Nahen Osten passiert, ist angesichts dieser starken projektiven Bedürfnisse gar nicht so einfach. 

«Polarisiert» bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, dass es in Deutschland (oder Österreich) die heftigsten Zusammenstöbe zwischen Regierungs- und Oppositionslager hinsichtlich ihrer Position zu den Konflikten im Nahen Osten gäbe. Im Gegenteil fällt diese in den deutschsprachigen Ländern deshalb relativ schwach oder unbedeutend aus, weil die allertiefsten Gräben im Lager der üblichen Kritiker der Regierungspolitik und/oder der herrschenden Gesellschaftsordnung selbst klaffen. Linke oder sozialpolitische Opponenten, die sonst regelmäbig gegen Regierungsbeschlüsse oder konservative Vorhaben und erst recht gegen rechtsradikale Umtriebe protestieren, sind sich in dieser Debatte plötzlich nicht mehr grün. Ja, beschimpfen einander mitunter unumwunden (je nach Position und Wortwahl) als Nazis oder zumindest als Anhänger einer den Nazis ähnlichen Ideologie, als Kollaborateure der Herrschenden, als Kriegstreiber und Schreibtischtäter. In abgeschwächter Form und mit geringerer verbaler Härte durchzieht dieser Streit fast alle üblicherweise als progressiv geltenden Milieus. Zunächst erfasste er die publizistische Szene und die auberparlamentarische Linke, hat nun aber inzwischen auch, beispielsweise, die Linkspartei.PDS erreicht (http://www.linxxnet.de/ ). Die Berliner ‘tageszeitung’, taz, früher das Debattenforum der gesamten alternativen Linken und heute eher der grünen Partei nahe stehend, dokumentiert in den letzten vier Wochen Beiträge absolut konträren Inhalts ( siehe: http://www.taz.de/pt/2006/07/22/a0032.1/text und http://www.taz.de/pt/2006/08/09/a0168.1/text ).  Inmitten dieses heftigen ideologischen Disputs traut sich der gröbte Teil der im weiteren Sinne links Politisierten nicht mehr, überhaupt noch Position zu beziehen, sondern zieht sich vielmehr – Zweifel gegenüber allen Streitparteien und geäuberten Positionen äubernd – auf eine relative Passivität zurück. Im Umkehreffekt dominieren dann natürlich die eher problematischen Kräfte und Aussagen zum Beispiel viele Anti-Kriegs-Demonstrationen. 

Darin unterscheidet sich die Situation in den deutschsprachigen Ländern erheblich von jener, die beispielsweise in den USA oder in Frankreich anzutreffen ist. Dort ist die Auseinandersetzung um die Positionierung zu den Kämpfen im Nahen Osten im Wesentlichen (auch wenn diese Feststellung leicht vergröbernd ist) eine Links-Rechts-Auseinandersetzung. Jedenfalls in dem Sinne, dass auf der einen Seite des aktiv ausgetragenen Streits (auf der Strabe) linke Protestler zu finden sind, auf der anderen Seite vor allem konservative Vertreter des Establishments stehen, wobei die sozialdemokratischen Parteien in beiden Fällen eher der zweiteren Position zuneigen. In Wirklichkeit liegen jedoch auch hier die Dinge ein wenig komplizierter. Doch betrachten wir uns zunächst die Situation in den deutschsprachigen Staaten. 

Von den Stolpersteinen und Fallstricken der linken Kritik an Israel in Deutschland 

Historisch betrachtet, überwog in der Nachkriegszeit unter den nachwachsenden deutschen Linken zunächst klar eine pro-israelische Haltung. Dabei spielte nicht nur das Mitgefühl mit den in Israel lebenden Überlebenden oder vor dem Holocaust Geflohenen eine Rolle, sondern auch, dass von offizieller westdeutscher Seite her längere Zeit noch keine zwischenstaatlichen diplomatischen Beziehungen zum Staat Israel aufgenommen wurden.  

Die Bundesrepublik leistete zwar ab den fünfziger Jahren so genannte «Wiedergutmachungszahlungen» an Israel, die auch im doppelten Sinne des Wortes aufgefasst wurden. Also in dem Sinne, dass es sich um Reparationen für begangene Verbrechen handele -- aber auch dass deren Folgen dadurch «wieder gut gemacht» würden, sprich dass man sich seine Eintrittskarte zur Aufnahme in den Club der zivilisierten Nationen und seine Akzeptanz damit erkaufen könne. In diesem Sinne wirkte auch der deutliche Philosemitismus der ansonsten nationalistischen und autoritären Springer-Presse. Aber diplomatische Beziehungen zwischen beiden Ländern wurden erst im Jahr 1965 aufgenommen, in demselben Jahr, in dem die Zahlungen infolge des 1952 in Luxemburg unterzeichneten «Wiedergutmachungsabkommens» ausliefen (mit Ausnahme der Rentenzahlungen an persönlich Geschädigte u.ä.). Bis dahin hatten zweifellos Vorbehalte im Weg gestanden, die mit der Präsenz zahlreicher alter Nazis in Wirtschaft, Verwaltung und Justiz der westdeutschen Nachkriegsjahre zusammen hingen. Man denke nur an den berüchtigten Hans Globke, der einstmals juristischer Kommentator der Nürnberger Rassengesetze gewesen war und die Sondergesetze zur Enteignung und Entrechnung der Juden in der besetzten Slowakei ausgearbeitet hatte, und 1953 dann zum Kanzleramtsminister unter Bundeskanzler Konrad Adenauer aufstieg. Erst in diesem Jahr 2006 bekannt wurde (http://de.today.reuters.com ) im Übrigen, dass westdeutsche Stellen in den späten fünfziger Jahren vom Aufenthaltsort des NS-Massenmörders Adolf Eichmann wussten und diese Informationen auch an die amerikanische CIA weitergaben -- beide Dienste aber übereinkamen, diese Nachrichten nicht an Israel weiter zu geben. Im Hintergrund stand der Wunsch, zu verhindern, dass durch einen spektakulären NS-Prozess die Aufmerksamkeit auf den Schreibtischtäter im westdeutschen Kanzleramt gelenkt werde. 1960 dann schafften es die Israelis auch allein, Eichmann in Argentinien gefangen zu nehmen. Die Episode wirft ein recht bezeichnendes Schlaglicht auf die Hintergründe der damaligen Beziehungen zwischen den beteiligten Staaten. 

Doch in vielen Fällen idealisierten die deutschen Nachwuchslinken dabei den israelischen Staat und nahmen ihn als ein falsches Idyll wahr, im Sinne eines verwirklichten wahren Sozialismus im Kibbuz. Von den militärpolitischen und geostrategischen Zusammenhängen der Region wusste man oft nur wenig. Und generell waren internationale Themen damals weitgehend unterbelichtet. Deshalb wurde die bis dahin vor allem moralisch und emotional begründete Näheposition zu Israel auch empfindlich erschüttert, als um die Mitte der 60er Jahre erstmals internationale Themen und Dritte-Welt-Solidarität in die bis dahin relativ heile Welt der Linken im westdeutschen Wohlstandsstaat hereinbrachen: Demonstration gegen den Schah-Besuch in Westberlin, Vietnamkrieg, Faszination für die Kulturrevolution in China (oder was man aus der Ferne für deren Realität hielt). Ein Teil der sich radikalisierenden Linken vollzog deshalb innerhalb kürzester Zeit einen scharfen Paradigmenwechsel, beschleunigt infolge der israelischen Stärkedemonstration im Sechs-Tage-Krieg von 1967. Erstmals wurde damals das Problem der palästinensischen Flüchtlinge wahrgenommen  

Ein damals Beteiligter schrieb dazu ( http://www.trend.infopartisan.net/trd0905/t250905.html  ) einige Jahre später im Rückblick, nachdem er (aufgrund einer in der Palästinasoldarität angetroffenen Unsensibilität gegenüber dem Holocaust -- aber in Wirklichkeit wohl auch aufgrund des totalen Scheitern der maoistischen Partei, der er angehört hatte) bereits wieder mit dem neuen Paradigma gebrochen hatte: « In den frühen 60er Jahren spielte Israel für die fortschrittliche bzw. demokratische Bewegung in Deutschland ungefähr die Rolle, die in den späten 60er Jahren China spielte: Israel galt als besonders demokratisches Land, als sozialisti-sches Ideal mit seinen Kibbuzim und als Bastion des Antifaschismus. Viele junge Deutsche sind aus antifaschistischer Einstellung heraus nach Israel gegangen, haben in den Kibbuzim gearbeitet und dies als einen Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus verstanden. Die Positionen der arabischen Staaten gegenüber Israel wurden entweder nicht zur Kenntnis genommen oder für Relikte des Antisemitismus gehalten, das Schicksal des palästinensischen Volkes war vollkommen unbe-kannt, und auch der Befreiungskampf der Algerier hat an dem blinden Fleck im Auge der demokratischen Jugend in Deutschland gegenüber den Problemen der arabischen Welt nichts geändert. (...)In keinem Land Europas war die Identifikation von Antifaschismus und pro-israelischer Haltung derart stark. Das begann sich erst 1967 während und nach dem Krieg zu ändern, wobei die Berichterstattung der Springerpresse eine gewisse Rolle spielte, vor allem ihr Versuch, pro-israelische Sympathien in Deutschland gegen die schon ziemlich entfaltete antiimperialistische Bewegung zu mobilisieren. Dieser Prozeß des Umdenkens ging aber sehr langsam vor sich. (...)Am 5.6.1967 befanden sich Tausende von Studenten auf dem Campus der Freien Universität Berlin. Sie protestierten gegen die Erschießung Benno Ohnesorgs, der bei einer Demonstration am 2. Juni gegen den Schah in Berlin den Tod gefunden hatte. Als die Nachricht vom Ausbruch des Krieges eintraf, bildeten sich um die wenigen arabischen Studenten Diskussionstrauben. Die arabischen Studenten fanden weder Gehör noch Verständnis, sondern ertranken fast in einem Meer an Feindseligkeit. »  (Peter Tautfest; der einstige linke Aktivist ist im Januar 2003 verstorben.) 

Ein Teil der linken Auberparlamentarischen Opposition (APO) vollzog aber nun in dieser Frage einen schnellen, abrupten und oftmals kaum reflektierten Kurswechsel. Das Ergebnis war, dass die einstmals in hohem Mabe moralisch begründete Haltung der Verbundenheit mit Israel nunmehr im Nachhinein von manchen Protagonisten als eine Art Missbrauch ihrer Gefühle empfunden wurde. Diese Form von emotionalem Betrug, so das subjektive Empfinden bei Manchen, habe sie damals blind für die «Opfer der Opfer» (so lautete ein seinerzeit ziemlich beliebter Ausdruck) werden lassen. Die daraus erwachsenden moralischen Bauchschmerzen und der Versuch, das Ruder der eigenen Orientierung möglichst schnell herum zu werfen, endeten häufig in Verrenkungen und Gestikulationen, die den eigenen Gewissensbissen Genüge tun sollten. Durch schrille Töne sollte das bisherige historische Schuldgefühl, das nun durch neue Schuldgefühle (bezüglicha der eigenen vorherigen Haltung) angegriffen wurde, abgewehrt werden. 

Nur so ist eine Wahnsinnstat zu erklären, zu der in keinem der Nachbarländer Vergleichsmöglichkeiten gefunden werden können. Wie durch das Buch von Wolfgang Kraushaar ‘Die Bombe im jüdischen Gemeindehaus’ im Juli 2005 erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, hatten Angehörige einer linken Splittergruppe am 9. November 1969 eine Bombe in einem jüdischen Gemeindezentrum in Westberlin deponiert. Der mutmabliche politische Hintermann des – gescheiterten – Anschlags, der Aktivist und Anführer der «Haschrebellen» Dieter Kunzelmann hatte damals die Zielsetzung formuliert, die Linke müssen ihren «Judenknax» überwinden. Also einen «Knacks» oder Schuldkomplex, der mit der deutschen Geschichte und dem Holocaust zusammen hänge. In Detailfragen ist das Buch von Kraushaar umstritten -- aber unstrittig ist, dass es diesen Attentatsversuch einer Splittergruppe, die sich nach einer Guerillagruppe im lateinamerikanischen Uruguay als «Tuparamos Westberlin» bezeichnete, tatsächlich gegeben hat. Dass der gröbte Teil der damaligen Linken und der APO nicht dahinter stand, sondern weitaus mehr eine «faschistische Provokation» vermutete, und dass nach Kraushaars Enthüllungen ein Agent Provocateur des Verfassungsschutzes den Sprengkörper zur Verfügung gestellt hatte, ändert daran nichts. 

«Endlösung» im Libanon ?  

Nicht mit potenziell tödlichen Konsequenzen einher gehend, aber ebenfalls politisch desaströs waren spätere Tendenzen, in einem politischen Spannungsmoment wie auf dem Höhepunkt der israelischen Invasion im Libanon (1982) das Vokabular des NS und des Holocaust auf die israelische Kriegsführung und die mit ihr verbundenen Massaker anzuwenden. In mindestens zwei linken Medien, in der Revue ‘Pardon’ im Juli 1982 und in der linken Monatszeitung AK (damals ‘Arbeiterkampf’, später ‘Analyse und Kritik’) im September 1982, wurde in diesem Zusammenhang die Formulierung von der drohenden «Endlösung der Palästinserfrage» benutzt. Israel war damals im Libanon einmarschiert, um die im Süden des Landes sitzende Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) zu vertreiben, deren Führung infolge der Belagerung von Beirut in die tunesische Hauptstadt Tunis ausgeflogen wurde. In diesem Kontext hatte Israel eine zweimonatige Hungerblockade über Westbeirut, wo die Palästinenser dominierten, verhängt und im September 1982 von den verbündeten christlich-rechtsradikalen Milizen der libanesischen «Falange» (arabisch Kataeb) ein Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila anrichten lassen. Dort starben rund 2.000 Menschen. Ein verbrecherisches Massaker, aber mitnichten eine «Endlösung», da dieser auf der Wannsee-Konferenz benutzte Begriff für das Vorhaben der planmäbigen Auslöschung einer gesamten Bevölkerungsgruppe als solche steht. 

Dass dieser Begriff dennoch in linken Medien auftauchte, war zweifellos nicht antisemitisch, also durch Abneigung und Hass gegen Juden, motiviert. Es handelte sich vielmehr um den Versuch, die radikale Kritik und Empörung über die Vorgänge in einem besonders durchschlagkräftigen Begriff zu bündeln. Der benutzte Begriff sprach in diesem Falle dem Staat Israel die stärkste moralische Dimension seiner Eigendefinition – die Berufung auf die Staatsgründung infolge von Judenverfolgung und Holocaust – ab und stellte dessen Sichtweise auf sich selbst radikal in Frage. Deshalb schien er von besonderer Wirkung zu sein. Auch der linke deutschjüdische Poet Erich Fried reagierte um dieselbe Zeit ähnlich, indem er in einem Gedicht folgende Zeilen schrieb: «Die kommen immer  wieder, die sind immer noch da / Ich habe Hitler gesehen / Er rief Shalom und spielte Holocaust / Im Libanon.» Dennoch war der historische Vergleich nicht nur in der Sache falsch, sondern er hatte objektiv die Wirkung, in Deutschland die historische Realität des Holocaust zu relativieren, ja ihre Aufrechnung gegen aktuelle Verbrechen des «Staats der Opfer» möglich zu machen. Wer also in Deutschland «endlich nichts mehr von den Verbrechen gegen die Juden hören» wollte, brauchte sich nur darauf zu berufen.       

Rechtsradikale Judenhetze unerheblich? 

In den Jahren nach 1968 und noch bis circa 1989 war der «Antiimperialismus» eine wesentliche Komponente der Kritik, die durch die (radikale) Linke an der herrschenden Gesellschaftsordnung vorgebracht wurde. Dies in dem Sinne, dass man in der Linken davon ausging, die herrschende Weltwirtschaftsordnung habe einerseits dafür gesorgt, dass die Menschen in den westlichen Industrieländern (den «Metropolen») aufgrund der Überausbeutung von Rohstoffen und Arbeitskräften in den ehemaligen Kolonien und Dritte-Welt-Ländern einige soziale Zugeständnisse erhielten. Dadurch werde die «soziale Frage» in den Kernländern des Kapitalismus ruhig gestellt. Andererseits aber erlaube es die Tatsache, dass die «Dritte Welt» in Bewegung gekommen war – etwa im Zusammenhang mit den Entkolonialisierungskämpfen wie in Algerien, oder dem Vietnamkrieg --, von dort her die herrschende Weltordnung aufzubrechen. Die radikaleren Strömungen, von wesentlichen Teilen der APO bis hin zur RAF, verstanden es als ihre Aufgabe, diesen Impuls «in die Metropolen» zu holen. 

Ab den 80er Jahren fing diese Vision an, zunehmend in Frage gestellt zu werden. Die grobe Welle der Entkolonialisierung war vorbei, und die Regime in den dabei entstandenen jungen Staaten hatten sich in der Regel stabilisiert. Der «emanzipatorische Überschuss» an sozialen Veränderungswünschen, die mit der Entkolonialisierung verknüpft wurden und der über die pure Staatsgründung hinaus reichten, war oftmals verpufft. Überdies begann ab Mitte der 80er Jahre der Zusammenbruch des «realsozialistischen Lagers», das bis dahin ein objektiver Bündnispartner für die frisch entkolonialisierten Staaten (von neu geknüpften Wirtschaftsbeziehungen bis zur gemeinsamen Stimmabgabe in den UN-Generalversammlungen) gewesen war und es ihnen oft erlaubte, den wirtschaftlichen Anpassungszwängen des Weltmarkts ein Stück weit zu entfliehen. Der ökonomische Zwang des Weltmarkts war dabei durch politische Bündnisse, zwischenstaatlichen Handel (oftmals mit Subventionen für die ärmeren Länder verbunden) und die Einbindung in den Comecon als «zweiten Weltmarkt» ersetzt worden. Sicherlich war auch dies nicht immer nur zum Vorteil der Dritt-Welt-Länder, da auch der sowjetische Block nicht uneigennützig handelte. Aber die Konkurrenz zwischen zwei rivalisierenden Grobblöcken mit unterschiedlichen Wirtschaftssystemen hatte den frisch unabhängigen Ländern doch einen gröberen Spielraum verschafft. Dieser war 1989 verschwunden.  

Gleichzeitig setzte innerhalb der europäischen Linken ein massiver Abschied von der «antiimperialistischen» Weltsicht und die Suche nach neuen Orientierungspunkten ein. Begonnen hatte dieser Prozess schon früher, da die platteste Form des «Antiimperialismus» - eine binäre Sichtweise, die die Welt in Nord und Süd als Gut-Böse-Schema einteilte und innerhalb der «unterdrückten Länder» überhaupt nicht zwischen progressiven und reaktionären Kräften unterscheiden mochte – schon 1979 ihren Super-GAU erlebt hatte. Damals hatte man binnen weniger Monate den wirklichen Charakter des zu Anfang jenes Jahres gestürzten Regimes von Pol Pot in Kambodscha, und des frisch an die Macht gekommenen Khomeini-Regimes im Iran erfahren. Darum auch taumelte der westdeutsche Maoismus um dieselbe Zeit in eine tödliche Krise. Andere, intelligentere Varianten desselben politischen Ansatzes überlebten noch länger. Aber mit dem Ende der bipolaren Weltordnung kamen auch sie auf den Prüfstand. In der Linken der deutschsprachigen Länder bildete zudem die kritische Aufarbeitung der vergangenen «Sündenfälle» im Hinblick auf die Wahrnehmung der israelisch-arabischen Konflikte – wie etwa die «Endlösung der Palästinenserfrage» - einen Katalysator bei diesem Wandel der grundsätzlichen Weltsicht. 

Übrig geblieben ist, jedenfalls in den deutschsprachigen Ländern, ein im Vergleich zu den radikaleren Linksströmungen der 70er und 80er Jahre recht klägliches Häufchen von sich primär «antiimperialistisch» bestimmenden Gruppen und Publikationsorganen. Durch den teilweisen Einfluss auf die Berliner Tageszeitung ‘junge Welt’ verfügt diese Strömung jedoch immer noch über einen nicht unbeträchtlichen publizistischen Einfluss. 

Die politische Schwierigkeit, die Wirklichkeit im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikts ausschlieblich durch das Prisma des Imperialismus – also der internationalen Ordnung, der Hierarchien zwischen Nord und Süd – zu betrachten und dabei andere Faktoren völlig unberücksichtigt zu lassen, zeigen die jüngsten Äuberungen der «Antiimperialistischen Koordination» (AIK). Diese relativ kleine Gruppierung, die in Österreich ansässig ist, dürfte den Resten der einstmals mächtigen «antiimperialistischen» Unterströmung ihren (inhaltlich) zugespitzesten Ausdruck verleihen. In einer Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), die in ihrer Mehrheit weitaus nuanciertere Positionen vertritt, während ein neostalinistischer Minderheitsflügel den Positionen der AIK nahe steht, schreibt die Koordination Anfang August dieses Jahres: «Dass allein die (Anm. d. Verf.: rechtsradikale) FPÖ die Forderung nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen erhebt, wird hier zur willkommenen Ausrede für die De-facto-Deckung Israels und seiner Kriegsverbrechen. Unter ‘rechts’ wird im Allgemeinen die Verteidigung der sozialen Ungerechtigkeit, der Chauvinismus, die Herrschaft der Eliten verstanden. So ist die israelische Apartheid gegen die Palästinenser der Inbegriff von ‘rechts’, genauso wie seine imperialistischen Unterstützer in den USA und in Europa.» Im Anschluss wird dann über einen Bündnispartner ausgesagt: « Dieser kümmert sich tatsächlich wenig über schal gewordene Demarkationen zwischen links und rechts, deren Denominationen aber allesamt den Zionismus und das American Empire anerkennen und aktiv verteidigen.»    

Die Motive der «Antiimperialisten» decken sich durchaus nicht mit denen der österreichischen Rechtspopulisten und Rechtsradikalen von der «Freiheitlichen Partei» FPÖ. In ihrem Text wird die Situation Israels und der Palästinenser vor allem durch das Raster des europäischen Kolonialismus sowie des Vergleichs des Nebeneinanders von Schwarzen und Weiben in Südafrika betrachtet. Völlig abgesehen von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Darstellung, muss sie doch in jedem Falle als Motivation der Autoren ernst genommen werden: Sie analysieren die Situation im Nahen Osten tatsächlich durch diesen historischen Vergleich. Darum kann man ihnen auch keinen Hass auf die Bewohner Israels «als Juden» unterstellen, da sie ihre Situation ähnlich wie jene der Europäer in der französischen Siedlungskolonie Algerien oder der Weiben in Südafrika – deren Gegner sie auch nicht zu vernichten, sondern neue Beziehungsformen zu erzwingen suchten – wahrnehmen. Aber als vollkommen blind muss ihr Auge dort erscheinen, wo nicht einmal mehr wahrgenommen wird, dass Andere, in diesem Falle zum Beispiel die österreichischen Rechtsradikalen, völlig andere Betrachtungsweisen und Motive haben und die Einwohner Israels eben sehr wohl in erster Linie als «Juden» wahrnehmen.  

So hat der österreichische Rechtspopulist Jörg Haider – der ehemalige Chef der oben zitierten FPÖ, der sich allerdings inzwischen von ihr mit einer eigenen Partei (dem «Bündnis Zukunft Österreich» BZÖ) abgespalten hat – wenige Tage später klar gestellt, wie er die Dinge sieh. Er warf Israel vor (siehe http://www.networld.at und http://www.ots.at), nach dem Prinzip «Auge um Auge, Zahn um Zahn» vorzugehen, bezog also seine Kritik tatsächlich auf Sätze aus dem Alten Testament und damit nicht auf eine konkrete Politik von heute, sondern auf das Judentum und seine Glaubenssätze «an sich». Ferner attackierte Jörg Haider den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in Wien, Ariel Muzicant – den er bereits früher aus anderen Motiven angegriffen hatte – als «einen jener zionistischen Provokateure im Westen». Sein Parteivorsitzender in der Steiermark, Gerald Grosz, forderte nach dem Tod eines österreichischen UN-Soldaten im Südlibanon durch israelischen Beschuss «ein Wort des Bedauerns und der Verurteilung durch die Kultusgemeinde». Damit kritisierten die beiden BZÖ-Politiker eben nicht nur eine konkrete Politik im fernen Nahen Osten, sondern richteten ihre Kritik in einer Weise an die in Österreich lebenden Juden, als ob diese in irgend einer Form für die Politik der israelischen Entscheidungsträger verantwortlich seien. Auch wenn die IKG-Funktionäre diese sicherlich verbal unterstützen mögen, sind sie für diese Politik genauso wenig verantwortlich wie alle anderen Befürworter des israelischen Vorgehens auberhalb dieses Staates. Insofern ist klar, dass das Vorgehen der Rechtspopulisten antisemitische Reflexe widerspiegelt oder bedient. Vor diesem Hintergrund die notwendigen Abgrenzungen als «schal gewordene Demarkationen» nach Rechts abzutun, zeugt von einer tatsächlichen Blindheit für Gefahren.  

In abgeschwächter Form, aber mit ähnlicher inhaltlicher Grundausrichtung kommentiert auch der regelmäbige Leitartikelautor Werner Pirker das Geschehen im Nahen Osten in der jungen Welt. Ohne die Nähe der schiitischen Hizbollah-Bewegung zum iranischen Regime und andere kritikwürdige Punkte zumindest zu thematisieren, bezeichnet Pirker  in einer Schwarz-Weiß-Sicht auf Gut und Böse im Libanonkrieg die islamistische Miliz umstandslos als «lebendigsten Teil der libanesischen Demokratie, de(n) sich auf die Masse der Unterprivilegierten stützenden nationalen Widerstand». Kurios ist ferner, wie Pirker die Rolle Russlands darstellt. Unkommentiert gibt er auf der Seite Eins der Zeitung als oberste Nachricht zu Protokoll: « Mit scharfen Worten kritisierte Russland Israel. Dessen Gewalt im Libanon mit Hunderten von Toten und Hunderttausenden Flüchtlingen gehe ‘weit über die Grenzen einer Antiterroroperation hinaus’. Das russische Außenministerium forderte einen sofortigen Waffenstillstand.» Nicht erwähnenswert findet der Journalist dabei, dass Russland in den letzten 12 Jahren in Tschetschenien in einer Weise wütete, die sogar das israelische Vorgehen im Libanon noch in den Schatten stellt. Des Rätsels Lösung liegt darin begründet, dass Pirker, der vor 1987 Korrespondent der damaligen KPÖ-Zeitung ‘Volksstimme’ in Moskau war und als russophil gelten muss, von der Wiederauflage einer «antiimperialistischen Allianz» wie zu sowjetischen Zeiten träumt. Mit dem Unterschied, dass es sich damals um «Realsozialisten» und arabische Linksnationalisten handelte, aber heute um ein nicht-sozialistisches autoritäres Regime in Russland und um islamische Fundamentalisten handeln würde.    

«Antideutsch» mit fliegenden Fahnen für den Krieg 

Auf der anderen Seite des (im weitesten Sinne) linken oder gesellschaftskritischen Spektrums, aber den «Antiimperialisten» - in denen sie das Schlimmste überhaupt erblicken, kurz hinter den Nazis, wenn nicht auf gleicher Höhe mit ihnen - spinnefeind gesonnen, findet man in den letzten Jahren die so genannten Antideutschen. 

Robert Misik portraitierte sie jüngst mit folgenden Worten in der ‘taz’, wo ansonsten übrigens auch Vertreter dieser Strömung während des Libanonkriegs zu Wort gekommen sind: «...und immer mit dabei (Anm. d. Verf.:bei den Befürwortern des Krieges im Libanon) die ‘Antideutschen’, diese groteskeste Narrentruppe deutschen Schuldkomplexes, die als Ergebnis der Gleichung ‘Deutsche böse = Opfer der Deutschen gut = Gegner der Opfer böse’ zu einer ebenso krausen wie strammen proamerikanischen, proisraelischen und antimuslimischen Linken geworden sind.»  

Geburt einer Ideologie 

Diese Präsentation ist äuberst vergröbernd -- zumal sie nicht die Hintergründe der Entstehung dieser Strömung, die in keinem der Nachbarländer (mit Ausnahme von Österreich) auch nur annähernd Ihresgleichen findet, beleuchtet. Die heute so genannten «Antideutschen», während der ersten Jahre sprach man noch eher von «Antinationalen», entstanden zunächst als Reaktion auf alte Orientierungen und Irrtümer der Linken, wobei die Protagonisten diesen ein um 180° Grad entgegengesetzes Extrem folgen lieben. Die Geburt ihrer Ideologie widerspiegelt zuerst den Paradigmenwechsel, der in den späten 80er Jahren infolge der Umbrüche in der internationalen Ordnung und der Infragestellung des bislang dominierenden Orientierungselemens des Antiimperialismus eingesetzt hatte. Zum Zweiten hatte sich – aus Sicht vieler verbliebener radikaler Gesellschaftskritiker – im Laufe jenes Jahrzehnts mit dem Aufstieg der grünen Partei, und ihrer Entwicklung im politischen System der Bundesrepublik, eine «Anpassungstendenz» durchgesetzt. Ein Trend, der viele ehemals radikale Linke dazu brachte, ruhigen Gewissens ihren Frieden mit dem System zu machen und zu Besserverdienden aufzusteigen. Jene, die diese Entwicklung nicht mitmachen wollten, fanden sich 1988/89 zum Teil in einem lockeren Bündnis namens «Radikale Linke» (RL) zusammen. Unter ihnen wurde von Manchen die Vorstellung kultiviert, nach den (in kritischer Absicht gesprochenen) Worten eines Beteiligten, als Häuflein der letzten Aufrechten «der Fels in der Brandung» zu sein.  

Hinzu kam zum Dritten eine ausgeprägte Furcht, die mit dem Fall der innereuropäischen Blockgrenze und dem Zusammenbruch der DDR 1989/90 einher ging. Zusammen mit dem Eindruck eines Scheiterns vor dem Hintergrund des Trends hin zu «Rot-Grün» (der 1989 in der westdeutschen Linken unüberwindbar stark geworden zu sein schien) sahen sich die zurückgebliebenen Gesellschaftskritiker nun erst recht beunruhigt, und Manche wurden von fast existenzieller Panik erfasst. Die massanhafte Zustimmung zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten in der Noch-DDR, die sicherlich in der Realität auch ausgeprägte ökonomische Triebkräfte hatte, wurde in erster Linie als Massenmobilisierung zugusten des deutschen Nationalismus gesehen. Wohin die Entwicklung führen würde, schien offen, ein heraufziehendes «Viertes Reich» nicht ausgeschlossen, zusammen vielleicht mit gewaltsamen Grenzverschiebungen in Osteuropa nach dem Ende des «Eisernen Vorhangs». Tatsächlich kam es vor allem in den Anfangsjahren nach dem Zusammenschluss von BRD und DDR nicht nur zu einer Welle von nationalistischen und rassistischen Manifestationen, sondern auch zu massenhafter Gewalt gegen Einwanderer vor allem im Zusammenhang mit der so genannten «Asyldebatte» (1991 bis 93). In Hoyerswerda (1991) und Rostock (1992) verbrannten Gebäude, in Mölln (1992) und Solingen (1993) dann auch Menschen.  

Einen Bezug zu Israel und den Konflikten im Nahen Osten hatte dies zunächst nicht unmittelbar, bekam ihn aber im Laufe des Golfkriegs von Januar/Februar 1991. In den ersten Tagen der Flächenbombardierung des Irak antwortete die dortige Diktatur auf die Offensive der von den USA geführten Kriegskoalition, indem sie Scud-Raketen (sowjetischer Bauarbeit, aber mit Hilfe des deutschen Thyssen-Konzerns aufgemotzt) auf militärische Stellungen in Saudi-Arabien und anschliebend in Richtung Israel abfeuern lieb. Die dort, in Israel, entstandenen Schäden waren damals gering, sieht man von zwei Todesopfern ab, und stehen in keinem Vergleich zu den jetzigen Auswirkungen des Beschusses mit Katjuscha-Raketen durch die Hizbollah. Aber in ihrer Wirkung sollten sie vor allem dazu dienen, die Meinung der Strabe in vielen arabischen Ländern zugunsten des irakischen Regimes zu mobilisieren, indem die Konfrontation ausgeweitet wurde. Verbal drohte der irakische Präsident Saddam Hussein später damit, die (wenig treffsicheren) Raketen beim nächsten Beschuss mit Giftgasköpfen zu bestücken. Militärisch war er dazu mutmablich nicht in der Lage, da die Verlängerung der Reichweite dieser Kurzstreckenraketen durch Thyssen auf Kosten ihrer Trägerkapazität ging. Aber verlassen wollte man sich darauf in der israelischen Bevölkerung nicht, zumal fest stand, dass die irakische Diktatur zum damaligen Zeitpunkt C-Waffen besab: Sie hatte 1988 Giftgas gegen Kurden im Nordirak eingesetzt. Daher saben viele Menschen in Israel verängstigt in Schutzbunkern. Und da es zum Teil deutsche Firmen waren, die dem Irak bei der chemischen Aufrüstung geholfen hatten, wurden historisch aufgeladene Vorwürfe laut und Vergleiche zu jenen deutschen Firmen, die Giftgas in die Vernichtungslager geliefert hatten. 

Dies ist die Geburtsstunde dessen, was später zur «antideutschen» Ideologie werden sollte. Angesichts der noch frischen Warnungen vor dem «Vierten Reich» -- die staatliche Vereinigung von BRD und DDR, im Oktober 1990, lag zum Zeitpunkt des Golfkriegs nur drei Monate zurück – schienen diese lauten Vorwürfe nun die Wiederkehr des historischen Monstrums zu bestätigen. Eine Assoziationskette war schnell gesponnen, an der damals einige Beiträge in der ‘taz’ (namentlich von dem Historiker Götz Aly) sowie der Zeitschrift ‘Konkret’ mit strickten: Deutschland findet zu seiner Vergangenheit zurück; Deutschland hat dem Irak Giftgas geliefert; das irakische Regime möchte Israel auslöschen und bereitet sich darauf vor; zugleich gehen in Deutschland Hunderttausende Menschen gegen die Bombardierung des Irak auf die Strabe. Klar war damit scheinbar folgendes: Hitlers langer Arm macht nun seine Pläne zur Ausrottung der Juden wahr. Ähnlich, wie viele Deutsche nach 1945 nur an die Opfer der Bombardierung Dresdens dachten und daher sich selbst und ihre Nation zum angeblichen Opfer des Zweiten Weltkriegs stilisierten, ist auch dieses Mal die Empörung über die Bombenteppiche nur die Ablenkung vom wahren Verbrechen (wie damals vom Holocaust). Die deutschen Massen sind, einmal mehr, Komplizen eines schnauzbärtigen Diktators, der vom Ende der Juden träumt. 

In Wirklichkeit waren die Dinge nicht ganz genauso miteinander verkettet, wie man es wahrhaben wollte. Tatsächlich hatten deutsche Firmen (neben französischen und US-amerikanischen Unternehmen oder staatlichen Institutionen) in den 80er Jahren an der Aufrüstung des Irak, auch im nicht konventionellen Bereich, mitgewirkt. Aber diese Aufrüstung hatte nicht zum Zweck, einen Angriff auf Israel zu ermöglichen, sondern erfolgte im Rahmen des Krieges zwischen dem Irak und dem Iran. Dieser mörderische Krieg, der von 1980 bis 88 dauerte, wurde durch fast alle führenden Industrieländer mit massiven Waffenlieferungen (oft an beide Seiten, wie im Falle der Bundesrepublik, während Frankreich «einseitig» den Irak ausrüstete) unterhalten. Trug er doch dazu bei, die eigene Konjunktur zu unterstützen, aber auch zwei Regionalmächte zu schwächen, die OPEC zu spalten und den Ölpreis (der 1985/86 sein historisches Rekordtief erreichte) damals in den Keller rutschen zu lassen. Eine Kriegsführung des Irak gegen Israel lag zu jener Zeit nicht im Bereich des Denkbaren, und es hätte auch nicht im Interesse der US-Administration gelegen, die ihrerseits ebenfalls massiv an der damaligen Aufrüstung des Irak – auch im Bereich der bakteriologischen Kriegführung, wie die ‘New Tork Times’ im August 2002 ausführlich berichtete  - beteiligt war. Und schlieblich waren offizielle deutsche Stellen am Jahresanfang 1991, zum Zeitpunkt des Krieges, längst auf einen Kurs der Unterstützung Israels und der Befürwortung des US-Krieges gegen den Irak eingeschwenkt.  

Zunächst hatte die Führung des wiedervereinigten Deutschland gar eigene Ambitionen zur militärischen Teilnahme an dem Konflikt angemeldet: Der damalige Verteidigungsminister Gerhard Stoltenberg schickte sich etwa im Oktober/November 1990 dazu an, 72 Tornado-Kampfflugzeuge der Bundeswehr auf die NATO-Basis Incirlik im Südosten der Türkei zu verlegen. Also in die Nähe des absehbaren Kriegsschauplatzes, und eventuell in Reichweite irakischer Raketen. Doch die Ambitionen der Bundesrepublik, die soeben mit dem Zwei-plus-Vertrag frisch ihre volle staatliche Souveränität zurück erlangt hatte, wurden durch ihre westlichen Bündnispartner ausgebremst: Einer allzu schnellen Ausweitung des militärischen Aktionsradius der Bundeswehr mochten diese nicht zustimmen. Der Kohl-Regierung wurde beschieden, man habe sie nicht um militärische Hilfe gerufen. Dass Ende Januar 1991 in Deutschland die Diskussion aufflammte, ob man nicht militärisch dem bedrohten Israel zu Hilfe kommen müsse (konkret aufgehängt an der Aufforderung, Abwehrraketen vom Typ ‘Patriot’ aus Bundeswehrbeständen zu liefern), verschaffte vielen deutschen Politikern einen moralisch blütenweiben und von «historischer Sensibilität» zeugenden Vorwand, um eine stärkere Rolle Deutschlands wieder ins Gespräch zu bringen. Ein SPD-Politiker, der damalige Wiesbadener Oberbürgermeister Achim Exner, wollte gleich die Bundeswehr nach Israel entsenden, wurde aber zurückgepfiffen, zumal man das dort gar nicht gefordert hatte. Ein Bundeswehrgeneral, Reinhard Schmückle, der dem damaligen CSU-Chef Straub nahe stand, bezeichnete die Präsenz der Bundeswehr im türkischen Incirlik – die auf ein paar kleinere Flugzeuge vom Typ ‘Alpha-Jet’ hatte abgespeckt werden müssen, nachdem die Verbündeten keine Tornados der Bundeswehr anfordern wollten – als «praktische Trauerarbeit und Vergangenheitsbewältigung». So ging nationaler Wiederaufstieg im Jahr 1991, und an dem Grundmuster hat sich seither wohl nicht so viel geändert.    

Aber die Gründer der neuen ideologischen Strömung hinderte das nicht daran, ein anderes Szenario aufzumachen: Das «Vierte Reich» agierte doch sichtbar, im Schatten des Golfkonflikts, verborgen hinter den Umrissen der irakischen Diktatur, die mit massenhafter Komplizenschaft der (friedensbewegten) Deutschen auf den Straben agierte. War das zum damaligen Zeitpunkt noch eher eine blobe Assoziationskette, die auf nicht allzu viel tiefgreifende Reflexion abgestützt war, so ging der «harte Kern» in den folgenden Jahren daran, eine veritable Ideologie darauf zu konstruieren. In «antideutschen» Publikationen wie der (kleinen) Berliner Zeitschrift ‘Bahamas’, aber auch durch eine Reihe von Beiträgen in pluralistischen linken Organen wie der Wochenzeitung ‘Jungle World’ oder am Rande auch der ‘taz’ wurde diese allmählich, Zug um Zug, ausformuliert. Dies bedeutet nicht, dass man mit einer starken, durchstrukturierten Partei zu tun hätte: Die Szene ist in unzählige kleine Gruppen aufgesplittert, die sich oftmals untereinander nicht grün sind, und in den genannten Publikationsorganen (mit Ausnahme der ‘Bahamas’, die das Organ einer hermetisch abgeschotteteten Sekte bildet) kommen auch noch andere, abweichende Stimmen zu Wort. 

Argumentative Zirkelschlüsse und Tautologien 

Eine der zentralen Aussagen der «Antideutschen» bezüglich der Konflikte im Nahen und Mittleren Osten -- gleichgültig ob es um den Libanon, um den Einmarsch im Irak 2003 oder um einen möglichen Krieg gegen den Iran gehe – lautet so: Israel wird von allen Seiten von Antisemiten bedroht. Diese stellen die Wiedergänger des Nationalsozialismus dar und werden genau deshalb (im Namen «falscher Friedenssehnsucht») durch die deutsche, aber auch europäische Öffentlichkeit unterstützt. Sofern diese dem Krieg nichts Positives abzugewinnen vermag, so hat dies dieselbe Qualität, wie wenn Deutsche einstmals über ihre zerbombten Städte jammerten, anstatt den Holocaust zu bedauern/verhindern. Den unter dem Label ‘Friedensbewegung’ auftretenden «Mob» (letzteren Begriff benutzte etwa der Publizist Thomas von der Osten-Sacken in ‘Konkret’ 2003 explizit) gilt es deshalb schonungslos zu bekämpfen. 

Die Tatsache, dass es Konflikte beispielsweise zwischen Israel und den Palästinensern oder aktuell zwischen Israel und dem Libanon gibt, ist ausschlieblich darauf zurückzuführen, dass die Bewohner der letztgenannten Ländern mordlustige Antisemiten sind, so wie die Deutschen des Dritten Reiches mordgierge Antisemiten waren. (Von kleineren Minderheiten kann jeweils abgesehen werden.) Und man soll nicht mit dem Argument kommen, dass es im Falle des Nahen Ostens aber reale Interessenkonflikte gebe, zum Beispiel weil einige Hunderttausend Palästinenser 1948 sowie 1967 vertrieben worden sind und weil das Westjordanland seit 1967 unter militärischer Besetzung (mit einigen lokalen Autonomierechten für manche Örtlichkeiten seit dem Oslo-Abkommen) lebt. Per Definition darf das nämlich keine Rolle spielen. Dazu einen führenden antideutschen Autor, der in den Jahren 2004 und 2005 auch mehrfach durch die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU als Referent zum Thema Nahostkonflikt eingeladen worden ist und der jüngst in ‘SPIEGEL Online’ anfeuernde Äußerungen zur Kriegsführung Israels im Libanon publizieren konnte, im Originalton:

«Die Antwort findet sich selten in den Massenmedien unserer Tage, um so häufiger jedoch in den Stellungnahmen aus Gaza-Stadt, Beirut und Teheran: Israel ist heute mit der vielleicht massivsten Bedrohung seiner Existenz seit 1948 konfrontiert, weil ein eliminatorischer islamischer Antisemitismus im Zentrum jenes Religionskriegs steht, den der Islamismus gegen den Westen insgesamt führt (...). Bekanntlich hatten auch die Nazis mit Juden weder ein Grenz-, noch ein Flüchtlingsproblem. Die Geschichte zeigt, dass Antisemitismus von konkretem jüdischen Verhalten völlig abgekoppelt ist – im Nahen Osten ebenso, wie anderswo in der Welt. Zwar mag eine kritikwürdige Politik der israelischen Regierung den Zorn auf diese Regierung steigern – in keinem Fall verschafft sie dem Angriff auf Israels Existenz Plausibilität. (...) So wie Hitler seiner antisemitischen Propaganda aufs Worte glaubte und deshalb mit dem millionenfachen Mord an Juden die Menschheit tatsächlich zu ‘befreien’ suchte, so glauben auch die Islamisten ihrer Hasspropaganda aufs Wort (...)»      

Der Kern des Denkfehlers liegt vielleicht  in dem scheinbar unbedeutenden Wörtchen «auch». Denn während es absolut zutrifft, dass «die Nazis mit Juden weder ein Grenz- noch ein Flüchtlinsproblem» hatten, noch im Übrigen jemals durch Juden unterdrückt worden waren, so ist genau dies für Menschen in «Gaza-Stadt, Beirut» tatsächlich der Fall. Insofern liegt vielleicht schon hier ein wesensmäbiger Unterschied begründet, zumal die Parallele auch darin schief ist, dass die Nationalsozialisten keinen «Religionskrieg» führten, wie Matthias Küntzel über die Islamisten schreibt (selbst wenn man der Auffassung sein kann, dass auch deren Kampf in Wirklichkeit weitaus eher politisch denn religiös ist).  

Aber an dieser Stelle geraten wir, so wir den antideutschen Ideologen folgen, in einen Zirkelschluss. Einen gnadenlosen Zirkelschluss, aus dem es keinerlei argumentatives Entrinnen gibt. Dessen erstes Postulat lautet: Die Juden waren nicht an ihrer Verfolgung durch Antisemiten, etwa im Nationalsozialismus, selbst schuld. Dem lässt sich kaum widersprechen, sondern nur zustimmen. Zweites Postulat: Im Nahen und Mittleren Osten haben wir es heute mit demselben Typus von Antisemitismus zu tun. Daraus folgt dann das dritte Postulat: Wenn dem aber so ist, dann trifft es auch zu, dass jegliches konkrete Verhalten und jede Politik seitens des Staates Israels in keinerlei Zusammenhang mit dem Hass seiner Gegner stehen kann; also in dem Zusammenhang mit dem Konflikt auch nicht zu kritisieren ist. Denn, viertes Postulat, so etwas zu behaupten, würde wiederum bedeuten, den Juden selbst die Schuld am Antisemitismus zu geben. Von diesem Schema ausgehend, lässt sich eine neue Faustregel aufstellen: § 1: Israel ist in dem Konflikt grundsätzlich immer im Recht. § 2: Sollte es einmal Unrecht haben (oder bgehen), so tritt automatisch § 1 in Kraft. 

Exakt mit dieser Begründung, er gebe also den Juden die Schuld (oder Mitschuld) am Antisemitismus, hatte der Verbrecher Verlag – ein Kleinverlag in Berlin, der personell mit der ‘taz’ und der Wochenzeitung ‘Jungle World’ verwoben ist – im Jahr 2002 einen Tagungsbeitrag des liberalen libanesischen Journalisten Hazem Saghiyah für einen Kongress-Sammelband unter dem Titel «Elfter September Nulleins» ins Nachwort verbannt und mit einem distanzierenden Nachwort versehen. Saghiyah, der vor allem für pro-westliche arabische Zeitungen wie ‘El-Hayat’ (London) schreibt, hatte in seinem Beitrag zuvor explizit geschrieben: «Die Äußerungen von Roger Garaudy (Anm. d. Verf.: ein französischer Auschwitzleugner, der zu Konferenzen in arabische Länder eingeladen wurde, dort und vor allem in Beirut aber auch auf Gegenreaktionen von Intellektuellen stieß) und Seinesgleichen, die Schriften und Predigten, die Erklärungen und Fernsehprogramme zeigen, dass der arabische Antisemitismus vorhanden und stark, ja so gefährlich ist, dass er bekämpft werden muss» Aber er hatte hatte hinzu gefügt, die «Fortsetzung der Besatzung» produziere «Gewalt und Gegengewalt in den Beziehungen zwischen den beiden Völkern» -- dem israelischen und dem palästinensischen – und nähre deshalb den «gefährlichsten Antisemitismus». Dies genügte, damit das Verdikt fiel: Der Autor gebe den Juden eine Mitschuld am Antisemitismus, deshalb sei sein Beitrag verwerflich. 

Der Denkfehler liegt vielleicht schon darin begründet, wie der Begriff Antisemitismus durch diese Autoren benutzt wird. Indem sie ihn auf die (ihnen im Konkreten weitestgehend unbekannten) Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten und die dort vielerorts anzutreffende Ablehnung des Staates Israels ebenso wie auf das nationalsozialistisch beherrschte Europa anwenden, unterstellen sie eine Wesensidentität zwischen beiden Erscheinungen. Ab da kann für den Nahen Osten nur zutreffen, was auch auf das Europa unter dem Hakenkreuz zutrifft, und umgekehrt. So benutzt, ist der Begriff aber schlichtweg fehl am Platze: Kein Deutscher konnte, vor oder nach 1933, von sich behaupten, er werde real von Juden unterdrückt. In Wirklichkeit handelte es sich dabei ausschlieblich um eine ideologische Projektion: Unterdrückt worden war er vielleicht vom prügelnden Vater, vom deutschnationalen Lehrer mit dem Rohrstock, vom brüllenden Offizier im Schützengraben oder vom Fabrikherrn. Erleichtert wurde die auf «den Juden» vorgenommene Projektion der Ursprünge allen Übelns dadurch, dass die jüdische Minderheit in vielen Köpfen mit der Entstehung des modernen Kapitalismus identifiziert wurde: Sie war in gewissem Mabe in Handels- und Finanzberufen konzentriert (aus historischen Gründen, da ihr im Mittelalter die meisten anderen Berufsstände untersagt blieben, der Job als Geldverleiher aber den Schutz des Fürsten versprach), über Ländergrenzen hinweg verstreut und damit «wurzellos» wie das Grenzen sprengende oder überschreitende Kapital, überdurchschnittlich gebildet. Schon diese Grundlagen der Projektion kann man in arabischen Ländern so nicht antreffen: Würde man einen durchschnittlichen Araber befragen, welches Volk typischerweise im Handel tätig ist und über die ganze Welt verstreut lebt, bekäme man zur Antwort: «Libanesen natürlich.» Dagegen erscheinen «Juden», sofern sie mit Zionisten und Einwohnern Israels gleichgesetzt werden, in der arabischen Vorstellung eher – sei es nun zu Recht oder zu Unrecht - als «europäische Kolonisatoren», die Land an sich reiben. Und dass sie einer Unterdrückung durch Menschen, die sich selbst als Juden begreifen, ausgesetzt waren oder sind -- nun ja, dies wird man vielen Palästinsern (konfrontiert mit als Herrenmenschen auftretenden Siedlern in den besetzten Territorien) oder auch Libanesen, in deren Land Israel zusammen mit Syrien seit 1976 einen mörderischen Bürgerkrieg angeheizt hatte und wohin israelische Truppen 1982 einmarschiert sind, wohl kaum absprechen können. 

Daraus kann man nun Unterschiedliches schlussfolgern. Man könnte dazu übergehen, den Begriff des Antisemitismus als solchen – deshalb, weil er nach der Shoah auf eine bestimmte Geschichte und ihre mörderlischen Konsequenzen verweist, und weil er nicht losgelöst von dieser historischen Prägung gedacht werden kann – im Zusammenhang mit dem Nahen Osten für ungeeignet zu halten. Das bedeutet nun nicht, verschweigen zu wollen, dass es in den arabischen Ländern Ablehnung von und Hass auf Israel gibt. Aber diese können nicht unabhängig davon betrachtet werden, dass ihnen in ihrem Ausgangspunkt ein real stattfindender Konflikt (um Trinkwasserversorgung, um Landenteignung, um Checkpoints, um politische Souveränität, um stattgefundene Vertreibungen...) zugrunde liegt. Dies unterscheidet den Konflikt und den daraus erwachsenen Hass fundamental vom Antisemitismus der Nazis, denn diesem lag kein Konflikt zugrunde: Es wäre eine Lüge, wollte man vom «deutsch-jüdischen Konflikt in den Jahren 1933 bis 1945» sprechen, wo es nur einseitige Verfolgung gegeben hat. Deshalb wird eine solche Begrifflichkeit auch nur von Nazis und Geschichtsrevisionisten benutzt. Aber selbst die hartgesottensten Antideutschen benutzen, bisher jedenfalls, in Bezug auf den Nahen Osten den Begriff vom «Konflikt». Selbstverständlich gibt es heute auf arabischer Seite einen über den realen Einsatz des Konflikts hinaus reichenden Hass auf jüdische Israelis, denen (oder deren Religion) von Manchen grundsätzlich negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Aber vielleicht sollte man dabei eher von einem «national-religiösen Chauvinismus als Konfliktideologie» o.ä. sprechen.  

Zu berücksichtigen ist aber auch, dass in manchen Bewegungen oder Publikationsorganen diesem Chauvinismus eine Reihe von Versatzstücken klassischer antisemitischer Verschwörungstheorien aus Europa, im Hinblick auf die vermeintliche weltweite Rolle des Judentums, untergerührt worden sind. Vielleicht sollte man insofern doch von Antisemitismus sprechen, zumal es ja auch unterschiedliche Formen von Antisemitismus gibt: Der christliche Antijudaismus oder der Antisemitismus der Pogrome in Russland sind nicht annähernd mit dem staatlichen Vernichtungsprogramm NS-Deutschlands in eins zu setzen. Insofern kann der Begriff des Antisemitismus möglicher Weise Verwendung finden. Aber auf alle Fälle wäre klar darauf hinzuweisen, dass dieser andere Grundlagen hat als der Antisemitismus im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Es gab keinen «deutsch-jüdischen Konflikt», aber es gibt jüdisch-arabische Konflikte. 

Parforceritt durch die Geschichte 

Die hermetisch von allen störenden Wirklichkeitseinflüssen abgeschottete Weltsicht führender Autoren der Antideutschen bringt unterdessen der oben zitierte Matthias Küntzel vorzüglich zum Ausdruck, wenn er etwa ( http://www.matthiaskuentzel.de) erläutert: « Erst als auch Nassers Feldzug gegen Israel im Sechs-Tage-Krieg von 1967 kläglich gescheitert war, wurde der zuvor geschürte Hass auf Juden islamistisch radikalisiert. (...) Eine weitere Steigerung wurde 1982 erreicht, als die Hizbollah damit begann, Menschen systematisch als Bomben einzusetzen. Der Hass auf Juden war nun größer als die Furcht vor dem Tod; die Ideologie der Vernichtung schlug in die Praxis der Zerfetzung beliebiger Juden um. Wann immer die Möglichkeit einer friedlichen Lösung am Horizont erschien, wurde sie im Blut suizidaler Massenmorde ertränkt. Die erste große Selbstmordbomber-Serie begann in Palästina 1993/94, als der Osloer Friedensprozess gerade in Gang gekommen war. Sie wurde im Oktober 2000 wieder aufgenommen (...) »

Dieser historische Parforceritt über Stock und Stein belegt anschaulich, wie man es auch machen kann, wenn man von Geschichte nur das wahrnehmen möchte, was durch den engen Filter des eigenen Interpretationsrasters hindurch passt. Bei Küntzel ist es scheinbar ein sich ausschlieblich aus sich selbst heraus nährender Judenhass, der den historischen Ereignisse im gesamten Nahen Osten zugrunde liegt. Eine kleine Rückblende auf die tatsächlichen historischen Ereignisse lässt zu Tage treten, was bei dieser Propagandaversion von Geschichte ausgeblendet wird.  

Zwischen 1967 und 1982 liegen fünfzehn Jahre, die bei Küntzel ein Vakuum bilden, bis dann die Hizbollah urplötzlich auf die Idee kommt, Selbstmordattentäter einzusetzen – anscheinend aus purem Judenhass. Leider vergisst der Autor, hinzuzufügen, dass Israel 1982 zuerst im Libanon einmarschiert war. Dort gab es zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine Hizbollah, sondern lediglich eine säkulare PLO (bestehend aus einem bürgerlich-nationalistischen Mehrheitsflügel und mehreren marxistisch angehauchten, linksnationalistischen Fraktionen sowie einigen militaristischen Desperadogruppen in ihrem Umfeld). Um  ihre Bekämpfung ging es Israel dabei, und um diesem Ziel näher zu rücken, wollte Israel die libanesisch-christliche «Falange» an die Macht bringen. Die Falange (so ihr französischer Name, die arabische Bezeichnung lautet «Kataeb» für Kampfeinheit, Phalanx) war eine Organisation, die starke Anklänge zum historischen Faschismus aufweist: Ihr Gründervater Pierre Gemayel hatte sie 1936 aus der Taufe gehoben, als er begeistert von den Olmpyischen Spielen in Hitlers Berlin nach Hause kam. Wer unbedingt die Kriege des Staates Israel als Remake des Zweiten Weltkriegs und antifaschistischen Kampf betrachten möchte, den stören solche Feinheiten natürlich eher. Der jüngste Sohn von Pierre Gemayel, Baschir Gemayel, wurde 1982 mit israelischer Hilfe zum Präsidenten des Libanon. Doch im September jenes Jahres wurde er bei einem Attentat getötet, bevor sein Bruder Amin Gemayel (Präsident von 1982 bis 89) seine Nachfolge im Amt antrat. Die libanesische Falange unterhielt eine bewaffnete paramilitärische Organisation unter dem Namen Forces Libanaises, die gegen Marxisten und Palästinenser kämpfte und in deren Reihen sich in den 80er Jahren auch viele französische rechtsextreme Söldner befanden. Im Südlibanon, wo besonders viele Angehörige der schiitischen Konfession leben, baute Israel schon seit Ende der 70er Jahre eine vor allem aus christlichen Milizionären bestehende Kollaborateursarmee unter dem Titel South Lebanon Army (SLA) auf. In der dortigen Zone wüteten die israelische Armee und die SLA noch bis Ende der neunziger Jahre in einer Weise, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty international in ihrem Jahresbericht 1998 schreiben lieb: «Zahlreiche im Südlibanon von der SLA und den IDF (Anm.: letztere Abkürzung bezeichnet die israelische Armee) festgenommene Personen wurden entweder ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren im Khiam-Haftzentrum festgehalten oder auf israelisches Hoheitsgebiet gebracht .» Und im Aufruf der Menschenrechtsorganisation für eine Urgent Action von 1999  heißt es darüber: «Die Foltermethoden der israelischen Streitkräfte gegen gefangengenommene Libanesen sind offenbar noch grausamer als die vom ‘Allgemeinen Sicherheitsdienst’ (GSS) gegen inhaftierte Palästinenser angewandte Art der Folter. » DESHALB ist die Hizbollah, bei aller berechtigten Kritik an ihrer Ideologie, im Libanon so populär: Weil sie es geschafft hat, diese Soldateska bis im Jahr 2000 aus dem Land zu werfen. Und dabei wesentlich WENIGER Blut von ZivilistInnen anderer Konfessionen im Libanon zu vergieben, als die Warlords von Christen, Druzen usw. 

Bei Beginn des Einmarschs der israelischen Truppen in Beirut wurden ihre Soldaten in den schiitischen Stadtteilen anfänglich noch mit Blumen empfangen, wie eine Reihe von Berichten belegen. Doch die Idylle war bald verflogen, was zu nicht unwesentlichen Teilen mit dem Kriegsverlauf zu tun haben dürfte. Ende 1982 entstand daraufhin die Hizbollah, unter tatkräftiger Mithilfe des iranischen Regimes, die aber nicht gefruchtet hätte, wenn keine soziale Basis dafür vorhanden gewesen wäre. Ab 1983 ging die Hizbollah tatsächlich, als eine der ersten Organisationen in der Region, zum Einsatz von Selbstmordattentätern über. An diesem Punkt hätte Küntzel Recht -- falls er nicht verschweigen würde, dass die Selbstmordattentate der Hizbollah sich nicht gegen jüdische Zivilisten in Israel richteten (anders als zehn Jahre später die der Hamas), sondern gegen die Okkupationstruppen im Libanon. Vor allem führte die Hizbollah 1983 spektakuläre Attentate gegen die US-amerikanischen und französischen Soldaten der westlichen Multilateral Force (MLF) in Beirut durch, die – nach dem Rückzug der israelischen Armee aus der Hauptstadt des Libanon – dort die Stabilität und namentlich auch die israelischen Interessen im Libanon garantieren sollte. Von purem, sich selbst genügendem Judenhass als Antrieb für die ersten Aktivitäten der Hizbollah (die dadurch gewiss keine progressive Organisation wird, sondern politisch eng der Diktatur in Teheran verbunden blieb) auszugehen, wie Küntzel dies suggeriert, dürfte als Erklärung also ein bisschen zu kurz greifen. 

In einem nächsten Zeitsprung landet Küntzel 1994/95 in der Phase nach Unterzeichnung des Oslo-Abkommens, dessen Scheitern er implizit anspricht, aber nicht erwähnt. Neben den Attentaten der Hamas, die in jener Phase einsetzen, «vergisst» Küntzel freilich zu erwähnen, dass mit Yitzak Rabin einer der beiden Hauptunterzeichner des Abkommens ermordet wurde und danach in Israel ein rechter Gegner des Abkommens an die Regierung kam. Solche Dinge zu erwähnen, hätte Küntzel freilich in seinem Weltbild gestört, hätte er es doch schwer gehabt zu erwähnen, dass Rabin nicht von einem Palästinser umgebracht wurde. 

Annäherung zwischen Antideutsch und Konservativ 

Ursprünglich verstanden die «Antideutschen» sich selbst als besonders radikale gesellschaftskritische Kraft. Nach eigener Auffassung handelte es sich bei ihnen um die Letzten, die sich noch nicht einem allen umfassenden gesellschaftlichen Konsens, einem «nationalen Konsens» untergeordnet hätten. Pikant ist dabei lediglich, dass es in jüngster Zeit, vor dem Hintergrund der aktiven Befürwortung des Krieges im Libanon, dabei zu offenkundigen Annäherungen einiger ihrer Hauptprotagonisten an das konservative Lager rund um die CDU gekommen ist. Einen der Hintergründe dafür bildet die Begeisterung für die US-amerikanischen Neokonservativen und die von ihnen propagierte und befürwortete militärische Offensive der USA (und Israels) im gesamten Nahen und Mittleren Osten. In ihr sind manche deutsche Konservative, die seit langem pro-atlantisch und philosemitisch auftretende Springerpresse und die Konsequentesten unter den ehemals «radikal kritischen» Antideutschen vereint.  

So wurde der antideutsche Publizist Matthias Küntzel, der vor 1991 noch dem Kommunistischen Bund angehörte, in den letzten beiden Jahren mehrfach als Referent zur Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU eingeladen. Anlässlich einer Demonstration für den Militäreinsatz Israels im Libanon, an der am 28. Juli dieses Jahres in Berlin rund 1.000 Personen teilnahmen und die mabgeblich aus der antideutschen Szene initiiert (aber in einer Spätphase auch durch jüdische Gemeindevertreter unterstützt) worden war, fanden sich auf der Abschlusskundgebung zwei CDU-Mitglieder neben einem führenden Ideologen der Antideutschen als Hauptredner wieder. Nacheinander sprachen der Abgeordnete des Bundestags Eckart von Klaeden, im Aufruf als «aubenpolitischer Sprecher der CDU/CSU» firmierend; der ehemalige Fernsehmoderator und Ex-Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland Michel Friedman (als «Publizist»); und der Vorsitzende einer im Mittleren Osten aktiven NGO, Thomas von der Osten-Sacken als Redner. Und Letzterer kritisierte in seiner Ansprache ausschlieblich Politiker der SPD und einzelne Vertreter der FDP -- und eine linke Theatergruppe mit dem bezeichnenden inhaltlichen Argument, dass der Autor des Theaterprojekts «einer vom Verfassungsschutz beobachteten, linksradikalen Organisation nahesteht», wobei die alleinige Tatsache einer Beobachtung von «Nahestehenden» durch den Verfassungsschutz bis dahin auch unter Antideutschen noch nicht unbedingt als moralischer Defekt galt. Dagegen hob Osten-Sacken ( http://www.redaktion-bahamas.org/ ) die, gegenüber der durch Teile der SPD erhobenen Forderung nach einem Waffenstillstand, « weit besonnenere Position der Bundesregierung und insbesondere der Bundeskanzlerin» lobend hervor.  

Thomas von der Osten-Sacken ist einer der wichtigsten Propagandisten der Thesen der US-Neokonservativen in Deutschland. Er ist insofern ein wichtiges Bindeglied, als er gleichzeitig in Publikationsorganen der antideutschen Linken und in der linkspluralistischen aber antideutsch beeinflussten Wochenzeitung ‘Jungle World’ schreibt oder zumindest bis in jüngerer Vergangenheit schrieb, parallel dazu in der Springerzeitung ‘Die Welt’ veröffentlicht wie zuletzt seinen Essai «Warum ich für den Krieg bin» am 25. Juli dieses Jahres, und zudem an der Spitze einer realpolitisch sehr aktiven Pressure group zur Nahostpolitik steht. Die von Osten-Sacken geleitete NGO, Wadi e.V., die nach eigenen Angaben finanzielle Hilfe aus dem westlichen Ausland erhält und die von US Aid – einer dem US-Aubenministerium nahe stehenden, recht offiziellen Entwicklungsorganisation – unterstützt wird, ist vor allem im weitgehend ruhigen Teil des besetzten Irak aktiv, im kurdischen Nordirak ( siehe http://www.aspenberlin.org). Thomas von der Osten-Sacken ist damit sowohl Realpolitiker und Vertreter handfester materieller Interessen an der Spitze seiner NGO als auch einer jener Autoren, die in den letzten Jahren am meisten zur Fortentwicklung der antideutschen Ideologie – oder des pro-neokonservativen Flügels dieser Strömung – beigetragen haben. In jenen Kreisen, in denen er Gehör findet, gilt er trotz seiner reichlich Ideologie geprägten (und, betreffend seine Vorhersagen zu den Auswirkungen des Kriegs im Irak 2003 und zur bevor stehenden Demokratisierung, offenkundig falschen) Ausführungen als wichtiger Experte für den Nahen Osten. Dabei geht aus seinem Artikel in ‘Die Welt’ vor allem klar hervor, dass er selbst nicht die arabische Sprache beherrscht, was für einen Nahostspezialisten zumindest als Manko gelten darf, und dass er ferner er den Libanon nicht von innen kennt. Das hindert ihn nicht daran, etwa in seiner Abschlussrede die Fortsetzung der Angriffe auf dieses Land zu fordern. 

Im weiteren Umfeld des antideutschen Milieus, das in gröbere Publikationsmedien wie ‘Jungle World’ und ‘taz’ hineinreicht,  wurde die Demonstration im Nachhinein im Originalton (siehe http://planethop.blogspot.com) als «Friedensdemo» bezeichnet, im Gegensatz zu den pro-libanesischen Manifestationen. Thomas von der Osten-Sacken als einer der drei Hauptredner am 28. Juli hatte sich explizit gegen ein Ende der Bombenangriffe zu dem Zeitpunkt ausgesprochen und dazu geäubert: «Jede Forderung nach einem bedingungslosen Waffenstillstand ist Appeasement gegenüber Terroristen». Der Begriff des ‘Appeasement’ soll dabei, einmal mehr, eine direkte Parallele zum Zweiten Weltkrieg bzw. zur Phase kurz vor seinem Ausbruch, in diesem Falle zum Abschluss des Münchner Abkommens von 1938, suggerieren.  

Dies versteht man vermutlich im antideutschen Milieu als Friedensdemonstration. Begreift man doch nicht ganz, warum (http://planethop.blogspot.com/2006_08_01_planethop_archive.html ) ausgerechnet die Seite der Guten einen Waffenstillstand einlegen sollte: «Ist schon komisch. Obwohl völlig offensichtlich ist, dass das einzige ZIEL Israels ist, in Frieden leben zu können, ohne Angst vor Attentaten und Raketen (...), und das ZIEL von Hamas und Hizbollah ist, Israel zu vernichten und den Jihad-Krieg zu führen (das sagen sie ganz offen), schaffen es Linke und Gutmenschen, einen Waffenstillstand ausgerechnet von Israel zu fordern. Obwohl jeder weiß, dass Israel (und auch die USA) ein Interesse an einem stabilen Libanon haben und die Hizbollah und Syrien an einem instabilen, unterstellen diese irren (Anm. d. Verf. : libanesischen) Kommunisten, Israel wolle den Libanon schwächen.» Die libanesischen Kommunisten könnten dem Urheber dieser Zeilen, einem ehemaligen Mitarbeiter der PDS-Bundestagsabgeordneten Angela Marquard, sicherlich Nachhilfe in der Geschichte des Libanon seit 1976 und in Sachen Einmischung und Hegemonieversuche seines südlichen Nachbarn geben – falls dieser denn auch nur einen Hauch von Interesse daran hätte. 

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern... 

Aber auch ein Vordenker wie Osten-Sacken kommt nicht ohne erhebliche Widersprüche aus. Noch zu Anfang des weltweiten «Antiterrorkriegs», den US-Präsident Bush kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 ausrief und den der Autor von der Osten-Sacken frühzeitig unterstützte, behauptete der Publizist, es handele sich bei der US-Aubenpolitik deshalb um eine positive Alternative zur europäischen Aubenpolitik, weil Erstere bürgerlich-revolutionären universellen Prinzipien statt nationalen Kategorien verpflichtet sei. Wörtlich schrieb von der Osten-Sacken, an ein linkes Publikum gerichtet, (>> http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/52/20a.htm ) damals: «Völkische Kategorien spielen für die USA nur dann eine Rolle, wenn sie zu den außenpolitischen Interessen passen, anders als in Europa sind sie nicht der Ausdruck einer politischen Grundüberzeugung. Mit Unverständnis pflegen die Amerikaner ethnisierten Kollektiven zu begegnen. (...) Nicht mehr gewachsene Kollektive stoßen hier aufeinander und toben sich in ‘ethnischen Säuberungen’ aus, die wiederum nach dem europäischen ’interethnischen Konfliktmanagement’ verlangen, sondern die Welt wird terrorisiert von einer terroristischen Minderheit, und die Mehrheit wird sie unter der Führung der USA von diesem Übel befreien.»

Den nationalistischen oder ethnischen Partikularismus dagegen machte er damals bei all jenen Gegenbewegungen und Kritikern in der so genannten Dritten Welt aus, die die US-Hegemonie – manchmal auch mit problematischen Argumenten – ablehnen. So fantasierte er im Herbst 2001 (http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2001/43/21b.htm ) folgende Ausführungen über die indische Schriftstellerin Arundhati Roy (Trägerin u.a. des Sydney Peace Prize) zusammen, ohne jegliches Argument für die Stichhaltigkeit der von ihm behaupteten historischen Kontinuitätslinie zu liefern: «Eines der großen Erfolgsprojekte der Nazis war es, antikoloniale Bewegungen gegen die imaginierte plutokratisch-jüdisch-angloamerikanische Weltherrschaft zu unterstützen. Neben den Palästinensern wurde so vor allem die indische Unabhängigkeitsbewegung vom in Berlin ansässigen Free India Radio mit Propaganda versorgt.  War es nun späte Dankbarkeit oder nur ideologische Nähe, die kürzlich eine Inderin veranlasste, sich bei den Deutschen für ihre damalige Hilfe zu revanchieren. Die ‘mehrfache Buchpreisträgerin, Umweltschützerin, Frauenrechtlerin und Mitglied der Kampagne gegen die Großstaudamm-Projekte’, Arundhati Roy, veröffentlichte in der FAZ angesichts der Terroranschläge vom 11. September ein antiamerkanisch-antisemitisches Pamphlet namens ‘Terror ist nur ein Symptom’ (...).» Der behauptete antisemitische Inhalt beschränkte sich dabei ausschlieblich auf die Behauptung des Autors, folgendes Sprachbild sei als antisemitisch zu deuten: «Was ist Usama bin Ladin? (...) Er ist der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten. Der brutale Zwilling alles angeblich Schönen und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde, durch ihre (...) unbekümmerte Politik der unumschränkten Vorherrschaft, ihre kühle Missachtung aller nichtamerikanischen Menschenleben, (...) ihre wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Länder gefressen haben.» Der Heuschreckenschwarm, er sollte es sein: ein antisemitisches Sprachbild. Dass diese Metapher in Indien, wo es in der Geschichte keine Judenverfolgungen gibt und wo Menschen dafür mit den Bildern von Naturkatastrophen engstens vertraut sind, in irgend einer Form antisemitisch belegt sei – den Beweis dafür blieb der Ideologe schuldig. 

Doch nun trifftt es sich, dass die Begründungen von gestern plötzlich gänzlich ohne Wert sind, wenn ein – unerklärter – radikaler Wechsel dem Machtanspruch einer der unterstützter Parteien, also den «Guten», nützt. Und so kommt es vor, dass man die NGO desselben Herrn von der Osten-Sacken Werbung für Vorstellungen machen sieht, die nichts Anderes beinhalten als die gröbtmögliche ethnische Zersplitterung des gesamten Nahen Ostens. Auf ihrer Homepage verbreitet die NGO in jener Rubrik, wo regelmäbig Artikel mit befreundeten Standpunkten veröffentlicht werden (wobei es theoretisch «nur» um die Verbreitung von Informationen aus dem Irak geht), und unter ihrem Namen den Text einer dubiosen Exilgruppe aus Syrien. In ihm wird für eine radikale ethnische und konfessionelle Parzellierung des Nahen Ostens geworben, und diese Idee den US-Amerikanern und Israelis (nebenbei auch den Europäern) als Konzept für die Durchsetzung ihrer Vorherrschaft in der Region angeboten. Wörtlich heibt es in dem Text (http://www.wadinet.de/news/iraq/newsarticle.php?id=2384) der obskuren Gruppierung dazu: «Israel muss den ethnischen Umgebungen mehr Aufmerksamkeit schenken und auf dieser Basis seine langfristigen Planungen und Förderungen veranlassen. Es gilt also, dem subjektiven Faktor und der Zusammensetzung der Bevölkerungen in den Nachbarstaaten im Libanon und Syrien die erforderliche Reverenz zu erweisen. (...) Nach dem Einmarsch der Israelis in den Libanon bis Beirut im Jahre 1982 und auch vorher sind Fehlentscheidungen getroffen worden. Die Israeli haben die Christen und die aufgebaute libanesische pro-israelische Armee (Anm. d. Verf.: also die Falangisten und die Kollaborateurstruppe SLA)  im Süd-Libanon im Stich gelassen. Die Gruppe der  Druzen wurde im Libanon nicht gefördert und unterstützt als Anwalt für mögliche Allianzen zur Israel.» Und ferner ist zu lesen: «Die EU-Staaten sind gut beraten, neben den USA im entschiedeneren Kampf gegen den Terrorismus zu stehen. Es ist dies nicht nur ein Krieg um die kopflose Ideologie des fernen Extremismus, es ist der Kampf der Kulturen.»   

«Kampf der Kulturen» (ein Begriff, auf den Antideutsche ansonsten allergisch reagieren würden, da er ihrer Auffassung nach die Anerkennung von Kulturen als völkischen Partikularismen beinhaltet) und die angestrebte ethnische Parzellierung der Grobregion: Das passt nicht unbedingt zum üblichen antideutschen, antivölkischen Diskurs. Aber wenn es dem Herrschaftsanspruch der militärisch Stärksten im Nahen Osten dient, und sofern Selbige zu den Guten zählen.... Da will man doch mal fünfe gerade sein lassen!    

Andere Länder, andere Debatten

Die Antideutschen, so viel dürfte klar geworden sein, sind weit entfernt davon, ihrem ursprünglichen Anspruch auf radikale Kritik der gesellschaftlichen Ideologien auch nur entfernt gerecht zu werden. Sie sind im Gegenteil zu den vielleicht affirmativsten Vertretern des liberal-konserativen Mainstreams im Gesamtwesten geworden -- wobei sie ihn mit der Besonderheit repräsentieren, dass sie den deutschsprachigen Ländern einen Rückstand an pro-amerikanischen und bürgerlichen Elementen attestieren. So können sie vermeintlich als besonders auf der Höhe der Zeit erscheinen. Zugleich manipulieren sie, auch wenn sie beileibe nicht die Einzeigen sind, vielleicht mit am ungeniertesten die geschichtliche Erinnerung, um sie zur Waffe in der aktuellen politischen Auseinandersetzung und für aktuelle Kriege zu machen.  

Dass die Ängste und Traumata jüdischer Menschen inner- und auberhalb Israels vor dem geschichtlichen Hintergrund wohl verständlich sind, ist richtig. Aber gerade die Antideutschen schüren, manipulieren, instrumentalisieren mit am hemmungslosesten solche Ängste, um sie für billige aubenpolitische Propaganda zu nutzen. Auf einer in Österreich und Berlin beheimateten Homepage, auf der einige jüdische Menschen und eine relativ grobe Anzahl antideutscher Autoren schreiben, liest man etwa in einem Beitrag vom 03. August dieses Jahres (http://www.juedische.at/ ) folgende Zeilen über die internationale pazifistische Frauengruppe jüdisch-arabischen Ursprungs ‘Frauen in Schwarz’: «Sie modernisieren die alte Ritualmord- und Brunnenvergiftungsverleumdung und beschuldigen Israel – ohne jeglichen Beweis – ‘Phosphorbomben, Gas, Splitterbomben, etc’ zu verwenden. Es folgt die übliche Mantra der antiisraelischen Propaganda, mit der die Leser nicht ermüdet werden sollen.» Vorwürfe an Israel, verbotene Munition wie beispielsweise Phosphor und Splitterbomben zu verwenden und dadurch libanesische Zivilisten zu töten, hatte auch bspw. die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erhoben. Dies mit antisemitischen Ritualmord- und Brunnenvergifterlegenden gleich zu setzen, ist schlicht und einfach Übelkeit erregend. 

Aber wie sieht es in anderen Ländern als Deutschland und Österreich aus, wie steht es um die dortigen Debatten ?  

Vor allem in den USA lässt sich von einer eher klassischen Polarisierung zwischen auberparlamentarischem Protest und politischem Establishment (Regierungslagers zuzüglich eines Teils der US-Demokraten) sprechen. Hier beziehen sich die aktiv Stellung nehmenden Linken i.d.R. darauf, dass das politische Establishment der Vereinigten Staaten weitgehend die offizielle israelische Politik unterstützt, und hängen daran ihren Protest auf. Ihrer Auffassung nach macht sich die US-Administration und ein Teil der politischen Klasse des Landes der Unterstützung für Kriegsverbrechen schuldig, die angeprangert werden müssen.  

Da solcherart eine mehr oder minder eindeutige Positionierung möglich oder erforderlich  erscheint, ist der Umgang mancher US-amerikanischen Linken mit Israel und dem Nahen Osten bisweilen auch ziemlich hemdsärgelig. So wird bei manchen Demonstrationen mit Genozidvorwürfen, die auch bei aller berechtigten Kritik an den israelischen Militäreinsätzen weder haltbar sind noch von historischer Sensibilität gegenüber der Erinnerung an den realen Völkermord der Shoah zeugen, nicht gespart.

Hinzu kommt, dass Teile der US-amerikanischen Radikalopposition dazu neigen, die eigene Regierung und ihre Verbündeten als quasi allmächtig hinzustellen, indem diese hinter nahezu jedem Übel auf der Welt vermutet werden. Das ist zwar als vehemente Selbstkritik gegenüber der Politik der eigenen Nation ansatzweise sympathisch, schärft die damit verbundenen Analysen aber nicht immer. Schlieblich veröffentlichte das bekannte linksradikale US-Magazin ‘Counterpounch’, das gewöhnlich für gute Recherche und investigativen Journalismus bekannt ist, Ende Juli dieses Jahres einen Text (http://www.counterpunch.org/shamir07292006.html) des angeblichen israelischen Dissidenten Israel Shamir. Doch hinter dem Pseudonym verbirgt sich kein Radikaloppositioneller in Israel, sondern ein berüchtigter Fälscher und nicht-jüdischer Antisemit, der vor wenigen Jahren in Schweden unter dem bürgerlichen Namen Jöran Jermas gemeldet war, aber auch noch unter anderen Namen auftritt.

Frankreich: Historische Frontenwechsel und aktuelle Sympathien           

In Frankreich ist die Ausgangslage insofern ein wenig komplizierter, als hier ein (in der gaullistischen Tradition stehender) Teil der konservativen Rechten seit den späten sechziger Jahren nicht mehr auf einem entschieden pro-israelischen Kurs fährt bzw. fuhr.  

Das gesamte konservative Lager war in den fünfziger Jahren strikt pro-israelisch ausgerichtet, wie im Übrigen zu jener Zeit auch die extreme Rechte um Jean-Marie Le Pen. Denn zu jener Zeit führte Frankreich seinen Kolonialkrieg in Algerien (1954-62), wobei Israel sein wichtigster geostrategischer Verbündeter im Mittelmeerraum war -- und beide Länder (neben Grobbritannien) griffen 1956 Ägpyten an, das den Suezkanal nationalisiert hatte und die algerische Nationale Befreiungsfront politisch sowie mit Waffen unterstützte. Auch die extreme Rechte unterstützte diese aubenpolitisch motivierte Positionierung, die zumindest einen Teil des französischen Rechtsextremismus auch später noch deutlich geprägt hat. Jean-Marie Le Pen, der Ende der fünfziger Jahre infolge einer Erkrankung ein Auge verlor und bis in die späten siebziger Jahre deshalb eine Augenbinde trug (inzwischen hat er sie durch ein Glasauge ersetzt), lieb sich laut seinen Biographen Gilles Bresson und Christian Lionet damals gerne mit dem israelischen General und Haudegen Moshe Dayan – der ebenfalls eine Augenbinde hatte -- vergleichen. Deshalb wurden die französischen Rechtsextremen keineswegs weniger antisemitisch, nur gingen sie nunmehr zu der Position über, dass eine «heilsame» Trennung von der jüdischen Bevölkerung in Europa dadurch stattfinden könne, dass diese Israel als ihr neues Vaterland erkenne und längerfristig dorthin abwandere. Militärisch könne ihre Nation zugleich zu einem wichtigen Verbündeten werden. Erst in den neunziger Jahren wurde diese traditionelle Positionierung in einem Teil der französischen extremen Rechten durch eine Ablehnung der israelischen Politik abgelöst, die zum Teil deutlich antisemitisch motiviert ist. Also nach dem Ende des Kalten Krieges, infolge dessen Le Pen seine bis dahin (aufgrund des Primats des Antikommunismus) bewahrte pro-atlantische Orientierung aufgab. Nach wie vor koexistieren aber beide Orientierungen innerhalb des ideologischen Konglomerats, das die französische extreme Rechte ausmacht und innerhalb dessen oft gegensätzliche weltanschauliche Bezüge (katholische Fundamentalisten und neuheidnische Rassebiologen, Monarchisten und militante Neonazis...) anzutreffen sind.  

Aber die konservative Rechte hatte, aus wiederum rein aubenpolitischen Motiven, ihre Präferenzen schon früher abgeändert. Nachdem Präsident Charles de Gaulle in die unvermeidlich gewordene Unabhängigkeit Algeriens eingewilligt hatte, und nachdem sich für Frankreich gleichzeitig der Verlust an Sympathien und Einfluss in vielen der frisch entkolonisierten Länder Afrikas und Asiens abzeichnete, vollführte die gaullistische Regierung einen Schwenk. Im israelisch-arabischen Krieg von 1967 verminderte sie ihre bis dahin deutlichen pro-israelischen Sympathiebekundungen, und in den Jahren danach nahmen die (post)gaullistischen Regierungen wirtschaftliche und militärische Beziehungen zu manchen arabischen Regimen – vor allem zum Irak – neu auf. Die Sozialdemokratie und die Wirtschaftsliberalen (unter Alain Madelin, der in den 90er Jahren das Modell Silvio Berlusconis nach Frankreich zu importieren versuchte) galten, und gelten auf der Diskursebene bis heute, als stärker pro-atlantisch und pro-israelisch als der gaullistische Konservativismus. 

Diese Periode der gaullistischen Politik ist allerdings heute faktisch zu Ende: 1991 nahm Frankreich am US-geführten Golfkrieg gegen seinen ehemaligen Verbündeten Irak teil. Zwar versuchte Chirac durch seine Rundreise durch die Region – vor allem Ägypten und Palästina/Israel – vom April 1996, nochmals symbolisch an die alten Glanzzeiten anzuknüpfen und sich besonders auch als Freund der Palästinenser darzustellen. Der Versuch, darauf aufbauend wieder eine stärkere Rolle zu spielen und in Afrika und Asien eigenständig neben den USA aufzutreten, war jedoch nicht besonders Erfolg gekrönt. Chiracs Versuche wurden eher als lächerliche Eskapaden betrachtet, zumal Frankreich sich unter seiner Präsidentschaft seit 1995 real wieder stärker denn je an die NATO annäherte. In der Vorphase des Irakkriegs 2002/03 verlieh Chirac der Pariser Aubenpolitik nochmals einige gaullistische Akzente und fand auch einigen Anklang in der UN-Generalversammlung mit der Rede seines damaligen Aubenministers Dominique de Villepin. Er konnte jedoch dadurch weder den durch die USA geplanten Krieg verhindern noch real ein gröberes Gewicht auf die Waagschale werfen.  

Momentan befindet sich der konservative Mainstream gaullistischer Herkunft im vollen Umbruch, was die Aubenpolitik und das Verhältnis zu den USA (und zu Israel) betrifft. Der gröbte Block innerhalb der Regierungspartei UMP, die im Jahr 2002 aus einer Fusion von (Neo)Gaullisten, Christdemokraten und Wirtschaftsliberalen entstand, schart sich um den wahrscheinlichen Präsidentschaftkandidaten Nicolas Sarkozy, der selbst aus dem ursprünglich gaullistischen Lager –- dem früheren RPR – kommt. Sarkozy aber ist einer der am stärksten pro-atlantischen und pro-israelischen Politiker der französischen Parteienlandschaft. 2003 lehnte er, mit seiner Auffassung hinter den Kulissen bleibend, Chiracs Kurs während des Irakkriegs ab. Innenpolitisch, vor allem den Kommunitarismus und die politisch-soziale Rolle der Religionsgruppen betreffend, wie aubenpolitisch propagiert Sarkozy in den letzten drei bis vier Jahren lautstark eine Annäherung an das US-Modell. Seine erste Reise als Parteivorsitzender der UMP, zu dem er im November 2004 gewählt wurde, führte ihn im Dezember desselben Jahres nach Israel, und nachdem er im Juni 2005 wieder französischer Innenminister geworden war, empfing er die hochrangigsten Vertreter der israelischen Polizeiführung in seinem Ministerium. Um die Mitte Juli dieses Jahres kommentierte Sarkozy die begonnene israelische Militäroffensive im Libanon mit martialischen Sprüchen über die kurze Zeit, die Israel benötige, um «den Job zu beenden» und aufzuräumen.

 Aus dem konservativen Lager gibt es daher derzeit nur sehr verhalten geäuberte Kritik am israelischen Vorgehen, auch wenn Frankreich sich darauf bedacht zeigte, nicht jeglichen Versuch einer eigenständigen Politik in der Region aufzugeben. Um einen Fub in der Tür zu behalten, plädierte der französische Aubenminister Philippe Douste-Blazys Anfang August zunächst für eine diplomatische Einbeziehung des Iran in die Vermittlungsbemühungen zum Libanon. Aber Douste-Blazys zunächst getätigter Ausspruch über eine «stabilisierende Rolle des Iran in der Region» stieb auch im eigenen Lager auf Skepsis und böses Blut -- so dass er ihn wenige Tage später abänderte  in die blobe Äuberung des Wunschs, der Iran möge nunmehr eine stabilisierende Rolle übernehmen, «statt eine destabilisierende Rolle zu spielen». Lediglich der Abgeordnete Nicolas Dupont-Aignan vom nationalkonservativen und EU-feindlichen Flügel der UMP, der vielleicht 5 Prozent der konservativen Sammlungspartei repräsentiert, äuberte sich entschieden ablehnend gegen das israelische Vorgehen und forderte eine härtere Position des offiziellen Frankreich dagegen. Ein Teil der extremen Rechten opponiert seinerseits gegen den israelischen Militäreinsatz, während ein anderer Teil ihn aus historischen Gründen (Algerienkrieg, Präsenz rechtsextremer Söldner im libanesischen Bürgerkrieg der 80er Jahre) befürwortet. Aber beide Unterströmungen sind damit in der Öffentlichkeit zur Zeit kaum zu vernehmen.

Insofern bleibt das Protestieren gegen die Mordbrennerei im Libanon auch hier der Linken, vor allem der KP und den Grünen sowie der radikaleren auberparlamentarischen Linken, überlassen. Aubenpolitisch oder auch antisemitisch motivierte Einwände gegen Israels Politik von weiter Rechts existieren zwar, widerspiegeln sich aber nirgendwo in Protesten auf der Strabe. Den Interpretationsrahmen für den Protest gibt überwiegend die kritische Erinnerung an die eigene Rolle Frankreichs als Kolonialmacht, insbesondere in Algerien, ab. Die protestierende Linke sieht sich überwiegend in der Kontinuität zu den damaligen Widerständen gegen diese französische Politik. Darin sieht sie sich übrigens durch ein französisches Interview von Ariel Sharon bestärkt, der Ende 2001 selbst die Rolle des Staates Israel im Nahen Osten explizit mit dem einstigen Vorgehen Frankreichs in Algerien verglichen (http://www.lexpress.fr) hat.

Im Unterschied zu Deutschland, wo manche Kritik an Israel eher zur Entlasung der deutschen Nationalgeschichte vorgebracht wird – «Seht, die sind auch nicht viel besser als wir!» -, ist dieser selbstkritische Bezug auf die nationale Geschichte nicht geeignet, primär den Nationalismus im eigenen Land zu fördern.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir am 14.8. von Bernhard Schmid zur Veröffentlichung.