Deutsche Zustände II
Das laute Schweigen zum Nazimord an Marwa El-Sherbini

von Peter Nowak

7/8-09

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"Es ist überhaupt kein Widerspruch, Islamismus und Antisemitismus zu kritisieren und Rechtsgleichheit für alle MigrantInnen zu fordern- mit und ohne Papiere und selbstverständlich auch für Islamisten." aus Islamismus  Kulturphänomen oder Krisenlösung?“ herausgegeben von  Kritik und Praxis Berlin, Seite 63  

Am 1. Juli 2009 konnte war Dresden Schauplatz eines der spektakulärsten Neonazimorde, die es in den letzten Jahren in Deutschland gab. Die Ägypterin Marwa El-Sherbini wurde an diesem Tag im Gerichtssaal von dem Neonazi mit 18 Messerstichen ermordet. Täter war der Neonazi, der sie schon ein Jahr vorher rassistisch beleidigt hatte. Er wollte dem Kind einer Ägypterin nicht erlauben, auf einem deutschen Spielplatz die Schaukel zu benutzen und beschimpfte die Frau rassistisch, als sie den Nazi aufforderte, die Schaukel freizugeben.

Marwa El-Sherbini  beschritt den Rechtsweg. Sie zeigte den Rassisten an, der  zu einer Geldstrafe verurteilt worden war.  Dabei wurde  die rassistische Komponente weitgehend  ausgeblendet wurde. Die Tat wurde zu einer Alltagsbeleidigung herabgestuft, wie so oft bei Naziverbrechen. Weil der Rechte Widerspruch einlegte, kam es am 1.Juli zu dem Zivilprozess vor dem Dresdner Gericht.   Nachdem Marwa El-Sherbini  ihre Aussage über den rassistischen Vorfall gemacht hat, stürzte sich der Nazi mit dem Messer auf sie und machte seinem Vernichtungswillen  mit dem Schrei deutlich, dass so was wie die, kein Recht zu leben hat. Der Ehemann von  El-Sherbini , der sich dem Nazi in den Weg stellte, wurde ebenfalls durch Messerstiche schwer verletzt. Als die herbeigeeilten Polizisten am Tatort eintrafen, schossen sie ihn zudem noch einmal ins Bein. Sie hatten zielsicher den äußerlich nichtdeutschen als Täter erkannt. Eine integrierte ägyptische Familie, die nicht nur in Deutschland lebend sondern auch ihre ihnen grundgesetzlich zustehenden Rechte verteidigt, das passte wohl nicht in ihr Bild.      

Noch Tage nach  dem Nazimord wurde in den Medien von einem unbegreiflichen  Vorfall in einem Zivilprozess geschrieben. Erst nach mehr als einer Woche wurde auch in deutschen der nazistische Charakter der Tat anerkannt. Das kennen wir ja auch bei anderen Fällen öfter.

Doch wo bleiben die Proteste der Antifa?

Von Mahnwachen am Tatort und von Demonstrationen  wurde  nichts bekannt. Sollte es sie in kleinerem Ausmaß gegeben haben, dann sind sie die berühmte Ausnahme, die aber nur so deutlich machten, dass der Tod von Marwa El-Sherbini dort nicht zum Thema wurde. Nun könnte man einwenden, die Sommerpause naht und die Antifa ist auch nicht mehr so mobilisierungsfähig. Das ist nicht ganz falsch. Aber die energische Reaktion nach dem Naziüberfall auf einen Linken in  Berlin-Friedrichshain,  zeigt, dass es ganz so schlecht um di antifaschistische Mobilisierungsfähigkeit auch nicht bestellt nicht. Nicht  nur in Berlin sondern auch in Rostock und anderen Städten wurde gegen den Naziüberfall protestiert und weitere Demos sind in Vorbereitung? Auch eine andere, vor  in den Medien kolportierte Behauptung, dass der Täter aus Russland stammt und deshalb der nazistische Charakter der Tat nicht gleich erkannt wurde, dürfte für die Antifa nicht von Belang sein. Das Argument ist im Kern rassistisch. Schon lange wissen wir, dass Menschen mit arabischem Hintergrund antisemitische Aktionen verüben, dass Graue Wölfe genau so Faschisten sind wie NPDler etc. Im Fall des Mörders von  Marwa El-Sherbini ist das Argument aber besonders absurd. Er hat sich als Russlanddeutscher verstanden, d.h. er  gehört zu denen, die auf Grund einer     völkischen Konstruktion sein Recht, in Deutschland zu leben, begründet. Dieses völkisch-definierte Recht, dass Deutsche in allen möglichen Ländern  konstruiert, muss gerade von denen  bekämpft werden, die für ein Recht auf freien Aufenthalt streiten. Es ist nämlich dessen Negation.  Menschen sollen da wohnen können, wo sie wollen, aber gerade eben nicht    mit  Volk und Blut argumentieren. Denn das ist gerade die Negation des freien Aufenthalts. Es ist auch AntifaschistInnen nicht verborgen geblieben, dass es um die so genannten Russlanddeutschen im rechten Lager Querellen gab. Während sie von manchen Dumpfnazis nicht als vollwertige Deutsche anerkannt wurden, hatten rechte Funktionäre schon früh erkannt, dass gerade dort ein wichtiges Potential besteht. Schon längst wirbt  beispielsweise  die NPD im Milieu dieser jungen „Russlanddeutschen“ gezielt für ihre rechten Thesen.

Deswegen muss nicht verwundern,  dass der Nazi von Dresden erklärte, dass er NPD gewählt hat.

Der Fall wäre also der Idealfall einer Antifakampagne. Ein Nazimord in einem deutschen Gericht, Polizisten die zunächst den Mann des Opfers zum Täter machten, ein rassistisches Konstrukt der „Russlanddeutschen“ und eine Medienreaktion, die zunächst die faschistische Komponente verleugnete.  

Warum es zu dieser Kampagne nicht kam, ist die große Frage. Vielleicht weil eine Frau, die ein Kopftuch trägt, sofort zur Islamistin gestempelt wird und deshalb kein Naziopfer sein kann? Weil ja in manchen linken Kreisen noch immer behauptet wird, dass die Rede von der Islamophobie nur vom Antisemitismus ablenken würde?  Muss da nicht nach dem Nazimord von Dresden in mehrfacher Hinsicht umgedacht werden? Wer es noch nicht wahrhaben wollte, müsste jetzt belehrt sein: Es gibt einen rechten Vernichtungswillen gegen Menschen, wie  Marwa El-Sherbini. Sie trug ein Kopftuch und war trotzdem nicht das Opfer von islamistischer Männergewalt, wie manche es immer darstellen. Sie nutzte die Wege der Zivilgesellschaft, um sich gegen die Beleidigung des Nazis zu wehren Eine Frau mit Kopftuch, die dann noch für Recht kämpft, dass war den zu viel.

Der Mord von Dresden zeigt einmal mehr, dass es falsch ist, Antisemitismus und Islamophobie gegeneinander zu stellen. Der Generalsekretär des Zentralrat der Juden fand da die richtigen Worte.

Die meisten derjenigen, die  auf eine Frau mit Kopftuch das Lebensrecht absprechen, werden gegenüber einem Juden oder einer Jüdin mit entsprechenden Insignien ihrer Religion nicht anders reagieren

Umdenken sollten auch diejenigen, die noch immer ein Kopftuchverbot fordern, und damit nicht akzeptieren wollen, dass es Frauen gibt, für die es kein Symbol der Unterdrückung ist. Die Devise „Keine Frau darf zum Tragen eines Kopftuches von wem auch immer gezwungen werden“ ist richtig. Sie muss nur ergänzt werden “Keine Frau darf Nachteile davon haben, dass sie aus freien Stücken ein Kopftuch trägt?“ 

Auch die „Kompetenzzentren Islam“, de es  in verschiedenen Städten gibt, sollten ihre Fragestellung erweitern. Es geht eben nicht nur darum,  zu gragen, wie integrationsbereit sind die Menschen mit "arabischem Hintergrund?“ Es geht auch um die Frage, wie ist diese Gesellschaft beschaffen, in die sich integrieren sollen.  Die gesellschaftliche Reaktion auf den Nazimord an der integrierten Marwa El-Sherbini lassen da viele Zweifel offen.

Vielleicht sollte nach dem Vorbild der Antonio Amedeus-Stiftung auch eine Marwa El-Sherbini -Stiftung gegründet werden. Sie soll erinnern an eine mutige Frau, die sterben mußte, weil sie emanzipiert war und weil sie genau das machte, was viele immer von Menschen mit "migrantischen Hintergrund" fordern. Sie hat die Zivilgesellschaft nicht nur anerkannt sondern auch genutzt.  Deswegen wurde sie umgebracht. Und nutzen wir den Prozess gegen ihren Mördern, um Marwa El-Sherbini den verdienten Respekt zu erweisen. Das ist auch die beste Antwort verschiedener Islamisten, die sie jetzt zur Märtyrerin stilisieren wollen. Das hat diese mutige Frau nun wahrlich nicht verdient.   

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor, ergibt folgenden Lesetipp dazu:
„Islamismus  Kulturphänomen oder Krisenlösung?“ herausgegeben von  Kritik und Praxis Berlin, die  Broschüre düfte in einigen gut sortierten Buchläden noch erhältlich sein.

Siehe auch "Deutsche Zustände I"