Zur Kritik der „Frankfurter Schule" („Kritische Theorie")

von Robert Steigerwald (1980)

7-8/11

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1. Zum Gegenstand unserer Kritik

Zur „Frankfurter Schule" gehören zwei Generationen von Sozialphilosophen: Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Erich Fromm (Fromm ist jedoch Freudianer, das sind die „Frankfurter" nicht), Herbert Marcuse, Leo Löwenthal und Friedrich Pollock. Das ist die erste, die ältere Generation. Mit ihnen zusammen arbeiteten Karl August Wittfogel, Henryk Grossmann, Franz Borkenau und Franz Neumann.

Zeitweilig arbeitete auch der Schwager Adornos, Walter Benjamin, mit ihnen zusammen. Auch gab es während des Kampfes gegen den Faschismus, in der Emigration, gewisse Beziehungen, vor allem über Adorno, zu Hanns Eisler. Auf der anderen Seite reichten die Beziehungen, vor allem Horkheimers und Adornos, bis hin zu Thomas Mann.

Die zweite Generation der Schule, das sind die heute in der Bundesrepublik wirkenden Jürgen Habermas, Alfred Schmidt, Oskar Negt, Albrecht Wellmer und Herbert Schnädelbach.

Der ursprüngliche Name dessen, was heute „Frankfurter Schule" genannt wird, lautete „Kritische Theorie". Den Namen prägte Horkheimer, der eigentliche Schulgründer, während der Zeit des Faschismus. Objektive und subjektive Gründe führten in eigenartiger Verquickung diese Namenwahl herbei. Der objektive Grund: Die faschistische Diktatur veranlaßte die Tarnung der eigenen Position. Der subjektive: Horkheimers Versuch, eine eigene „Version des Marxismus" zu begründen. Alfred Schmidt spricht offen aus, daß es sich um eine „west-europäische" Variante des „Marxismus" handeln sollte und soll.(1) Man muß sich der unterschwellig-emotionalen Wirkung dieser Wortwahl bewußt sein: „westlich", „westeuropäisch", das heißt gegen den Osten, gegen Osteuropa gerichtet, korrespondierend mit anderen emotional befrachteten Begriffen, wie „freiheitlich" gegen „totalitaristisch", „zivilisiert" gegen „barbarisch". Es handelt sich also, was immer es anfangs auch an Illusionen antikapitalistischer Art gegeben haben mag, letztlich, auf dem Prüfstand der Geschichte, durchaus um eine Frontstellung namens des Kapitalismus gegen den Sozialismus.

Sagen wir gleich dazu, wen diese Leute als Wortführer dieses „neuen", „westlichen Marxismus" bzw. als seine Wegbereiter nennen: Sartre, Lefebvre, Garaudy, Althusser, Levi-Strauss, Luporini, Lombardo-Radice, Di Marco. Als Ahnen nennen sie Lukacs, Korsch, Merleau-Ponty.(2) Wir haben es also mit einem eklektischen Gemisch zu tun. Einigendes Prinzip ist bei den meisten die offene, direkte rechtsopportunistisch oder ultralinks begründete Parteinahme gegen die Partei der Arbeiterklasse und den realen Sozialismus. Halten wir auch gleich noch fest, daß es sich nicht etwa „nur" um eine Rückkehr zu einem originären Marx handelt, wie das manchem erscheint, der vorgibt, er sei ja für den Marxismus, nur nicht für den gegenwärtigen, angeblich verfälschten, sondern für den originären, für denjenigen von Marx.(3) Vielmehr ist die grundlegende Position dieser Kräfte antisowjetisch, antikommunistisch. Es wäre nicht ganz zutreffend, sie revisionistisch zu nennen, weil die Auguren und Autoren der „Frankfurter Schule" nicht der marxistischen Arbeiterbewegung angehören. Aber sie wirken revisionistisch, indem sie eine ideologiebildende Rolle unter Intellektuellen spielen, die sich der Arbeiterbewegung nähern bzw. anschließen.

Der heute gängige Name „Frankfurter Schule" leitet sich daher, daß ihr Ausgangspunkt das 1924 in Frankfurt a. M. gegründete Institut für Sozialforschung ist. 1931 übernahm Horkheimer die Leitung dieses Instituts. Von nun an gab seine Arbeit der beim Institut erscheinenden „Zeitschrift für Sozialforschung" und den anderen Veröffentlichungen der Schule das Gepräge. Nach der Emigration vor dem Faschismus - Stationen waren Frankreich und die USA - kehrten Horkheimer und Adorno in den frühen fünfziger Jahren nach Frankfurt zurück. Fromm, Marcuse, Löwenthal und Pollock blieben in den USA, Benjamin starb 1940. So trat, von Horkheimer und Adorno herangebildet, inzwischen von Frankfurt a. M. ausgehend die zweite „Frankfurter" Generation in Aktion.

2. Zu den Entstehungsbedingungen und Wirkungen der Schule

Skizzieren wir kurz die allgemeinen gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen sich die Schule herausbildete, und prüfen wir dabei die Grundrichtungen ihres Wirkens.

Die wichtigste materielle gesellschaftliche Quelle für die Herausbildung und Wirkung der „Frankfurter Schule" ist der Ausbruch der allgemeinen Krise des Kapitalismus. Die erste, in historischer Sicht die Schule vorbereitende Zusammenkunft, eine „Erste marxistische Arbeitswoche", fand 1922 in Frankfurt a. M. unter Teilnahme von Lukäcs und Korsch statt.(4) Den bürgerlichen Ideologen erschien die Oktoberrevolution, die Spaltung der Welt in eine kapitalistische und eine sozialistische, die Krise des Kapitalismus als solche der „Existenz". Die

Krise der Bourgeoisie stellte sich ihnen als solche des Menschseins überhaupt dar. Das erzeugte eine Ideologie der Krise. Eine Gesellschaftsordnung, die wie kaum eine andere den Menschen geschändet hat, entdeckt in dem Moment „den" Menschen, da die Basis ihrer Ordnung bedroht ist. Die Krise des Kapitalismus wird zur Krise des Menschlichen aufgegipfelt. Unter solchen Bedingungen ist für die bürgerliche Philosophie die Hinwendung zum „Menschenbild", zur Anthropologie naheliegend. Jene Hinwendung finden wir auch bei den führenden Köpfen der sich herausbildenden „Frankfurter Schule", in der Art ihres „Marxismus".

Manfred Buhr machte schon vor Jahren darauf aufmerksam, daß frühere, revolutionär-bürgerliche Theorie vom Menschen, also jene der bürgerlichen Klassik in Philosophie und Dichtung, eingebettet war in eine Gesamtphilosophie der Natur, der Gesellschaft und des Menschen. Jedoch die bürgerliche Theorie vom Menschen, die in der Zeit der allgemeinen Krise des Kapitalismus entstand, ist dieser naturhaften und gesellschaftlichen Basis beraubt. Sie will angeblich anthropologische, „allgemein-menschliche" unveränderliche Wesensmerkmale herausarbeiten. Während frühere, revolutionär-bürgerliche Theorie vom Menschen auf einem zusammenhängenden System philosophischer, ökonomischer und soziologischer Aussagen beruhte, beschränkt das bürgerliche Menschenbild der Zeit der allgemeinen Krise sich immer mehr auf Psychologie, vor allem auf Psychoanalyse.(5) Frühere bürgerliche Anthropologie hatte in den stärksten Formen eine verhältnismäßig hochentwickelte politische Ökonomie als Bestandteil. Bürgerliche Anthropologie in der Periode der allgemeinen Krise des Kapitalismus hat nichts mehr mit den eigentlichen Grundlagen der politischen Ökonomie zu tun, selbst dann nicht, wenn von Ökonomischem die Rede ist. Genaueres Hinsehen zeigt, daß die bürgerliche Theorie vom Menschen in der spätkapitalistischen Zeit entweder im Bereich des Ökonomischen nur die Technik oder nur den Austausch und Besitz von Waren, nicht deren eigentliche Produktion und die dazu gehörigen Produktionsverhältnisse untersucht. Gerade der kapitalistische Produktionsprozeß, gerade die Klassenbeziehungen dieses Prozesses, die Eigentums- und Ausbeutungsverhältnisse bleiben ausgespart. Allenfalls erscheinen Klassenbeziehungen auf der Ebene des Zirkulations- und Distributionsprozesses, und wenn bei Hork-heimer und Adorno das Wertgesetz ins Spiel kommt, dann nur als Regulator dieser Sphäre. Der kapitalistische Produktionsprozeß existiert darin nicht.

Die „Frankfurter Schule" entwickelte sich auf solcher Basis. Sie anthropologisiert in diesem Sinne alle wesentlichen Marxschen Kategorien wie Materie, Dialektik, Praxis.

Eine weitere, oft übersehene Quelle der „Frankfurter Schule" ist die Lebensphilosophie. Im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts kam es innerhalb der bürgerlichen Philosophie zu einem bedeutenden Einschnitt. Der mechanisch Materialismus, der vor allem naturwissenschaftlich begründet und orientiert war, wurde mehr und mehr durch zwei Varianten des Idealismus abgelöst, die auch heute noch die Hauptrepräsentanten bürgerlicher Philosophie sind und sich bisweilen „machtvolle" und mit viel offiziellem Theaterdonner begleitete „Schlachten" liefern: durch die positivistische und die lebensphilosophische Variante. Die erstere suchte, die mit dem mechanischen Materialismus der industriellen Bourgeoisie eingeräumte Möglichkeit exakter naturwissenschaftlicher Forschung beizubehalten, und zwar bei Abspaltung aller die tieferen weltanschaulichen Fragen berührenden Teile der Philosophie, bei Ignorierung oder gar bewußter Bekämpfung aller sich auf das Gesamtsystem des Kapitalismus, seine Historizität beziehenden Fragestellungen, bei Verzicht auf eine wirklich wissenschaftliche Lösung des Entwicklungsproblems - alle solche Fragestellungen wurden als metaphysisch verleumdet und verworfen. Die zweite, die lebensphilosophische Richtung wandte sich gegen bourgeoise „Rechenhaftigkeit", lieferte eine „Rationalismus"-Kritik von rechts, vom Irrationalismus her und öffnete die Schleusen des irrationalistischen Subjektivismus in der Philosophie. Ihre Kritik an der Bourgeoisie nahm in Wahrheit, präimperialistisch, den Angriff auf politische und philosophische, allgemeiner: ideologische Ausdrucksformen des Kapitalismus der freien Konkurrenz vorweg und ebnete der späteren, direkt faschistischen Verfolgung nicht nur der Arbeiterklasse und ihrer marxistischen Weltanschauung, sondern auch der noch nicht reaktionär gewordenen Bourgeoisie den Weg, wobei dieser Kampf, diese Kritik und Polemik oft unter dem Gesichtspunkt vorgetragen wurde, Quellen des Marxismus zu treffen. Dies gilt vor allem für die Kritik an der bürgerlichen Klassik, für deren Umfunktionierung beispielsweise im Neuhegelianismus, für die lebensphilosophische Verfälschung der Klassik, ihrer Ausläufer und der frühen Schriften von Marx. Auch der elitäre Zug in Theorie und Methode, der elitäre Ästhetizismus eines beträchtlichen Teiles dieser bürgerlichen Ideologen - der allerdings eine gewisse Schranke zwischen ihnen und dem auf Massenwirksamkeit bedachten Faschismus errichtete - erklärt sich aus dieser antidemokratischen Stoßrichtung der lebensphilosophischen Variante spätbürgerlicher Philosophie.

Die Gründer und führenden Repräsentanten der „Frankfurter Schule" kommen von den Vorläufern oder Hauptvertretern dieser lebensphilosophischen Variante her: Horkheimer von Schopenhauer, Adorno von Nietzsche, Marcuse vom Wortführer der imperialistischen, „ontologischen" Version der Lebensphilosophie, von Heidegger. Habermas und Alfred Schmidt bewiesen in ihren erkenntnistheoretischen Schriften ebenfalls eine gewisse Anfälligkeit für Nietzsche.(6) Darüber hinaus übte die Lebensphilosophie durch das Werk des frühen Georg Lukäcs - vor allem durch „Geschichte und Klassenbewußtsein" - ihren Einfluß auf die „Frankfurter Schule" aus. Das alles hat ein eigenartiges Schwanken zwischen subjektivistischen, subjektiv-idealistischen und lebensphilosophischen Naturkonzeptionen (bei Adorno, Marcuse, dem späteren A. Schmidt etwa) zur Folge, eine vordergründige Ambivalenz in der Frage der objektiven Realität, des Materialismus (beim frühen Horkheimer etwa). Das erschwert die Kritik, weil gegen den Nachweis des Subjektivismus nicht nur damit operiert werden kann, daß die letzten Konsequenzen von den „Frankfurtern" vermieden werden, sondern auch mit dem Hinweis auf Passagen des lebensphilosophischen „Objektivismus", die als „Materialismus" ausgegeben werden.

Die „Frankfurter Schule" eignet sich also Hegel und Marx auch unter dem Einfluß dieser Lebensphilosophie an. Das prägt ihren Begriff von Dialektik, ihre Erkenntnistheorie, erklärt den letztlich elitären Ästhetizismus etwa Adornos, den Wissenschaftsbegriff der „Frankfurter Schule", den am entlarvendsten Adorno formulierte: „Das Wesen wird durchs Resume des Wesentlichen verfälscht . . . Analog hätte Philosophie nicht sich auf Kategorien zu bringen, sondern in gewissem Sinne erst zu komponieren . . .".(7) Die Absage an das Begriffliche, die Hinwendung zum Ästhetischen, zum Komponieren, die Verwischung der Grenze von Wissenschaft und Kunst, im Keime schon den reaktionärsten Romantikern und dem späten Schelling eigen, dringt hier an die Oberfläche, nur ohne die extremsten Konsequenzen daraus zu ziehen.

Dennoch dürfen wir, bei aller lebensphilosophischen Gemeinsamkeit, eine wichtige Spaltung innerhalb der Bourgeoisie und der bürgerlichen Ideologie nicht übersehen. Angesichts des drohenden Faschismus differenziert sich auch das bürgerliche Lager. Hierbei ist es auch von Bedeutung, daß der bürgerliche Antisemitismus Intellektuelle jüdischer Abstammung zu liberalen, demokratischen und sogar linken Reaktionsweisen nötigte. Frankfurt hatte ein relativ starkes jüdisches Bürgertum, und die Häupter und Repräsentanten der „Frankfurter Schule" waren durchweg Angehörige des linken bzw. liberalen Frankfurter jüdischen Bürgertums.

Wir haben es also mit einem durchaus qualvollen Prozeß des Reagierens bürgerlich-humanistischer Intellektueller sowohl auf die faschistische Gefahr, als auch auf den beginnenden Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus (Oktoberrevolution) zu tun, wobei diese Kräfte bürgerlich reagieren. So entstehen nicht nur reaktionäre, faschistische Formen des spätbürgerlichen „Menschenbildes", sondern auch zwischen den Fronten schwankende, im Falle der „Frankfurter Schule" bürgerlich-demokratische (obgleich die „Frankfurter Schule" die bürgerliche Demokratie kritisiert, jedoch eine zweideutige Kritik liefert, die die Apologetik, vermittelt durch Sozialismus-Kritik, enthält).

Diese letztere Strömung sucht nach einem eigenen, auch durch ideologische Tradition abgesicherten Menschenbild. Und gerade das leistet die „Frankfurter Schule". Die eigene, tief empfundene Krise soll im Rückgriff auf die klassische Zeit bürgerlichen Denkens und Dichtens behoben werden. So wendet sich die „Frankfurter Schule" verstärkt dem bürgerlich-humanistischen Erbe, in der Philosophie vor allem Hegel zu, der als eine wesentliche Quelle des Marxismus in besonderem Maße im Zentrum des ideologischen Klassenkampfes stand und steht.

Darin liegt schon bestimmt, daß solche Hinwendung zur Klassik spätbürgerlich verzerrt, neuhegelianisch bestimmt war. Die Bekämpfung Hegels in Gestalt seiner neuhegelianischen Verfälschung ist in der Regel ein Kampf gegen Marx. Das gilt auch für die Hegel-Interpretation.(8) Die Hinwendung zum bürgerlich-humanistischen Erbe war seitens der genannten bürgerlich-demokratischen Kräfte in dem Sinne gemeint, sich damit sowohl gegen den Faschismus als auch gegen den Marxismus-Leninismus abgrenzen zu können. Mehr noch: Die Durchführung eines solchen Programms mußte zugleich im Sinne bürgerlich-demokratischer Hegemoniebestrebungen innerhalb des antifaschistischen Kampfes von Arbeiterbewegung und bürgerlichem Humanismus wirken, sofern es gelang, den „Marxismus" dieser ideologisch-politischen Strömung der bürgerlichen Demokratie einzuverleiben.

Im Bereich der Philosophie und Soziologie bedeutet dies, daß es nicht nur einen imperialistischen, lebensphilosophisch mißgestalteten Neu-Hegelianismus gab, sondern auch eine Art Neuauflage des Lukacz-Hegelianismus in lebensphilosophischer Entstellung. Dies gilt gerade für die „Frankfurter Schule". Sie versuchte, in der Nachfolge des Lukäcsschen Werkes von 1923 („Geschichte und Klassenbewußtsein", einer wahren Pandora-Büchse des Revisionismus) und einer gleichzeitig erschienenen Arbeit von Karl Korsch (9) den Marxismus als eine Art einfacher Folge aus der Philosophie Hegels zu deuten. So konnten gewisse Teile des Marxismus in den modernen Links-Hegelianismus lebensphilosophischer Art eingebaut werden. In gewisser Hinsicht haben wir die Annullierung der Entwicklung des Marxismus vor uns, indem zurückgegangen wird hinter die Positionen, die Marx etwa 1844/45 erreichte. Von solchem sachlich gestutzten und revidierten Ausgangspunkt aus werden dann Vorstöße in Bereiche des entwickelten Marxismus unternommen, um dort geistigen Diebstahl begehen zu können. Aber dabei werden stets solche Bereiche des Marxismus, die nicht zu jener verfälschenden Interpretation des Marxismus passen, als fremde Zutaten etwa von Engelsscher oder Leninscher Art abgelehnt.(10) Die anderen materiellen und theoretischen Quellen des Marxismus werden gleich ganz unterschlagen.

Ein solcher „Marxismus" kann teilweise in die sogenannte kritische Theorie aufgenommen werden. Und zwar werden aufgenommen bestimmte Teile der Ökonomie, nämlich Bereiche des Zirkulations- und Distributionsprozesses, während der eigentliche Produktionsprozeß unerörtert bleibt.

Bei der Einschätzung der „Frankfurter Schule" ist diese komplizierte Ursprungssituation und die eigenartige Stellung zwischen den Fronten stets zu beachten. Die Begründer und führenden Repräsentanten der Schule waren antifaschistisch aktiv und mußten aus Deutschland emigrieren. Sie hatten interessante kultur- und ideologiekritische Arbeiten hervorgebracht. Aber sie verhielten sich dabei stets zumindest distanziert gegenüber der realen Arbeiterbewegung und dem existierenden Sozialismus, womit sie daran arbeiteten, oppositionellen Kräften den Übergang auf sozialistische Positionen zu erschweren.

In den USA verschmolzen nicht nur bestimmte Traditionen der angelsächsischen Soziologie mit den Ansichten der „Frankfurter Schule", sondern es wirkten negativ auch die komplizierte Lage der amerikanischen Arbeiter- und antifaschistischen Bewegung, vor allem aber später der kalte Krieg auf die theoretischen und politischen Positionen der führenden Vertreter dieser Schule ein. Durch sie vermittelt wirkten sie auf ihre späteren Schüler weiter.

Alles das besagt aber auch, daß es nicht nur in der Entwicklung der einzelnen Repräsentanten der „Frankfurter Schule", sondern der Schule selbst Etappen gibt. Die Differenzierung dieser Etappen ist in dieser Darstellung nicht möglich. Das schafft Ansatzpunkte für die Gegenkritik, wenn etwa Positionen des späten Hork-heimer mittels solcher der frühen aufgehoben werden sollen. Ich habe mich dazu entschieden, vor allem die politisch in der jüngsten Zeit relevanten Aspekte des Wirkens der „Frankfurter Schule" zu kritisieren.

Die Wirkung der Schule ist also auch ein gewisses Spiegelbild der Schwerpunkte des internationalen Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat, seiner Entwicklung, wobei - auch in der unbestreitbaren antifaschistischen Parteinahme — ein subtiler „linker", antikommunistischer, antimarxistischer Grundzug stets vorhanden war, sich jedoch in den letzten Jahren erheblich verstärkte.

Die „Frankfurter Schule" hat unter den Bedingungen der Bundesrepublik, während der Zeit des schärfsten kalten Krieges, der schärfsten Handhabung des KPD-Verbotes, der Tabuisierung des Marxismus einiges getan, um unter den von ihr beeinflußten sozialen Schichten, einschließlich eines Teils der studentischen Jugend, eine kritische Einstellung zu manchen Erscheinungen der spätkapitalistischen Gesellschaft zu wecken. Dies war zu Zeiten, da die Bourgeoisie in der BRD wieder einmal glaubte, der Marxismus sei tot. Damals hat die „kritische Theorie" ein gewisses Interesse für manche Aspekte des Marxismus - freilich in „Frankfurter" Verpackung angeboten — zu erregen vermochte. In der Kritik des kapitalistischen Kulturbetriebs und auf anderen Gebieten hat sie Fragen aufgeworfen, deren Untersuchung und Beantwortung auch für Marxisten eine Aufgabe bleiben. Zugleich richtete jedoch die Fehldeutung des Marxismus, die negative Beurteilung des Sozialismus und der Arbeiterbewegung immer mehr Schaden an. Insbesondere bewirkte sie eine Parteinahme gegen den organisierten Klassenkampf der Arbeiter, gegen die sozialistische Organisiertheit überhaupt, gegen eine antiimperialistischdemokratische Bündnispolitik, bewirkte sie die Wiederbelebung anarchistischer Zielvorstellungen, Taktiken und Gruppenbildungen.

Die während der sechziger Jahre in den entwickelten kapitalistischen Ländern in die antiimperialistische Opposition eintretenden Teile der heranwachsenden Intelligenz fanden in den Werken der „Frankfurter Schule" ihre eigene Grundstimmung auf den Begriff gebracht. Daraus ergibt sich die zeitweilige Konvergenz V von Studentenrevolte und „Frankfurter Schule".

Fußnoten

1) M. Horkheimer, Kritische Theorie der Gesellschaft, Bd. II, Frankfurt a. M. 1968, S. 336, Nachwort des Herausgebers (Alfred Schmidt). (Vgl. auch A. Schmidt, Die „Zeitschrift für Sozialforschung", München 1970, S. 4.)

2) Ebenda, S. 337.

3) Ebenda, S. 339 ff.

4) A. Schmidt, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24. 6. 1974.

5)  M. Buhr, Entfremdung - Philosophische Anthropologie - Marx-Kritik, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 7/1966, S. 816 ff.

6) J. Habermas' „Erkenntnis und Interesse" zeugt davon

7) Th. W. Adorno, Negative Dialektik, Frankfurt a. M. 1961, S. 41 f.

8) Vgl. dazu den einleitenden Teil zum Lukäcs-Kapitel.

9) K. Korsch, Marxismus und Philosophie (1923), Frankfurt a. M. 1966.

10) So zuerst G. Lukacs in „Geschichte und Klassenbewußtsein".

Editorische Hinweise

Der Text wurde zitiert aus: Robert Steigerwald, Bürgerliche Philosophie und Revisionismus im imperialistischen Deutschland, Berln 1980, S.204-210

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Siehe dazu auch

MODELLE DER MATERIALISTISCHEN DIALEKTIK

BEITRÁGE DER BOCHUMER DIALEKTIK-ARBEITSGEMEINSCHAFT
Kapitel:
VI. GEORG LUKACS UND KARL KORSCH