Saudi-Arabien und der ,Westen’
Unterstützung für das Königreich der (politischen) Finsternis

von Bernard Schmid

7-8/11

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Vor dem Frühlingseinbruch flüchtete sich der Premierminister in den tiefsten Winter. Soeben war Ägyptens Präsident Hosni Mubarak durch Massenproteste zum Abdanken gezwungen worden. Drei Wochen früher hatte sich der tunesische Potentat Zine el-Abidine Ben Ali in sein vergoldetes Exil in Saudi-Arabien geflüchtet. Auf der halben Welt begann man vom „Arabischen Frühling“ zu sprechen -  da beeilte sich der Regierungschef Frankreichs, dorthin zu kommen, wo die Nacht am finstersten ist. In der Region heibt diese Ecke: Saudi-Arabien. Eben dort, wo Ben Ali in der Küstenstadt Djidda Aufnahme gefunden hatte.  

         Frankreich an der Seite der Saudi-Reaktion 

Am 12. Februar 2011, keine vierundzwanzig Stunden nach dem Amtsverzicht des Ägypters Mubarak, besuchte der französische Premier zunächst den atomgetriebenen französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle vor der saudischen Küste. Dieser nahm zu dem Zeitpunkt an einem gemeinsamen Manöver mit den Streitkräften Saudi-Arabiens im Roten Meer teil. (Vgl. http://www.lepoint.fr/ oder http://actu.orange.fr) Später am Tag unterhielt er sich dann mit dem saudischen Kronprinzen und Verteidigungsminister, Sultan ben Abdel Aziz. Der demnächst 88jährige König Abdallah befand sich zu dem Zeitpunkt in Konvaleszenz in einer marokkanischen Klinik - als er am Ende des Monats nach Saudi-Arabien zurückkehren würde, sollte er kurz zuvor 65 Milliarden Euro an zusätzlichen Staatsausgaben ausschütten. Um den „sozialen Frieden“ im Königreich zu erkaufen, aber auch, um Polizei, Armee und Sittenwächtermilizen aufzurüsten. Zudem würde er eine Amnestie für die Aussteller ungedeckter Schecks verkünden. Alles Mabnahmen, die den Frühlingseinbruch vom Königreich fernhalten sollten. 

Saudi-Arabien ist das mächtigste Bollwerk der Reaktion in der Ecke. Dass François Fillon als erster französischer Premierminister seit 1994 sich gerade zu dem Zeitpunkt in dem monarchisch regierten Wüstenstaat aufhielt, war ein klares Signal: Nach dem Sturz Ben Alis und Mubarak suchen wir Verbündete, die dem Treiben mächtig Einhalt gebieten können - wie es Saudi-Arabien denn ab dem 14. März auch mit der Truppenentsendung nach Bahrain, das Epizentrum der Massenproteste in der Golfregion, tun würde. Frankreich hatte zuvor die Präsidentengarde und die Bereitschaftspolizei in Bahrain ausgebildet (vgl. http://www.lepoint.fr  & http://blog.lefigaro.fr/ ), jedoch am 18. Februar 2011 - kurz nach Ausbruch der Massenproteste - angekündigt, diese Aktivität einzustellen, vgl. unter http://www.lefigaro.fr/ . Am selben Tag hatte auch Grobbritannien angekündigt, seine 70 Verträge über die Lieferung von „Sicherheitsmaterial“ mit Bahrain „einzufrieren“; vgl. http://www.lefigaro.fr . 

Fillon verteidigte anlässlich der Pressekonferenz, die auf seine Gespräche mit dem Kronprinzen folgten, das lange explizite Festhalten der französischen Politik an Mubarak. Selbige dauerte noch an, als die US-Administration bereits ab dem 25. Januar in Kommuniqués eine transition - einen Machtübergang - in Ägypten forderte und sich bemühte, die Umbrüche auf geschmeidige Weise zu begleiten. „Die Tatsache, dass es gemeinsame Bestrebungen bei allen Völkern gibt“ - gemeint war, dass alle Bevölkerungen irgendwie die Demokratie vorziehen - darf uns nicht zu Kurz-/Fehlschlüssen verleiten.“ Und um solchen Fehlschlüssen vorzubeugen, präzisierte er: „Kein Beobachter, keine Regierung konnte vorsehen, was soeben passiert ist.“ Man müsse ferner Mubaraks „Beitrag zum Frieden“ (mit dem Staat Israel) anerkennen.  

Als eine der wenigen Mächte in der Region - neben Libyens Gaddafi-Regime - hatte Saudi-Arabien sich offen negativ zu den Umbrüchen in Tunesien und Ägypten, zur unvollendeten demokratischen Revolution dort verhalten. An jenem 12. Februar 2011 allerdings wandelte sich der Tonfall ein wenig: Die Monarchie nahm die durch den Sturz Mubaraks geschaffenen Tatsachen hin, bezog sich vordergründig positiv darauf und begrübte den „friedlichen Machtübergang“ zu einer Militärregierung - offenbar in der Hoffnung, Letztere möge nun als Garant für die gewünschte „Stabilität“ wirken. Zwei Tage zuvor hatte die Regierung in Ar-Ryad noch von einer „skandalösen Einmischung mancher Länder“ gesprochen, und damit indirekt den verbalen Druck der USA auf das Mubarak-Regime kritisiert. „Die Bindungen, die Frankreich mit Saudi-Arabien vereinen, haben sich unaufhörlich verstärkt. Auf politischer Ebene drückt sich diese Partnerschaft durch sehr enge Abstimmungen bezüglich des regionalen Kontextes aus“, erklärte François Fillon auf seiner Pressekonferenz. Gleichzeitig versuchte er, die französische Bahngesellschaft SNCF in eine Ausgangsposition für zehn Milliarden schwere Schnellbahnprojekt für die Strecke Djidda - Mekka - Medina zu bringen. 

François Fillons Vorgesetzter, Staatspräsident Nicolas Sarkozy, hatte seinerseits am 14. Januar 2008 eine Rede vor dem Konsultativrat in Saudi-Arabiens Hauptstadt Ar-Ryad gehalten. Es handelt sich um ein „Parlament”, dessen Mitglieder nicht gewählt, sondern durch das Königshaus ernannt werden. Seine Ansprache dürfte den wahhabitischen Sittenhütern ziemlich gut gefallen haben, auch wenn Sarkozy - was der saudischen Staatsdoktrin widerspricht - Christen- und Judentum auf eine Stufe mit dem Islam stellte. Aber dass er dreizehn mal allein auf der ersten Manuskriptseite seiner Rede von „Gott“ sprach, dürfte Wohlwollen erweckt haben. Und mehr noch das, was Sarkozy inhaltlich zu sagen hatte: „Gott macht den Menschen nicht unfrei, sondern befreit ihn. Gott ist der Schutz gegen den unmäßigen Stolz und die Verrücktheit der Menschen. (…) Das religiöse Gefühl ist genauso wenig wegen des Fanatismus zu verurteilen, wie das Nationalgefühl es wegen des Nationalismus ist.“ Und er fügte hinzu: „Ich habe die Pflicht, das Erbe einer langen Geschichte, einer Kultur, und, ich wage das Wort zu benutzen, einer Zivilisation zu verteidigen. Und ich kenne kein Land, dessen Erbe, dessen Kultur, dessen Zivilisation nicht religiöse Wurzeln hätten.“ Im Unterschied zu den Ideologen des saudischen Staatsislam hat Sarkozy jedoch ein taktisches Verhältnis zu Gläubig- und Frömmigkeit: Er selbst lebt nicht unbedingt nach ihren Vorschriften, schätzt sie aber als gesellschaftlichen „Ordnungsfaktor“. Vgl. dazu ausführlich: Nicolas Sarkozy Angriff auf den französischen Laizismus  

Die Rolle der USA  

Stärker noch als Frankreich sind jedoch die USA der wichtigste Partner der Monarchie, deren wirtschaftliche Elite rund 600 Milliarden Dollar jenseits des Atlantik platziert hat. Und dies seit dem „Quincy-Pakt“, welcher im Februar 1945 auf einem vor der Küste von Djidda kreuzenden US-Kriegsschiff durch Präsident Theodor Roosevelt und König ’Abdel ’Aziz Ibn Saud unterzeichnet wurde; siehe hier auch im Bild: http://fr.wikipedia.org/wiki/Fichier:FDR_on_quincy.jpg  

Dem Abkommen zufolge zählen die Stabilität Saudi-Arabiens und der gesamten Arabischen Halbinsel sowie die regionale Führungsrolle des Königreichs zu den vitalen (lebenswichtigen) Interessender USA. Infolge des Anwachsens einer inneren islamistischen Opposition, die den eigenen fundamentalistischen Anspruch des Regimes für bare Münze nimmt, aber mitunter gegen die „Abweichungen“ des herrschenden Regimes kehrt und seine konsequente buchstabengetreue Erfüllung einfordert, hat sich das Verhältnis seit dem 11. September 2001 allerdings zeitweilig getrübt. Vor diesem Hintergrund schlossen die USA im Dezember 2002 das „Verteidigungs“-Abkommen mit Qatar, infolge dessen vor der Attacke auf den Iraq ein Grobteil der in der Region stationierten US-Truppen dorthin verlagert wurden. Nichtsdestotrotz sind die USA bislang nie ernsthaft von einer Unterstützung für das Königshaus, obwohl eines der übelsten Regime auf dem Planeten, abgewichen. Im März dieses Jahres sprach die US-Administration allerdings die verbale - und folgenlose - Warnung aus, das Demonstrationsrecht müsse auch in Saudi-Arabien gewährleistet bleiben. 

Bemerkenswert sind dabei die Ergebnisse einer jüngsten Umfrage des Instituts „Zogby International“ für die Arab American Institute Foundation, über das Ansehen der USA in der Region; vgl. http://aai.3cdn.net -  Demnach geniebt derzeit die US-Politik in allen untersuchten arabischen Ländern mit Abstand die höchste Popularität unter den Untertanen Saudi-Arabiens. Sofern man den Resultaten der Befragung Glauben schenken kann, waren die USA in den Jahren 2008 und vor allem 2009 - nachdem ihr Ansehen durch den Amtswechsel von George W. Bush zu Barack Obama steil nach oben gegangen - in Marokko oder in Ägypten wesentlich beliebter als in Saudi-Arabien. Doch heute hat sich das Verhältnis umgekehrt. Zwar ist die Beliebtheit der US-Administration Obamas überall gesunken, meist ohne jedoch den Tiefststand wie während Bush-Ära zu erreichen. In Marokko sanken die positiven Werte des US-Präsidenten auf spektakuläre Weise von 55 auf 12 Prozent. Hingegen gingen sie in Saudi-Arabien nur leicht zurück, von 41 Prozent von vor zwei Jahren auf jetzt noch 30 Prozent. 

Ursächlich dafür ist, dass die verschiedenen arabischsprachigen Bevölkerungen unterschiedliche Erwartungen an den neuen US-Präsidenten stellten, die auf ungleiche Weise enttäuscht worden sind. In der Mehrzahl der arabischsprachigen Länder wollten die meisten Befragten vom „farbigen“ US-Staatsoberhaupt eine Verringerung des Abstands zwischen Nord und Süd, eine „gerechte Lösung des Palästinaproblems“ oder „eine Beendigung des Krieges im Irak“. Heute wird ihm insbesondere vorgeworfen, dass es keinerlei Fortschritte im Nahen Osten hin zu Fortschritten für die entrechteten Palästinenser gebe. Die Mehrheit der Saudis hingegen interessiert diese Thematik nicht, identifizieren sie die Palästinenser doch nicht - wie die Mehrheit der arabischen Bevölkerungen - als Opfer eines Siedlungskolonialismus in den besetzten Gebieten, sondern als arme Schlucker, mit denen man nur ja nicht auf eine Stufe gestellt werden möchte. Nur 14 Prozent der Untertanen Saudi-Arabiens wünschten sich bisher von Obama Fortschritte zugunsten der unterdrückten Palästinenser, neben 73 Prozent der ägyptischen oder 58 Prozent der marokkanischen Befragten. Unter den Saudis, die an der Umfrage teilnahmen, dominiert ein anderer Topos: Rückhalt für die arabischen Golfmächte gegen die Regionalmachtbestrebungen des Iran.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.