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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998


Editorial

Statt buntlackierter Mailboxgruften
Vernetzung wird gemacht - es geht voran!

Früher - als wir noch Recht hatten - wollten wir Geschichte machen, damit es voran geht. Doch alsbald bemerkten wir, daß wir aus unseren Nischen nicht herauskamen. So beschlossen wir festzustellen, daß uns das Proletariat als historisches Sujekt abhanden gekommen ist.

Mit diesem Verlust hatten wir auch die Fähigkeit verloren, schlüssig zu formulieren, was denn die Inhalte einer emanzipatorischen Politik so sein könnten. Die konkreten Utopien wurden allweil durch griffige Verkürzungen à la "Anti-Das und Anti-Das..." abgelöst. Das hatte fatalerweise auch zur Folge, daß wir uns gegenseitig des Verrats an der Sache zu bezichtigen begannen. Auf die freigewordene Stelle der fünften Kolonne der Bourgeosie in den Reihen des Proletariats wurden u.a. Öko- und Esofaschisten berufen. Ein besonderes deutsches Prüfverfahren zum Durchschecken von politischer Korrektheit wurde installiert. Als mittelschwere Sanktionen werden seitdem Auftritts- und Redeverbot in den Nischen verhängt.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen des Internets erscheinen solche Methoden wahrlich als pupsie und denunzieren gleichzeitig die Herkunft solcher Methoden als aus der politischen Kultur des letzten Jahrhundert stammend.

Nun ist aber nicht zu übersehen, daß ein Teil der linken&radikalen Kräfte beginnt, sich im Internet zu betätigen, nachdem ihr Mailboxverbund CL-Netz seinen Zenit überschritten hat. Natürlich hat das CL-Netz als Quasi-Intranet noch eine hervorragende Bedeutung für die kostengünstige interne Nachrichtenübermittlung und für interne Diskussionen. Doch die mailboxtypischen Beschränkungen des CL-Netzes , die für die oben beschriebene deutsche Politkorrektheit den passenden technischen Rahmen abgeben, sind für das WWW-Internet ungeeignet. Dort wo bisher eine konzeptionelle Übertragung aufs Internet versucht wurde, entstanden lediglich buntlackierte Mailboxgruften.

Das Partisan.net geht einen gänzlich anderen Weg. Wir setzen auf Selbstorganisation der UserInnen. Und dort wo, das technische Knowhow dafür fehlt, werden wir es durch selbstorganisierte Fort- und Weiterbildung herstellen.

No money, no honey. Honig werden wir nur saugen, wenn es für dieses Selbstorganisationskonzept auch eine finanzielle Absicherung gibt. An der wird zur Zeit gebastelt. Wie sie aussehen wird, daß werden wir alsbald in schonungloser Offenheit darlegen.

Wegen dieser Absichten haben Leute aus dem obigen Spektrum wieder ihre politkorrekten Bauchschmerzen bekommen, und sind der Frage nachgegangen: "Ist das Partisan.net jetzt ein Kapitalist?"

Wir vom trend anworten darauf wie das bekannte Radio Eriwan: "Im Prinzip ja. Aber das Studium der Blauen Bände läßt auch einen anderen Schluß zu. Deshalb empfehlen wir die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen. Und Tatsache ist: Es gibt libertäre, rätekommunistische, marxistisch-leninistische, hausbesetzende, hedonistische, anarchistische, autonome, sozialdemokratische, ökologisch-linke, trotzkistische, situationistische und sogar ganz liebe PartisanInnen.(*)"

Und. By the way. Diese Leute treffen sich nicht nur regelmäßig im Internet, sondern vor allem jenseits davon zur monatlichen PartisanInnen-Runde, wo sie tolle Dinge aushecken. So z.B. mediale Unterstützung für FeLS oder die Fuckparade, die erste offizielle Ruckpage oder die Verbreitung der Hyperlinks des ID-Archivs. Kurzum: Vernetzung wird gemacht - es geht voran.

Es grüßt kofferpackend für den Sommerurlaub

Karl Müller
(Red. Trend)

*) Alles nachzulesen in den Projekten und Archiven des PARTISAN.net.

 

 


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Nr.7-8/1998