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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998

Über den Soziologen  Werner Hofmann

Wiederentdeckung eines Grenzgängers

von Georg Fülberth

Intelligentere Studierende wissen es: die Volkswirtschaftslehre ist nur erträglich durch die Opposition gegen sie. So entstand einst nicht nur der Marxismus, sondern auch der Keynesianismus. Wer das betreibt, geht allerdings das Risiko ein, in den akademischen Institutionen entweder gar nicht erst lehren zu dürfen oder dort eine eher randständige Existenz zu führen oder nur gegen tausend Widerstände ein eigenes Profil durchsetzen zu können, das dann allerdings so stark von den Spuren der überstandenen Kämpfe gezeichnet ist, daß spätere Generationen Vieles nicht mehr recht verstehen. Hier sind Wiederentdeckungen sinnvoll und nötig.

Ein Beispiel ist der Soziologe Werner Hofmann, der 1922 geboren wurde und bereits 1969, also mit 47 Jahren, starb.

Soziologe? Da fängt das Problem schon an. Es handelt sich um einen Nationalökonomen, der in seinem Fach keine Chance hatte und seine akademische Wirkung deshalb erst entfalten konnte, nachdem er in die Soziologie übergewechselt war. In den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik hatte dieses Fach neben der Politikwissenschaft unter anderem die Funktion, andere Disziplinen, die erstarrt oder noch vom Faschismus verunstaltet waren, gleichsam zu entsorgen und kritische Inhalte aufzunehnem, die dort nicht geduldet wurden. (Heute, nachdem sie „professionalisiert", das heißt sterilisiert worden sind, wird vielleicht für sie selbst eine solche Kur nötig.)

Hofmann hatte vor 1945 nicht studieren können, da er als „Halbjude" galt. Er mußte stattdessen bei der faschistischen „Organisation Todt" Zwangsarbeit verrichten.

1948 ging er nach Leipzig, konnte dort aber weder beruflich noch wissenschaftlich Fuß fassen und kehrte 1951 in die Bundesrepublik zurück.

1953 promovierte er in München über das Thema „Die volkswirtschaftliche Gesamtrechung" und verbrachte die nächsten Jahre als Privatassistent - sprich: Kofferträger - eines Großordinarius. 1958 wurde er in Wilhelmshaven, wo es damals eine gewerkschaftsnahe, heute längst aufgelöst Wirtschaftshochschule gab, mit seinem ersten Standardwerk habilitiert: „Die Arbeitsverfassung der Sowjetunion". 1962 erschien das nächste: „Ideengeschichte der sozialen Bewegung" - ein Buch, das seitdem immer neu aufgelegt worden ist. Zwei Jahre später wurde er außerplanmäßiger Professor in Göttingen.

Von 1964 bis 1966 publizierte Werner Hofmann seine drei Bände „Sozialökonomische Studientexte", die bis heute ein Grundlagenwerk geblieben sind. Aus einem Beitrag zur Festschrift anläßlich des 80.Geburtstags von Georg Lukács 1965 ging die Broschüre „Was ist Stalinismus?" hervor, die seitdem ein merkwürdiges Schicksal hatte. Sie beginnt mit folgender Definition: „Unter Stalinismus soll zunächst verstanden werden eine exzessiv machtorientierte Ordnung der Innen- und Außenbeziehungen einer Gesellschaft des erklärten Übergangs zum Sozialismus". Danach wird diese Formel erweitert: als Stalinismus solle darüber hinaus „jener Exzeß der Macht verstanden werden, der nicht in den Aufgaben einer ´Erziehungsdiktatur´ gründete, der nicht objektiv ´notwendig´ war. Der Stalinismus resümiert sich in der Entscheidung aller Fragen unter dem Gesichtspunkt der Macht, der Durchsetzbarkeit des Gewollten. Stalinismus ist ein spezifischer Opportunismus der Macht, auf der allgemeinen Grundlage einer proletarischen Gesellschaft." Diese Definition ist nicht erschöpfend, aber sie eignet sich gut als Folie, auf der alle Versuche, konsequent sozialistische, aber nichtstalinistische Politik ebenfalls als „stalinistisch" zu denunzieren, schlecht aussehen. Deshalb wird sie von allerlei Gestalten, die keinen klaren Stalinismus-Begriff gebrauchen können, immer wieder systematisch „vergessen". Aber zum Glück gibt es halt auch Leute, die sie danach neu entdecken.

1966 wurde Werner Hofmann Ordinarius für Soziologie in Marburg. Sofort gab er die politische Zurückhaltung auf, die er sich in seiner gedrückten beruflichen Stellung vorher auferlegt hatte. Er wurde in der Bewegung gegen die Notstandsgesetze führend aktiv, gründete den auch heute noch recht vitalen „Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" und kandidierte für das „Aktionsbündnis Demokratischer Fortschritt" (ADF, dies war eine Art Volksfrontliste) 1969 zum Bundestag, dies allerdings ohne Erfolg.

Derlei Aktivitäten hätten natürlich vollauf gereicht, um ihn nach seinem frühen Tod rasch zu vergessen. Drei Gründe haben dies bisher verhindert:

-Erstens der hohe Gebrauchswert seiner Bücher, gerade auch für Studierende

- Zweitens seine Stalinismus-Formel, die im einschlägigen Handgemenge letztlich nicht unterzukriegen ist.

-Drittens gibt es eben immer wieder Studierende der Volkswirtschaftslehre und der Gesellschaftswissenschaften, die Auswege aus der Tristesse ihrer Fächer suchen und dabei dann eben auf Werner Hofmann stoßen. Nachdem ihre Herren Professoren 1997 seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag verschlafen haben, hat eine neugegründete „Forschungsgruppe Politische Ökonomie" in Marburg am 30. Januar 1998 eine Tagung mit dem Titel „Werner Hofmann - Gesellschaftslehre in praktischer Absicht" veranstaltet, in der die vielfältigen Aspekte seines Werkes gewürdigt wurden. Sie kann Ausgangspunkt einer Wiederentdeckung einer wichtigen intellektuellen Figur der deutschen Nachkriegslinken werden.

aus: junge Welt Nr. 27, 2. Februar 1998, S. 12.


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