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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998
 

Kriegsgeschrei
Im Kosovo verteidigen die NATO-Staaten ihre Interessen, nicht die Menschenrechte

Waehrend die Diplomaten verhandeln, bereiten die Militaers im Kosovo den   Krieg vor. Die Weichen sind gestellt, die einzig umstrittene Frage ist, ob die NATO nur mit, oder auch ohne UN-Mandat losschlagen darf -- d.h. auch dann, wenn der Westen mit Russland darueber keine Einigkeit erzielt. Beim gegenwaertigen Stand wuerde Russland im UNO-Sicherheitsrat sein Veto gegen eine NATO-Intervention einlegen.

Die Bedeutung des Streits liegt nicht nur darin, ob eine "neue
Weltordnung" mit oder gegen Russland gebaut wird. "Rest-Jugoslawien" ist
UN-Mitglied. Die Provinz Kosovo ist nach voelkerrechtlichen Massstaeben  Teil seines Territoriums, das wird von keiner Regierung bestritten, nicht einmal von der albanischen. Jede fremde Armee, die dort auftritt, kann sich nicht, wie z.B. im  Konflikt zwischen Serbien und Kroatien, auf eine Schiedsrichterrolle der   "Voelkergemeinschaft" zurueckziehen, sondern ist kriegfuehrende Partei.

Wenn die NATO militaerische Einsaetze gegen serbische
"Saeuberungsmassnahmen" im Kosovo fliegt, erklaert sie Serbien den Krieg. Zum erstenmal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gaebe es auf dem Balkan  wieder einen imperialistischen Krieg, und Deutschland waere erneut dabei.

Diesmal sind auch die Gruenen auf dem besten Weg, sich ihren "4.August
1914" zu schaffen. Damals hatte die SPD die deutschen Kriegskredite zum
Ersten Weltkrieg gebilligt. Noch sind die Gruenen gespalten, aber das
Wahlkampfgeschrei der alteingesessenen Parteien schaukelt schon jetzt und  aus durchsichtigen Gruenden das Ja zur NATO-Intervention zur Testfrage  fuer ihre Regierungsfaehigkeit hoch.

Der ueberwiegende Teil der Presse ist kriegstreiberisch, und natuerlich  wird ein NATO-Einsatz ausschliesslich mit "humanitaeren Motiven" begruendet (250 Tote und Zehntausende Fluechtlinge seit Anfang des Jahres).

Tatsaechlich geht es den NATO-Staaten ueberhaupt nicht darum, in erster
Linie Menschen in Not zu helfen. Waere es so, stuende die NATO schon seit Jahren in Kurdistan bereit, um die tuerkische Regierung an ihrem Gemetzel zu hindern, das um ein Vielfaches blutiger ist, als die serbischen
Repressalien im Kosovo. Dann wuerden albanische Fluechtlinge hier
aufgenommen, statt abgeschoben zu werden.

Aber Innenminister Kanther hat sogar eine Aussetzung der laufenden
Abschiebungen abgelehnt, mit der Begruendung, nicht ueberall im Kosovo
herrsche Krieg!

Die NATO-Laender wissen, dass eine Kriegserklaerung an Serbien dessen Bevoelkerung in die Arme des Ultranationalisten und Rechtsextremisten  Vojislav Seselj treiben wuerde, und dass die Operation unvorhersehbare Folgen fuer Makedonien und Bosnien und den gesamten Balkan haette.
Trotzdem blaest man hier zum Kampf. Warum? Was macht die Provinz Kosovo fuer die NATO-Staaten so wichtig?

Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es auf diese Frage zwei Antworten:

1. Der Balkan ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Zone geworden, durch die kuenftig zentrale Verkehrsadern aus Zentralasien nach Europa fuehren sollen.

Le Monde Diplomatique (Juni 1998, franz.Ausgabe) hat Plaene der  Europaeischen Union veroeffentlicht, die von den USA unterstuetzt werden,  solche Verkehrsadern unter Umgehung Russlands und des Iran zu bauen und durch die GUS-Republiken zu fuehren, die sich selbstaendig gemacht haben.  Es handelt sich um Autobahnen, Eisenbahnen, Oelpipelines und  Flugkorridore, die die natuerlichen Reichtuemer aus Innerasien, dem Kaspischen Meer und dem Nordmeer nach Europa schaffen sollen. Neben dem Aspekt der wirtschaftlichen Ausbeutung liegen den Plaenen auch  geopolitische Absichten zugrunde: Die neuen, unabhaengigen Republiken, die  vielfach von ethnischen Kaempfen erschuettert sind, sollen auf diese Weise  eng an den Westen gebunden werden. Die Stellung der Tuerkei wird  aufgewertet, weil sie ein zentrales Durchgangsland bildet. Das erklaert, warum die NATO Voelkermord in Kurdistan zulaesst, eine   Destabilisierung im Kosovo jedoch mit einer Kriegserklaerung beantworten will. Eine solche muss um jeden Preis verhindert werden, weil sie die eigenen Plaene stoert.
Die "Stabilisierungspolitik" des Westens verfolgt nicht das Ziel, diktatorische Regime zu ersetzen, solange sie berechenbar sind und mit dem  Westen zusammenarbeiten. Die jugoslawische Regierung hat den Fehler begangen, dass sie dem Draengen  der Seselj-Partei nach einer forcierten ethnischen Saeuberungspolitik nun   auch im Kosovo nachgegeben hat; eine Serbisierung oder eine ethnische  Teilung des Kosovo aber haette sofort Rueckwirkungen auf den Status von  Minderheiten auch in anderen Republiken.

2. Die Europaeische Union, besonders Deutschland, will keine Fluechtlinge.

Das ist ein zentrales Argument, das besonders von Aussenminister Kinkel
immer wiederholt wird. Das bedeutet: Kriege werden heutzutage nicht mehr nur um Rohstoffe oder um  die Kontrolle wichtiger Verkehrslinien und Einflusszonen gefuehrt, sondern auch um die Kontrolle und Eindaemmung von Wanderungsbewegungen. Das ist neu und gibt der durch das Schengener Abkommen geschaffenen "Festung  Europa" einen ausdruecklich militaerischen Gehalt. Eine Position, die heute kompromisslos gegen jede militaerische Intervention argumentiert, setzt sich vordergruendig dem Verdacht aus, serbische Aggressionspolitik zu dulden. Aber nur vordergruendig. Denn eine solche Intervention mindert die Chancen, dass sich auf dem Balkan trotz diktatorischer und nationalistischer Regime eine multiethnische Opposition herausbildet, die nach dem Zusammenbruch der sog. Planwirtschaft eine neue gemeinsame gesellschaftspolitische Alternative formuliert. In die Zange genommen zwischen imperialistischer Militaerintervention, serbischer Aggression und albanischem Nationalismus koennen Linke dennoch etwas tun: naemlich aktiv Verbindungen zu solchen Kraeften vor Ort aufzubauen, die einen multiethnischen und solidarischen Ansatz haben.

Dieser Artikel erscheint in SoZ Nr.13 vom 25.6.98. Die "SoZ --
Sozialistische Zeitung" erscheint 14-taegig und wird herausgegeben von der
Vereinigung fuer Sozialistische Politik (VSP).
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