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Nr. 7-8/1998


Nachricht vom 23.06.98 weitergeleitet
Ursprung : /FRANKFURTER_INFO/ALLGEMEIN
Ersteller: LF90@LINK-F.Rhein-Main.de  

Kunst und Politik im Werk Felix Nussbaums

Frankfurt/Main. Eine Nachbetrachtung zu einem von der
KunstGesellschaft veranstalteten Ausstellungsbesuch der
ersten Frankfurter Nussbaum-Retrospektive (Juedisches Museum,
26.3.-14.6.98)

Bis in die 70er Jahre war das Werk des 1904 als Sohn einer
angesehenen juedischen Familie in Osnabrueck geborenen und im
Sommer 1944 mit dem letzten Transport aus Belgien nach
Auschwitz verbrachten Malers Felix Nussbaum so gut wie
verschollen. Seine Wiederentdeckung ging nicht von seinem
Heimatort aus, sondern von seinen in Israel lebenden Erben,
vor allem von seiner Cousine Auguste Moses-Nussbaum und
ihrem Mann. Nach jahrelangen Prozessen wurden ihnen ueber
hundert Bilder aus dem Nachlass Nussbaums von dem Bruesseler
Zahnarzt Dr. Grosfils ausgehaendigt, dem der Kuenstler Mitte
1942, als den Juden in Belgien durch die deutschen
Okkupanten jede Lebensmoeglichkeit entzogen worden war,
seine Bilder zur Aufbewahrung uebergeben hatte. Die Erben
ueberbrachten sie dem Kulturhistorischen Museum in
Osnabrueck, wo nun (1971) eine Einzelausstellung seiner
Werke eroeffnet wurde, die erste nach seinem Tod und
zugleich die groesste, die es je gegeben hatte.

"Widerstand statt Anpassung ... "
Nach einem Aufruf der Neuen Osnabruecker Zeitung "Wer
erinnert sich an Felix Nussbaum?" kamen endlich weit ueber
Osnabrueck hinausreichende Nachforschungen in Gang, weitere
Einzelwerke und Werkgruppen kamen zu Tage: Werke, die Felix
Nussbaum und sein Vater bis 1934 in seiner Heimatstadt
verkauft hatten; acht Bilder aus den Jahren 1942-44, die
ein belgischer Antiquitaetenhaendler aus Bruessel, bei dessen
Vater Nussbaum sich versteckt gehalten hatte, dem
Osnabruecker Museum anbot. Zu dieser Gruppe gehoert das
"Selbstbildnis mit Judenpass und Judenstern", das 1980 zum
Coverbild des Katalogs der "spektakulaeren Ausstellung"
(Einfuehrung im Nussbaum-Katalog des Juedischen Museums):
Widerstand statt Anpassung - Kunst im Widerstand gegen den
Faschismus 1933-1945 (Karlsruhe, Frankfurter Kunstverein,
Muenchen) wurde und den Durchbruch zu weltweiter Beachtung
Nussbaums brachte. Von Nussbaum selbst in Belgien verkaufte
Bilder kamen 1982 nach einer Ausstellung in Bruessel zum
Vorschein, nahezu 20 Jahre nach dem ersten Nachlass tauchten
in einer Auktion bei Christie's erst drei Werke, zwei Jahre
spaeter acht weitere Bilder auf, die aus dem Besitz des im
August 1943 in Amsterdam von den Deutschen verhafteten und
am 8. Februar 1944 vom Sammellager Westerbork nach
Auschwitz deportierten Vaters kamen. Die acht Bilder wurden
fuer 800.000 Mark versteigert, sie waren seit der ersten
Ausstellung 1971 staendig im Wert gestiegen, bei den
Hauptwerken um mehr als das 50fache.

So viel ueber Nussbaum, der selbst kaum Aufzeichnungen
hinterlassen hat, inzwischen auch bekannt geworden sein
mag, so sehr sperrt er sich bis heute nicht allein
kunsthistorischen Zuordnungen seines Werks, sondern auch
der Fixierung seiner Bildthemen auf sein Judentum wie allzu
eng gefassten Kategorien einer "Politisierung der Kunst" als
kommunistische Antwort auf die faschistische
"Aesthetisierung der Politik" (Walter Benjamin).

Verweigerung aesthetischer Entsorgung
Die bereits anlaesslich der Ausstellungen in Duisburg und
Berlin 1988, im 50. Gedenkjahr des Pogroms, von Rezensenten
fast zeitgleich mit der "Historikerdebatte" um die
Historisierung des Faschismus erhobene Forderung, Nussbaum
aus der Isolation der Zeitgeschichte und des Holocaust zu
loesen und ihn "hineinzunehmen in die Geschichte unseres
Jahrhunderts", leistet einer aesthetischen Entsorgung seines
Werks Vorschub, der Nussbaum sich verweigerte, wenn er in
einem 1983 aufgefundenen Konvolut von in seinem Auftrag
angefertigten Fotografien seiner Bilder - es sind die
meisten der Jahre 1940-44 - im Falle ihrer Zerstoerung das
in ihnen festgehaltene Grauen faschistischer Verfolgung,
Vertreibung und Vernichtung dokumentieren wollte.

"Grenzen mimetischer Kunst ..."
Bei Interpretationen des Judentums in Nussbaums Bildern wird
"nicht immer unterschieden seinem `mosaischen' Glauben und
der juedischen Kultur einerseits und der rassistischen
Definition des `Juden' durch die Nazis andererseits"
(Einfuehrung Katalog). Schon in der Berliner Zeit, in der
sein Lehrer Karl Hofer ihn foerderte und Alfred Flechtheim
ihn fuer seine beruehmte Zeitschrift "Der Querschnitt. Das
Magazin der aktuellen Ewigkeitswerte" engagierte, in der
Zeit seiner Erfolge, die ihm 1930 auch ein Stipendium in
der Villa Massimo in Rom einbrachten, grenzte er sich eher
gegen seine Rezeption als "juedischer" Maler ab. Zumindest
bis 1941 verstand er sich weniger als Jude den als
politischer Emigrant, so im "Selbstbildnis mit
Geschirrtuch" (um 1936), in dem das Tuch ja nicht nur als
Gebetsmantel gesehen werden kann, vielmehr Geschirrtuch und
Kochtopf auf seinem Haupt auch die Insignien des Antihelden
sein koennen, des dem Blick des Betrachters sich
aussetzenden Helden des nackten Ueberlebens. Erst seit den
vierziger Jahren mehren sich - in den Bildern mit
"Judenstern" - die Zeichen des Judentums und des
nazistischen Rassismus.

Spaetestens seit 1938, als er sich an der Pariser 
Ausstellung des Freien Kuenstlerbundes beteiligte,
sind seine Bilder Zeugnisse der Kunst im Widerstand gegen
die Ausweglosigkeit faschistischer Barbarei. Ihre aeusserste
Radikalisierung erfahren sie in seinem letzten Werk, dem
"Triumph des Todes". Hier stoesst Nussbaum an  Grenzen
mimetischer (nachahmender) Kunst, an der
er bis zuletzt festhielt, ihr Versagen
vor der Abbildung des Undarstellbaren.

"Museum ohne Ausgang"
Im Juli dieses Jahres soll der Erweiterungsbau des
Kulturhistorischen Museums in Osnabrueck fuer die
Nussbaumsammlung eroeffnet werden. Der Architekt Daniel
Libeskind nimmt diese Erkenntnis auf, wenn er mit seinem
Bau "para-architektonische" Verbindungen organisieren will,
"Texte und Erfahrungen, die von den Besuchern interpretiert
werden muessen". Es ist ein "Museum ohne Ausgang": Der
diagonal zum massiven Gruenderzeitbau des Kulturhistorischen
Museums verlaufende "Nussbaumgang", dessen Fluchtlinie auf
den Platz zeigt, auf dem die Osnabruecker Synagoge stand,
endet in einem spitzen Winkel, der den Besucher ueber die
"Nussbaumbruecke" in die Ausstellung zur Osnabruekker
Stadtgeschichte im alten Gebaeude fuehrt. Sie beginnt fuer den
von dieser Seite Kommenden mit dem deutschen Faschismus,
dem Felix Nussbaum bis in seinen letzten Bruesseler
Schlupfwinkel in der Rue Archimède 22 hinein nicht
entkommen ist. Auguste Moses-Nussbaum vermutet, dass ein
alter Freund, ein Wehrmachtssoldat, dem er bis zuletzt
vertraute, ihn verraten hat

Reinhard Schweicher


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