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trend onlinezeitung für die alltägliche wut
Nr. 7-8/1998


BUCHTIPS aus CONTRASTE Nr. 166/167:

DERRICK UND DIANA

Vom Todeswahn der Massenmedien
und ihren spießbürgerlichen
Rechtsauslegern


Im Konkret-Literatur-Verlag sind vor kurzem zwei
schmale Bücher erschienen, die sich mit Massen-Medien-Kultur
und deren Phänomenen und Auswüchsen beschäftigen.

»Derrick und die Dorfmusikanten« stammt vom Medienkritiker
und Vielschreiber Georg Seeßlen, der hier
zwölf Essays über Erscheinungsformen, Mythen und Kuriositäten
der deutschen Unterhaltungskultur versammelt hat. Das
Spektrum ist breit und reicht thematisch
vom »Autoaufkleber als Kommunikationssystem«, den
literarischen Werken Rosamunde Pilchers, dem
»Hörzu«-Redaktionsigel Mecki, neurechten Feuilletons wie
etwa in der »Jungen Freiheit« über die »Lindenstraße«
und »Entenhausen« (der Heimat von Donald Duck)
oder Tierfilme im Fernsehen, bis zum titelgebenden Derrick,
dem mittlerweile zum Kult gelangten (»Harry, fahr
schon mal den Wagen vor!«) TV-Oberinspektor und -Mustermann.

Seeßlens Analysen sind wie immer tiefschürfend und
originell, etwa wenn er in der »Lindenstraße« den
allwöchentlichen Untergang der Kleinbürgerklasse konstatiert
oder Mecki als typisch deutschen Archetypen der
Nachkriegszeit entlarvt. Zum Glück leidet Seeßlens Stil
diesmal nicht unter dem Wust von Schwerverständlichkeiten,
der ihn sonst leider auszeichnet und fast unerträglich macht,
so daß »Derrick und die Dorfmusikanten«
auch als genußvolle Bettlektüre rundum zu empfehlen
ist.

Seeßlen ist auch in »The Neurose of England« vertreten, dem
zweiten Band, der sich mit den (u.a. massenmedialen)
Auswüchsen nach dem Tode von Lady Diana beschäftigt. Das Buch
enthält elf Aufsätze von AutorInnen,
die unter verschiedenen - u.a. politischen, soziologischen,
psychoanalytischen, medien- und verschwörungstheoretischen -
Aspekten eine Analyse und Bewertung
des Ereignisses unternehmen. Die Texte sind abwechslungsreich
und teilweise amüsant geschrieben, so daß tatsächlich eine
»wundervolle Aufsatzsammlung« (Journal
Frankfurt) dabei herausgekommen ist.

Jörg Petersen

Georg Seeßlen: Derrick und die Dorfmusikanten. Miniaturen zur
deutschen Unterhaltungskultur. 160 Seiten,
DM 19,80, Konkret Texte 14

Rayk Wieland (Hg): The Neurose of England. Massen,
Medien, Mythen nach dem Tod von Lady Di. 152 Seiten,
DM 24,--, Konkret Literatur Verlag

Marx und Punkrock: Cultural Studies

Cultural Studies sind schwer in Mode gekommen. Das
ist zu begrüßen, hilft doch die Beschäftigung mit kulturellen
Praktiken, Medien und Repräsentation etliche blinde Flecken
bisheriger politischer und ökonomischer
Theorie und Praxis zu überwinden. Blinde Flecken gibt
es dort, wo das eigene kulturelle Leben der Linken
ausgeblendet wird und dort, wo Populärkultur - mit der
deutsche Linke ja eher Probleme haben - widerständige
Aspekte hat. Nicht zuletzt hat Kultur auch immense politische
Dimensionen, werden in ihr doch Verhältnisse dargestellt.
Obwohl heute viele von Cultural Studies, von »hybriden
Identitäten« und anderem reden, gibt es nur wenige deutsche
bzw. ins deutsche übersetzte Texte: Greifbar
sind einige Aufsätze, die aber meist schlecht zugänglich
publiziert wurden und mehrere Bücher (z.B. von bell
hooks, Stuart Hall oder den Sammelband Yo! Hermeneutics).
Dies scheint sich aber derzeit zu bessern, da die
Verlage auf die Diskussion reagieren und vermehrt Bücher zum
Thema erscheinen.


Global Kolorit ist ein Sammelband zu Multikulturalismus und
Populärkultur. In ihm werden kolonialistische,
exotisierende und rassistische Sichtweisen thematisiert,
indem z.B. über das »deutsche« Bild von Griechenland,
MigrantInnenkino, die mediale Bewältigung des deutschen
Kolonialismus oder Modemagazine und ihre Bilder geschrieben
wird. Natürlich darf ein Beitrag zu türkischem HipHop nicht
fehlen und auch der Kino-Blockbuster Independence Day wird
unter dem Gesichtspunkt,
wie in ihm verschiedene Ethnien dargestellt werden, kritisch
unter die Lupe genommen. Alles in allem ist der
Band eine Ansammlung netter Beiträge, deren einigendes
analytisches (oder auch politisches) Band ich nicht
zu erkennen vermochte. Dies scheint überhaupt das Problem bei
Cultural Studies zu sein: der Unterschied zwischen einer
kritischen Analyse der kulturellen Darstellung, Artikulation
und vor allem Subversion sexistischer
oder kapitalistischer Herrschaftsstrukturen und dem
kritiklosen »interessant-finden« von allem möglichen ist
sehr fließend.


Diese Hinwendung zur wissenschaftlichen Begleitung
des Konsums in den Cultural Studies und der damit
einhergehenden Verluste beschreibt auch Dominik Bloedner. Er
ist Redakteur bei der Internationalismuszeitschrift blätter
des Iz3W und vertreibt seine Magisterarbeit Cultural Studies
- Vom Klassenkampf zur postmodernen Politik des Genusses. In
ihr zeichnet er die Entstehung von Cultural Studies in
Großbritannien als aus
der Neuen Linken der beginnenden britischen
Wohlfahrtsgesellschaft kommende Theorieschule nach. Er
erklärt kurz die Einflüsse französischer Theorie und des
Hegemoniebegriffes des italienischen Marxisten Antonio
Gramsci auf das, wie Bloedner es nennt »Projekt« der Cultural
Studies. Zum Schluß diskutiert er das Verhältnis
von Cultural Studies und postmoderner Theorie: Die
Postmoderne führe zu einer Kritik der auch in Cultural
Studies verwendeten Identitätsannahmen und
Wesenszuschreibungen (»Menschen sind so und so«).
Zusammengefaßt sieht Bloedner innerhalb Cultural Studies
einen
Übergang von der marxistischen inspirierten Beschäftigung mit
Ideologie in den 60er Jahren, über die mit kultureller
Hegemonie in den 70ern zur jetzigen des (widerständigen)
Genusses als zentralem Bezugspunkt in Cultural Studies. Sein
Text ist eine gute Arbeit vor allem über
die britischen Cultural Studies, die Entwicklung in anderen
Ländern kommt kaum vor. Er ist vom Anspruch und
Umfang etwas mehr als eine Einführung in Cultural Studies,
und trotz seines akademischen Entstehungshintergrundes ist in
ihm vieles gut und verständlich erklärt und
nacherzählt.


Zwei Neuerscheinungen sind desweiteren angekündigt: Für
Oktober beim Verlag zu Klampen (Lüneberg)
Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung (ca.
330 S., ca. 38 DM). Laut Verlagsprospekt will der Band vor
allem »eine historische und inhaltliche Einführung geben« und
besteht aus Übersetzungen von Texten englischsprachiger
Männer. Im November erscheint dann
bei Argument der dritte Band der ausgewählten Schriften
von Stuart Hall, dem Mitbegründer der britischen Cultural
Studies und des legendären Centre for Contemporary Cultural
Studies (CCCS) in Birmingham (240 S., ca.
34,80 DM).


Der Vollständigkeit wegen sei noch auf das Buch British
Cultural Studies von Jürgen Kramer hingewiesen,
das zum annehmbaren Preis von 28 DM eine etwas biedere
Einführung in britische Kultur(wissenschaft) gibt und
auch die Disziplingeschichte - an deutschen Universitäten
entstanden die British Cultural Studies aus der Landeskunde
und der Anglistik - deutlich macht.

Bernd Hüttner

Ruth Mayer/Mark Terkessidis (Hg.): Global Kolorit.
Multikulturalismus und Populärkultur.
Hannibal Verlag
St. Andrä/Österreich 1998, 332 S., 35 DM (ISBN
3-85445-152-0)

D. Bloedner: Cultural Studies, 110 S. A 4, 18 DM. Bezug
über Iz3W Freiburg, Postfach 5328, D-79020 Freiburg,
fax 0761-709 866.

 

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