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GELSENKIRCHEN, 10. JULI 1999 

DENK" ICH AN BERLIN IN DER NACHT,
BIN ICH UM MEINEN SCHLAF GEBRACHT


von DIETMAR KESTEN

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Im abgewandelten HEINE-Wort sind die nachklingenden Assoziationen von Wandel und Aufruhr, von Rebellion und Reue, von den Schicksalsgefällen, gewaltsamer radikaler Wirren und Bürgerkrieg, Nationalsozialismus, Faschismus, moderner Antisemitismus, Befreiung vom Joch des Krieges, der widersprüchlich gespaltenen Stadt, Wiederaufbau, Mauer, deutsche Wiedevereinigung für Berlin präsent. Auch wenn die Stadt scheinbar inzwischen zwischen Pragmatik und Idylle stehend, sich zu einer neuzeitlichen Lebensmetropole entwickelt zu haben scheint, ist sie angesichts der Verwicklung im wahren Geschichtsprozess kein Nebenschauplatz der europäischen Geschichte mehr.

Die Zeiten haben sich geändert. Der deutsche Bundestag zieht um, nach Berlin. Ist damit die Anmaßung ins deutsche Denken zurückgekehrt? Unübersehbares Zeichen der wiedervereinten Nation ist die Lockerung der Bindung nach Westen, und sie scheint sich auf die ursprüngliche Ost-Orientierung in der erweiterten Europäischen Union zu besinnen.

Mit dem Jugoslawien-Krieg ist die bisher praktizierte Politik der Zurückhaltung aufgegeben worden, die bisher eine gewisse Schwäche darstellte, und das neue Deutschland wird in den nächsten Jahren stark genug sein, seine Interessen auch außerhalb Europas zu definieren.

Die Amnesie der Nation zeigt jedenfalls den Zwang der Selbstüberschätzung und der Verlauf der Krankheit kann nur eine Warnung vor dem Zeitgeist sein: Die neue deutsche Republik ändert ihre "nationale Identität" ins "nationale Interesse".

Der Austausch dieser Vokabel bezeichnet die Wende von der prinzipiellen Nabelschau zur sog. "realpolitischen Weltsicht", vom Primat der Innenzum Primat der Außenpolitik.

Und mit der Wiedervereinigung hat Deutschland seit 1989 "vitale Interessen" überall auf der Welt. Deutschland kann nicht zum Deutschland der alten Begehrlichkeiten werden, wenn es nicht die Berührungsängste mit seiner geschichtlich vorbelasteten Hauptstadt verliert.

Die "klare Luft" dieser Weltgeschichte, die jetzt von den Parteien geschnuppert wird, wirkt in gewisser Weise "volkserzieherisch"und unverklemmt ist die Projektionsfläche der alten wilhelminischen Phantasien jetzt fleißig in Gebrauch. Die Debatte um die Abtretung der Macht an das Wunsch-Ego Berlin wird unsentimental auf jene Großraumversuche übertragen, in denen der Staat zum Lebewesen, zur Person, zum Dialog mit der Stunde der Wahrheit wird. Die Liebe zur alten Reichshauptstadt gerät mehr und mehr zu einer tatsächlichen Zäsur, die in der Nachkriegsgeschiche Europas neue Akzente setzen dürfte.

Nach jahrelangem Gezerre um den Umzug vom Rhein an die Spree, nach der gescheiterten Olympiabewerbung und Vereinigungsmodifikationen entsteht dort, wo einst die Mauer den politischen Kahlschlag verdeutlichte, unter Anleitung renommierter Architekten das Selbstbildnis der neuen "Berliner Republik".

Zwischen dem Potsdamer und Alexanderplatz verändert der architektonische Stil das neue Deutschland. Es muß uns "Deutsch" prägen, es muß den deutschen Sonderweg versinnbildlichen, und es muß möglichst auch viele der ehemaligen Attribute aufweisen, es muß die gigantischen Bauwünsche befriedigen, die unverwechselbar "Berlinisch" sind.

Berlin sollte nicht "abgekupfert" sein. Ex-Kanzler KOHL, der sich nun darüber freuen darf, daß er an die Stätte seiner größten Erfolge noch einmal zurückkehren darf, in Wilmersdorf das "Leben leben will", hatte schon frühzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht "postmoderner Hauptstadtkitsch" sein sollte, weder "Beliebigkeit" oder "monströs" nein, Berlin sollte "Grunddeutsch" sein und aufgrund seiner geopolitischen Lage im märkischen Sand gebautetwas preußisches an sich haben.

1993, auf den Berliner Bauwochen, wurde der neue Stil aus der Taufe gehoben und als Programm formuliert. Gefordert wurde eine Architektur, die sachlich in der Materialwahl sein mußte, steinern, hart; in Anlehnung an SCHINKEL jedoch auch modernistische Züge des preußischen Klassizismus enthalten sollte. Die kaum glaubliche Überdimensionierung mit der kompletten Restauration bzw. Umgestaltung des Reichstages gerät in die unfreiwillige Komik; denn diese groteske Übersteigerung hat ja nicht nur einen massenpsychologischen, sondern auch einen geschichtlich-ideologischen Hintergrund: HITLER forderte einst von seinem Baumeister SPEER eine Berliner-Architektur, die "der kritischen Prüfung von Jahrtausenden standzuhalten" habe, und die "unvergänglichen Bauwerke" der neuen Reichshauptstadt.

Die äußere Veränderung eines Weltbildes, die "Ruinenwert-Theorie" ist auf einmal urplötzlich zum "Jahrhundertwerk" geworden, und die "Ankunft der Wirklichkeit" (SCHRÖDER) stellt mit Abstand das ambitionierteste "Realprojket" des auslaufenden Jarhunderts dar. Der Umzug wird zum Umbruch; die Entwürfe und Anlagen gaukeln eine bessere Lebensqualität vor, eine Bewußtmachung der Vernetzung aller Individuen in der großen Neuzeitlichkeit.

Mit solchen weltanschaulichen Überfrachtungen kann jegliche Maskierung fallen die technokratische Avantgarde verschmilzt mit dem nationalen Traditionalismus.

Wer diese These in den gigantischen Triumph-Bauten verwirklicht sehen mag, liegt gar nicht so falsch. Daß es sich hier um keinen antagonistischen Widerspruch handelt, demonstriert das lückenlose Organisationsschema, an dem seit der Wiedervereinigung permanent gestrickt wurde, und die Planungen im Geiste der nüchternsten Zweckmäßigkeit.

Dieses Berlin wird zur Stadt der Betonköpfe und der Baublöcke, der einheitlichen Traufhöhen und der steinernen Fassaden.

Das Bekenntnis zu Berlin gerät vor diesem Hintergrund zum Versuch, die schrecklichsten Kapitel deutscher Geschichte wieder auferstehen zu lassen; deswegen, weil man der Geschichte zu entkommen gedachte, sie definitiv "entsorgen" wollte, sich aber von Jahr zu Jahr tiefer und tiefer in die Absurditäten der Vergangenheit und des Vergessens verstrickte.

Die baulichen Konturen der "Berliner Republik" haben einen weiten Reflexionsraum eröffnet, in dem sich heute die Auffassung niederschlagen muß, daß sie nur die reflexive Fortsetzung des "Deutschland in der Mitte" sein kann.

Unwillkürlich bezeichnete der Direktor des Deutschen ArchitektenmuseumsHEINRICH KLOTZ diese Blutleere und Einfallslosigkeit als in einer "gewissen Nähe zur Architektur von ALBERT SPEER stehend" und ist es wirklich so abwegig, zu sagen, daß eine neue wilhelminische Politik in Stein gemeißelt wird? Gleichwohl verschwindet dieser geräumige Hinterhof der Gegenwart nicht aus der Vergangenheit. SPEER bemerkte eimal rückwirkend: "Es ist eine einmalige, kaum wiederholbare Situation in der Geschichte, daß der Chef eines Staates, Siegesbauwerke entwerfen und ihren Inhalt im einzelnen festlegen läßt, die erst durch die noch zu erringenden Siege ihrer Bestimmung hätten zugeführt werden müssen." (vgl. ALBERT SPEER: Erinnerungen). Peinlicherweise ist mit der Umgestaltung Berlins und der Jugoslawien-Attacke der "noch zu erringende Sieg" scheinbar eingelöst: Es wird so gebaut, daß auch noch in ferner Zukunft übrig bleibende Architektur-Reste Grandeur ausstrahlenund damit wird die neue Bundeshauptstadt zur Gigantomanie der UmgestaltungsEntwürfe der wiederbelebten Erinnerung. Das politisch-kulturelle Gedächtnis der Bundesparlamentarier, daß sich in diesen Architektur-Träumen niederschlägt, gehört mit zu den Modernisierungstheorien, die zwangsläufig im Mythos der gesellschaftlichen Homogenität unter einem Dach erstarren: Im Bezugsereignis der Geschichte wiederholt sich symbolhaft der traumatische Abschnitt, die Wiederkehr des Verdrängten.

Dieses wahrhaft europäische Kultur-Zentrum, daß in der Zwischenzeit mit einer bedeutsamen Machtfülle ausgestattet ist, entwickelt sich zum ideologischpropagandistischen Instrument für die letzten Sehnsüchte.

Die Neubildung der neuen politischen Hauptstadt geht einher mit dem Verständnis von Nation. Weil Deutschland mit einer eigenartigen Zwieschlächtigkeit von Vergangenheitsbewältigung und unhistorischem Diskurs darüber schwanger geht, verwundert es nicht, daß die vitalen deutschen Interessen sich in einer Armee niederschlagen, die im Begriff dazu ist, eine geopolitische Ideologie zu entwickeln . Seit den Balkan-Kriegen und dem Kölner G-8 Treffen stellen sich "Schuldenerlaß", "Öffnung der Märkte" und "Liberalisierung des Welthandels" in einem anderen Licht dar.

Es geht um die Schaffung der ökonomischen Grundlagen für eine künftige Weltpolitik.

Deutschland im Kern von Europa liegend kann mit Hilfe des handelsstrategisch wichtigen Berlin seine künftige "Zusammenarbeit von Wirtschaft und Staat" in die Waagschale werfen, und mit Hilfe der deutschen Konzernlenker sind vermutlich Megaaufträge zu erwarten, die allesamt in das Ziel einmünden dürften, in der "strategischen Allianz" der Vorreiter zu sein.

Es sind also gewisse Infrastrukturprojekte, die mit Steuermitteln und Staatsanleihen finanziert werden, die diesen "Handelskrieg" der Nation aus der BonnerProvinzecke herausholen, und ihn in die Dimension der Geo-Ökonomie einfügen.

Damit dürften nur rein äußerlich katastrophische Brüche verdeckt bleiben, die sich mit der Obsession "Wirtschaftspolitik" gefährlich zu verändern beginnen; aber es geht um den Weltmarkt, nicht um Kleinkleckersdorf.

Nation ist immer Hegemonie von einer herausragenden Stelle aus.

Alle wirtschaftlichen Zahlen der Europäischen Union zeigen, daß Deutschland ungefähr ein Drittel des Gesamtgewichts ausfüllt, und gemessen an seinem Vorstoß der raschen Osterweiterung setzt jene radikale Veränderung ein, die die Heuchler besser entlarven als die Reaktionen beim Fall der Berliner Mauer: Berlin ist der zuverlässige Garant für den deutschen Machtanspruch.

Das Terrain ist frei. Berlin als ökonomisch und politisch wachsende Metropole verbindet alle europäischen Positionen von einem Zentrum aus. Womöglich ist es kein Zufall, daß in Wolfsburg 1993 eine Freundschaft geschlossen wurde, die jegliches Geschwätz, daß es keine Allianz zwischen Ökonomie und Politik gibt, ad absurdum führt. Der politische Konzernlenker FERNDINAND PIECH (VW) kam unter Mitwirkung des jetzigen Bundeskanzlers, GERHARD SCHRÖDER, an die Spitze des Konzerns; jener PIECH, der die zentrale Monopol-Branche bevorzugt, und der als deutscher Augure die EU-Altautorichtlinie zu Fall brachte, aber auch das notwendige Gleichgewicht zwischen Berlin und Moskau einfordert.

Ein solcher "defensiver Puffer" dürfte kaum anderswo ein mehr an "Handlungsfreiheit und Spielraum" bedeuten.

Was bisher Deutschland fehlte, ist jetzt Fakt geworden: Das Insigne Kultursprache als nützliche Wirtschaftssprache wiederzuentdecken "Deutsch für die Welt"; es kann zu jederzeit mit Paris, London, Moskau, New York oder Tokio konkurrieren. Das ist deutsche Thronbesteigung, vermittelbar, pulsierend, Leitbild, volkstümlich, perspektivische Ausrichtung, zeitgenössische Verschalung, äußerlich angemessene Animierung, erotisch und exotisch, für "die Ewigkeit" festgeschrieben. SPD-THIERSE ist überwältigt, Ex-Bundespräsident HERZOG nennt es "die Verzahnung", überall ist die Partei-Obrigkeit des Lobes voll, die Literatur, die Medien. Selbst jene Historiker, die einen großen Namen haben, etwa: HEINRICH AUGUST WINKLER, äußern sich dahingend, "daß von Berlin keinerlei Gefahr mehr ausgehe" (ARTE-Interview, Sommer 1999).

Vielleicht sind sie am Ende alle ratlos, und wundern sich über ihr Unvermögen den "Zivilisationsbruch" einzugestehen!

Berlin ist Komplize der Kontinuität, oder besser, steht in der Kontinuität mit den Analogien des Todes; und es ist auch eine Schimäre -deutsche Politik mit dem Hang zur Großmannssucht; Knobelbecher-Architektur.

Darum ist es in erheblichem Maße borniert, wenn das Gefühl des Zuspätkommens damit abgetan wird, daß sich doch eine "Realpolitik" herausgekehrt habe, die die Wiederholung der Geschichte unmöglich mache. Es mag auch sein, daß noch nicht Soldaten das Stadtbild bestimmen, sondern Schwule, Lesben und zur Zeit wieder die TechnoJünger, die tatsächlich nichts anderes als die "Vermüllung des bürgerlichen Subjekts" (R. KURZ: Die Welt als Wille und Design) sind, aber Trugschlüsse waren indes immer schon gefährlich. Nicht nur deshalb, weil man sich dadurch in Sicherheit wiegte, sondern auch deshalb, weil sie alle inhärenten Risiken und Erkenntnisschranken absorbierten.

Künftig wird ein deutscher Kanzler aus Berlin kommen.Daß dieser Traditionalismus kein Retortengeschöpf ist, zeigt der Blick in die Geschichte: 1878 erlebte es auf dem "Berliner Kongreß" BISMARCK auf dem Höhepunkt seiner Macht.

Und Berlin spielte damals den Hauptschiedsrichter von Europa; 1914 erlebte die Hauptstadt die Modernisierung zum Kriege hin, und die leidvolle Geschichte der Weimarer Republik endete 1945 im schlimmsten Chaos, daß HITLER hinterlassen hatte. Die Gestalten der deutschen Geschichte, die aus Berlin stammen, sind allesamt merkwürdige "Lichtgestalten".

Über ihnen schwebt die unheilvolle Dialektik von dunkler Phantastik und "neusachlicher Organisation". Doch nach mehr als 50 Jahren Kriegsende sind "Versöhnungsfeiern" mit einer Nachtund Nebelaktionder Trend zur autoritären Verfaßtheit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft wohl nicht mehr aufzuhalten. Der oft verspottete Kaiser WILHELM war zu seiner Zeit ein Kulturstar, ein Medienliebling, so wie HITLER, und ließ keinen Zweifel daran, was Deutschland von Berlin zu erwarten habe. Der Großteil der kommenden deutschen Zukunft hat sich eventuell 1989 ereignet. Berlin konnte sich den politischen Verhältnissen so anpassen, wie es der neue Machtstaat verlangte -und steht unzweifelhaft in der Tradition des Repräsentantenstaates von 1871.

Es sind die gleichen Argumente, die gleichen Triebkräfte, die gleichen Schauplätze und vielleicht sogar die gleichen Achsen, die sich dem neuen Großwirtschaftsraum ergeben.

Zur Wiederholung der deutschen Geschichte gehört m. E. die Katastrophe wie das Ei zum Huhn. Dazu gehört auch die seltsame Sprache der Macht, die sich hinter den plumpen Kapiteln des neuen Rätsels verbirgt.

Sie hat im Balkan-Krieg die meisten außenpolitischen Kommentare bestimmt, in den Staatswissenschaften kommt sie gerade wieder in Mode. In dieser Sprache gibt es keine Gesellschaft, keine Parteien, nur Großmächte und Achsen, nationale Interessen, Hauptstadtprestige. Dort besteht die "Politik des Großen Kabinetts" in der Kunst, sich gegenseitig zu nasführen. Dort handeln nicht Menschen, sondern Nationen, Hauptstädte, als wären es Personen. Wenn Ich, Staat und Hauptstadt zu einer seltsamen Übergröße verschmelzen, wenn die "Schicksalsgemeinschaft" sich um einen zentralen Punkt herum zusammenschließt, dann macht die Liebe zur Hauptstadt blind. Eine eigenständige deutsche Machtdemonstration ist dann nicht mehr eine schier endlose Bewältigung der Vereinigungskrise, sondern die Etablierung der Großmacht-Hauptstadt.

Ist es deshalb falsch und unsachlich, eine ideologische Überspanntheit zu kritisieren, die darauf abzielt, die innere Logik der Machtergreifung vom 30. Januar 1933 ausgerechnet jetzt mit der neuen politischen Haupadt in Verbindung zu bringen; alles nur böswillige Verleumdungen und Verschwörungstheorien? Daß das ausgerechnet Berlin war, konnte keinem Zufall in die Schuhe geschoben werden. HITLER leistete seinen Beitrag zur Schaffung eines folgenschweren antisemitischen Ideologiegebäudes mit der Gleichschaltung und Verselbständigung des gesamten Staatsapparatesdie Voraussetzungen für eine erfolgreiche Expansionspolitik. Sie stellte die Verbindung zwischen Außenund Innenpolitik her. Das trug wesentlich mit dazu bei, daß die NSDAP zu jenen Wahlerfolgen kam, die der Partei schließlich die Machtübernahme ermöglichte.

Berlin konnte das eigentlich nur als "Standort" durchsetzen. Genozid, Vernichtung und Völkermord wurden von hier aus zentral gelenkt, zentral beschlossen und somit barbarisierte Weltpolitik auf die Spitze getrieben. Merkwürdigerweise ist das geistige Klima der vergangenen Epoche mit den weitergreifenden Verpflichtungen des modernisierten Staates verknüpft; und es ist ein groteskes und niederschmetterndes Ergebnis, wenn sich plötzlich im Verlauf gewisser Ereignisse zu zeigen scheint, daß die Stereotypen dieses Nationalcharakters der Wahrheit entsprechen könnten. Berlin bleibt keine Zeit zum Abkühlen mehr. Die Gefahren und Gewitter scheinen sich zu überschlagen und alles trägt dazu bei, die Verwirrung wach zu halten.

Sollte Deutschland je wieder die gleichen Einflußzonen zu umschreiben gedenken, die den alten Kaisertraum von "Borkum bis Basra" erfassen sollte, dann gibt es in der Tat die Wiederholung der Lust an der tiefen Ewigkeit des Vergessens.  

"Deutschland erwache! schrie man auf unzähligen Kundgebungen, schrie es von Plakaten und Anzeigetafeln. Nachdem die Feste von Film und Theater zugunsten der Bauten im Dritten Reich skrupellos geplündert worden waren, trugen die Worte aus Stein ihr Teil dazu bei, dieses Erwachen zu einer Art Dämmerzustand, dem Wachtraum eines Tausendjährigen Reiches geraten zu lassen."
(DIETER BARTETZKO: Illusionen in Stein. Stimmungsarchitektur im deutschen Faschismus, Hamburg 1985).

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