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Quelle: de.soc.politik.texte
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"Verteidigung der Menschenrechte ist kein Verbrechen sondern Pflicht"
Akin Birdal legt Vorsitz des IHD nieder


von Knut Rauchfuss

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Seit Anfang Juni ist Akin Birdal einer der prominentesten politischen Gefangenen der Tuerkei. Zwei Wochen nach seiner Inhaftierung gab Birdal nun gezwungenermassen seinen Ruecktritt als Vorsitzender des tuerkischen Menschenrechtsvereines IHD bekannt. "Gedankenverbrechen" heisst der Vorwurf, dessentwegen Akin Birdal am 3. Juni diesen Jahres eine zehneinhalbmonatige Haftstrafe antreten musste. Obgleich ihm ein aerztlicher Gutachter des Gerichtes zuvor aufgrund der Folgen eines Attentates vom Vorjahr Haftunfaehigkeit attestiert hatte, beharrten die tuerkischen Behoerden darauf, den unbequemen Kritiker hinter Gitter zu bringen.

Am Tag der Inhaftierung war der kleine Platz in der Fussgaengerzone Ankaras voll. Rund 400 Menschen hatten sich vor dem "Denkmal fuer die Freiheit der Gedanken" versammelt, um von Akin Birdal Abschied zu nehmen, bevor sich die Tueren des Gefaengnisses hinter dem prominenten Menschenrechtler schliessen sollten. Auf seiner letzten Pressekonferenz als Vorsitzender des tuerkischen Menschenrechtsvereines IHD richtete sich Birdal unter freiem Himmel an die Umstehenden, ermahnte sie, sich nicht entmutigen zu lassen und rief sie dazu auf, den Kampf fuer Frieden, Demokratie und Menschenrechte fortzusetzen. "Das Gefaengnis kann Gedanken und Meinungen nicht verhindern," erklaerte Birdal in seiner Rede. Einen Strauss roter Nelken, den ihm FreundInnen des Menschenrechtsvereines zum Dank fuer seine Arbeit ueberreicht hatten, gab er Blume fuer Blume an die Umstehenden weiter. "Es sind Eure Nelken - Ich danke Euch fuer Eure Arbeit," liess er die WeggefaehrtInnen wissen. Noch ein vorerst letztes Mal klagte Akin Birdal oeffentlich die Verbrechen des tuerkischen Staates an, waehrend die Menge immer wieder jenes "Gedankenverbrechen" skandierte, das die tuerkischen Gerichte zum Anlass genommen hatten, Birdal hinter Gitter zu verbannen: "Bruederlichkeit zwischen dem kurdischen und dem tuerkischen Volk," schallten die Sprechchoere in Solidaritaet mit dem Verurteilten. "Ihr seid nicht wegen Akin Birdal hier!" rief der IHD-Vorsitzende der Menge entgegen, "Ihr seid fuer Menschenrechte, fuer den Frieden und fuer die Freiheit gekommen. Ihr seid hier wegen Ismail Besikci, wegen Esber Yagmurdeli, wegen Oral Calislar, wegen Leyla Zana, wegen Murat Bozlak, wegen Nurettin Sirin, und auch wenn Ihr nicht mit ihm einer Meinung seid, so seid Ihr doch auch wegen Tayyip Erdogan hier." Ein Bund Luftballons in den Farben des Regenbogens trug 149 Zettel mit den Namen weiterer politischer Gefangener. Als Symbol fuer Freiheit sollten die Ballons die Zettel davontragen. Doch als haette selbst hierueber die tuerkische Regierung noch die Kontrolle bewahrt, verfingen sich die Ballons nach wenigen Metern Flug in einer Telefonleitung ueber der Strasse.

Bis zuletzt war unklar, ob der IHD-Vorsitzende seine Haftstrafe tatsaechlich antreten muesse. Mehrfach vertagte die Staatsanwaltschaft die Entscheidung ueber eine gesundheitsbedingte Haftverschonung. Diese hatte Akin Birdal beantragt, da er fuer seinen infolge eines Attentats gelaehmten rechten Arm taeglich eine aufwendige Physio- und Elektrotherapie benoetigt. Wenn das Gutachten eines vom Gericht bestimmten Arztes Anhaltspunkte dafuer biete, hatte der Staatsanwalt noch am vorausgegangenen Nachmittag versichert, so wolle er Akin Birdal nicht ins Gefaengnis schicken. Als dann das Gutachten am Vorabend des 3. Juni eintraf und ausdruecklich "Haftunfaehigkeit" attestierte, schien der Optimismus im Menschenrechtsverein gross. Noch am Morgen vor der Inhaftierung wiederholte der Staatsanwalt telefonisch sein Versprechen, nicht ohne jedoch einschraenkend hinzuzufuegen, er werde sein "Moeglichstes dafuer tun, den Haftantritt zu verhindern". Formal hat die Staatsanwaltschaft ueber diese Frage eigenstaendig zu entscheiden. Der Hinweis, auf den Rahmen des Moeglichen, bedeutete jedoch einmal mehr, dass Entscheidungen wie diese in der Praxis eben nicht von der Justiz, sondern von Militaer und Politik gefaellt werden. Es bestehe "keine Gefahr fuer Leib und Leben", liess der Staatsanwalt schliesslich eine halbe Stunde nach der Pressekonferenz verlauten, Birdal muesse seine Haftstrafe antreten. Nun muss der prominente Menschenrechtler zehneinhalb Monate im Hochsicherheitsgefaengnis in Ankara zubringen. Ende Oktober vergangenen Jahres hatte ein Kassationsgericht das Urteil des Staatssicherheitsgerichtes aus Ankara bestaetigt. Nach diesem Urteil hat sich Akin Birdal nach 312 Abs. 2 des tuerkischen Strafgesetzbuches der "Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit durch Diskriminierung von Klasse, Rasse, Religion oder Meinung" schuldig gemacht.

Grundlage der Verurteilung war eine Rede, die Birdal zum 1. September 1996 in Ankara gehalten hatte. In der Rede hatte sich der Menschenrechtler an die "kurdische und die tuerkische Bevoelkerung" gerichtet und erklaert, dass ohne die Loesung der kurdischen Frage dieses Problem weiter auf alle Bereiche der Gesellschaft ausstrahlen werde. "Frieden wird nicht nur eine Loesung sein, die eine Garantie fuer das Wohlergehen der Voelker bietet, sie wird auch einen Grundstein legen, fuer die oekonomische Entwicklung und fuer demokratische Erneuerung der Tuerkei," hatte Akin Birdal anlaesslich des internationalen Antikriegstages gemahnt.

Zwischenzeitlich hatte zwar ein Berufungsgericht die Entscheidung des Staatssicherheitsgerichtes mit der Begruendung aufgehoben, dass "Aeusserungen wie 'Kurdische Bevoelkerung' die waehrend der Rede gefallen sind, nicht als explizite Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit im Sinne des Artikels 312 Absatz 2 des tuerkischen Strafgesetzbuches interpretiert werden koennen, da das Hauptthema der Rede der Frieden und die Freiheit waren". Leider hielt das Berufungsurteil jedoch nicht lange vor. Das Staatssicherheitsgericht akzeptierte die Entscheidung nicht, und vor dem Kassationsgericht wurde die Berufung wieder aufgehoben.

Mitte April wurde ein weiteres Urteil bestaetigt, diesmal vom Staatssicherheitsgericht in Adana. Dort war Birdal unter Zugrundelegung des gleichen 312 wegen angeblicher "Verbreitung separatistischer Propaganda" verurteilt worden. Anlass war eine Rede, die er 1995 zum internationalen Antikriegstag in Mersin gehalten hatte: "Seit elf Jahren tobt ein unfairer und schmutziger Krieg. Der Grund dafuer ist, dass die Rechte der Kurden nicht anerkannt werden. Doerfer in der Region wurden niedergebrannt," hatte der Menschenrechtler erklaert und "eine friedliche Loesung fuer Krieg gegen die Kurden" gefordert.

Nach den derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen wird Akin Birdal fuer beide Urteile zehneinhalb Monate in Haft zubringen muesssen. Abschliessende Urteile in weiteren Prozessen stehen jedoch noch aus. Birdal rechnet daher damit, dass seine Haftstrafe in den naechsten Monaten weiter aufgestockt wird, da mehr als 20 weitere Verfahren gegen ihn anhaengig sind.

In einem weiteren Fall wurde Akin Birdal zunaechst zu zwei Monaten Haft auf Bewaehrung wegen eines IHD-Plakats mit dem Titel: "Findet die 'Verschwundenen'" verurteilt. Im April 1998 stand er vor Gericht, weil er mit einer Rede, die er im April 1997 in Rom gehalten und in der er sich fuer ein friedliches Ende des Kurdenkonflikts eingesetzt hatte, angeblich "Terroristen ermutigt" habe. In der muendlichen Verhandlung wies er die Anschuldigungen zurueck: "Ich glaube, dass die Verteidigung der Menschenrechte kein Verbrechen, sondern eine Pflicht ist."

Der Angriff auf die Freiheit Akin Birdals ist ein Angriff auf die gesamte Menschenrechtsbewegung, ebenso wie auf die legale demokratische Opposition in der Tuerkei. Die Unterdrueckung der zivilen demokratischen Oeffentlichkeit hat in den vergangenen Monaten massiv zugenommen. Immer wieder wurden Bueros des IHD von den Behoerden geschlossen, zahlreiche MitarbeiterInnen haben Morddrohungen erhalten.

Der IHD klagt ueber stetig wachsenden staatlichen Druck. Die Mitglieder wuerden mit Strafverfahren ueberzogen, berichtet Huesnue Oenduel, der juengst die Nachfolge Birdals angetreten hat. "Die Repression wird immer staerker", aeusserte er sich gegenueber der Presse. In den ersten sechs Jahren nach Gruendung der Vereinigung wurden 30 Strafverfahren gegen IHD- Funktionaere angestrengt. Seit 1992 dagegen sind es ueber 300. Aktuell duerften mehr als 100 Anklagen gegen IHD-AktivistInnen anhaengig sein, zumeist wegen "separatistischer Propaganda" oder "Volksverhetzung". Auch Oenduel hat, nach acht eingestellten Strafverfahren, mittlerweile seine erste Verurteilung einstecken muessen. Gemeinsam mit 113 Intellektuellen wurde er zu einem Jahr Haft verurteilt, weil er einen Appell an die Vereinten Nationen gerichtet hatte. Mit ihrem Aufruf forderten die UnterzeichnerInnen Schutz vor Armee- und Polizeiwillkuer, ein Ende der Zwangsevakuierungen kurdischer Doerfer und eine "politische Loesung der Kurdenfrage".

Auch die international bekannte Menschenrechtsanwaeltin und Vizevorsitzende des IHD, Eren Keskin muss im Herbst eine einjaehrige Haftstrafe antreten. In einem Zeitungsinterview hatte sie den Begriff "Kurdistan" benutzt. "Sie wollen die Gesellschaft zum Schweigen zu bringen," kommentiert Akin Birdal die Prozesslawine und die Schliessung zahlreicher Bueros des IHD.

Als Folge seiner Verurteilung nach 312 musste Akin Birdal als Vorsitzender des IHD zuruecktreten. Ausserdem ist ihm von nun an die Gruendung oder Leitung einer politischen Vereinigung auf Lebenszeit verboten. In einem Brief aus dem Gefaengnis erklaerte er, die Forderung des Innenministeriums nach seinem Ruecktritt sei zwar illegal, er werde der Aufforderung jedoch nachkommen, um den IHD nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Auch seine Mitgliedschaft werde er beenden. "Ich bin der Ueberzeugung, dass der ehrenvolle Kampf, den wir mit Euch und mit allen anderen Verfechtern von Menschenrechten gefuehrt haben, erfolgreich sein wird," schrieb Birdal aus der Haft. Mit dem Ruecktritt seines Vorsitzenden geht fuer den Menschenrechtsverein eine Epoche zuende. Wie kein anderer verstand es Birdal, ueber Laendergrenzen und politische Lager hinweg, die Lage der Menschenrechte in der Tuerkei zu einem internationalen Thema zu machen. Seit der Gruendung des Vereines im Jahre 1986 gehoerte der gelernte Gartenbauarchitekt dem IHD zunaechst als Generalsekretaer und spaeter als Praesident an. Als Vorsitzender des IHD wurde Birdal 1997 Vizepraesident der Internationalen Foederation der Menschenrechtsligen (FIDH). Fuer Akin Birdal war und ist die Menschenrechtsfrage immer auch eine politische Frage. Die effektiven und andauernden Anstrengungen, die er im Rahmen des IHD speziell fuer die demokratische, politische und friedliche Loesung der kurdischen Frage unternahm, stoerte die Machteliten des Landes stets auf empfindliche Art und Weise.

Doch auch nach seinem Ruecktritt repraesentiert Akin Birdal gemeinsam mit anderen das noch verbliebene moralische Gewissen eines Landes, in dem die demokratische Opposition tagtaeglich Opfer von willkuerlichen Verhaftungen und Folter wird, in dem Menschen am hellichten Tag auf der Strasse verschwinden oder von sogenannten "unbekannten Taetern" kaltbluetig ermordet werden. Der Menschenrechtsverein IHD hat sich stets auf die Seite der Opfer gestellt, und auch Akin Birdal wusste, was dies bedeutet. Oeffentliche Diffamierungen, Todesdrohungen und das im vergangenen Jahr auf ihn veruebte Attentat waren fuer ihn nie ein Grund, seine Arbeit aufzugeben. Am 12. Mai 1998 wurde er in seinem Buero Opfer eines bewaffeneten Anschlages, den er nur schwer verletzt ueberlebte. Sechs Schuesse trafen ihn in Schulter und Bein. Die beiden Attentaeter waren Mitglieder einer rechtsradikalen tuerkischen Todesschwadron. Auch wenn das Attentat bis heute nicht als staatlicher Auftragsmord bewiesen werden konnte, so stehen die staatlich lancierte Diffamierungskampagne gegen Birdal im Vorfeld des Anschlages und die Ausfuehrung durch zwei Killer mit enger Verbindung zu Polizei und zur faschistischen MHP in unmittelbaren Zusammenhang zueinander. Seit dem Verkehrsunfall von Susurluk gilt die Existenz von staatlich organisierten Todesschwadronen als erwiesen und ist von einem Untersuchungsausschuss des tuerkischen Parlaments bestaetigt worden. Zahlreiche demokratische Oppositionelle, darunter 14 Angehoerige des IHD, wurden in der Vergangenheit, insbesondere in Kurdistan, durch die zumeist in staatlichem Auftrag agierenden Kommandos hingerichtet.

"Waehrend sich in Spanien die 28 Morde der GAL-Todesschwadronen zu einer Staatsaffaere ausweiteten, ist in der Tuerkei, die sich immerhin als Rechtsstaat begreift und an die Tuer der Europaeischen Gemeinschaft klopft, dergleichen nicht zu erwarten," empoerte sich Birdal noch wenige Wochen vor dem Anschlag. "Bislang ist noch keiner der Verantwortlichen fuer die seit 1991 mehr als 4500 unaufgeklaerten politischen Morde verhaftet worden. In meinem Land laufen die Moerder frei auf der Strasse herum, waehrend die Intellektuellen hinter Gittern sitzen."

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