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THAT'S IT? - FORGET IT!
Zur Perspektive der (österreichischen) Sozialdemokratie

von Franz Schandl

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Der von den SPÖ-Nationalratsabgeordneten Heinz Fischer und Josef Cap herausgegebene Band "Rote Markierungen" versammelt eine Menge von Beiträgen sozialdemokratischer Prominenz aus Politik, Wissenschaft und Kultur. Die Lektüre freilich gleicht einer Qual, es gelesen zu haben, kann nur mit der Pflicht des Rezensenten entschuldigt werden. Von den Banalitäten des Detlev Albers bis zu den Plattheiten eines Werner Schneyder muß man sich da gar vieles gefallen lassen. Und auch Caspar Einem, der Hoffnungsträger für mache SP-Linke bringt nicht mehr zusammen als seine Postulate und Absichten mit einer Überdosis Moral und Anstand auszustatten.

Analytisch wie sprachlich ist dieser Sammelband, gemessen etwa an alten sozialdemokratischen Schriftgut (von so unterschiedlichen Typen wie Renner, Bauer oder Max Adler) Abfall sondergleichen. Was der Band schaudernd illustriert, das ist das intellektuelle Niveau, auf dem sich die Sozialdemokratie bewegt. Dies läßt zweifellos zu wünschen übrig, fällt jedoch nicht weiter auf, da ihm Zeitalter der Regression der Rezeption, der Gedanke vom Sager, der Satz von der Phrase kaum noch unterschieden werden kann.

Es bleibt dem Ex-Bundesgeschäftsführer Josef Cap in seiner naiven, aber ebenso dreisten Art und Weise einmal mehr vorbehalten das affirmative Einmaleins der Politik durch rücksichtslose Beschreibung zu enthüllen. In dem von ihm entsprechend titulierten "Politgeschäft" (S. 47) geht es so zu: "Was macht einen modernen Politiker aus?", fragt er und antwortet sogleich: "Daß er seine politischen Ziele erreicht und Erfolg hat! Nur, woran läßt sich dieser Erfolg messen? In der Demokratie am Wahlerfolg! Wie kommt nun ein Politiker zu Wahlerfolgen, die ihn zu einem sehr modernen Politiker machen, und - je nach Größe des Wahlerfolges - zu einem sehr modernen beziehungsweise besonders modernen? Durch moderne Politik, sehr moderne bzw. besonders moderne." (S. 47) Und eine Seite weiter: "Kaum etwas läßt einen Politiker in der Politik unwiderstehlicher und moderner erscheinen, als wenn er mit dem Gefühl richtig liegt, also Erfolg hat. (...) Denn nichts ist erfolgreicher als der Erfolg". (S. 48)

So steht der grammatikalische Kauderwelsch tatsächlich geschrieben, auch die deplazierten Rufzeichen dokumentieren, welch Geschäft der windige Josef hier betreibt. Bezeichnend, daß das Ziel sofort verschwindet, und nur noch der Erfolg übrigbleibt. Dieser bemißt sich an den ausgezählten Stimmen, an der Kopfquote der Wähler zu einem bestimmten Datum. Kurzum: Erfolg hat der Politiker, der modern ist und modern ist der Politiker, der Erfolg hat. Dazu muß einer das richtige G'spür haben. Der unwiderstehliche Zirkelschluß postuliert die Anmache als strategisches Prinzip. Das eigentliche Programm ist Agitation und Taktik, ihre Instrumente: Werbung und Mode. Josef Cap ist zweifellos moderner, als das Denken erlaubt. Wer so positiv denkt, denkt nicht.

Caps Artikel ist aber deswegen so interessant, weil hier einer offen für den Verfall Partei ergreift, ja den Abschied von der Ratio noch abfeiert: "Ein Politiker muß neben der Fortune auch Instinkt, Gespür und Gefühl haben. Das heißt, daß sich ein Politiker nicht nur auf seinen Verstand verlassen darf." (S. 47) Was auch nicht schwer ist, wenn dieser klein. Cap ist ein Musterbeispiel der Infantilisierung und Idiotifizierung der Politik sozialdemokratischer Coleur. Caps Aufruf auf den Punkt gebracht: Laßt uns endlich dumm sein! Wobei Dummheit eine gewisse Verschlagenheit und Gerissenheit nicht nur nicht ausschließt, sondern diese gerade ihre hervorragendsten Kennzeichen sind.

Dieses dumpfe Plädoyer für die sinnliche Gewißheit, den gemeinen Menschenverstand, das gesunde Volksempfinden ist schon einmalig. Die Lufthoheit über den Stammtischen ist hergestellt, weil man dortselbst unter die Bank gekrochen ist. So einfach geht das. Daß er dann als des britischen Premiers "Meisterstück" ausgerechnet anführt, daß Blair nach Dianas Tod die Monarchie gerettet hat, paßt hier schon dazu. Nun, vielleicht rettet unser Klima auch noch unsere Katholische Kirche in unserem Österreich. Schließlich hat er sich schon mediengerecht beim Papst als österreichischer Katholik geoutet.

Was Cap schreibt, ist zusammengelesener Stuß. Er ist ein Flaneur, der halt so seine Zitate zusammenstiehlt. Kaum hat er etwas aufgeschnapppt, da wird es auch schon nachgecapt. Marketinggerecht, versteht sich. Denn Josef Cap ist eine intellektuelle Kapazität, und keine hohle Nuß, wie wir uns niemals zu schreiben getrauten.

Wäre der eine gern ein Medien- und Werbefritze, so ist der andere einer: Andreas Rudas, der beste Bundesquotenhe(e)rführer, den die SPÖ je hatte, vertrauen wir den Meinungsüberwachungsinstituten. Wünschenswert sei ein Block der Arbeit: "Bis vor zwei Jahrzehnten existierte ein (stilles Bündnis) von Unternehmen (Realkapital) und Gewerkschaften gegen die Interessen des Finanzkapitals. Dieser Konsens ermöglichte Wirtschaftswunder und Vollbeschäftigung. Inzwischen ist ein Paradigmenwechsel hin zum Neoliberalismus vollzogen, der bei vielen vor allem weltweit agierenden Unternehmen und konservativen Politikern auf fruchtbaren Boden fiel. Die Interessen des Finanzkapitals beginnen die des Realkapitals zu überlagern. Angesichts dieser Entwicklung kämpfen Erwerbsarbeit (in allen ihren Formen) und Klein- und Mittelbetriebe gegen die Folgen einer Politik des weltweit dominierenden Finanzkapitals." (S. 279) Zielsicher und völlig unreflektiert singt da einer das Hohelied der Schaffenden gegen die Raffenden.

Selbstredend gilt es: "Nicht den Markt zu bekämpfen, sondern seine zerstörerischen Auswirkungen". (S. 283) Denn der Markt ist alternativlos und somit sakrosankt. "Eine zukunftsfähige Sozialdemokratie muß deshalb den enthemmten, globalen Kapitalismus wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch in die Schranken weisen, ohne dessen Entwicklungspotentiale und Dynamik zu ersticken." (S. 283) Daß Entwicklungspotential und Dynamik der Marktwirtschaft eben gerade in dieser Hemmungslosigkeit und Beschleunigung liegt, scheint den Sozialdemokraten auch gar nicht erst zu kommen. Der Realismus steigert sich im Komparativ zum abgeklärten Zynismus: Der gesicherte Vollarbeitsplatz "taucht nur noch als nostalgische Erzählung auf". (S. 279)

Heinz Fischers, dem Parlamentspräsidenten, bleibt es vorbehalten, daß er in einem der wenigen nicht nur lesbaren, sondern sogar lesenswerten Beiträgen des Sammelbandes sich einer äußerst relevanten Fragestellung annimmt und den Stellenwert der Politik in seiner Analyse zumindest relativiert: "Der Handlungsspielraum der Politik ist gering, wenn er in die Grundstrukturen der Marktwirtschaft, der Konkurrenzwirtschaft, des Waren- und Gütertausches, aber auch der Einkommens- und Vermögensverteilung einzugreifen versucht." (S. 92)

Insgesamt dokumentiert das Buch aber eines: Die SPÖ ist ranzig geworden. Was soll man da sagen? - Die Sozialdemokratie ist so. "That's it" (S. 54), wie Josef Cap es zusammenfaßt. Forget it, wie wir meinen.

Josef Cap/Heinz Fischer (Hg.), Rote Markierungen für das 21. Jahrhundert, Löcker Verlag, Wien 1998. 420 Seiten, DM 41

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