Ein bemerkenswerter Befund: Apologie von links
Guenther Sandleben & Jacob Schäfer untersuchten linke Krisentheorien

Ein Buchtipp von Karl-Heinz Schubert

01-2014

trend
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Das Autorenpaar Guenther Sandleben und Jacob Schäfer veröffentlichte 2009 ihre Untersuchungsergebnisse der aktuellen Krise unter dem Titel "Die kapitalistische Krise und was wir ihr entgegensetzen" als Propagandaschrift des "Revolutionär Sozialistischen Bundes /4. Internationale". Als Einzelpersonen äußerten sie sich ebenfalls mehrfach zur Krise. So zum Beispiel Guenther Sandleben mit seiner Broschüre "Finanzmarktkrise - Mythos und Wirklichkeit" , wovon in TREND ein Auszug veröffentlicht wurde. Oder Jacob Schäfer, dessen in der Jungen Welt nicht abgedruckten Artikel "Mythos Bankenmacht" , wir in der TREND-Nr.07-2012 veröffentlichten.  Dabei unternahmen sie auch immer Anstrengungen, jene aus ihrer Sicht falschen oder nicht zureichenden Krisenerklärungen, die im  linken Spektrum en vogue sind, zu kritisieren. Nun erschien im September 2013 im trotzkistischen "Neuen ISP-Verlag" ein weiteres gemeinsames Buch, welches sich vornimmt, gängige linke Krisentheorien zu kritisieren. Gemessen an den Vorarbeiten, stellt dieses Buch gleichsam eine systematisierte Zusammenfassung bisher erschienener Einzelkritiken am linken Krisenverständnis dar.

Mit dem Titel "Apologie von Links" wird den LeserInnen gleich von anfang an klargestellt, dass alle kritisierten Strömungen maßgeblich von bürgerlichen Interpretationsmustern(S.13) bestimmt sind, die ihrerseits im "Keynesianismus und der Neoklassik" wurzeln(S.8). Solch eine Krisenbetrachtung führt notwendigerweise - wie im ersten Kapitel (S.17-38) am Beispiel der "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik" aufgezeigt wird - nur zu einer systemstützenden Politikberatung.  Die Widerlegung des Slogans vom "finanzmarktgetriebenen Kapitalismus" bildet in diesem Zusammenhang den Schwerpunkt ihrer Kritik.

Das zweite Kapitel richtet die Kritik gegen krisentheoretische Positionen, die vom Konzept des "staatsmonopolitischen Kapitalismus" abgeleitet werden. Hier konzentrieren sich unsere Autoren auf Lucas Zeise (S.39-65). Ideengeschichtlich stellen sie einen Zusammenhang zwischen dessen Krisentheorie und der Hilferdingschen Definition des Finanzkapitals her, von der auch Lenins Monopol- und Imperialismustheorie beeinflusst war (S.40ff). Das "Stamokap"-Konzept unterziehen sie marxexegetisch einer "wert- und konkurrenztheoretischen Betrachtung"(S.60ff), um zu zeigen, dass Monopole - wenn nicht Naturkraft bedingt - nur eine vorübergehende Störung der freien Konkurrenz und nicht eine den Kapitalismus dauerhaft prägende Erscheinung bzw. eine besondere Entwicklungsstufe des Kapitalismus sein können. Doch die "freie" Konkurrenz, aus der das Monopol erwächst,  ist nicht Teil des Kapitalbegriffs im Allgemeinen, wie die Autoren auf Seite 58 behaupten ("...Veränderungen, die Hilferding und Lenin als absolut und wesensmäßig ansahen, konnte es aus kapitallogischen Gründen nicht geben"), sondern gehört nach Marx zu den historischen Durchsetzungsformen der kapitalistischen Produktionsweise (siehe dazu: Grundrisse S.542ff), deren innere Dialektik bereits ökonomische Aufhebungsformen hervorbringt / hervorbringen kann, wie sie sich z.B. im Monopol ankündigen. 

Für Guenther Sandleben und Jacob Schäfer ist Michael Heinrich sozusagen der Prototyp des Apologeten, obgleich er so nicht erscheint. Im dritten Kapitel (S.66-78) erläutern sie warum.

"All diese Vorstellungen von der besonderen Bedeutung des Finanzsystems im Krisengeschehen haben wir im Zusammenhang mit der linkskeynesianischen Memorandum-Gruppe und entlang des Beitrags von Lucas Zeise kritisiert, wo wir es mit einer vergleichsweise differenzierten Argumentationsweise zu tun hatten. Wenn wir dennoch Heinrichs Beiträge systematisch in unsere Kritik einbeziehen, dann ausschließlich deshalb, weil mit seiner „Neuen Marxlektüre" eine besondere Art der Keynesianisierung der Marx'schen Theorie verbunden ist, die in ihrem Eklektizismus das theoretische Feld für die Vorstellung vom finanzmarktgetriebenen Kapitalismus in einer Weise aufbereitet hat, worin die Kritik der politischen Ökonomie einen durchweg apologetischen Charakter erhält: Die kapitalistische Krisenhaftigkeit wird verharmlost, indem sie jenseits des kapitalistischen Kernsektors angesiedelt wird und als politisch steuerbar erscheint."(S.67)

Auch die Werttheoretiker der "Krisis"  - Ernst Lohoff und Norbert Trenkle - kommen nicht ungeschoren davon. Im vierten Kapitel (S.79-90) heißt es zusammenfassend über diese:

"Vom Standpunkt der Krisentheorie aus betrachtet, reduzieren Lohoff/Trenkle das vielfältige Krisengeschehen auf einen einzigen Punkt, auf die „fundamentale Krise der Wertverwertung" (2012: 211), die durch die angeblich schrumpfende Wertbasis entstanden sein soll. Alles andere ist keine Krisentheorie mehr, sondern lediglich eine missglückte Erklärung dafür, warum der Kapitalismus noch nicht zusammengebrochen ist."(S.90)

Soweit bisher Bekanntes. Das eigentlich Neue des Buches findet sich im Kapitel fünf: "Exkurs: Die Macht der Banken - Eine theoretische und empirische Analyse von Bankenmacht, Bankprofiten und deren Quellen" (S.91-118)

Dazu wollen die Autoren die LeserInnen auf einen "kurzen Streifzug durch die Geschäftsfelder einer Bank"(S.92) mitnehmen. Nach meiner Auffassung gelingt diese Art von empirischer Analyse nur partiell. Es handelt sich hier eigentlich nicht um eine Empirie der konkreten Verhältnisse, sondern  - wie die Beschäftigung mit der "Geschäftsstruktur der inländischen Universalbanken" zeigt - nur um eine marxexegetische Interpretation von fiktivem Lehrmaterial aus einem Schulbuch für Banklehrlinge(S.97), während das sonstige empirische Material des fünften Kapitels fast ausschließlich zur Illustration sogenannter "kapitallogischer" Gesichtspunkte und kaum zur Analyse der konkreten Verhältnisse dient.

Unsere Autoren hätten - angesichts ihrer Qualifikationen als Banker und Gewerkschaftsaktivisten  - klüger daran getan, die Geschäftsstruktur einer wirklichen Bank - z.B. der Deutschen Bank - zu analysieren. Dann hätten sie allerdings vor dem denklogischen Problem gestanden, dass sie mit dem fiktiven Lehrmaterial leicht umschiffen konnten, nämlich sich auch empirisch mit der von ihnen kritisierten Hilferdingschen Behauptung befassen zu müssen. Hier anstelle des im Buch gekürzten(S.100) nun das ungekürzte Hilferding-Zitat:

"Die Abhängigkeit der Industrie von den Banken ist also die Folge der Eigentumsverhältnisse. Ein immer wachsender Teil des Kapitals der Industrie gehört nicht den Industriellen, die es anwenden. Sie erhalten die Verfügung über das Kapital nur durch die Bank, die ihnen gegenüber den Eigentümer vertritt. Anderseits muß die Bank einen immer wachsenden Teil ihrer Kapitalien in der Industrie fixieren. Sie wird damit in immer größerem Umfang industrieller Kapitalist. Ich nenne das Bankkapital, also Kapital in Geldform, das auf diese Weise in Wirklichkeit in industrielles Kapital verwandelt ist, das Finanzkapital. Den Eigentümern gegenüber behält es stets Geldform, ist von ihnen in Form von Geldkapital, zinstragendem Kapital, angelegt und kann von ihnen stets in Geldform zurückgezogen werden. In Wirklichkeit aber ist der größte Teil des so bei den Banken angelegten Kapitals in industrielles, produktives Kapital (Produktionsmittel und Arbeitskraft) verwandelt und im Produktionsprozeß fixiert. Ein immer größerer Teil des in der Industrie verwendeten Kapitals ist Finanzkapital, Kapital in der Verfügung der Banken und in der Verwendung der Industriellen." (Unterstreichung von mir)

In der begleitenden Fußnote 59 (ebenda) kommentieren sie: Indem Hilferding das Bankkapital als Industriekapital "fungieren" lässt, wird das Kreditverhältnis "ausgelöscht". Guenther Sandleben und Jacob Schäfer übergehen mit den Formulierungen "fungieren" und "auslöschen" einfach die Tatsache, dass Hilferding hier den Formwechsel des Kapitals beschreibt, den es auf der Grundlage seiner spezifisch historischer Eigentumsverhältnisse durchläuft.

Für diesen Formwechsel gibt es gemeinhin auf der Aktivseite der Bankbilanzen die gesonderten Rubriken "Beteiligungen" und "Anteile". So auch bei dem vom Autorenpaar benutzen didaktischen Material (S.97). Die erste Feststellung, die sie anhand dieses fiktiven Lehrmaterials dazu treffen, lautet, dass es sich dabei um ca. 3% der Bilanzsumme handele. Wer nun erwartet, dass es im folgenden mit diesen Geschäftsfeldern zu einer politökonomische Beschäftigung kommt - zumindest als ein Aspekt im Unterkapitel "Investment-Banking" (S.), sieht sich enttäuscht.

Nehmen wir zur Illustration meiner Kritik die oben angesprochene Deutsche Bank und ihren Geschäftsbericht 2012 (S.78), dann weist dieser einen Betrag von gut 45 Milliarden für die beiden "Geschäftsfelder" aus und dokumentiert - gezwungen durch bürgerliche Gesetze - diese "Beteilungen"  und "Anteile" - d.h. ihre Eigentümer/Teileigentümerschaft an weltweit 1.577 Unternehmen.(Bericht S.105-181). Davon entfallen ca. 28 Milliarden auf "produktives Kapital". Da Finanzberichte - Gesetzes bedingt - detaillierter ausfallen, führt der 2012er Finanzbericht sogar 1.992 Unternehmen (Finanzbericht S.425-459) auf.

Das letzte Kapitel "Wohin treibt die Krise?"(S.119-138) stellt eine aktualisierte Darbietung ihrer bisherigen krisentheoretischen Prognosen dar -  kumulierend in dem Satz: "Die Gleichzeitigkeit von permanenter Krise und neuer zyklischer Weltmarktkrise liefert das explosive Gemisch für eine weitere große Krise, die diesmal ohne die massiven Staatsinterventionen auszukommen hätte."(S.133) Dieses Analyseergebnis führt unsere Autoren zu der revolutionstheoretischen Konsequenz, die Krise als möglichen Katalysator für eine Erhebung der unterdrückten Klasse zu begreifen: "Eine solche Situation würde die Menschen zwingen, ihre Ökonomie selbst zu regeln."(S.138) Revolution in neuerer Zeit resultierten bekanntlich aus militärischen Niederlagen, die mit massivem Legitimationsverlust der herrschenden Klasse verbunden waren. Wirtschaftskrisen beförderten dagegen häufiger den Faschismus. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Ein weiterer Kritikpunkt muss noch erwähnt werden, schon deshalb, weil die Autoren mit ihren ideologischen Gegnern politisch bemerkenswert unsolidarisch umgehen (Vorwurf der interessengeleiteten Rechtsfertigungslehre für den Kapitalismus). Das gesamte Buch ist getragen von dieser pointierten Kritik an anderen Linken, während die Autoren ihre theoretisch-ideologischen Grundpositionen, die ihre Marxexegese formen, eher camouflieren. Nur an zwei Stellen deuten sich diese an:

In der Einleitung (S.15f) erwähnen sie Paul Mattick als einen Krisentheoretiker, mit dem sie in der Methode der Krisenanalyse übereinstimmen. Und in ihrer Kritik am "Stamokap" formulieren sie charmant in der Fußnote 32 auf der Seite 53 in Abgrenzung zu Lenin und Hilferdings Monopoltheorie: "Einer der prominentesten Marxisten, die sich davon nicht beeinflussen ließen, war Ernest Mandel, dem wir wesentliche Einsichten verdanken, auch und gerade zu den hier berührten Themenbereichen." Dass Mandel kein Vertreter einer Monopoltheorie und auch kein Anhänger der Leninschen Imperialismustheorie gewesen sein soll, wäre mir neu und bleibt wohl das Geheimnis der Autoren.

Oder meint "wesentliche Einsichten" die Mandelsche verkürzte Ableitung der Durchschnittsprofitrate aus der Konkurrenz? (siehe dazu Klaus Winters Kritik an Mandels "Marxistischer Wirtschaftstheorie", Teil 2) Oder sind Guenther Sandleben und Jacob Schäfer etwa Anhänger der Mandelschen Anthropologie?

Alles in allem bleibt dieses Buch dennoch eine deutliche Bereicherung für die theoretische Debatte. Guenther Sandleben und Jacob Schäfer haben sich mutig auf das glatte Feld der Krisentheorie begeben und einen sauber gegliederten Überblick des hießigen Debattenstandes erarbeitet. Dabei haben sie den Gegenstand so aufbereitet, dass er sich m.E. speziell für Einführungen in dieses Themengebiet eignet und gleichzeitig Raum für Weiterführendes lässt.

Guenther Sandleben/Jakob Schäfer
Apologie von links
Zur Kritik gängiger linker Krisentheorien

145 S., kartoniert, € 14,80
2013, ISBN 978-3-89900-141-9

Neuer ISP-Verlag