Zur Geschichte der Moskauer Prozesse 1936/38

Säuberungsgehilfen

01/2017

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Text 1

Das Dossier der KPD-Kaderabteilung über Heinrich Süßkind

Diese politisch-ideologische Stigmatisierung als «Versöhnler» und «Abweichler» stellte die Aufforderung an den NKWD dar, den Genossen der «konterrevolutionären, trotzkistischen Tätigkeit» zu beschuldigen und zu verhaften.

  • Aus: Reinhard Müller (Hrg.), Die Säuberung, Reinbek 1991, S.551

Text 2

Schreiben von Herbert Wehner an Wilhelm Pieck

 

Streng vertraulich.

Durchschlag zur Kenntnisnahme für den Genossen Gottwald.
[Handschriftlich von Herbert Wehner]

 

26. November 1937

Genossen Wilhelm Pieck

Lieber Genosse Pieck!

Der Fall Birkenhauer veranlaßt mich, Dich brieflich auf einige Fragen unserer Partei aufmerksam zu machen, in der Hoffnung, zu gelegener Zeit in einer Aussprache diese Dinge gründlich behandeln zu können. Es liegt mir gewiß fern, Dinge, die mündlich im Laufe der täglichen Arbeit geregelt werden können, durch schriftliche Formulierung zu komplizieren. Aber ich glaube, daß es in diesem Fall notwendig und nützlich ist, in schriftlicher Form eine konkrete Unterlage zur Aussprache und Bereinigung zu geben. Der Fall Birkenhauer gibt mir den Anlaß zu diesem Brief, weil es wieder gezeigt hat, daß die Organe unserer Partei nicht imstande waren, ein schlechtes Element abzustoßen. Leider handelt es sich nicht nur um einen Einzelfall, sondern man muß diesen Fall unmitelbar neben den des ehemaligen Parteimitglieds Meyer(1) stellen, dessen feindlicher Charakter ebensowenig von unseren Parteiorganen erkannt wurde.

Was diese Fälle so schwerwiegend macht, ist die Tatsache, daß viele Gründe vorlagen, diesen Leuten endgültig nicht mehr zu trauen und scharf gegen sie vorzugehen. Das war insbesondere auf Grund ihrer Haltung in der Partei 1933 bis 1935 und auf Grund der Fortsetzung ihrer fraktionellen Tätigkeit nach dem VII. Weltkongreß und nach der Brüsseler Parteikonferenz nötig. Leider ist dieses Verhalten m. E. nicht entsprechend angerechnet worden, und sie sind zu Arbeiten herangezogen worden, die sie nach dem Vorgefal­lenen nicht erfüllen durften. Das Verhalten mancher leitender Parteigenossen diesen Leuten gegenüber war sehr zuvorkommend.

Es ist ihnen nichts geschehen, obwohl Birkenhauer zusammen mit anderen Leuten, die sich noch im Ausland befinden, eine ver­giftende Hetze gegen Mitglieder des auf der Brüsseler Konferenz gewählten ZK entfaltet hat. Es ist ihnen nichts geschehen, obwohl beide in einer Reihe von Artikeln Auffassungen vertreten haben, die scharf zu verurteilen waren.

Gegen Birkenhauer lief zwar eine Untersuchung, aber es war diesem Mann möglich, sehr unverfroren aufzutreten. Noch Ende Oktober wurde seine schriftliche Mitarbeit am Radio geduldet und gefördert, und erst im Laufe einer Sitzung beim Genossen Gottwald kam es so weit, daß die weitere Mitarbeit untersagt wurde, nachdem ich in schärfster Form Birkenhauer und Knodt angegriffen hatte. Ich nehme mich von dieser Kritik an dem zu weichen Vorgehen gegen solche Leute nicht aus. Trotzdem habe ich im Fall Birkenhauer genügend Tatsachen angeführt, die zu seiner Entlarvung beitragen konnten. Du hast mir allerdings einmal gesagt, daß meine Anschuldigungen gegen Birkenhauer wie eine «Retourkutsche» wirken könnten, weil er die bekannten Verleumdungen gegen mich ausgestreut hat. Aber ich muß sagen, daß mich diese Bemerkung damals sehr verletzt hat, weil ich daraus sah, daß hier mit einer falschen «Objektivität» vorgegangen wird. Es ist doch nichts Neues, daß schlechte Elemente gerade durch das Ausstreuen von Verleumdungen Verwirrung in die Partei anzustiften versuchen. Sie wollen damit ihre eigenen Spuren verwischen und gleichzeitig effektiv die Arbeit stören. Birkenhauer hat in den letzten Jahren sich so schwer gegen die Partei vergangen, daß sein Bild kaum noch unklar sein konnte.

Man könnte sagen, daß dieser Fall abgeschlossen sei. Meine Absicht ist es auch nicht, diesen Fall jetzt zum Gegenstand breiter Erörterungen zu machen. Aber ich möchte, daß dieser Fall als Symptom gewertet wird, weil wir in den allerletzten Jahren einige ähnliche erlebt haben, und weil die Lage in unserer Partei so ist, daß wir jetzt wirklich daran gehen sollten, die Säuberung von schlechten Elementen und Schädlingen vorzunehmen. Dazu gehört aber ein gewisses Maß von Vertrauen und Energie. Und es gehört auch dazu, daß die Meinungen verantwortlicher örtlicher Parteiarbeiter gehört und beachtet werden.

Ich kann z. B. nicht mit dem Genossen Dengel (2) übereinstimmen, wenn er nun schon mehrmals betont, daß Leute, wie der Genosse Schulte, zwar Fehler begangen hätten, daß man aber ihre Kraft jetzt verwerten müßte. Es handelt sich bei dieser Gruppe doch nicht um Genossen, die einmal politische Fehler begingen und dann kapitulierten. Vielmehr haben die einzelnen Personen aus diesem Kreis persönlich derartige Vergehen auf dem Konto, daß - wie im Falle des Genossen Schulte - Verfahren gegen sie durchgeführt werden müßten. Außerdem sind die führenden Köpfe dieser Gruppe verbrecherische Feinde, was für die Beurteilung mindestens der Leute, die in engerem Kontakt zu ihnen stan­den, nicht unwesentlich ist. Im Spezialfall des Genossen Schulte will ich daran erinnern, daß auch der Genosse Ulbricht auf der Brüsseler Parteikonferenz schärfsten Einspruch gegen seine damalige Verwendung erhob, und daß gegen ihn ein Verfahren eingeleitet werden mußte, für das ich aufgefordert wurde, Unterlagen zu liefern. Leider sind diese Unterlagen damals in die Hände von Leuten gelangt, die selbst Feinde waren, wie Krajeweski. Ich bin überzeugt, daß diese Unterlagen heute ernster genommen würden, als damals. Es sei auch erwähnt, daß z. B. der Genosse Max Reimann Anfang 1936, mehrere Monate nach der Parteikonferenz, in Prag Verleumdungen und unwahre Behauptungen gegen die Politik des ZK der KPD verbreitete, als deren Urheber sich - nach Reimanns eigenen Aussagen - der Genosse Schulte und der Feind Smoljanski (3) herausstellten. Damit will ich erläutern, daß der Genosse Dengel irrt, wenn er den Genossen Schulte, oder den inzwischen entlarvten Birkenhauer als Menschen beurteilt, die nach einmal begangenen Fehlern wieder zur Mitarbeit heranzuziehen sind.

Oder nehmen wir den anders gelagerten Fall des Genossen Flieg. Flieg war ein engagierter Neumann-Freund. Es ist gesagt worden, daß er sich seit der politischen Liquidierung dieser Gruppe zur Partei zurückentwickelt und eine einwandfreie Haltung eingenommen habe. Wenn das so ist, bleiben die anderen Fakte, die gegen ihn sprechen. Schon einmal habe ich Dich mündlich daran erinnert, daß seit dem Herbst 1934 ein sehr seriöser und unantastbarer Brief existiert, in dem Flieg wörtlich als «Gauner» bezeichnet wird. Meines Wissens sind die Tatsachen, die dort gegen den Genossen Flieg aufgeführt werden, noch nicht untersucht worden, obwohl es hier­bei um wichtigste Dinge geht. M. E. müßte im Fall des Genossen Flieg gerade das, was in dem von mir erwähnten Brief gegen ihn geschrieben worden ist, gründlichst geprüft werden. Wenn ernst und sachlich zumindest die Meinung und die Erfahrungen der gegenwärtig hier anwesenden ZK-Mitglieder und anderer verant­wortlicher Parteiarbeiter gehört und geprüft werden, wird sich ergeben, daß die deutsche Partei von sich aus viel dazu beitragen könnte, die Säuberung von faschistischen Einflüssen und Agenten zu fördern. Dann können auch nicht so grundfalsche Darstellungen existieren, wie sie heute noch als Grundlage von Untersuchungen benützt werden, wie es kürzlich geschah, als der deutsche Referent in der Kaderabteilung - auf Grund einer solchen irrtümlichen Darstellung - die Meinung vertrat, daß 1932 der Genosse Schehr gleichzeitig mit Meyer in derselben Wohnung verhaftet worden sei. Hätte diese falsche Meinung z. B. in diesem Falle nicht bestanden, wäre die Untersuchung gegen Meyer anders, d. h. von vornherein auf Grund eines schweren Verdachts gegen Meyer durch die Partei in Gang gekommen.

Als wir kürzlich die Aussprache zur Vorbereitung einer deutschen Beratung hatten, haben alle Genossen die Notwendigkeit einer scharfen Säuberung betont. M. E. muß uns jetzt der Fall Birkenhauer veranlassen, wirklich konsequent an diese Arbeit zu gehen. Ich meine, das ist eine wichtige politische Aufgabe, in deren Erfüllung von hier aus - so weit es in unseren Kräften steht - die deutsche Parteileitung unterstützt werden muß. Damit diese Unterstützung zustande kommt, müßte aber unter den hiesigen Genossen Klarheit und Einmütigkeit darüber bestehen, daß diese Reinigung nur möglich ist, wenn man sie aktiv fördert und nicht damit rechnet, daß sich unklare Dinge mehr oder weniger selbsttätig klären werden. Deshalb habe ich diese Zeilen in der Erwartung geschrieben, daß es jetzt möglich ist, über diese Fragen und zu entsprechenden Entschlüssen zu gelangen.

Mit kommunistischem Gruß
Kurt Funk [handschriftlich]

P. S. Ich erlaube mir, einen Durchschlag dieses Schreibens dem Genossen Dengel zu übergeben und einen anderen dem Genossen Gottwald, dem ich am 17. d. Monats eine ausführliche Begründung meines Einspruchs gegen Birkenhauer - auf seine Aufforderung - gegeben habe.

  • Aus: Reinhard Müller, Die Akte Wehner, Berlin 1993, S.376-381

Fußnoten

1) Heinrich Meyer, Deckname: Most, Gehilfe Florins, bereits verhaftet im August 1937.

2) Philipp Dengel war zu diesem Zeitpunkt Leiter der Deutschen Vertretung beim EKKI.

3) Der noch nicht verhaftete Fritz Schulte wird als «Genosse», Togliattis bereits verhafteter «Gehilfe» als «Feind» bezeichnet. Vgl. zur Verhaftung Smoljanskys die Notizen Wehners. Zeugnis, S. 222.