Editorial
Gebräu aus Mythen und Legenden

von Karl-Heinz Schubert

01/2019

trend
onlinezeitung

Beim Treffen im letzten Dezember mit dem TREND-Herausgeber*innenkreis (AKKA) wurde beschlossen, die Textsammlung zur Novemberrevolurion über den Januar 1919 hinaus weiter zu führen. Thematisch soll die Textsammlung ausgehend von der Ermordung von Rosa und  Karl in dieser Ausgabe den nachfolgenden Ereignisraum bis zur  "Münchner Räterepublik"  im April 1919 behandeln. Schon jetzt lenken wir in dieser Ausgabe den Blick über die Berliner Ereignisse hinaus nach Bremen und  Ludwigshafen. Wer an einer Geschichtsschreibung der Novemberrevolution jenseits parteipolitischer Leitplanken interessiert ist, dem empfehlen wir die Besprechung von "Klaus Gietinger "November 1918. Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts".

Die 1929 von der KPD herausgegebene "Illustrierte Geschichte der Deutschen Revolution" nennt diesen Zeitraum die "Ära Noske" und fasst damit trefflich zusammen, dass der Sieg der Konterrevolution ohne die aktive Teilnahme der SPD so oder vielleicht gar nicht gekommen wäre. Auf der anderen Seite wird heute eine revolutionäre Arbeiter*innenbewegung, so sie sich politisch in der BRD rekonstruiert, ohne eine kritische Sichtung der Fehler der radikalen Linken in der Novemberrevolution (und später) nicht auskommen. Dazu gehört nicht nur den folgenschweren Geburtsfehler der jungen KPD - ohne über ein aus der Analyse der Klassen abgeleitetet Programm zu verfügen - sich nur aus maßgeblich taktischen Überlegungen ad hoc zu gründen, deutlich zu kritisieren, sondern schließlich sollte es  in der revolutionären Linken endlich darum gehen, anstatt an Legenden und Mythen weiterhin festzuhalten, die Frage nach dem Verhältnis von Partei und Klasse endlich im Lichte der aktuellen Klassenstrukturen zu beantworten. In diesem Sinne wird der AKKA in seinem Januartreffen die Broschüre des Kommunistischen Aufbaus "Erste Schritte zur Klassenanalyse" diskutieren.

Als uns im Dezember der 1962 in Italien erschienene Aufsatz von Wolfgang Abendroth "La sinistra socialista in Germania" in deutscher Erstübersetzung angeboten wurde, waren wir hoch erfreut, diesen Text der linken Öffentlichkeit in der BRD zugänglich machen zu können.

Zum einen ist er ein Zeitdokument, das der heute alllweil üblichen Methode - "68" als kulturrevolutionäre Eskapade zu verniedlichen - entgegen tritt. Sozusagen messerscharf seziert Wolfgang Abendroth die Dilemmata der radikalen Linken in den 1950er Jahren, indem er sie auf dialektisch miteinander verbundene Entwicklungen bezieht. Sein Fazit lautete daher 1962, dass aus diesen Widersprüchen eine politische Organisation hervorgehen kann, die sich "von der Politik der Sozialdemokratie und der kommunistischen Partei auf eine Art und Weise unterscheidet, die klar und verständlich auch für die Masse der deutschen Arbeitnehmer ist." Für Abendroth war die "studentische  Organisation SDS" für solch ein politisches Projekt prädestiniert, weil sie als einzige  "in Theorie und Aktion eine präzise politische Position eingenommen hat", die ihm für dieses Projekt förderlich schien.

Zum andern verweist sein Aufsatz in seinem Subtext, dass eine klassenanalytische Behandlung von "dialektisch verbundenen Entwicklungen" ohne die Verortung subjektiver Faktoren im Zusammensspiel von "Theorie und Aktion" nicht ausreichend íst. Eine Klassenanalyse ohne Praxis wäre nämlich nur ein soziologischer Torso.

Schlussendlich sollte noch darauf hingewiesen werden, dass Abendroths Verwendung des Begriffs Stalinismus ausgesprochen problematisch ist. Einerseits war/ist er ein antikommunistischer Kampfbegriff zur Diskreditierung revolutionärer Politik, zum andern dient er immer noch zur ideologischen Grenzziehung wie z.B. von trotzkistischen Kräfte gegenüber anderen Revolutionär*innen bei gleichzeitiger Aufforderung zu einer Arbeiter*inneneinheitspolitik. Ich denke, Bündnislinien müssen heute entlang aktueller Fragen  aus den Kämpfen heraus ohne solch ein Junktim entwickelt werden.

Die DKP will 2019 wieder die Kommunalpolitik in den Vordergrund ihrer Politik stellen. Wäre der Kampf um Schule, Wohnen und andere soziale Felder im Reproduktionsbereich nicht ein Bündnis-Terrain, wo die Kämpfe ohne ideologischen Grenzziehungen aus der Mottenkiste der Arbeiter*innenbewegung auskommen könnten? 

Doch weit gefehlt: In dem Referat von Männe Grüß auf der Parteivorstandssitzung der DKP hagelt es nur so von Versatzstücken der StaMoKap-Theorie, um schließlich folgenden Glaubensatz zu formulieren: "Kommunistische Kommunalpolitik ist dem Wesen nach antimonopolistische Bündnisarbeit".

Schade eigentlich - brauchen wir doch heute mehr denn je die Einheit der Klassenlinken.

Doch solche fossilen Phrasen werden diesen Prozess wahrscheinlich noch eine Weile behindern, bis die Kämpfe der Klasse die revolutionäre Linke bei Strafe ihres Untergangs zwingen werden, ihr Sektierertum - ein Gebräu aus Mythen und Legenden - über Bord zu schmeißen.

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in der Alexa-Rubrik "Deutsch/Medien/Alternative_Medien"
Stand 02.01.2019