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UND JEDER WEISS WIE"S RICHTIG IST UND WIE MAN"S MACHEN SOLL! 

Das "Bündnis für Arbeit"
Eine auf dem Kopf stehende Pyramide

von DIETMAR KESTEN, Gelsenkirchen, Teil III

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3. TRUGBILDER.

Das Bild, daß die deutschen Gewerkschaften vom Kapitalismus zeichnen, gleicht einem Großen Karneval, wo die Bedürfnisbefriedigung "rund um die Uhr" und immer wieder durch ein paar neue Forderungen "bereichert", nichts anderes ist, als den Reproduktionsrahmen zu erhalten. All dies wird zu einem furchtbaren Preis gekauft. Es ist die endlose, unausprechliche Tragödie, die die Kategorien der Moderne liefern. Das "Bündnis für Arbeit" verschachelt die Differenz, die Umkehrung und die Abweichung, wärend es gleichzeitig selbst immer das gleiche bleibt: Scheinfiktion, ein Vexierspiel, bei dem niemand weiß, was existiert und was nicht. Sollte es alles gleichzeitig bewirken, nur das eine oder das andere, nichts von alledem, sollte es die materielle Ungleichheit beseitigen, oder doch nur die KOHL-Regierung ablösen? (49). Benötigte es die SPD-Autorität, diese unveränderliche Grundlage, die doch unaufhörlich gegen ihre eigene Begrenztheit stieß, oder sollte es gleich alle politischen Ideale wie internationale Gemeinschaft, Freiheit, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung, Chancengleichheit etc. neu entdecken?

 Wie eine tibetische Gebetsmühle klang das Katz- und Mausspiel zwischen den beiden Polen. Die Behauptung der Gewerkschaften, das kapitalistische System dränge beständig gegen seine eigene Begrenzung, und deshalb sse man ihm mit der "Rationalität" für die Menschen begegnen, ist eines dieser bevorzugten Stilmittel, die den Markt ebensowenig in seine Schranken weisen kann, wie die Forderung nach einem streng quantifizierten Austauch von Waren. Die Logik des System nährt sich nicht aus der Erkenntnis, daß es einmal in seiner apokalyptischen Negation aufgeht, oder als ironische Selbstzerstörung neu entsteht. Die Tragödie des "Bündnis", deren Ideale sich in den Augen der verschwindenden Lohnarbeiter als leer erwiesen haben, gleicht einem ödipalen Kind jener Epoche, das sich angesichts der Diskrepanz zwischen den großen Reden des Vaters und seinen kläglichen Taten vor Verlogenheit und Verlegenheit krümmt. Da diese "Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen" nur einen schwächlichen Patriarchen darstellten, der nicht in der Lage war, seine Selbstbestimmung universell durchzu- setzen, wurde auch die Vorstellung des Universalen durch die gesellschaftlichen Tatsachen ad absurdum geführt. Es entstand zwangsläufig ein falscher Utopismus; er projezierte die Zukunft in die Gegenwart; aus einer möglichen Zukunft heraus erscheint die Gegenwart als "erkennbar", wo allgegenwärtige Freiheiten und Erfüllungen geschehen könnten. 

Für den Markt ist daher eine solche "Bündnis"-Idee so überaus positiv, da er mit dem blutleeren Abstraktum gut leben kann; denn stände am Ende dieser "einzigen historische Leistung", die Vereinigung von Universalität und Pluralität, das Gesamtkonzept, DIE Theorien von SPD und Gewerkschaften, bräuchte er nicht ständig zwischen funktionierenden und nicht-funktionierenden Zielen zu unterscheiden. Das Tribunal der Nützlichkeit: Ein "Bündnis" , daß den "Talenten" und "Fähigkeiten" des Arbeitsmannes entsprach? Da verbindet sich schnell der Dogmatismus und die Exklusivität, das nicht zu Ende gehende Getöse der Schlachten von Arbeitsplatzbesitzern und Nicht-Arbeitsplatzbesitzern, und daß es Realisierungschancen gibt: Das "Bündnis" als Design, die Ware Arbeitskraft als Medienspektakel, die restlose Marktidentität, von der die Sozialdemokraten im Bundestag träumten, daß die KOHL-Regierung die "einmalige Chance verpaßt hätte, die Menschen in Arbeit zu bringen". (50) 

Daß der Weltmarkt die gesetzten Konkurrenzbedingungen schonunglos fortführt, sich einen Dreck um irgendwelche "Bündnisse" schert, wurde immer dort klar, wo Sozialabbau und sog,. Deregulierung der These der Wieder- oder Vollbeschäftigung widersprachen. Nie kamen die "Bündnisbauer" auf die Idee, daß es keine Vollbeschäftigung mehr gibt, daß sie in sich ein Anachronismus ist; angesichts der maroden Staatsfinanzen vielleicht nur ein Programm von vielen. Der verausgabten Zeit von Lohnarbeit ist es egal, ob sie verkürzt oder verlägert wird, gar stagniert. Entscheidend ist der gesellschaftliche Reproduktionsprozeß, und dieser kann über tausend Fäden erreicht werden (beispielsweise wenn der gesamte Lebensablauf des produktiven gesellschaftlichen Menschen neu organisiert wird!) . Erreicht er Kostenminimierung und hohe Produktivität bei gleichzeitiger maxi- maler Abschöpfung der Zuwachsgewinne (Produktivitätsgewinn), benötigt die Arbeit in der Form, wie wir sie kennen, keine Arbeitszeitverkürzung oder theoretische Sandkastenspiele, die sich vor dem Erreichen des Rentenalters als Fossil erweist.  

Ein Fortschrittsglaube, der keiner war: Der Warenmensch, der den fiktionalen Realitäten unterliegt, das diskreditierte humanistische Subjekt, beständig von den Kräften der Ware in die Tiefe hinuntergerissen. Er ist auf auf bestimmte Verhaltensweisen und Überzeugungen ausgerichtet, ohne Befreiungsklauseln, denen folgend das formendes System zu einer fixierten Identität führt, daß sie irrtümlicherweise als Freiheit ansehen. Die antithetische Vorstellung, daß das "Bündnis" Subjekt und Reibungsfläche miteinander kombinieren kann, ist mehr dem NIETZSCHEn Willen der Erobe- rung, der Erhaltung zur Macht entlehnt (51), und sie entspricht der fortgeschrittenen kapitalitischen Gesellschaft; denn wo sonst fühlt man sich durch uner- bittlich determinierte Kräfte geformt und zugleich auf alamierende und abstoßende Weise verloren? War das "Bündnis für Arbeit" nur eingepackt in den klassischen Liberalismus, in die KANTsche Dualität? (52) Das berühmte Subjekt hatte eine hervorragende Arbeit geleistet: Es fand sich gänzlich im Kosumdenken wieder. Das schizoide Selbst kannte nur das Verlangen, die oberflächliche Ähnlichkeit mit den Besitzenden zu teilen. 

Daher konnte das "Bündnis" auf zwei wichtigen Ebenen agieren: 1. Auf der skandalösen; nämlich Macht zu erhalten 2. auf der transformatori- schen; den Mechanismus von "Macht und Konsens" (53) zu kompensieren. Als komplexe Wechselbeziehung blieb es vergesellschaftet, ansonsten bezüglicher anderer apostrophierter Forderungen unverändert. In diesem weiten Sinne kristallisierte sich sehr früh die Fetischisierung von Werten heraus, die die einen - wie die SPD -. mit den "Grundwertern" bezeichneten, und viele andere, als "neue Beweglichkeit", oder bedeutungsvoller als " Kulturschub", und endlich sollte dieser in "Rot-Grün" Erfüllung finden So gab man Werturteile ab, wohlwissend, daß sie irrelevant sind. Die praktische Rangfolge war eine von Prioritäten: Sie gelten auf ewig und sind unveränderlich, nach dem Motto: Was ist besser, Hungernde zu streicheln, oder ihnen Essen zu geben, Menschen zu foltern, oder ihre Peiniger zu bestrafen? 

Verband sich das "Bündnis" im "Spiel der Kräfte" als ideologische und organisatorische Form seiner eigenen Sozialdemokratisierung? Als These formuliert, kann das niemand leugnen, weshalb es der moderne Staat und sein warenförmiger Ordnungssinn auch bis heute erhält. Der moderne Markt ebnet alle Unterschiede ein, wirft alle Abstufungen über den Haufen, die des Gebrauchswertes, die abstrakte Gleichheit des Tauschwertes. Und obwohl die "Bündnispartner" sich heroisch darum bemühten, die besondere Differenz höher zu bewerten oder einzuschätzen, setzte sich sein zu erwartende Garaus in der Selbstvernichtung fort. Wenn Geschichte auch vom Zufall bestimmt ist, und die wechselseitige Verkettung von Ereignissen nur Glieder in der Kette sind, dann mußte das "Bündnis" als eine zufällige Anordnung des Augenblicks verstanden werden, wozu ZWICKEL eigentlich nichts konnte (54); da sein Grundstock die bürgerliche Variierung war/ist, tradiert und falsifiziert. Man kann nicht so eifach zwischen Geschichte als erzählbarer und einer als kunterbuntem Chaos unterscheiden. Doch war das die rätselhafte Undurchsichtigkeit, mit der auf ewig die (wenigen) Optionen beschrieben werden mußten? 

Vom Standpunkt der Opfer aus, dem diese "Bündisse" gedacht sind, war diese Geschiche kunstvoll in Szene gesetzt, breit vorgetragen, mit Pathos, die Brille auf die Nase gesetzt und losglegt, daß selbst ein WALTER RIESTER (55) blaß wurde; gewöhnlich ein Grund zur Trauer. Eine Art teleologisches Denken brach sich Bahn: Die Autorität der postkapitalistischen Gesellschaft unterwandern zu wollen, daß automatisch auf den Kapitalismus vielleicht ein "demokratischer Sozialismus", die Ablösung der Regierung KOHL, oder was auch immer folgt! Kaum jemand glaubt, daß sich die Geschichte des "Bündnis für Arbeit" 1995/ 1996 so abgespielt hat. Es ist dennoch lohnend, sich abermals mit den Gründen. zu beschäftigen, weshalb diese Darstellung plausibel klingt. Die Moderne besitzt keinen Sinn für die Konzepte von der Gleichheit der Menschen, von einer Sozialordnung, die alle wesentlichen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern herstellen kann. Das Leben hat eben mehr Deprimierendes als Erheiterndes an sich: Unterdrückung und Ausbeutung, furchterregende Machtkämpfe, tödliche Mythologien, militärische Gewalt usw. In dieser Hinsicht ist weder romantische Nostalgie (den Besitzlosen geben, den Besitzenden nehmen), modernistisches Triumphgehabe und radikaler Antikapita- lismus (wir erreichen die Umverteilung!) angesagt. Der Traum einer Kombination der "guten" Seiten, ist der Versuch, das Schlechte gar nicht zu denken, weshalb das "Bündnis" eigentlich kaum der Diskussion wert ist. Die ihm innewohnende Vorstellung des "Jenseits von Gut und Böse" ist lächerlich, abstrakt, historisch unmöglich, so merkwürdig uninspiriert. Es spiegelt in dramtischer Form alle Gefühlsgewohnheiten unserer Kultur wider; denn es ist schwer, sich wünschenswerte menschliche Verhältnisse vorzustellen, einmal davon abgesehen, ob es überhaupt möglich ist, sie jemals herbeizuführen. 

Aus diesem Grunde ist jene Gleichheitsvorstellung, die unterschwellig in ihm angelegt ist, nichts anderes als eine bürgerliche Abstraktion, die immer wieder mit der Warenform gebildet wird, und auf der Ebene des Marktes solange funk- tioniert, wie eben eine Ideologie funktioniert, solange dafür ein wenig Verwen- dung besteht. Kurz: Das "Bündnis" greift etwas von der materiellen Logik des modenen Kapitalismus auf, will sie eintauschen in ein nebulöses Gerede über Fortschritt, Ver- nunft, Pluralität, Multiplizität, Offenheit, Solidarität, Gleichheit usw. Ein systemoppositioneller Nachfolger ist es dabei nicht; weil ihm die Marktradikalität keine Chance läßt, weil es im Widerspruch zu seiner eigenen Logik steht. 

Anmerkungen:

(49) In der Argumentation der Gewerkschaften war der Sozialabbau der KOHL-Regierung immer mit einem "Beschäftigungspakt" verbunden, den es gelte, (neu) zu schmieden. In ihm war das "Bündnis für Arbeit" als zentrales Instrument eingebettet. 

(50) Vgl. z. B. die ZWICKEL-Rede auf der Bonner-Demonstration gegen "Sozialabbau", die am 28. 6. 1996 in Bonn stattfand. Dort vertrat er auch die Auffassung, daß KOHL (die Bundesregierung), der "Konkursverwalter der sozialen Marktwirtschaft ist". Zitiert nach: Datenbank TAZ-Archiv, 28. 6. 1996. Vgl. auch die Reden am 1. Mai von D. SCHULTE in München; ÖTV-MAI in Dortmund; ZWICKEL in Ingolstadt; zitiert nach: Datenbank TAZ-Archiv, 2. Mai 1998. 

(51) Die Irrationalismen NIETZSCHEs kommen am deutlichsten in seiner letzten Schaffensperiode (1882-1888) zum Ausdruck, als er sich der ZARATHUSTRA-Gestalt zuwandte, dort vom "willen der Macht", von der "Ewigen Wiederkehr des Gleichen" und vom "Übermenschen" sprach. Es wäre eine sehr schlimme Fehldeutung, wenn man den "Bündnis"-Bau- ern unterstellen wollte, daß sie den "Glauben an die Macht der Vernunft" von NIETZSCHE entlehnt hätten. Allerdings lassen sich gewisse philosophische Bezüge nicht verheimli- chen: Wenn ein "Erkenntnisoptimismus" bei NIETZSCHE kritisiert wird, der als Universalprinzip, als bewegende Kraft, Einzug in das Sein der Menschen hält, dann kommen die Aphorismen, die das "Bündnis" laufend unterstellt, zumindest in die Nähe der sich "wiederholenden Kreisläufe" des Staates. Vgl. F. NIETZSCHE, Werke in vier Bänden, Bd. I, S. 279ff, Salzburg 1985.

 (52) Die KANTsche Dualität zeigte sich u. a. in der Annahme von entwe- der zwei sich ergänzenden oder gegensätzlichen Prinzipien (z.B. These- Antithese; Abstraktheit-Konkretheit; Raum-Zeit usw.).

 (53) Vgl. JOHANNES AGNOLI: "Die Transformation der Demokratie", Freiburg i. Br., 1990, S. 56.

 (54) ZWICKEL unterwarf sich nur den historischen Prozessen der Warenproduktion. Der Nimbus der Deutschen Gewerkschaften, "Systemfeind- schaft" darzustellen, die sie in Wirklichkeit nicht ist, resultiert nicht daraus, daß sie eine Antikapitalismusopposition aufbauen oder fortführen will, sondern aus einer Fehleinschätzung, dazu beitragen zu können, daß sich die Kapitalverhältnisse durch die Einbeziehung sämtlicher gesell- schaftlicher Schichten "reformieren" (Veränderbarkeit des "Sozialcharakters" der Deutschen Republik) lassen. Insofern hätten auch andere seine Thesen vortragen können: Kapitalisti- sche Geschichte hat viel mit Rezepten zu tun. ZWICKEL tat nur das, was der Warenform entsprach.

 (55) Bis heute ist ungeklärt, in welchem organisatorischen Rahmen das "Bündnis für Arbeit" vorher abgesprochen war. Bei der Befragung eines Delegierten aus Gelsenkirchen, teilte mir dieser mit, daß keiner der Anwesenden vom ZWICKEL-Kurs (außer wohl dem IG Metall Vorstand?!) im Vorfeld Kenntnis hatte. RIESTER tat im übrigen so, als er nicht eingeweiht gewesen. 

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