Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Stahlarbeiter werden vor Nicolas Sarkozys Wahlkampf-Hauptquartier weggeknüppelt
Der ,Kandidat der kleinen Leute’ empfängt die kleinen Leute mit Bereitschaftspolizei & Tränengas

03/12

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Die Arbeiterschaft lädt sich in den französischen Wahlkampf ein. Und dies in anderer Form, als dies den Hauptkandidaten lieb sein dürfte.

Seit mehreren Monaten liegen die Hochöfen der lothringischen Stahlindustrie, oder was davon bislang übrig blieb, in Florange und Gandrange (in der Nähe von Thionville, d.h. nördlich von Metz und unterhalb der luxemburgischen Grenze), bereits still. Das Problem für Noch-Präsident Nicolas Sarkozy, der sich erneut um dieses Amt bewirbt: Er hat vor nunmehr vier Jahren den vom drohenden Verlust ihrer Arbeitsplätze betroffenen Stahlarbeitern versprochen, ihren Broterwerb zu retten.

Anlässlich eines Blitzbesuchs mit einer Gesamtdauer von 45 Minuten im Februar 2008 hatte Sarkozy angekündigt, der französische Staat werde die für den Weiterbetrieb nötigen Investitionen zum Teil oder in Gänze übernehmen“. Wörtlich verkündete Sarkozy damals: Entweder schaffen wir es, Lakshmi Mittal, den Chef von Arcelor-Mittal die britisch-niederländisch-indische Firma Mittal ist seit einigen Jahren um weltweiten Stahlkonzern Nummer Eins aufgerückt und fusionierte 2006 mit dem europäischen Branchenriesen Arcelor (welcher seinerseits 2004 aus der Fusion von Firmen in Frankreich, Belgien, Luxemburg und Spanien hervorging) – und wir investieren zusammen mit ihm. Oder aber wir finden einen Übernahmekandidaten, und wir investieren zusammen mit ihm.“ Dieses Wörtchenwir bezeichnete natürlich die öffentliche Hand. – Vgl. dazu http://www.lefigaro.fr/

Zum damaligen Zeitpunkt benötigte Sarkozy dringend ein Symbol für seine vormalige Arbeiterwählerschaft: Zwar hatten rund 50 Prozent der Produktionsarbeiter/innen bei der Präsidentschaftswahl 2007 für Nicolas Sarkozy gestimmt, angezogen u.a. durch sein längst famos gewordenes Versprechen Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“. (Welches die Vorstellung beinhaltete, zwar könne man die Verteilung zwischen Arbeit und Kapital nicht antasten, wohl aber könne die Vermehrung von Überstunden dazu beitragen, dass am Ende des Monats mehr in der Lohntüte landet. Vgl. zu Sarkozys Wahlkampf von 2006/07 und der Arbeiterschaft auch: Die wundersame Wandlung des Nicolas Sarkozy und Blut, Scheiß und Tränen sowie Sarkozys Ardennenoffensive) Dieses Versprechen, dem tatsächlich vielfach geglaubt worden, wurde jedoch schnell enttäuscht. Nachdem bereits im Frühsommer und Herbst 2007 viele persönliche Affären des alsbald alsSchicki-Micki-Präsident bezeichneten Sarkozy hinzukamen begonnen bei seinem Ausflug auf der Privatyacht des befreundeten Milliardärs Vincent Bolloré ab dem 07. Mai 07 -, wandte sich die Arbeiterwählerschaft innerhalb weniger Monate in Scharen ab. Sarkozy benötigte also ein Symbol, um sein Versprechen von der Aufwertung der Arbeit als positivem Wert (la valeur travail)“ zu untermalen (mittels dessen er allerdings, anders als das verbreitete Missverständnis behauptete, kein besseres Leben für die Lohnabhängigen angestrebt hatte, sondern ein verstärktes kapitalistischesArbeitsethos“). Damals kam Gandrange also wie gerufen. Zu dem Zeitpunkt, Anfang 2008, ging es unmittelbar um 575 bis 595 von insgesamt 1.200 Arbeitsplätzen, die vom Wegfall bedroht waren.

Nur genau ein Jahr später stellte sich allerdings heraus, dass ein Gutteil der in Aussicht gestellten Versprechungen nicht eingehalten worden war, vgl. dazu http://www.liberation.fr und http://www.dailymotion.com (Beiträge vom Februar 2009).

Am 1. März dieses Jahres erinnerte sich Sarkozy, erneut Präsidentschaftskandidat, nunmehr drei Jahre später an die Arbeiter von Gandrange. Wieder einmal benötigt er ein Symbol für seine Schaffenskraft als Staatsoberhaupt, das sich unermüdlich für die Arbeit (..-er) einsetze. Nunmehr verkündete er, vom Chef von ArcelorMittal einbedingungsloses Versprechen auf 17 Millionen Euro Neuinvestitionen im lothringischen Stahlrevier erhalten bzw. dieses ihm abgerungen zu haben. Doch nach nur einer Woche platzten dort die Verhandlungen zwischen der Direktion und den örtlichen Gewerkschaften (hauptsächlich CGT und CFDT): Die Leitung wolle ihnennicht einmal einen Weiterbetrieb bis Ende März 2013 schriftlich zusichern“, geschweige denn weitere Garantien abgeben, beschwerten sich die Beschäftigtenvertreter. Vgl. http://actu.orange.fr/

Um sich als (jedenfalls verbalen) „Retter“ in Szene zu setzen, lud Nicolas Sarkozy die beiden Gewerkschaften für den kommenden Montag, also den 19. März 12, in den Elysée-Palast ein. Doch die Lohnabhängigen und ihre Vertreter kamen ihm zuvor. Am Donnerstag, 15. März kündigten sie an, sie würden der Vorladung in die goldüberladene Atmosphäre des Elyséepalasts nicht Folge leisten – forderten aber, zusammen mit 200 nach Paris angereisten Arbeitern direkt empfangen zu werden. Die Delegation führte ein Picknick im öffentlichen Raum in Paris durch und begab sich zum Wahlkampf-Hauptquartier Nicolas Sarkozys im 15. Pariser Bezirk.

Doch wurden sie jedoch durch Tränengas und Bereitschaftspolizei empfangen. Entsprechend spürbar war die Wut der Betroffenen. (Vgl. dazu einen Zeitungsbeitrag mit Videoausschnitten: http://www.lemonde.fr/ ) Nicolas Sarkozy giftete mit Manipulationsvorwürfen an die Adresse der CGT zurück. Diese kümmert sich im zufolge nicht um die Arbeiter“. Vielmehr strebe sie danach, oh Frevel!, eine politische Rolle zu spielen“.

Verbal ist nunmehr „der Krieg“, wie manche Presseorgane schrieben, zwischen Sarkozy und der CGT eröffnet. Diese ruft – ohne sich explizit für irgendeine Kandidatur auszusprechen – dazu auf, bei den Wahlen „gegen Sarkozy zu stimmen“.

NACHSPIEL: Am selben Tag (15. März 12) traute sich ein junger Journalist, den Präsidenten nach den Bildern von den Tränengasangriffen auf die Stahlarbeiter zu fragen. Er befragte ihn dazu, ob dies nicht einen schlechten Eindruck zu hinterlassen drohe. Sarkozys einmal mehr vulgär ausfallende Antwort (wie bereits wiederholt in den letzten Jahren, wenn Sarkozy mit Kritik konfrontiert wurde) lautete zunächst: Was glaubst Du, wo ich mir hinstecke, was Du mich da fragst?“ Um mit Blick auf die übrigen Umherstehenden hinzuzufügen: Was für eine Pfeife, geh’! Aber er ist noch jung...“ Vgl. http://www.lepoint.fr und http://www.lemonde.fr

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