Wahlunruhen in Bangladesch

von Atilla Steinberger

03-2014

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Die politischen Unruhen in Bangladesch hielten auch während der aktuellen Parlamentswahlen an. Schon im Vorfeld der Wahl von 2008 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der regierenden konservativ-islamistischen Koalition aus Bangladesh National Party (BNP) und Jamaat-e Islami (JI) auf der einen und den meisten anderen Parteien auf der anderen Seite. Auslöser war eine islamistische Anschlagsserie, wobei die Täter aus dem Umfeld der JI stammten. Als die Regierung schließlich einen “Einzeltäter” präsentierte, der die 500 Bomben nahezu zeitgleich gelegt haben soll, kam es zu massiven Protesten. Die Regierung wurde von der Opposition um die Awami League (AL) aus dem Amt gejagt und setzte sich in die Vereinigten Arabischen Emirate ab. Allerdings hat das Militär 2007 geputscht und neben Regierungsmitgliedern vor allem auch die führenden Personen der Opposition inhaftiert sowie mehrere hundert bis tausend Demonstranten ermordet. Das Militär installierte eine Marionettenregierung, in Bangladesch „caretaker-government“ genannt, und bereitete die Wahlen für 2008 vor als sich keine Zivilperson fand. Aus diesen ging die AL mit einem überwältigenden Sieg hervor. Sie selbst errang fast 50% der Stimmen und ihr Bündnis die 2/3-Mehrheit. Die vorher an der Macht beteiligten Islamisten flogen aus dem Parlament. Das islamistische Bündnis aus JI, Islami Oikye Jote und weiteren islamistischen Splitterparteien konnten noch nicht einmal mehr gemeinsam die 5%-Hürde überwinden.

Diese Konflikte zwischen den Parteien spiegeln zentrale Auseinandersetzungen um Nationalismus, soziale Frage und Demokratie wieder, wobei die soziale Frage schon in der Unabhängigkeitsbewegung sowohl von England als auch von Pakistan immer mehr hinter dem Nationalismus verschwindet. Deshalb ist es notwendig einen historischen Abriss zu geben um die Konfliktlinien darzulegen. Im Folgenden beschränkt es sich auf den Konflikt zwischen der Awami League und der BNP und den Islamisten. Natürlich beinhaltet dies eine gewisse Staatsfixierung, die auch in Bangladesch Gegenstand keynesianischer Nostalgie ist. Das Grundversprechen der postkolonialen Zeit und der Unabhängigkeit von Pakistan 1971 war, dass der Staat bestimmte Aufgaben wahrnimmt, und sich darin auf sozialen Ausgleich und Landesentwicklung beschränkt. Ab Mitte der 70er Jahre trat unter der Militärdiktatur die neoliberale Wende in kraft und der Staat wurde nominell auf das Setzen der „Rahmenbedingungen“ reduziert. Seit den 90er Jahren bestehen diese Rahmenbedingungen aus dem Anlocken ausländischer Direktinvestitionen und Exportindustrialisierung. Das Wohlergehen der Unternehmen wird hierbei gestützt, nicht aber das der Beschäftigten oder anderer ökonomischer Gruppen im Land

a) Unabhängigkeit von England

Pakistan ist aus der Erbmasse der indischen Kronkolonie Indien und verschiedenen princely States hervorgegangen. Aufgrund unterschiedlicher Ursachen – hier werde ich nicht darauf eingehen – hat sich eine tiefe Kluft in der indischen Unabhängigkeitsbewegung zwischen Anhängern Gandhis bzw. der “gandhian solutions”, der “Muslim League” um Ali Jinnah und den Hindu-Faschisten entwickelt. Da ein gemeinsamer Staat abgelehnt wurde, kam es zur Teilung Indiens in einen muslimischen und einen größeren nichtmuslimischen Teil. Resultat dieser Teilung waren nicht nur zwei Staaten, sondern auch umstrittene Grenzen (z.B. Kaschmir) und die größte Fluchtbewegung der Welt, als man euphemistisch die Bevölkerung ausgetauscht hatte, sowie mehr als eine Million Tote. Pakistan sollte die Heimstatt der Moslems werden. Dabei war vollkommen unklar, welchen Charakter dieser Staat haben sollte: Sollte er ein Staat der Muslime werden oder doch ein islamischer Staat.(1) Im ersten Fall würden die Repräsentanten der Staatsbürger Gesetze und Politik nach eigenen bzw. ausgehandelten Motiven und Bedingungen machen. Im zweiten Fall würden die Islamisten Gesetze und Politik bestimmen und ihre Politik hinter der Bezeichnung “islamisches System” verbergen um auf etwas Höheres und Erstrebenswerteres als ihr Eigeninteresse zu verweisen. Zunächst versuchte sich Jinnah in der Konsolidierung des Landes. Denn es war nicht nur zwischen Ost- und Westpakistan gespalten – zwischen den Landesteilen liegen 1200 km -, sondern die Grenzregionen zu Iran und Afghanistan waren bislang kaum kontrolliert. Jinnah versuchte die unter den Engländern bestehende Selbstverwaltung verschiedener Stämme und Fürstentümer aufzuheben und löste dadurch Konflikte aus. Vorherrschende politische Bewegungen wollten entweder einen eigenen Nationalstaat (z.B. Paschtunen, Belutschen, Kashmir) gründen oder waren zwar für ein Pakistan, aber unter anderer ökonomischer Prämisse. Die sog. North-Western-Frontiers (in Deutschland häufig Stammesgebiete genannt) standen kurz vor der Übernahme durch sozialistische Bewegungen. All diese Zerrissenheit Pakistan sollte durch einen kräftigen Nationalismus und Chauvinismus gelöst werden. Zunächst versuchte man die Region Kashmir zu annektieren, was allerdings kräftig misslang. Als nächstes sollte Urdu als Landessprache durchgesetzt werden. Urdu wurde nur von einer Minderheit gesprochen, Bengali dagegen von fast der Hälfte der Bevölkerung. Die Begeisterung hierfür hielt sich verständlicherweise in Grenzen. Insbesondere bedeutete dies, dass die Personen, die kein Urdu sprachen, von Staatsposten und von der Wirtschaft ausgeschlossen und strukturell benachteiligt wurden. Bereits in den 20er und 30er Jahren wurde verhindert, dass Hindi von den Engländern als landesweite Sprache in der damaligen Kolonie eingeführt wurde. Neben den südindischen Tamilen (anti-Hindi Movement) mobilisierten vor allem die Bengalen ihre “Sprachbewegung”. Bereits zuvor hat sich eine bengalische Reformbewegung gebildet, die man rückblickend als Bengal Renaissance bezeichnet hat. Sie war vor allem eine sozialreformerische und religiöse Bewegung. Sie produzierten nämlich nicht nur die Literatur und Poesie wie die Werke von Rabindranath Tagore und Kazi Nasrul Islam, sondern forderte Reformen sowohl von Hindus wie von Moslems: Emanzipation der Frauen, Aufhebung der Kasten, Verzicht auf Frauenmord – heute werden sie als Mitgiftmorde, dowry murders, bezeichnet -, Verbot der Witwenverbrennung und ein Ende der Konflikte zwischen den Religionen. Aus der Bengal Renaissance stammt auch eine der einflussreichsten theologischen Neuerungen Indiens Ende des 19. Jahrhunderts, das Adi Dharma: Es sei nicht wichtig, wie man zu seinem Gott/Göttern bete oder welche Form die Rituale annehmen, solange man nur Gott preise. Parallel wurden soziale Einrichtungen und Lehranstalten geschaffen. Die bekanntesten Einrichtungen gründeten Sri Aurobindo und Swami Vivekanda mit der Ramakrischna-Mission. Die Verbindung aus Religion, Emanzipation, Bildung und sozialer Frage war auch der wesentliche Faktor, weswegen Religion in der indischen Unabhängigkeitsbewegung eine so große Rolle spielte, da man sie mit nachvollziehbaren Perspektiven verband. Ein wichtiges Detail ist die materielle Dimension, die ja sonst nur zu häufig ausgeblendet wurde. Unabhängig von der Bengal Renaissance entwickelten sich in Bengalen, genauso wie in ganz Indien, verschiedene nationalistische Bewegungen, von denen die meisten auf die Religionen Bezug nahmen, aber unter dem Verweis der Trennung der Religionsgemeinschaften. Die Konflikte zwischen den Gruppen waren darin bereits angelegt und wurden von den Kolonialherren zwar nicht hervorgerufen, wie einige Inder und Pakistani es auch heute noch behaupten, aber begünstigt und angeheizt. So nahmen die Engländer die Teilung Bengalens nach religiösen Gruppen im Jahr 1905 vor, was erheblichen Protest hervorrief. Dieses Vorhaben wurde 1911 aufgegeben, aber Vertreter der muslimischen Seite wurden durch eigene Institutionen (u.a. die Dhaka University) „gefördert“, wobei dies die schulische Trennung in Religionen vorwegnahm und somit die Kluft förderte. Insbesondere konservative muslimische Kreise wie die Deobandi-Bewegung gründeten in Bengalen Qawmi-Schulen (Qawm = Nation, Qawmi = nationalistisch). Anstatt englische oder indische Erziehungseinrichtungen zu besuchen, ermutigten die Deobandis, dass Eltern ihre Schüler auf ihre Schulen schichten sollten, wo sie unabhängig und in einem „unbelasteten“ Lehrbereich in den Grundlagen „ihrer“ Kultur unterrichtet wurden. Der Unterricht bestand ausschließlich aus Koranunterricht und die Lehrsprache war Urdu, also eine Fremdsprache. Neben den Deobandis gab es weitere Gruppen wie die Jamaat-e Islami, die der Pakistan-Bewegung angehörte, und im 19. Jahrhundert die Faraizi-Bewegung. Diesen Gruppen ist gemeinsam, dass sie in den Raum stellen, dass bengalische Moslems keine guten Moslems wären und man sie erst dazu erziehen müsse. Nur die richtige Befolgung der Rituale, die Einhaltung der Verbote und natürlich die strikte Trennung von Ungläubigen ermöglichen ein tugendhaftes Leben. So gibt es gegenüber den Bengalen eine spezifische Form des Rassismus. So wird unterschieden in sogenannte ursprüngliche (ashraf) und spätere Moslems. Während die Erstgenannten als Moslems nach Bengalen gekommen sind, entweder als Eroberer, Händler oder als Einwanderer, sind die Letzteren erst nach der Eroberung konvertiert, also wenig mehr als assimilierte Wilde. Noch heute gibt es in Pakistan den rassistischen Ausdruck „Bingo“ für die angeblich dunkleren Bangladeschis oder direkt „schwarze Affen“.Auf hinduistischer Seite spielte vor allem die Hindutva-Bewegung die chauvinistische Rolle. Ihre Forderung besteht darin die angebliche Diskriminierung der Hindus zu beenden und die moslemische Gefahr auszuschalten. Die wichtigsten Organisationen sind die RSS – sie haben u.a. Gandhi ermordet -, die BJP (u.a. Gujarat Pogrom) und der Vishwa Hindu Parishad. Natürlich gehen diese Gruppen gerne aufeinander los, aber noch mehr favorisieren sie es Unbewaffnete zu überfallen und Frauen zu vergewaltigen. Ein grundsätzliches Problem mit der englischen Kolonialherrschaft hatten beide Seiten im Grunde nie. Ab den 40er Jahren entzündeten sich in Bengalen die Auseinandersetzungen und führten zu den Kalkutta-Unruhen, Massakern im heutigen Bihar und in Bangladesch (insb. im Noakhali-Distrikt).

All diesen Gruppen, gleich welche Identitätsgruppe sie sich annahmen, ist gemeinsam, dass die soziale Frage nicht vorkommt. Während sie das Private zunehmend politisieren und in die Öffentlichkeit zerren, wird das Ökonomische privatisiert. Die soziale Frage wird auf den Einzelnen geschoben und der individuelle Antrieb als Hauptfaktor für die erfolgreiche Bestreitung des Lebensunterhalts gesehen. Oder direkt formuliert: Wer arm ist, strengt sich nach ihnen einfach nur nicht genug an und ist für sie ein schlechter Hindu bzw. Moslem.

b) Nationalistische Konsolidierung in Pakistan.

Bereits in den 20er Jahren formierte sich die Muslim League in der indischen Unabhängigkeitsbewegung und forderte Heimstatt der Moslems in der ehemaligen Kolonie Indien zu gründen. Dabei war vollkommen unklar, welchen Charakter dieser Staat haben sollte: Sollte er ein Staat der Muslime werden oder doch ein islamischer Staat. Im ersten Fall würden die Repräsentanten der Staatsbürger Gesetze und Politik nach eigenen bzw. ausgehandelten Motiven und Bedingungen machen. Im zweiten Fall würden die Islamisten Gesetze und Politik bestimmen und ihre Politik hinter der Bezeichnung “islamisches System” verbergen um auf etwas Höheres und Erstrebenswerteres als ihr Eigeninteresse zu verweisen. Ähnlich sind auch in vielen anderen Ländern Konflikte gelagert: u.a. Indien, Türkei, Israel, USA (u.a. god’s own country). Gemeinsam ist diesen Ländern, dass es sich um ehemalige Kolonien handelt, zudem in vielen Fällen um diskriminierte Gruppen. Die Abgrenzung von einem äußeren Feind fällt dabei sehr leicht. Allerdings bleibt unbestimmt, was mit den „Staatssubjekten“ geschehen soll. Besonders in Hinblick auf ethnische und religiöse Minderheiten wird eine nationalistische Politik betrieben.

In Pakistan wurde das Problem so geschaffen, dass Ali Jinnah das Staatsgebiet konsolidieren wollte. Denn es war nicht nur zwischen Ost- und Westpakistan gespalten – zwischen den Landesteilen liegen 1200 km -, sondern die Grenzregionen zu Iran und Afghanistan waren bislang kaum kontrolliert. Jinnah versuchte die bis dato herrschende Selbstverwaltung aufzuheben und alle Minderheiten auf eine Staatsethnie einzuschwören. Ausgerechnet Urdu sollte Landessprache werden, die Sprache einer absoluten Minderheit in Pakistan. Noch nicht einmal Regionalsprachen (z.B. Paschtu, Punjabi, Sindhu, Bengali) waren zugelassen. Dies löste natürlich Konflikte aus. So entwickelten sich seit Ende der 40er Jahre zahlreiche nationalistische und sozialdemokratische Parteien und Bewegungen. Die größte ist die Awami League (kurz AL, ursprünglich Awami Muslim League). Je nach Gruppe wollte man einen eigenen Staat gründen (z.B. Kashmir, Punjab), Regionalautonomie (Bengalen, North-Western-Frontiers, Sindh) oder gleich eine sozialistische Republik. Die sog. North-Western-Frontiers (in Deutschland häufig Stammesgebiete genannt) standen kurz vor der Übernahme durch sozialistische Bewegungen. Als Jinnah vor diesen Problemen stand, revidierte er nicht seine Politik, sondern versuchte diese Zerrissenheit durch die Propagierung von Nationalismus und Chauvinismus zu lösen. Zunächst versuchte die pakistanische Regierung die Region Kashmir zu erobern, was allerdings kräftig misslang und bis heute einen schwelenden Konflikt zwischen den beiden Staaten und innerhalb der Region verursacht hat. Auch der Nationalismus im Staatsapparat wurde vorangetrieben und jeder Beamte ohne Urdu-Kenntnisse entlassen.

Das einzige, was die politische Elite Pakistans, den Bürgern bieten konnte, war Nationalismus. Trotz enormer Wachstumszahlen (meist über 6%) änderte sich an der Armut kaum etwas. Insbesondere in der Landwirtschaft änderte sich nichts, von der damals die überwiegende Mehrheit lebte. Sie war in einen großen Block Großgrundbesitzer (u.a. die Bhutto-Familie) und einen bedeutend kleineren Block an Kleinbauern aufgeteilt. Hinzu kamen Subsistenzbauern und Nomaden. Ausreichend Überschüsse um Kapital für Investitionen zu bilden, war nur den Großgrundbesitzern möglich. Ihre Art der Wirtschaft beschränkt sich aber darauf, entweder Bauern als Pächter arbeiten zu lassen oder sog. “cash-crops” wie Baumwolle und Zuckerrohr anzubauen. Im ersten Fall konnten die Pächter kaum Kapital bilden bzw. wurde dies bei Ernteeinbußen, Krankheit oder für die Bildung der Kinder aufgezehrt. Im zweiten Fall handelte es sich überwiegend um Menschen, die nur saisonal beschäftigt waren und ansonsten versuchten mit einem kleinen Gemüsegarten, Schafen und Ziegen oder als Tagelöhner in den Städten durchzukommen. Da durch die Pacht also Geld reichlich floss, mussten die Großgrundbesitzer nichts investieren. Als Produzenten von cash-crops belieferten sie nur zu einem geringen Anteil die weiterverarbeitenden Industrien, der Rest ging in den Export. Das Kapital steckten sie meist in Beteiligungen von Großunternehmen und Banken. Wirtschaftspolitische Maßnahmen um die Landwirtschaft in die weiterverarbeitende Industrie zu integrieren wurden kaum ergriffen und auch Agrarreformen blieben aus – von einer Bodenreform ganz zu schweigen. Sozialer Ausgleich und Landesentwicklung spielten keinerlei Rolle, auch wenn Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsprogramme aufgebaut wurden. Diese beschränkten sich aber weitgehend auf Westpakistan. Ganz im Gegenteil flossen Subventionen in Großunternehmen, die alsbald Monopole bilden konnten (u.a. Bauunternehmen, Konsumgüter, Elektronik, Energie).

Bengalen war vor und während der Kolonialherrschaft einer der höchstindustrialisierten Räume der Welt. Noch heute erzählen englische Kolonialautoren (u.a. Niall Ferguson) gerne das Märchen, dass Indien nur ein Agrarland gewesen wäre, kaum angeschlossen an den Weltmarkt und nicht in der Lage eine eigene Ökonomie aufzustellen. Vor der Kolonialisierung war Bengalen nicht berühmt für Textilien, Seide und Musselin, sondern auch für Salpeter, Stahlerzeugnisse und Rüstungsindustrie (u.a. Waffen aus Wootz-Stahl). Durch den Kolonialismus erlitten die bisherigen Industrien Einbußen, vor allem wegen der englischen Monopolpolitik, aber auch, weil die Absatzmärkte auf England ausgerichtet wurden. Auch die Handelshäuser Bengalens verschwanden. Nach der Unabhängigkeit 1947 konnte Westbengalen die Industrialisierung wieder vorantreiben, insb. in der Montanindustrie (z.B. Durgapur, Asansol, Burnpur, Raniganj, Kulti). Die früher zu Bengalen gehörenden indischen Bundesstaaten Jharkhand, Chhattisgarh und Bihar bilden den altindustrialisierten Gürtel Indiens. Die Industrie Ostpakistans dagegen wurde von der pakistanischen Regierung nicht gefördert. Ziegel-, Textil- und Juteindustrie wurden zu den Hauptbetrieben. Noch heute kann man die Auswirkungen an der Branchenstruktur erkennen: So gibt es einige Großunternehmen und zahlreiche mittlere und kleine Unternehmen. Das erschwert neben den allgemeinen organisatorischen Problemen und der Repression auch Gewerkschaften die Organisation, weil so die Arbeiter auf viele Unternehmen verteilt sind. Durch die Teilung Indiens verlor Ostpakistan zudem seine Absatz- und Zuliefermärkte. Das Land ist weitgehend arm an mineralischen Rohstoffen zur Erzgewinnung mit Ausnahme einiger Vorkommen von Eisenoolith. Energierohstoffe stehen fast nur in Form von Wasserkraft und Holz sowie geringen Gas- und Kohlevorkommen vor. In Indien würde es diese Rohstoffe aber reichlich geben.

Ein politischer Lösungsversuch für die soziale und politische Frage wurde 1956 gemacht. Pakistan trat aus dem Commenwealth aus, nannte sich fortan “Islamische Republik” – 1956 noch eine Floskel -, erkannte zumindest Bengali als Staatssprache an und gab den Distrikten Regionalautonomie. Jedoch brachte dies keine Beruhigung der Lage. Nach zwei Jahren der andauernden politischen Krise putschte zum ersten Mal das Militär unter Ayub Khan. Zur Konsolidierung integrierte er die Islamisten, insb. Mawdudis Jama’at-e Islami (kurz JI) und die Deobandis (die geistige Vordenker der Taliban), in den Staat und v.a. die Gerichtsbarkeit. Die JI wurde auch ökonomisch bedacht durch Spenden an ihre Stiftungen. Heute operieren Unternehmen der JI global. Maulana Taqi Usmani gehört verschiedenen Aufsichtsräten von Banken in Pakistan und im Nahen Osten an, z.B. der al Meezan Bank. Der Vorteil der Integration der Islamisten lag darin, dass sie den Staat mit Legitimation versorgten, insb. durch das Zusammenziehen und beständige Beschwören von Nation, Staat und Religion – Zia ul Haq brachte es 20 Jahre später auf die prägnante Formel “eine Religion, eine Nation, ein Führer” – und, dass aus ihren Reihen kein Risiko drohte. Zur weiteren Konsolidierung integrierte man in Pakistan aber nicht die verschiedenen nationalistischen oder sozialen und ökonomischen Gruppen wie es zum Beispiel in anderen Militärregierungen stattfand, sondern überzog sie mit Repression. Ahmadiyyas, Sikhs, Hindus, Buddhisten und Christen wurden als religiöse Abweichler und Paschtunen, Belutschen und Bengalen als nationale Abweichler gebrandmarkt und verfolgt. Man wählte dieses Vorgehen, vermutlich aus mehreren Gründen. (1) Zum einen wollten Eliten die materiellen Ressourcen nicht teilen, weder Land, noch Geld. (2) die exemplarische Stigmatisierung und Verfolgung einer Gruppe sollte alle anderen abschrecken. (3) Die Sicherung der Staatsideologie aus Islam und Nation, die über den entsprechenden Regionalidentitäten stehen solle.

c) Unabhängigkeitsbestrebung von Pakistan

Wegen wiederholter Wahlfälschungen (1965) und Wahlfarcen (1961), Verhaftungen und Ermordungen wuchs in Ostpakistan das Bestreben nach Unabhängigkeit. Auch im Rest des Landes regte sich enormer Unmut gegen Ayub Khan, was diesen nur zu noch mehr Repression anstachelte. 1969 trat Ayub Khan zurück und General Yahya Khan folgte ihm. Dieser wurde in den folgenden Jahren mit zwei Titel gewürdigt: “Butcher of Bengal” und “Butcher of Baluchistan”. Bevor er sich jedoch diese Titel verdiente, versuchte er durch politische Zugeständnisse die Lage zu beruhigen. Für 1970 kündigte er Parlamentswahlen an, ausnahmsweise sollten sie frei sein. Dies sollte zunächst die Lage beruhigen. Außerdem wollte er mit Teilen der westpakistanischen Opposition um Ali Bhutto einen Kompromiss finden um gemeinsam gegen die Separatisten vorgehen. Dies gelang ihm auch mit dem Versprechen Bhutto an der Macht zu beteiligen.

Kurz vor den Wahlen wurde Ostpakistan, insb. um Chittagong und den Küstenstreifen Cox Bazar, von einem heftigen Wirbelsturm verwüstet. Mehrere hunderttausend Menschen kamen dabei ums Leben. Yahya Khan kümmerte sich darum aber nicht. Vermutlich, weil es nur die Bengalen betraf. Dies vergrößerte die Unmut und die Awami League erlangte in den nachfolgenden Wahlen mit fast 50% die meisten Stimmen. Bhuttos Pakistanische Volkspartei kam dagegen nur auf 25%. Yahya Khan ließ daraufhin das Militär in Ostpakistan verstärken und eine Besprechung in Dhaka mit Bhutto und Mujibur Rahman, dem Parteivorsitzenden der Awami League, anberaumen, um eine politische Lösung zu finden. Den Forderungen nach Autonomie und eigenem Militär für Bengalen wollten Yahya Khan und Bhutto nicht nachgeben. Da die Awami League daraufhin zum passiven Widerstand und Generalstreik aufrief, entschlossen sie sich den Widerstand in der Operation Searchlight zu brechen.

Diese Operation sah vor die gesamte intellektuelle Elite Ostpakistans zu ermorden um das gesamte Zivilleben zusammenbrechen zu lassen. So sollte nicht nur keine neue Führung entstehen, sondern auch die Menschen mit dem nackten Überleben als mit Politik beschäftigt sein. Die Islamisten aus der Jama’at-e Islami sollten die kulturelle Lücke mit ihrem Islamismus füllen. Mawdudi erklärte von Beginn an seine Zusammenarbeit mit Yahya Khan und Bhutto. Den bengalischen Nationalismus bezeichnete er als takfir, “Abfallen vom Islam“, weil Pakistan ein islamischer Staat sei. Daher wäre jeder regionale Nationalismus Ketzerei, von Regionalautonomie und Separatismus ganz zu schweigen, und die Verfechter müssten getötet werden.

Zur Kontrolle des Landes wurden auf kommunaler Ebene “Shanti Commitees” gebildet, die von staatstragenden Zivilpersonen geleitet wurden. Sie wurden zwar vordergründig als kommunale Selbstverwaltungseinheiten aufgebaut, dienten aber militärischen Zwecken. Die wichtigste Funktion war das Aufstellen von Milizen und Aufklärung. Sie sollten vor allem ein Gegengewicht zum bengalischen Widerstand bilden, Informationen über Personen sammeln und Todeslisten erstellen. Die Jama’at-e Islami nannte ihre Verwaltungen “Fortschritts- und Friedensräte“. Dort wurden die islamistischen Todesschwadronen ausgehoben, die Ash Shams, Razakar und Al Badr Milizen. Diese wurden von Ghulam Azam (Amir/Führer der Jama’at-e Islami Bangladesch von 1969 – 2001) und Motiur Rahman Nizami (Amir der JI Bangladesch seit 2001) angeführt. Neben Intellektuellen und politischen Feinden, wurden insbesondere Minderheiten wie Hindus, Christen, Buddhisten und Animisten ermordet.

Da das bengalische Militär nicht vollkommen zerschlagen werden konnte, bildete es Guerrilla-Truppen, die Mukhti Bahini. In Zusammenarbeit mit dem indischen Militär gewannen sie schließlich im Dezember 1971 den Krieg.

d) Autokratisierung nach der Unabhängigkeit

Im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit wird das Fundament für den heute zentralen Konflikt zwischen der Awami League und der Bangladesh National Party gelegt. Dieser Konflikt ist weitgehend persönlicher Natur und hat nur bedingt mit Fragen der politischen Ausrichtung zu tun.

Mujibur Rahman und die Awami League gewannen die ersten Wahlen nach der Unabhängigkeit und leiteten den Wiederaufbau des Landes ein. Jedoch konnten die sozioökonomischen Probleme nicht gelöst werden und es stellte sich die typische Verbindung zwischen Politik und Unternehmern ein. So gehören noch heute die meisten Textilunternehmer der Awami League an. International orientierte sich Rahman zunächst zur Blockfreien Bewegung und ab 1973 zusehends in Richtung internationaler Geldgeber, wie den USA oder der von Saudi-Arabien dominierten Organisation für islamische Zusammenarbeit. Schon im ersten Regierungsjahr kam es gegen die Regierung zu Protesten, die sich enorm durch die Hungerkatastrophe von 1974 mit einer Millionen Toten verschärften. Rahman reagierte auf den Druck der Straße, in dem er die 4. Ergänzung zur Verfassung verabschiedete. Sämtliche Parteien wurden in die Einheitspartei BAKSAL überführt. Proteste wurden mit der neugegründeten Jatiyo Rakkhi Bahini niedergeschlagen, die sich vornehmlich gegen linke bzw. vermeintlich linke Gruppen richtete. 1975 wurden Mujibur Rahman und der Großteil seiner Familie von unzufriedenen Parteimitgliedern der Awami League ermordet. Nacheinander übernahmen Generäle die Macht, die sich gegenseitig wegputschten oder ermordeten. Der Versuch der protestierenden Bevölkerung in Verbindung mit linken Militärs die Regierung scheiterte. General Ziaur Rahman, der erst durch den Aufstand aus der Haft entlassen wurde, schlug ihn nieder und exekutierte Abu Taher und weitere Anführer. Dies markierte auch den Beginn Ziaur Rahmans Militärdiktatur, bis auch er 1981 durch Militärs ermordet und auf ihn General Ershad folgte. Die Regierung Ziaur Rahmans war geprägt vom ideologischen Wandel von der Blockfreien Bewegung hin zum Westen und ökonomisch zum Neoliberalismus. Tatsächlich hatte die Neoliberalisierung aber keine derart großen Auswirkungen wie in anderen Ländern der Epoche (Ägypten, Pakistan, Chile, Argentinien, England, USA), denn der Staat sollte zwar wirtschaftliche, erzieherische und sozialstaatliche Aufgaben wahrnehmen, tat es aber nicht. Das lag zum Teil an den Nachwirkungen der verpassten Jahrzehnte unter westpakistanischer Herrschaft und dem folgenden Völkermord im Unabhängigkeitskrieg, zum Teil aber auch an Managementproblemen und Korruption. Ein klassisches Beispiel ist die direkte, quasi orthodoxe Übernahme von Betriebsmodellen aus anderen Ländern oder nach den damals herrschenden Entwicklungspolitiken. Mitarbeiter und Angestellte waren mit der Umsetzung betraut, konnten aber keine Verbesserungen oder Anpassungen einbringen.

Unter Ziaur Rahman wurde dieser nominelle Anspruch aufgegeben und der Neoliberalismus hielt Einzug: Leistung muss sich wieder lohnen und der Islam gibt den Bengalen die Sekundärtugenden um erfolgreich im Beruf zu sein. Deswegen holte er die Jamaat-e Islami wieder ins Land und sicherte ihnen Immunität zu, u.a. dem Anführer Gholam Azam oder dem unlängst hingerichteten Abdol Qader Mollah. Die Rolle der JI war es Gelder aus dem arabischen Golf zu kanalisieren und ein ideologisches Gegengewicht zur Linken und zur Awami League zu bilden. Besonders betraf das die Bildung. So wurden ihre Koranschulen mit offiziellen Schulen gleichgesetzt und die Universitäten islamisiert, besonders zum Nachteil der Frauen. Mit der Islami Chhatra Shibir wurde eine eigene Studentenorganisation geschaffen, die zugleich als paramilitärischer Verband bis heute agiert. Wie die offiziellen Wahlergebnisse aber zeigen, sind die Erfolge der Islamisten eher bescheiden. Im Gegenzug wurde der Islam in der Verfassung verankert und die Zivilgesetzgebung deutlich konservativer ausgestaltet. So wurden z.B. Frauen in Erbangelegenheiten benachteiligt wie auch im Eherecht. Ziaur Rahman gab sich verstärkt dem Nationalismus hin. Auch seine Einheitspartei taufte er „Bangladesh National Party“. Allerdings muss sein Nationalismus immer als islamischer Nationalismus gedacht werden. Denn das Land der Bengalen war für ihn nur für moslemische Bengalen zugedacht, nicht aber religiösen und ethnischen Minderheiten, die unter ihm auch staatlich diskriminiert wurden. In den Chittagong Hill Tracts wurde eine Siedlungspolitik betrieben, die darauf hinauslief die ansässige Bevölkerung der Chakma und weiterer Gruppen zu vertreiben. Selbst Moslems, die eine andere Sprache als Bengali sprachen, wurden diskriminiert, z.B. die Biharis und die moslemischen Bamar aus Burma, heute Myanmar.

1982 wurde Ziaur Rahman erschossen und ihm folgte General Ershad nach. Dieser erlaubte zwar wieder ein Mehrparteiensystem, fälschte aber alle Wahlen. Die BNP unter der Witwe Ziaur Rahmans boykottierte die Wahlen unter dem Vorwurf, dass Ershad eine Militärregierung anstreben würde. Bis 1990 versuchte er die Neoliberalisierung auszuweiten, fand aber kein internationales Kapital, das in seinem Land investierten wollte. In den 80er Jahren zog es das noch in die „Entwicklungsdiktaturen“ Ostasiens, also Taiwan, Singapur, Südkorea, Malaysia und Indonesien. So beschränkte sich Ershad auf Prestigeprojekte und Infrastrukturmaßnahmen. Für die Entwicklung „seiner“ Landsleute förderte er den Aufbau der Grameen Bank, der ersten Bank, die Mikrokredite für Kleinunternehmen anbot. Ein übergreifendes Angebot von Entwicklung gab es nicht mehr. 1990 beugte sich Ershad den Studentenprotesten und trat zurück. In der Folge wurde er wegen Korruption angeklagt und verbrachte einige Jahre im Gefängnis.

e) Zweiparteiendemokratie nach 1990

Nach 1990 wechselte die Regierung zwischen der BNP unter Khaleda Zia und der Awami League unter Sheikh Hasina. Zur Vervollständigung der Koalition wurden kleine Parteien und Ershads Jatiya Partei. Wirtschaftspolitisch setzte man den neoliberalen Kurs fort und konnte zum zweitgrößten Kleidungsexporteur der Welt aufsteigen, weil die Löhne niedrig gehalten und Proteste mit massiver Repression beantwortet wurden. Selbst die Aushandlungen über Mindestlöhne, zuletzt 2011, werden nicht eingehalten. Neben den großen Firmen gibt es mehrere tausend Kleinunternehmen, an die Aufträge und Arbeitsschritte ausgelagert werden, in denen die Entlohnung und Arbeitszustände noch schlechter sind. Die Politik rechtfertigt dies einerseits mit der Tariffreiheit und andererseits wirtschaftspolitisch, weil durch die Exportindustrialisierung immerhin Arbeitsplätze entstehen würden. Die von der Awami League versprochene Landreform wurde bislang kaum umgesetzt bzw. in der nächsten Regierungszeit von BNP und Jamaat-e Islami revidiert. So gehören 30% des Landes dem Staat oder Waqf (religiöse Stiftungen, die aber vom Religionsministerium geführt werden). Die meisten Bauern sind weiterhin Kleinbauern, d.h. 90% der Kleinbauern besitzen weniger als 1 ha. Die Großgrundbesitzer werden ihrem Namen gerecht und besitzen die meiste Fläche und sind aber mit beiden Großparteien verbandelt. Ihre Produktion fließt hauptsächlich in den Export und die Baumwolle in die Industrie. Auf ihren Feldern arbeiten hauptsächlich Landarbeiter, Tagelöhner und Kleinbauern. In den vergangenen Jahren ist es zudem zu land-grabbing durch bangladeschische Großkonzerne gekommen, die Kleinbauern wegen fehlender Dokumente vertrieben haben. Staatliche Unterstützung gibt es nur für den Export, d.h. Zugang zu technischen Anlagen wie Mühlen, Kühlanlagen und Maschinenringe oder Vermarktungsmöglichkeiten.

f) Liberalisierung und islamistische Reaktion

Die nunmehr vorletzte Regierung wurde durch BNP und Jamaat-e Islami gestellt. Wie eingangs erwähnt wurden sie wegen politischer Morde aus Amt und Land gejagt, allerdings übernahm das Militär die Regierung für ein Jahr und bereitete Neuwahlen vor, nach dem sich keine zivile Regierung um für sie Marionette zu spielen. Die neue Regierung unter Führung der Awami League errang eine 2/3-Mehrheit und konnte so die Verfassung aus Zeit der 70er und 80er Jahre ändern. Die Koalition nutzte die Möglichkeit und liberalisiert etliche Gesetze, Frauen einschränkten, u.a. in der Bildung, Eherecht und Erbangelegenheiten. Schließlich wurde sogar der religiöse Bezug aus der Verfassung gestrichen. Die bis dahin geltende Regelung, dass religiöse Autoritäten Fatwa vor Gericht als eigenständige Gutachten und Leitsätze der Urteilsfindung einbringen konnten, wurden gestrichen.

Dies führte zur Reaktion der Islamisten. Wie alle Konservativen auf der Welt haben auch die Islamisten in Bangladesch kein Positivprogramm, sondern verteidigen den Status Quo von Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit. Sobald dieser Status Quo oder die Identitätssymbole, die man zur Rechtfertigung dieses Status Quo verwendet, angegriffen werden, kommen Konservative erst in Fahrt. Nun plötzlich fällt ihnen ein, dass ihre Symbole irgendwelche Werte und Sekundärtugenden vermitteln würden, die gesellschaftliche Probleme lösen könnten – was sie aber nicht tun. Zugleich rücken sie ihre klassischen Feindbilder in den Vordergrund, wahlweise Staatsfeinde, die alles kaputt machen wollen, Frauen und ihr angeblich ausgeprägter Sexualtrieb, Linke und Minderheiten. Natürlich nehmen sie für sich in Anspruch die Gesellschaft und die Werte als Grundlage ebendieser Gesellschaft zu beschützen. Schon 1971 drückte das Golam Azam, damaliger Amir der Jamaat-e Islami, mit folgenden Worten aus: „Die Anhänger der sogenannten Bangladeschbewegung sind Feinde des Islams, Pakistans und der Moslems.“

2009 haben aber die „Feinde des Islams“ die Reihen der Jamaat-e Islami gelichtet und Parteimitglieder, die im Verdacht standen am Völkermord 1971 beteiligt gewesen zu sein, angeklagt. Matiour Rahman Nizami (Ameer der Jama’at-e Islami), Ali Ahsan Mojaheed (Generalsekretär/Geschäftsführer der JI), Delwar Hossain Sayedee (Parlamentsabgeordneter der JI und Tele-Imam), ASM Yahia (Vorsitzender der Kreisgruppe der Islami Chhatra Shibir in Dhaka, der Jugend- und Schülerorganisation der JI), Abdul Quader Molla (stellvertretender Vorsitzender der JI) und Mohammad Kamaruzzaman (Chefredakteur der Parteizeitung der JI “Daily Sangram). Ghulam Azam, ehemaliger Ameer der JI, wird vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt. Ihnen wird Massenmord vorgeworfen und in zahlreichen Zeugenaussagen Bericht abgelegt wie sie als Anführer verschiedenen islamistischen Todesschwadronen Menschen verschleppten, folterten und ermordeten. So soll Mohammed Kamruzzaman ein Folterlager geleitet haben. 2013 wurden die ersten Urteile verkündet und in Reaktion darauf gründete sich die Shah-Bagh-Bewegung in Dhaka, die die Todesstrafe für Abdul Qader Mollah, den „Schlächter von Mirpur“, forderte sowie internationalen Druck auf Pakistan und England für die Auslieferung von zwei Angeklagten: Abul Kalam Azad – nicht zu verwechseln mit dem indischen Politiker – und Chowdhury Mueen-Uddin, Vorsitzender einer religiösen Wohlfahrtseinrichtung in London und der East London Mosque in Whitechapel.

In Bangladesch selbst riefen die Islamisten zu Protesten auf. Sie ermordeten Anfang Februar 2013 den bekannten Blogger Ahmed Rajib Haider, der die Shah-Bagh-Proteste koordinierte. Die Islamisten, auch die Islami Oikkya Jote und Khelafat Andolan sowie Mitglieder der Hizb-ut  Tahrir und Tablighi Jamaat, griffen mehrfach die Shah Bagh-Protestierenden an und drohten bekannten Personen mit dem Tode. Besonders taten sich Mitglieder der Islami Chhatra Sibir mit Angriffen und Plünderungen hervor. Ende Februar kam es zu heftigen Auseinandersetzungen der Islamisten mit der Polizei und Protestierenden, wobei alleine am 28. Februar 44 Menschen starben. Neben den Shah Bagh-Protestierenden haben es die Islamisten besonders auf Symbole des Unabhängigkeitskampfes wie die häufig anzutreffenden Märtyrerstelen der bengalischen Sprachbewegung und Einrichtungen religiöser und ethnischer Minderheiten wie Hindus und Buddhisten. Besonders inm Chittagong-Distrikt und in Noakhali, Hochburgen der Islamisten, griffen sie Hindus an. Zugleich riefen sie zu Streiks, hartals genannt, auf und in einigen kleineren Städten sorgten sie dafür, dass Geschäfte nicht öffnen konnten. Die Jamaat-e Islami hierbei auch von der BNP unterstützt, die ihren potentiellen Koalitionspartner schützen will.

Gegen die Liberalisierung wurde 2010 in Chittagong die Hefajat-e Islam gegründet. Sie richtet sich gegen das ihrer Meinung nach schlimmste Übel Bangladeschs – die Koedukation. Angeführt wird die Gruppe von Ahmad Shafi, Rektor der Deobandi Madrasa in Chittagong. 2013 haben sie mehrere Aktionen gegen die Völkermordprozesse und die Shahbagh-Proteste lanciert. Am 6. April hatten sie zu einem großen Marsch nach Dhaka aufgerufen, an dem 200.000 Menschen teilnahmen. Sie forderten die Freilassung der Völkermörder und die Todesstrafe für Blogger. Behörden gehen ihren Anschuldigungen nach Beleidigung des Islams sogar nach und verhaften Liberale, Blogger und Journalisten.

Am 5. Mai fand in Dhaka die bislang größte Demonstration der Hefajat-e Islami statt, auch unter zahlreicher Teilnahme von Mitgliedern der Jamaat-e Islami, Hizb-ut Tahrir und Islami Oikya Jote. Es wurden im Stadtteil Motijheel und in umliegenden Bezirken die Geschäfte von Minderheiten verwüstet und die Büros von politischen Gegnern angegriffen, z.B. von der Kommunistischen Partei und der Awami League. Zwar gibt sich die Hefajaz-e Islam pazifistisch und schiebt die Schuld wahlweise auf die Awami League oder „militanten Einzelgängern“ zu, aber der Organisator sowohl des Marsches vom 6.April wie auch der Demonstration, Maulana Habib ur Rahman, ist ein Anführer der Harkat ul Jihad al Islami Bangladesh (HuJI-B). Die Ursprungsgruppe entstammt den Bergen des afghanisch-pakistanischen Grenzgebietes und wurde liebevoll von CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI aufgepäppelt um gegen die Sowjetunion und Oppositionelle in Pakistan zu kämpfen und gelegentlich ein paar Minderheiten zu liquidieren, Schiiten zum Beispiel. Eine Partnerorganisation, die Jagrata Muslim Janata Bangladesh, führte 2005 eine Terrorkampagne in Bangladesch durch, wobei 500 Bomben innerhalb einer halben Stunde gezündet wurden. Die damalige Koalition aus BNP und Jamaat-e Islami präsentierte einen  - Überraschung! – Einzeltäter.

Diese Terrorgruppen haben auch eine ideologische Gemeinsamkeit. Sie entstammen alle aus der Deobandi-Bewegung, benannt nach dem indischen Ort Deoband nördlich von Delhi. Die Deobandi-Schulen sind reine Religionsschulen, in denen sonst nichts gelehrt wird. Bestens vorbereitet aufs Leben, lässt man dann die Schüler auf die Welt los. Da die Lehrinhalte dann doch etwas dürftig sind, wird der Schulstoff um das Fach Feindbildpflege ergänzt und wahlweise im normalen Unterricht oder in Wochenendseminaren in Nordpakistan vermittelt.

Zahlreiche Gruppen haben sich aus der Deobandi-Bewegung heraus entwickelt: die Taliban, Tehrik-e Taliban in Pakistan, Sepah-e Sahaba oder das Haqqani-Netzwerk. Quasi des Who-is-Who des Terrorismus in Südasien – das vornehmlich Moslems ermordet.

Mit diesen Protesten gegen die Völkermordprozesse und die Liberalisierung solidarisierte sich die BNP und rief zu Generalstreiks sowie dem Wahlboykott 2014 auf. Sie fordert ein “caretaker government”, das die Wahlen überwachen soll, oder anders ausgedrückt, die Regierung soll auf ein Regierungshalbjahr verzichten. Als Grund nannte die BNP Befürchtungen, dass die Wahlen gefälscht werden sollten. Mehrfach rief die BNP zu Generalstreiks auf, denen aber nur eine Minderheit nachkam. Normalerweise legen Generalstreiks ganz Bangladesch lahm, aber offensichtlich verfügt die BNP über kaum mehr Rückhalt in der Bevölkerung, zumindest in der streikwilligen.

Anstatt nun auch die folgende Wahl ehrenhaft zu verlieren, entschied sie sich zum Wahlboykott gegen die herbeifantasierten Fälschungen. Die BNP rief zum Generalstreik auf, griff während des Wahltages mehrere Wahllokale an und ermordete landesweit mehr als 100 Wahlhelfer. Auch dies ist keine neue Entwicklung in der BNP. Als Partei eines Militärdiktators ist ihr Demokratie grundsätzlich suspekt und sobald sie formell an Einfluss verliert, versucht sie informell – sei es durch Bestechung, sei es durch Gewalt – ihn zurückzugewinnen.

Stärker trifft die Awami League, dass die Jatiya Party unter Ershad, ebenfalls den Wahlen fernbleiben wird wegen des “schlechten Wahlklimas”. Ob es sich hierbei um erfolgreiche Einschüchterung der Islamisten oder um tatsächliche Sorge um die Einheit des Staates und den Umgang handelt, ist unklar.

Anmerkungen

1) Analog finden sich die gleichen Auseinandersetzungen in den USA, Sri Lanka, Myanmar und Israel. Hierbei verschränken sich zwei Konflikte: (1) der Identitätskonflikt mit Minderheiten und (2) die Durchsetzung konservativ-autoritärer Ansichten gegenüber der „eigenen“ Identitätsgruppe, in der Regel unter dem Vorwand authentisch sein zu wollen oder eine reine religiöse Lehre zu leben, die man von Verunreinigungen säubern müsse

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe. Wir empfehlen zum Thema zu lesen: