Virtuelle Zweitveröffentlichung
Die Kritik von Korsch und Pannekoek an Lenins "Materialismus und Enpiriokritizismus"

Von Richard Albrecht

03/2019

trend
onlinezeitung

Vorbemerkung
Der "Arbeitskreis Kapitalismus aufheben" (AKKA) diskutiert zur Zeit Lenins "Materialismus und Enpiriokritizismus"(*). Wir baten den Autor, uns seinen 1972 im Argumentheft 74 veröffentlichten Aufsatz über Lenins erkenntnistheoretische Streitschrift für eine Zweitveröffentlichung zu überlassen. Wir erhielten seinen Beitrag mit dem nachfolgenden Begleittext.


Kurze Erinnerung an linksakademische Publizistik
in der Alt-BRD 1972/75


von Richard Albrecht

Nachdem 1971 trotz positiver „Begutachtung“ in der 1959 von W. F. Haug gegründeten linksakademischen Zeitschrift „Das Argument“ mein Aufsatz über Karl Mannheims Intellektuellensoziologie (warum auch immer) nicht wie vereinbart erschien – wurde dort im September 1972 im vierten Themenheft „Fragen der marxistischen Theorie“ meine erste größere wissenschaftliche Veröffentlichung, der Aufsatz „Die Kritik von Korsch und Pannekoek an Lenins ´Materialismus und Empiriokritizismus´“, gedruckt (-> „Das Argument“, 14 [1972] 74: 586-625)[1]

Es handelt sich um Teile meiner im WS 1970/71 in Heidelberg geschriebenen, an der baden- württembergischen Reformuniversität Mannheim (WH) im April 1971 eingereichten und von den dortigen Prof´es Harald Delius und Ulrich Steinvorth (LS Philosophie I) mit „befriedigend“ bewerteten philosophiegeschichtlichen Diplomarbeit „Probleme der Erkenntnistheorie Lenins“ (Manuskript, II/127 p.).

Der „Argument“-Text wurde 1973 so oberflächlich wie unwirsch von Professor Anton Leist im ersten Themenheft zu „Streitfragen der materialistischen Dialektik“ kritisiert (-> „Das Argument“ 81/1973: 574 ff.), genauer: der Text wurde, so Herausgeber Haug im ZK-Jargon 1975 im Editorial zum vierten Themenheft „Streifragen der materialistischen Dialektik“, einer von der „Argument“-Redaktion gebilligten „Kritik unterzogen“ (-> „Das Argument“ 90/1975: 185 ff.) Dabei konnte Haug an seinen Professorenkollegen Oskar Negt anschließen. Dieser hatte mich wegen meiner – zugegeben – linksleninistischen Kritik sowohl an rätekommunistischen Autoren in „Das Argument“ (1972) als auch wegen meines folgenden Beitrags zur Kritik der bundesdeutschen Korsch-Renaissance (-> „Sozialistische Politik“, 5 [1973] 22: 49-76) als „neostalinistischer Schmierer“ öffentlich denunziert (-> Jahrbuch Arbeiterbewegung 1: Über Karl Korsch. Frankfurt/Main: Fischer-Taschenbuch 6600, 1973).

Als unbekümmerter, damals 27 Jahre alter Jungwissenschaftler hatte ich in der Tat bemerkt, daß Negts Kritik an den in der Sowjet-Union der 1930er Jahre herrschenden Verhältnissen „sich noch nicht einmal auf die Höhe der Erkenntnisse des konservativen und gewiß jeder marxistischen Tendenz unverdächtigen geistesgeschichtlichen Forschers Ernst Nolte heraufarbeiten konnte“. Dieser hatte die stalinistische Sowjet-Union der 1930er Jahre als „nicht imperialistisch“, aber notwendig „totalitär“ klassifiziert und betont, daß deren „Telos nicht der Krieg zu sein brauchte.“ (-> Der Faschismus in seiner Epoche […]. München: R. Piper, 1963: 470 f.)

Was ich als Jungwissenschaftler vor gut fünfundvierzig Jahren im linksakademischen Bereich erfahren durfte, war keine rechte Berufsverbotspraxis. Sondern als zweite Exklusions- oder Ausgrenzungsvariante die denunziatorisch-verlogene Praxis der bürgerlichen Existenzvernichtung. Der Sozialpsychologe und marxistische Subjektwissenschaftler Harald Werner hat diese Praxis später so erinnert:

An der Carl-von-Ossietzky-Universität, die sich damals noch als linke Reformuniversität verstand, stieß ich nur noch auf verschlossene Türen. Wobei auch dies weniger an den Rechten lag als an den sich undogmatisch nennenden Linken. Sie achteten eifersüchtig darauf, dass ihre eigenen Leute berufen wurden und sich die in der Studentenschaft bestehende Mehrheit aus MSB und SHB nicht im Lehrkörper fortsetzte. Und im Laufe der Zeit sollte sich erweisen, dass sie damit deutlich erfolgreicher waren als die Politik der Berufsverbote.“[2]

[1] Das gesamte Heft 74 (1972) steht hier im Netz: http://neu.inkrit.de/mediadaten/archivargument/DA074/DA074.pdf

[2] Harald Werner, Offene Fragen in der geschlossenen Abteilung. Das erfolgreiche Scheitern einer Kaderperspektive. Köln 2011, siehe dazu auch: "Geschlossene Abteilung mit Offenen Fragen", in: TREND 12/2011- http://www.trend.infopartisan.net/trd1211/t101211.html


Den Text als PdF runterladen (3,1 Mb)

*) Als weitere Begleittexte sind bei TREND bereits erschienen: