Stichwort RAF

Kritik am Terror muß klarer werden
Rudi Dutschke
 

04/07

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Im Stern wurde vor Monaten ein erst erwünschter Beitrag von mir über die sozialistische Kritik von Desperado-Aktionen nicht veröffentlicht. In ihm heißt es: »Als in Spanien der Franco-Minister Carrero terroristisch in die Hölle gejagt wurde, da atmete ein großer Teil eines ganzes Volkes auf, half der Anschlag das Ende der Despotie voranzutreiben.«

Unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen ist die Lage völlig anders. Jede Terroraktion bei uns dagegen macht die geringe gesellschaftliche Luft noch enger und vernebelt ungeheuer die realen Widersprüche und politischen Klassenkampfmöglichkeiten.

In Spanien ist gewissermaßen ein Beginn der bürgerlichen Gesellschaft politisch und ökonomisch festzustellen. Jenen Spielraum freimachend, den die Arbeiterklasse und ihre Verbündeten benötigen, um die Sozialismusfrage angemessen stellen zu können.

Wir in der Bundesrepublik sind nicht am Beginn, wir sind viel eher in einer Endphase des bürgerlichen Rechtsstaates, der in einer tiefen Krise steckt.

Buback und seine Mitarbeiter saßen an zentralen Stellen, um gesellschaftlich unkontrollierte Macht auszuüben. Sie waren, um mit Marx zu sprechen, »gesellschaftliche Charaktermasken«. Entfremdete Menschen - aber Menschen und nicht abzuschießende Schweine.

Als Sozialist bekämpfe ich die Vertreter der herrschenden Klasse politisch und den außerparlamentarischen und parlamentarischen Möglichkeiten gemäß - nicht mit der sich von der Bevölkerung abwendenden Methode des individuellem Terrors. Wenn Che Guevara sagt: »Schaffen wir zwei, drei viele Vietnams«, so hatte das einen tiefen Sozialrevolutionären Sinn. Die Geschichte hat der Parole recht gegeben. Wenn verzweifelte oder beauftragte Desperados schreiben: »Schafft viele revolutionäre Zellen! Schafft viele Bubacks«, so kann der Sozialist nur sagen: Höher kann die Zerstörung der kritisch-materialistischen Vernunft nicht mehr gehen.

1967 sprachen wir unzweideutig von Mord gegen Benno Ohnesorg.

Für Sozialisten und Kommunisten demokratischen Typus, die weder ein Bein in Moskau noch eins in Peking haben, ist das in den siebziger Jahren nicht anders geworden.

Nur zu gerne finden die herrschenden Parteien den so genannten geistigen Nährboden des Terrorismus. Wieder sollen die Linken an den Universitäten und anderswo die letzte intellektuelle Verantwortung für den individuellen Terror »tragen«. Die emanzipativ orientierte Intelligenz in die Mitgliederschaft oder den Sympathisantenkreis des individuellen Terrors einzuordnen, kann nur als Intellektuellen-Jagd verstanden werden.

Warum versucht man sich mit allen Tricks von dem Problem des sozialen Nährbodens terroristischer und anderer Erscheinungsformen davonzustehlen? Wie kann man eigentlich einen »Terrorismus austrocknen«, wenn auch sozialökonomisch und sozialpsychologisch Boden dafür geschaffen wird?

Was heißt das für uns Sozialisten? Unsere Kritik und Schärfe der Auseinandersetzung mit dem individuellen Terrorismus muß deutlicher als vorher werden. Wenn der Rahmen der objektiven Möglichkeiten in der anstehenden Zeit nicht genutzt wird, so wird das grauenhafte Spiel, das in der Tat kein Spiel mehr ist und nie eins sein konnte, einen Fortgang auf erhöhter Stufenleiter finden. Gerade um der bürgerlichen Demokratie den letzten Boden wegzunehmen - ohne im geringsten eine revolutionäre Situation für die Linken und deren Sympathisanten zu schaffen. Im Gegenteil: Wir werden uns zum größten Teil entweder in neuen Lagern oder im Exil wiedertreffen. Soll dort erst der Desperado davon überzeugt werden, daß der individuelle Terror der Pervertierung des politischen Kampfes dient, er ein brauchbares Objekt der herrschenden Klasse war? Oder ist es schon lange kein sozialistisches Ziel mehr, was die Terroristen bewegt? Letzteres ist nicht auszuschließen. Denn in ihren Argumentationen und Diskussionen, soweit sie überhaupt von außen durchschaubar und erkennbar sind, gibt es die Frage der sozialen Emanzipation der Unterdrückten und Beleidigten schon lange nicht mehr. Der individuelle Terror ist der Terror, der später in die individuelle despotische Herrschaft führt, aber nicht in den Sozialismus. Das war nicht unser Ziel und wird es nie sein. Wir wissen nur zu gut, was die Despotie des Kapitals ist, wir wollen sie nicht ersetzen durch Terrordespotie.

Editorische Anmerkung

Aus: Die Zeit vom 16. September 1977, 32. Jg., Nr. 39, S 41
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